Ich schrieb: ›Jake McCord ließ die Flügeltüren des Saloons auseinanderfliegen und trat ein. Zu dieser Tageszeit war an diesem Ort noch nicht viel los. Ein paar Zecher hingen an der Theke.
An einem der Tische wurde gespielt.
Als McCord eingetreten war, verstummten fast augenblicklich die Gespräche. Verstohlene Blicke wurden ihm zugewandt, wobei die Männer es vermieden, McCord offen anzusehen. Jake McCord kannte diese Blicke. Es waren Blicke, die einem Mann galten, von dem jedermann annahm, dass er bald sterben werde − durchsiebt von einem halben Dutzend Bleikugeln.
McCord kümmerte das nicht. Er hatte nicht vor, sich erschießen zu lassen.
Mit weiten Schritten ging er zur Theke, hinter der der Saloonkeeper wie erstarrt stand. Er war dick und rotwangig und machte ganz den Eindruck, sich häufiger an seinem eigenen Whiskey zu vergreifen.
"Sie können Ihren Mund wieder zumachen!", wandte sich McCord an den Salooner. "Und wenn Sie das geschafft haben, dann schenken Sie mir doch bitte etwas ins Glas!"
"Whiskey?"
"Was sonst!"
"Ich hätte nicht gedacht, dass Sie noch hier sind, Mister McCord! Wenn ich Sie wäre, hätte ich mir ein schnelles Pferd besorgt und zugesehen, ein paar Meilen zwischen mich und John Morton zu legen!"
"Ich fürchte mich nicht vor John Morton!"
"Das sollten Sie aber! Sie haben seinen Vormann erschossen!"
"Das war Notwehr!"
"Für Morton spielt das keine Rolle!" Der Keeper stellte ein Glas auf den Tisch und goss es bis zum Rand voll. McCord nahm es und spülte den braunen Saft in einem Zug hinunter, dann ging sein Blick zur Seite.
Er sah eine junge Frau die Treppe hinunterkommen. Ihre Blicke trafen sich. Sie hatte graugrüne Augen und dichtes, dunkelbraunes Haar, das sie kunstvoll hochgesteckt hatte.
Sie lächelte.
Als McCord zu ihr hingehen wollte, hielt der Keeper ihn am Arm fest. "Ich warne Sie, McCord! Das ist John Mortons Mädchen!"‹
Ich sicherte meinen Text, erhob mich und ging zum Fenster. Unten auf der Straße hupte irgendein Lieferwagen, weil man ihn zugeparkt hatte.
Ja, diese graugrünen Augen gingen mir nicht mehr aus dem Sinn, und jetzt begann ich sogar schon, damit mein Western-Alter-Ego Jake McCord zu plagen! Und dabei hatte McCord eigentlich schon genug Probleme! Dass sich diese geheimnisvolle Schöne verdünnisiert hatte und sich bis jetzt standhaft weigerte, wieder aufzutauchen, war ja schließlich nicht seine Schuld.
Zwei Tage waren vergangen, seit Lammers zu Tode gekommen war. Die Polizei hatte sich nicht mehr bei mir gemeldet, und ich dachte mit Schrecken daran, dass ich noch zu Rehfeld aufs Präsidium musste, um meine Aussage zu Protokoll zu geben. Ich hatte das bisher vor mir hergeschoben, aber das ging nicht bis in alle Ewigkeit.
Ein Phantombild war erstellt worden, mit dessen Hilfe nun nach jener Frau gefahndet wurde, der ich im Treppenhaus kurz nach dem Stromausfall begegnet war. Wahrscheinlich bis zur Stunde erfolglos.
Seltsam, ich hatte sie nur für wenige Augenblicke gesehen, aber ihr Gesicht stand noch immer in jeder Einzelheit vor meinem inneren Auge.
Hätte ich versucht, mir Jürgen Lammers Gesicht vorzustellen, hätte ich viel größere Schwierigkeiten gehabt, obgleich ich ihm mehr als ein Dutzend Mal begegnet war, um mich mit ihm zu streiten.
Lammers Wohnung war von der Kripo versiegelt worden. Niemand konnte dort hinein, ohne dass man es hinterher sehen konnte.
