Marco Leschek bewohnte ein Apartment in einem nicht mehr ganz taufrischen Mietshaus. Und er war auch zu Hause. Jedenfalls stand sein schwarzer Mitsubishi auf dem Parkplatz vor dem Haus.
Auf der Treppe kam mir ein Mann mit hochgeschlagenem Mantelkragen entgegen. Er fiel mir schon deshalb auf, weil der Mantel aus Kamelhaar war. Und dann erkannte ich auch das Gesicht.
Es war niemand anderes als Dr. Werneck, unser aller Oberbürgermeister. Ich musste zweimal hinsehen, um wirklich glauben zu können, dass sich einer wie er hierher verirrt hatte. Er warf mir einen kurzen Blick zu, schien mich aber nicht wieder zu erkennen. Warum sollte er auch? Unsere bisherigen Begegnungen waren ja auch ziemlich flüchtig gewesen.
Er machte einen sehr gehetzten Eindruck. Und obwohl es heute nicht gerade warm war, hatte er Schweißperlen auf der Stirn. Ich sah mich nach ihm um. Und er sich nach mir um, aber nur ganz kurz.
Dann sah er zu, dass er weiterkam.
Ich hatte den Treppenabsatz erreicht und bog in den Flur ein, in dem Lescheks Wohnung liegen musste. Und seltsam − mir fiel ein, dass Dr. Werneck auch aus diesem Flur gekommen war.
Zwei Wohnungen gab es hier.
Eine stand leer, hatte nicht einmal eine Tür und schien gerade einer Grundrenovierung unterzogen zu werden. Jedenfalls sah ich eine Mischmaschine, als ich einen kurzen Blick hinein warf.
Die andere Wohnung gehörte Leschek.
Ich klingelte.
Die Klingel war kaputt. Oder Leschek war schwerhörig. Ich versuchte es mit Klopfen.
Keine Antwort.
Aber er musste da sein, denn sein Auto war da, und wenn ich ihn nicht völlig falsch einschätzte, gehörte er zu der Sorte, die das Auto sogar benutzen würde, um zum Klo zu kommen, vorausgesetzt, der Wagen passte in ihre Wohnung.
Ich fühlte in meinen Taschen nach, aber es war nichts Geeignetes darin, um die Tür aufzumachen. Außerdem verstand ich auch zu wenig davon, als dass diese Möglichkeit Erfolg versprechend gewesen wäre.
Aufgeben wollte ich aber auch nicht. Und ein Gefühl sagte mir, dass ich ganz nahe an der Lösung dieser Sache dran war.
Ich ging also in die Nachbarwohnung.
Es roch nach Zement. Die Wohnungen hatten alle einen Balkon. Auch diese. Ich ging durch die gläserne Hebetür, deren Thermopenglas schon von innen beschlagen war, warf einen Blick in die Tiefe und dann einen zum Nachbarbalkon, der zu Lescheks Wohnung gehören musste. Die Distanz war nicht allzu groß.
Ich ging kurz zurück, nahm mir eine der herumliegenden Verschalungsbohlen und machte daraus eine Art Brücke zwischen den Balkonen.
Drei Minuten später war ich auf der anderen Seite. In die Wohnung zu kommen, war kein Problem, denn ein Fenster war abgeklappt. Ich versuchte zwar, einigermaßen leise zu sein, aber ein Profi-Einbrecher bin ich natürlich nicht.
Eigentlich hätte mich Leschek hören müssen. Tat er aber nicht. Ich sollte bald merken, warum.
Das Wohnzimmer, in das ich eingestiegen war, schien völlig verwüstet. Jemand hatte etwas gesucht. Es erinnerte mich fatal an den Anblick, den meine eigene Wohnung noch immer bot, denn zum Aufräumen war ich noch nicht gekommen.
Leschek fand ich dann in der Küche.
Ich erkannte ihn gleich wieder, trotz des Zustandes, in dem er sich befand.
Er lag auf dem Fußboden. Sein Oberkörper war eine einzige blutige Fläche. Da schien jemand ein ganzes Pistolenmagazin abgefeuert zu haben.