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11. Kapitel

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Als Steve McCoy die Augen aufschlug, war er sofort hellwach. Er wusste, wo er sich befand und was am Abend vorgefallen war. Sein erster Blick galt der Uhr.

Er hatte ziemlich lange geschlafen, aber es hatte sich gelohnt. Er fühlte sich ausgeruht und voll leistungsfähig.

Da sein gesamtes Gepäck nur aus den Sachen bestand, die er am Leibe trug, gab es keine Probleme mit Kleidungsfragen. Er musste sich unbedingt ein paar Sachen kaufen. Der sprießende Bart störte ihn weniger. Das veränderte sein Gesicht.

Einige Minuten später ging er nach unten. Aus der Küche drang der Duft von gebratenem Speck. Im Frühstücksraum saßen zwei jüngere Männer in schlecht sitzenden Anzügen, die ihn nicht zur Kenntnis nahmen. Steve bestellte ein reichhaltiges Frühstück.

Danach ging er zur Rezeption und bezahlte. Alles ging reibungslos, niemand bedrohte ihn, niemand beobachtete ihn. Es schien, als hätten die paar Stunden Schlaf alles verändert. Steve wusste, dass diese Vorstellung allerdings Illusion war. Die Meute seiner Verfolger hatte die Jagd bestimmt noch nicht aufgegeben. Sie hatten erst Blut geleckt. Gleichzeitig war sicher ihr Ehrgeiz geweckt worden.

Steve war entschlossen, den Fall Chicago endlich zu einem Abschluss zu bringen. Er brauchte nur noch die Papiere, dann konnte er diese unfreundliche Stadt verlassen, in der jeder nur darauf aus war, ihn der Mafia ans Messer zu liefern. Die Geburtsstadt des organisierten Verbrechens war ihrem Ruf treu geblieben.

Er wandte sich zum Ausgang, als er zwei Typen die Stufen heraufkommen sah. Steve hätte ein Jahresgehalt dafür verwettet, dass es Mafiosi waren. Wussten sie, dass er hier war?

Der Taxifahrer! Er wusste zwar nicht, wo Steve geblieben war, doch er konnte die Gegend beschreiben. Es war für die Gegenseite nicht so schwer, sich vorzustellen, dass Steve irgendwo untergekrochen sein musste. Also suchten sie alle Möglichkeiten systematisch ab.

Steve sah sich rasch um und entdeckte eine Tür, die nach hinten hinauszuführen schien. Er verschwand, bevor die beiden Typen die Eingangstür aufrissen und sich vor der Rezeption aufbauten.

Steve ließ die Tür einen winzigen Spalt geöffnet, da er zunächst hören wollte, was die beiden vorhatten.

Der Hinterausgang entpuppte sich als Falle. Er befand sich in einem schmalen Flur, von dem zwei weitere Türen abgingen, aber ein Ausgang war nicht zu sehen. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten.

Steve legte ein Auge an den Türspalt. Die beiden lümmelten sich auf den Tresen der Rezeption. „Wir suchen jemand“, verkündet der eine.

Der Mann hinter der Rezeption hatte die Figur eines Preisboxers. Er ließ sich nicht gleich einschüchtern. Der ältere Schwarze war wohl nur der Nachtportier gewesen. Er wäre vor Schreck vermutlich schon vom Hocker gekippt.

Der Boxer kratzte sich ausgiebig die Brust unter seinem weit geöffneten Hemd. Er gähnte. „Wer soll’s denn sein?“

„Junger Mann, Ende Zwanzig, dunkle Haare, ziemlich schlank und ziemlich groß.“

„Aha“, nickte der Boxer.

„Wohnt so ein Typ vielleicht hier?“

Der Boxer zuckte die Achseln. „Woher soll ich das wissen? Und außerdem: Was geht euch das eigentlich an?“

Die beiden Typen sahen sich an. Dann meinte der Zweite gedehnt: „Ich glaube, der Kerl will uns auf den Arm nehmen. Wir sollten ihm mal richtige Manieren beibringen.“

„Finde ich auch“, bestätigte der Erste. Dann beugte er sich blitzschnell vor, packte den Mann hinter dem Tresen am Hemd und riss ihn nach vorn. Das heißt, er wollte es tun.