Ansonsten war wieder so etwas wie Normalität in dieses nicht mehr ganz taufrische Mietshaus eingekehrt. Die Bässe der Disco im Erdgeschoss dröhnten wie eh und je oft bis weit nach Mitternacht, die dicke Mutter schaffte es immer noch mit letzter Kraft, ihre eingepackten Pizza-Köstlichkeiten bis hinauf in ihre Wohnung zu bringen, und ihre pickelige Tochter wirkte so unzufrieden wie stets.
Aber es hatte seitdem keinen Stromausfall mehr gegeben. Und das hielt ich für ein gutes Zeichen.
Mit den ›Gnadenlosen Wölfen‹ war ich gut vorangekommen, und es war, wie es meistens bei mir ist: Noch während ich an einem Roman arbeitete, kristallisierte sich bereits der nächste heraus.
Ich klappte ein wenig das Fenster ab, um ein bisschen frische Luft hereinzulassen, obwohl frisch für das, was da hereinblies, vielleicht doch nicht der richtige Ausdruck war.
Und dann glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen!
Auf der anderen Straßenseite sah ich sie. Ich musste zweimal hinschauen, um es wirklich glauben zu können, aber dann hatte ich nicht mehr den geringsten Zweifel.
Sie wandte den Kopf, sah nach den Autos und versuchte über die Straße zu kommen, was ihr schließlich auch gelang. Ich war gespannt, wohin sie ihr Weg jetzt führen würde. Aber war das wirklich eine Frage?
Nein, ich hatte es im Gefühl.
Sie würde hinauf zu Lammers Wohnung wollen, aus einem Grund, der die Polizei vermutlich noch um einiges mehr interessierte als mich − und den weder Rehfeld noch ich bis jetzt kannten.
Ich blickte hinab, sie blickte hinauf, aber sie sah mich nicht. Immer wieder drehte sie den Kopf, so als glaube sie, verfolgt oder beobachtet zu werden.
Wurde sie ja auch: von mir.
Doch das war sicher nicht der Grund für ihre Vorsicht.
Und dann verschwand sie unten im Eingang. Meine Vermutung hatte sich also bewahrheitet.
Ich ging in den Flur und dachte, gleich müsste ich sie das Treppenhaus hinaufklappern hören.
Sie trug Schuhe mit Absätzen, damit konnte man sich nicht leise hinaufschleichen.
Es dauerte nicht lange, bis ich sie tatsächlich hörte. Ich wollte schon die Tür öffnen und hinausgehen, aber im letzten Moment hielt ich inne.
Unterdessen hatte es die Frau gerade bis zum ersten Treppenabsatz geschafft.
Was sollte ich tun?
Einfach hinausgehen, sie anquatschen und ihr sagen, sie möge doch bitteschön so freundlich sein, sich bei der Polizei zu melden?
Wie kam ich dazu? Und wie würde sie reagieren?
Vielleicht genau so, wie bei unserer ersten, allzu kurzen Begegnung. Möglicherweise würde sie einfach auf dem Absatz kehrtmachen und wieder davonrennen.
Ich beschloss, erst einmal abzuwarten, ob sie wirklich hinauf zu Lammers Wohnung gehen würde.
In diesem Moment kam sie an meiner Tür vorbei, und dann trippelte sie die nächste Treppe hinauf. Ich wartete darauf, dass sie unverrichteter Dinge zurückkehrte, aber sie kam nicht.
Ich öffnete die Tür und ging hinaus ins Treppenhaus. Und dann lauschte ich, hörte aber nichts. Ich schloss meine Wohnungstür und ging dann auf leisen Sohlen die Treppe zu Lammers hinauf.
Oben angekommen, war von der Schönen nichts zu sehen.
Sie hatte sich einfach in Luft aufgelöst, und eine Sekunde lang glaubte ich schon, einer Fata Morgana aufgesessen zu sein. So etwas kommt ja vor.
Man ist von etwas so besessen, dass man Dinge sieht und hört, die gar nicht existieren, und sich irgendetwas einbildet, sich aus kleinen Versatzstücken der Wirklichkeit etwas zurechtlegt, das dann nichts als Erfindung ist.
Aber die junge Frau hatte sich keineswegs in Luft aufgelöst. Mein Blick fiel auf das zerstörte Siegel der Kripo.
Die Lady, der ich auf den Fersen war, befand sich in der Wohnung!
Jake McCord hätte jetzt an die Hüfte gegriffen, blitzartig seinen 45er aus dem Holster gerissen und dann mit einem kraftvollen Tritt die Tür geöffnet.
