Ich stand vielleicht eine halbe Minute einfach nur da und war wie vor den Kopf gestoßen.
Wenn ich jetzt die Polizei rief, war das für Rehfeld ein gefundenes Fressen.
Und mir fiel Wernecks gehetztes Gesicht ein. Er war aus diesem Flur, vielleicht auch aus dieser Wohnung gekommen, daran biss keine Maus einen Faden ab. Die ganze Sache war eine Erpressungsgeschichte, das hatte sogar Rehfeld inzwischen erkannt.
Ich fragte mich, welche Rolle Werneck darin am besten stand − abgesehen von der Tatsache, dass er wahrscheinlich Leschek auf dem Gewissen hatte.
Er ist das Erpressungsopfer, wurde mir klar. Er und nicht sein Sohn Hartmut, wie ich zuerst vermutet hatte. Ein Mann wie Dr. Werneck ging über Leichen, das hatte ich jetzt ja hautnah mitbekommen. Aber eigentlich traute ich ihm nicht genug Altruismus zu, um für andere zu morden.
Auch für seinen Sohn nicht, zumal sein Verhältnis zu ihm ja wohl ohnehin nicht das Beste war.
Außerdem gab es kein dankbareres Erpressungsopfer als einen aufstrebenden Politiker.
Da brauchte man nicht einmal nach strafrechtlich relevanten Dingen zu suchen. Es musste nur irgendetwas sein, das seinem öffentlich zur Schau gestellten Image so deutlich widersprach, dass es ihn ruinieren konnte. Zum Beispiel, wenn ein Law-and-Order-Mann beim Zocken erwischt worden war oder sich herausstellte, dass ein konservativer Familienpolitiker ab und zu in einem Schwulen-Lokal Urlaub von seiner bürgerlichen Idylle machte.
Ich fragte mich, was da im Fall von Dr. Werneck in Frage kam, und bereute jetzt, dass ich mich nicht mehr für Kommunalpolitik interessiert hatte.
Aber ich hatte jetzt keine Zeit, um diesen Fehler wieder gut zu machen. Wenn ich Glück hatte, konnte ich noch ein Leben retten. Das von Mike Grossmann nämlich.