Sein Gegner war allerdings schneller. Er sprang hoch und schlug die Fäuste des Angreifers zur Seite wie lästige Insekten. Der Mafioso brüllte auf und taumelte zur Seite. Der Boxer rannte um seinen Tresen herum und holte zu einem gewaltigen Schwinger aus.

„Stopp!“, schrie der andere und hatte plötzlich eine riesige Kanone in der Hand.

Der Boxer blieb stehen und hob die Hände. „Ihr feigen Schweine“, murmelte er.

„Jetzt können wir wohl die Unterhaltung fortsetzen“, meinte der mit dem Revolver.

Der andere ging auf den Boxer zu und schlug mit beiden Fäusten zu. Der Mann klappte zusammen und fiel gegen den Tresen. Mühsam kam er wieder hoch und starrte die beiden an. In seinen Augen lag Mord.

„Also: Wohnt der Kerl hier, nach dem wir vorhin gefragt haben?“

„Nein.“ Der Boxer schüttelte den Kopf und schielte in Steves Richtung. Er hatte ihn also mit Absicht gedeckt. Für Steve wurde es langsam Zeit einzugreifen. Er musste nur abwarten, bis die beiden sich in einer ungünstigen Position befanden.

„Ich glaube, du lügst.“ Das war der mit der Kanone.

Steve zog die Beretta und riss die Tür auf. „Lass sie fallen! Und keine unvorsichtige Bewegung!“

Die beiden standen wie erstarrt. Schließlich drehten sie langsam den Kopf. Steve hoffte, dass sie keine Dummheit machen würden. Er wäre in jedem Fall schneller gewesen. Das mussten die Mafiosi allerdings auch einsehen. Denn nach einer kleinen Ewigkeit senkte der Gangster seinen Revolver, den er die ganze Zeit auf den Portier gerichtet hatte. Der andere hob gleichzeitig die Hände.

„Nehmen Sie die Waffe an sich“, schlug Steve vor. Der Boxer nickte glücklich und schob den Revolver in seinen Hosenbund.

„Das ist er ja“, stellte einer der Gangster fest.

„Da lagen wir ja richtig“, sekundierte der Zweite.

„Fällt uns hier einfach in den Rücken. Carlo hatte Recht, als er sagte, dass man sich vor ihm in Acht nehmen muss. Aber das wird ihm auf Dauer auch nichts helfen.“

Steve wusste, dass sie ihn zu provozieren versuchten, um ihn zu einer unbedachten Handlung zu verleiten oder einfach, um Zeit zu gewinnen. Er hätte an ihrer Stelle nicht anders gehandelt, hatte jedoch nicht die Absicht, in irgendeiner Form darauf einzugehen. Er konnte mit den beiden Typen nichts anfangen.

„Werden Sie mit den beiden fertig?“, fragte Steve den Boxer. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die beiden noch so lange festhielten, bis ich einen kleinen Vorsprung habe.“

„Sicher“, nickte der Mann und grinste.

„Der andere dürfte auch noch eine Waffe haben.“

„Nicht mehr lange.“

„Vielen Dank.“

Der Boxer winkte ab. „Keine Ursache. Ich kann solche Kerle prinzipiell nicht leiden. Mich interessiert auch nicht, was Sie mit ihnen zu schaffen haben, aber in meinem Haus haben solche Ganoven nichts zu vermelden.“

Steve lächelte, steckte die Beretta ein und ging. Als die Eingangstür hinter ihm zufiel, hörte er ein klatschendes Geräusch und gleich darauf einen Schmerzensschrei. Die beiden erhielten jetzt eine Lektion, die sie wohl nicht so schnell vergessen würden.

Steve winkte ein Taxi heran.