Ich ging da entschieden ziviler vor, schon deshalb, weil ich keinen 45er Colt an der Seite hatte. Vor allem war ich keineswegs scharf darauf, irgendwelche Reparaturrechnungen begleichen zu müssen.
So drückte ich also ganz einfach die Klinke herunter, machte auf, blickte in den noch immer völlig chaotischen Flur, und dann sah ich sie.
Ihr hübsches, fein geschnittenes Gesicht war bleich wie die Wand geworden. Fast so bleich wie das Gesicht von Lammers, als ich ihn in der Badewanne gesehen hatte. Aber sie hatte es besser.
Sie hatte sich nur zu Tode erschrocken, Lammers war tot. Ein nicht unbeträchtlicher Unterschied, den sie im Moment aber wohl nicht so recht zu würdigen wusste.
Sie machte ihren hübschen roten Mund erst auf und dann wieder zu. Und dann schluckte sie.
Und ich?
Jake McCord blieb so gelassen, wie es in dieser Lage nur möglich war.
Ich nickte ihr zu. "Tag", murmelte ich. "So sieht man sich wieder!"
Sie schien nicht zu begreifen. "Wer...?"
"Erinnerst du dich nicht?" Ich duzte sie einfach.
"Woran?", fragte sie unsinnigerweise.
Ich erklärte ihr: "Wir sind uns schon einmal begegnet. Eine Treppe tiefer vor meiner Wohnungstür. Du hattest es ziemlich eilig ..."
Sie atmete tief durch, und irgendwie machte es ganz den Eindruck, als sei ihr eine Zentnerlast vom Herzen gefallen. "Ja", sagte sie. "Ich erinnere mich."
"Hattest du mit jemand anderem gerechnet?"
"Wieso?"
"Es war nur eine Frage."
"Hör mal, ich ..." Sie brach ab und kam etwas näher. Ich blieb in der Tür stehen.
"Bist du eine Freundin von Jürgen Lammers?"
"Wieso?"
Auskunftsfreudig war sie jedenfalls nicht.
"Weil es einen Grund dafür geben muss, dass du in seiner Wohnung bist. Wie bist du überhaupt hineingekommen? Hattest du einen Schlüssel?"
"Was geht dich das alles an?"
"Eigentlich nichts, da hast du Recht."
"Na, also!"
"Trotzdem, es ist doch irgendwie merkwürdig, nicht wahr? Wir treffen uns hier schließlich in der Wohnung eines Mannes, der vor zwei Tagen ermordet wurde und dessen Wohnung von der Polizei versiegelt war. Die Polizei ist ganz wild darauf, sich mit dir zu unterhalten!"
Sie wollte etwas erwidern, aber dann wurde sie durch irgendetwas abgelenkt. Von unten aus dem Treppenhaus waren Schritte zu hören.
"Mein Gott ..." Sie flüsterte es so vor sich hin. Sie hatte Angst. Höllische Angst.
"Was ist los?", fragte ich unnötigerweise.
"Raus hier!", rief sie, und dann lief sie an mir vorbei. Zusammen stolperten wir die Stufen hinab, obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte, worum es hier ging.
Die Schritte von unten kamen bedrohlich näher.
Sie fragte: "Ist das deine Wohnung dort?"
"Ja."
"Dann mach auf! Schnell!"
Ich beschloss, erst einmal zu handeln und dann darüber nachzudenken, obwohl ich es eigentlich lieber anders herum halte. Manchmal kann man es sich eben nicht aussuchen. Ich drehte also den Schlüssel in meinem Schloss herum, und zwei Sekunden später war die junge Frau bereits in meine Wohnung gehuscht.
Gerade noch rechtzeitig.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich zwei Männer die Stufen hinaufhetzen. Der Erste, der die Treppe hochgestürmt kam, wirkte wie eine Kopie von Flash Gordon, dem unerschrockenen Sternenkämpfer und Feind aller intergalaktischen Fieslinge, bekannt aus Comic, Film und Roman-zum-Film.
Ich sah allerdings eine Version des Weltraum-Helden, die man offenbar einem zusätzlichen Bodybuilding-Programm und einer erfolgreichen Gehirnamputation unterzogen hatte.
Er war mindestens einen Meter neunzig groß, und seine hellblonden Haare waren kurz geschoren wie bei einem Fremdenlegionär. Aber seine hellblauen Augen leuchteten lange nicht so hellwach wie die von Flash Gordon. Sie waren trübe und wirkten stumpfsinnig. Sein Gesicht war rot angelaufen, und er keuchte wie ein belgisches Kaltblutpferd.
