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Ein Rudel von ziemlich flippigen Bekannten entführte mir Christine, aber ich hatte nichts dagegen.

"Man sieht sich, Michi!", säuselte sie und hob dabei ihr inzwischen leeres Glas.

Ich grinste. "Man sieht sich."

Aber das hörte sie wohl kaum noch.

Ich ging ein bisschen zwischen den Trauben von tatsächlichen und eingebildeten Kunstfreunden oder solchen, die wegen dem Sekt gekommen waren, hin und her und ließ den Blick über Christines Werke schweifen.

Eine gepflegte Langeweile, die das Auge entlastete. "Ein Fanal der Einfachheit, das mit seiner Klarheit direkt in das multimediale Herz jenes wüsten Bildermeeres trifft, in dessen Fluten wir alle zu versinken drohen", so hätte das ein Aspekte-Moderator vielleicht mit geschwollener Kehle über den Sender gebracht.

Mein Blick blieb an einer buckligen Endfünfzigerin haften, die eine Lesebrille mit halben Gläsern vorne auf der Nasenspitze trug und ihrem Begleiter mit großer Gestik die Bilder erklärte.

Universitätsdozentin, tippte ich.

Sie glaubte wahrscheinlich, dass sie in ihrem engen Strickkleid hip aussehe, aber es wirkte nur lächerlich. Dahinter sah ich Dr. Werneck stehen. Er schien den Bildern etwas ratlos gegenüberzustehen, aber die Leute um ihn herum interessierten sich ohnehin mehr für den OB als für Kunst.

Der Presse-Mann blitzte eifrig.

Und Dr. Wernecks Tiger-Lächeln blitzte im selben Rhythmus mit.

Ich sah diesem Basar der Eitelkeiten eine Weile amüsiert zu und überlegte, welche dieser gockelartigen Geschöpfe ich zu jenen heiteren Kurzgeschichten verarbeiten würde, die man an Tageszeitungen verkaufen kann.

Dann sah ich Dr. Werneck plötzlich herumwirbeln. Ein junger Mann hatte sich durch die Menschentraube von hinten an den Oberbürgermeister herangearbeitet und ihn bei der Schulter gefasst.

Ich staunte nicht schlecht.

Der junge Mann war ein Bekannter. Es war der Filzlockige, der nach Lammers Tod unter den Schaulustigen gewesen und dann wie von Sinnen geflüchtet war, nachdem ihn eine Passantin angesprochen hatte.

Ich sah wieder dieses unruhige, panische Flackern in seinen Augen.

Auf Dr. Wernecks Gesicht stand ein fragendes Stirnrunzeln. Er schien den jungen Mann zu kennen, denn er beugte sich sofort zu ihm.

"Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment!", wandte er sich dann an sein Rudel und ließ sich von der Filzlocke davonziehen.

Ich sah auf die Uhr.

Es wurde Zeit für mich, fand ich. Meine tägliche Dosis Kultur hatte ich schon deutlich überschritten.

Ich sah zu, dass ich irgendwo mein Glas loswurde und machte mich aus dem Staub.

Als ich hinaus in die Nacht trat, kam mir ein Schwall kalter Luft entgegen. Es war eine sternklare Nacht, und ein paar Straßen weiter bewies ein verhinderter Porschepilot, dass man mit einem Opel auch richtig Gas geben kann.

Ich hatte meinen Fiat in einer nahen Seitenstraße geparkt, wahrscheinlich im Halteverbot, aber ich setzte darauf, dass Münsters Politessen bei Nacht nicht unterwegs waren.

Ich hoffte es jedenfalls.

"Was willst du?", durchschnitt eine harte Männerstimme die klare Nachtluft.

Ich erkannte sie sofort.

Sie gehörte Dr. Werneck, den ich in einiger Entfernung zusammen mit dem Filzlockigen unter einer Straßenlaterne stehen sah.

Ich blieb stehen.

Die beiden hatten mich nicht bemerkt, so intensiv waren sie damit beschäftigt, mal etwas leiser und dann wieder ziemlich laut aufeinander einzureden.

"Ich brauche das Geld!", sagte der Filzlockige.

"Hartmut!"

"Papa, jetzt mach doch nicht so'n Theater!"

"Bist du in Schwierigkeiten?"

"Gib mir einfach die Scheine und frag mir nicht dauernd Löcher in den Bauch, hörst du?"

Dr. Werneck griff in die Jackettinnentasche und holte seine Brieftasche hervor. Er nahm alle Scheine heraus, die darin waren. "Hier", sagte er. "Mehr habe ich im Moment nicht!"

"Ein Scheck!"

"Hat das nicht bis morgen Zeit, Junge?"

"Es hat nicht bis morgen Zeit, kapiert! Ich brauche es jetzt!"

"Schrei doch nicht so!"

"Fünftausend Euro sind doch für dich nicht viel. Ich weiß nicht, was du darum so ein Brimborium machst!"

Dr. Werneck seufzte. "Wenn ich deine Einstellung hätte, glaubst du, da wäre ich je nach oben gekommen?"

"Nein, dann wärst du wahrscheinlich so 'ne Niete wie ich. Das wolltest du doch sagen, oder?", versetzte der filzlockige Hartmut ätzend.

Der OB wand sich hin und her. "So war's nicht gemeint!"

"Doch, das war's!"

Dr. Werneck seufzte schwer, blickte sich flüchtig um, wobei er aber nicht zu mir herüberschaute, und holte dann etwas hervor, das offenbar sein Scheckheft war. Er legte es auf die Kühlerhaube eines parkenden BMW, fingerte seinen Parteikuli aus der Tasche und krakelte etwas dahin. Dann riss er das Papier aus der Mappe und streckte es seinem Sohn hin.

Es hätte mich nicht gewundert, wenn sich in diesem Augenblick über Dr. Wernecks Kopf eine große Denkblase gebildet hätte, in der stand: Hoffentlich ist mein missratener Sohn morgen nicht mit mir auf einem Foto in der Zeitung zu sehen. Schon wegen des hässlichen Pullovers!

"Hier!", fauchte der OB. "Jetzt zufrieden?"

Hartmut wandte sich um und ging ohne ein Wort zu sagen davon.

"Wenigstens danke könntest du sagen. Kostet doch nichts!"

Hartmut ging weiter, die Hände hielt er in den Hosentaschen vergraben.

"Kann ich dir nicht irgendwie helfen?", rief sein Vater ihm nach.

Der Filzlockige blieb stehen. Dann drehte er sich kurz herum und sagte: "Bemüh dich nicht!"

Wenig später war er in eine Seitenstraße eingebogen und verschwunden. Ein paar Augenblicke hörte man noch die schlurfenden Schritte seiner Turnschuhe.

Werneck drehte sich in meine Richtung und kam mir entgegen. Er wirkte sehr niedergeschlagen und so ganz anders als auf seinen Wahlplakaten. Mit der Hand fuhr er sich über die Stirn und seufzte.

Nach ein paar Schritten sah er auf und mir direkt ins Gesicht. Er runzelte die Stirn, und ich sagte: "Einen schönen Abend noch, Dr. Werneck!"

Er schien etwas irritiert.

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er in dieser Sekunde überhaupt noch wusste, wer ich war.

"Danke, gleichfalls", quetschte er zwischen seinen Lippen hervor und ging an mir vorbei.