Durch den verzogenen Mund konnte man seine blitzenden Zähne sehen. Sie schienen noch alle da zu sein, zumindest die vordere Reihe, was bei einem wie ihm wohl nur bedeuten konnte, dass er stets als Erster zugeschlagen hatte.
Vielleicht trug er auch ein Gebiss.
Der Zweite war etwa ein Dutzend Stufen im Rückstand, und dieser Rückstand würde sich wohl eher noch vergrößern. Er hatte einfach nicht die Kondition, um mit der Dampfwalze, die ihm vorauseilte, mitzuhalten. Und das, obwohl Flash Gordon ja schließlich noch seine gesammelten Muskelpakete mit sich herumtragen musste.
Der zweite Mann war vom Äußeren her so etwas wie ein exaktes Gegenstück zu seinem Partner.
Er war klein und drahtig und hatte dunkles Haar. Er wirkte fast wie ein südländischer Typ, wozu aber die verhältnismäßig bleiche Haut nicht passte.
Seine Wangen wurden von einem ungepflegten, dünnen Bart bedeckt, von dem man nicht sagen konnte, ob er absichtlich als Eine-Woche-Bart stehengelassen worden war oder einfach nicht üppiger sprießen wollte.
Flash Gordon würdigte mich nur eines kurzen, dumpfen Blickes, und ich musste einen Schritt zur Seite springen, um von ihm nicht umgerannt zu werden.
Er blieb zwei Sekunden auf dem Treppenabsatz vor meiner Tür stehen und warf einen Blick an mir vorbei in meine Wohnung.
Ich widerstand der Versuchung, mich auch dorthin umzublicken. Ich hoffte nur, dass dort niemand zu sehen sei − aber was immer man auch über die junge Frau sagen konnte, dämlich schien sie nicht zu sein.
Der Kerl hetzte weiter nach oben, und ich ging in meine Wohnung und schloss die Tür hinter mir.
Sicherheitshalber schob ich sogar den Riegel vor. Man konnte ja nie wissen.
Wenn die beiden Wölfe ihre Beute oben bei Lammers nicht vorfanden, kamen sie möglicherweise auf die Idee, woanders nachzusuchen.
Ich ging ins Wohnzimmer und sah sie am Fenster stehen. Sie hatte sich noch nicht so recht beruhigt, das war ihr deutlich anzumerken.
Eine sanfte Röte überzog ihr fein geschnittenes Gesicht, das ich jetzt im Profil zu sehen bekam.
Ich musterte sie, und zwar in diesem Moment wohl erstmalig mit Verstand. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Das lindgrüne Kleid, das sie trug, war schlicht, wirkte aber elegant. Und der dezente Schmuck, den sie angelegt hatte, schien echt zu sein.
Im Ganzen machte sie den Eindruck einer Frau, für die Geld kein allzugroßes Problem darstellte. Ich konnte mich täuschen, aber ich glaubte, da richtig zu liegen. Natürlich mochte alles nur Maske sein, aber wenn dem so war, dann war es eine sehr gute. Sie trug ihre Sachen mit großer Selbstverständlichkeit, die darauf hindeutete, dass sie daran gewöhnt war.
Ihre Brust hob sich, als sie tief durchatmete. Langsam schien sie sich wieder zu fassen. Sie wandte sich zu mir um. "Wo sind sie?"
"Deine ... äh ... Bekannten?"
"Für Sarkasmus ist jetzt wohl nicht der richtige Zeitpunkt!"
Eins zu null für sie!, dachte ich. Wo sie Recht hatte, hatte sie sicher auch Recht. Aber ich für meinen Teil hatte wenig Lust, in etwas hineingezogen zu werden, bei dem ich nicht abschätzen konnte, worum es sich handelte. Ich dachte, ich hätte ein Recht auf etwas mehr Information. Es schien allerdings ganz so, als stünde ich mit dieser Auffassung allein da.
"Die beiden sind oben bei Lammers", sagte ich.
Sie fragte: "Was glaubst du? Haben die mich gesehen?"
"Ich hoffe nicht."
"Wieso?"
"Weil es dann wohl Ärger gibt, oder liege ich da falsch?"
"Nein ..."
Wieso − das schien eines ihrer Lieblingswörter zu sein, soviel hatte ich schon begriffen. Wieso, weshalb, warum? − Wer nicht fragt, bleibt dumm! Aber dumm war sie bestimmt nicht. Ob sie allerdings ausgebufft genug war, um es mit denjenigen aufnehmen zu können, deren Ärger sie sich da auf irgendeine Art und Weise zugezogen hatte, das musste einstweilen offen bleiben.
"Wer sind die beiden?", fragte ich.
"Keine Ahnung."
Sie brachte das viel zu prompt und zu schnell heraus, um die Wahrheit sagen zu können. Sie hatte mir schon halb geantwortet, als ich meine Frage noch gar nicht vollständig über die Lippen gebracht hatte. So etwas war einfach verdächtig. Um da stutzig zu werden, brauchte man weder Schimanski zu heißen, noch einen Lügendetektor zu haben!
Ich ging zum Telefon.
"Was hast du vor?", fragte sie.
Da war sie, die berühmt-berüchtigte Daumenschraube. Und ich wollte sie jetzt ein bisschen andrehen.
"Die Polizei interessiert sich für dich. Ich werde sie anrufen."
"Nein, nicht!"
"Warum nicht?"
Ich begann schon einmal zu wählen. Sie musste mir etwas wirklich Einleuchtendes anbieten, um mich zum Aufhören zu bewegen.
"Ich habe Lammers nicht umgebracht!", behauptete sie.
Ich zuckte die Schultern. "Mag schon sein, aber das solltest du nicht mir, sondern der Polizei erzählen!"
"Würde mir dort irgendjemand glauben?"
Ich blickte sie offen an. "Bisher hast du nicht allzuviel zu deiner Glaubwürdigkeit beigetragen!"
"Na, und? Was geht dich das an?"
Das ließ ich abprallen.
Ich sagte: "Du hast einen Wohnungsschlüssel, nicht wahr? Du kannst es ruhig zugeben. Wie hättest du sonst eben in die Wohnung kommen können?"
Als sie antwortete, bekam ihre Stimme einen trotzigen Unterton. Sie klang wie ein ungezogenes Kind, das erwischt worden war. Man hätte darüber lachen können, wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre.
"Ja, ich habe einen Wohnungsschlüssel!", gab sie zu.
"Na, also! Und der Mörder von Lammers hatte wahrscheinlich auch einen!"
"Aber ich bin doch nicht die Einzige, die einen Schlüssel zu seiner Wohnung hat!"
"Nein?"
"Außerdem gibt es andere Wege, eine Tür zu öffnen."
"Richtig. Aber es gab keinerlei Spuren."
"Auch ohne Spuren!"
Ich pfiff durch die Zähne. "Na, du kennst dich ja aus!"
"Ha, ha!", machte sie.
"Wenn du wirklich verhindern willst, dass ich die Polizei anrufe, musst du mir schon Überzeugenderes auf den Tisch legen!"
Sie atmete tief durch, verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte dann einen Moment so, als schlucke sie einen Kloß herunter, der ihr im Hals steckte.
"Hör zu, ich bin in der Klemme", begann sie dann und trat an mich heran. Ihre Hand legte sich auf die meine und drückte sie sanft gemeinsam mit dem Hörer hinunter.
"Das klingt ehrlich", sagte ich.
"Was soll das heißen?"
"Das soll heißen, dass du jetzt wahrscheinlich zum ersten Mal die Wahrheit sagst. Du sitzt in der Klemme. Aber das sieht ein Blinder mit Krückstock!"
"Die beiden wollen mich umbringen!"
"Haben die auch Lammers auf dem Gewissen?"
"Vielleicht. Ich weiß es nicht."
"Mich kannst du ruhig belügen", meinte ich. "Es macht mir nicht das Geringste aus."
Sie verzog das Gesicht. "Was beklagst du dich dann?" Sie machte eine hilflose Geste. "Hör zu", meinte sie dann. "Wenn du die Polizei anrufst, gehe ich augenblicklich nach draußen ins Treppenhaus."
"Ich dachte, die beiden wollen dich umbringen!"
"Das werden sie auch, aber dasselbe werden sie dann auch mit dir tun, denn sie können keinen Zeugen am Leben lassen!"
"Du kommst dir wohl besonders cool vor!"
"Nein", murmelte sie. "Ich bin nur besonders verzweifelt!"
"Und wie soll es jetzt weitergehen?"
"Was weiß ich! Erstmal abwarten, bis die Kerle weg sind!"