Mit Custer an der Seite trat Moretti aus dem Dunkel der Basilika hinaus ans Tageslicht. Er blinzelte und riss die Hand an die Stirn, um sich zu schützen, bis sich seine Augen genügend daran gewöhnt hatten, um die Helligkeit auszuhalten. Eigentlich hatte er an Jordi und Seematter vorbei hinüber zum Dienstwagen gehen wollen, doch hinter den beiden wartete zwischen dem drängelnden Pöbel bereits die versammelte Presse auf sie. Schlagartig schoss ihm vor Ärger das Blut ins Gesicht. „Wer hat denn die schon gerufen?“, knirschte er mit verzerrter Miene.
Auf die wütend gestellte Frage blieb es um ihn herum stumm. Das betretene Schweigen veranlasste ihn, sich umzublicken, aber da es keiner von ihnen gewesen war, erntete er lediglich nervöses Schulterzucken und von Custer einen fragenden Blick.
Kaum waren sie vors Portal getreten und hatten sich auf den Weg zu ihrem Wagen gemacht, waren die Medienleute nicht mehr zu halten. Wie Lämmergeier stürzten sie sich auf ihre vermeintliche Beute. Dicht vor ihren Gesichtern flammten blendende Blitzlichter auf, die sie veranlassten, die Arme schützend vor die Augen zu halten; von allen Seiten wurden sie bestürmt und ihnen die Mikrophone fast in die Nasenlöcher gebohrt, derart wurden sie in die Zange genommen, während sich die sensationslüsternen Reporter und Kameraleute gegenseitig selbst anrempelten und sich darum stritten, wer die ersten Fragen stellen durfte, die von allen Seiten gleichzeitig auf sie niederhagelten: „Kommissar Moretti, was ist passiert?“ „Was ist los da drin? Ein solches Polizeiaufgebot, das muss ja was ganz Besonderes sein!“ „Das ist ja die Mordkommission! Hat es einen Mord im Münster gegeben?“ „Können Sie uns schon etwas darüber sagen?“ „Bitte, sagen Sie uns, was passiert ist!“
Doch aller Aufforderungen zum Trotz: Moretti pflügte mit gespreizten Ellbogen seinen Männern voran durch den dichten Pulk der Medienleute. „Kein Kommentar! Geht nach Hause, Leute! Wir informieren euch, wenn wir was wissen!“
Hinter seinem Rücken schloss sich die Gasse sogleich wieder, und auch Sutter und Custer wurden bedrängt. Sie mussten sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten, damit sie durch das Getümmel nicht von ihm getrennt wurden und in seinem Windschatten bis zum Wagen gelangen konnten.
Währenddessen hagelten die Fragen weiter auf sie nieder: „Sagen Sie uns doch bitte etwas!“ „Was ist passiert?“ „Können Sie uns nicht wenigstens einen Tipp geben, damit wir nicht umsonst hierher gekommen sind?“
Während Sutter mit heftigem Kopfschütteln abwehrte und die entgegengestreckten Mikrofone mit seinem Unterarm abblockte, konnte es sich Custer nicht verkneifen, ein Wort dazu zu sagen, was sofort die Aufmerksamkeit der gesamten Medien auf sich zog, zumal er mit seiner aufschlussreichen Auslegung der Situation äußerst patzig Morettis Hoffnungen auf ein bisschen Verzögerungstaktik brutal zerstörte. „Ein toter Mann in der Münsterkirche; vielleicht ein Politiker, der von Kritikern abgeschlachtet wurde“, erzählte er locker geradeheraus im Vorübergehen, als wenn er übers Wetter berichten würde.
Das Wort wurde sofort aufgegriffen: „Abgeschlachtet?“ „Um Gottes Willen!“ „Oh mein Gott!“ „Ein Politiker?“ „Wer ist es?“ „Was wissen Sie darüber?“, fragten sie durcheinander.
Mit ziemlicher Genugtuung über das Interesse an seiner Person, sah er, wie sie sich fast die Schultern ausrenkten, um ihren Arm mit dem Mikrofon lang genug werden zu lassen, dass ihnen die Aufnahme möglichst perfekt gelang. „Yes“, nickte er zur Bestätigung, als er Morettis und Sutters böse Blicke auffing, die sie ihm in ihrer Verachtung über die Schultern hinweg zuwarfen. Nachdem es heraus war, vielleicht auch aufgrund des Ärgers, den er vonseiten seiner Kollegen auf sich zog, veränderte sich seine Mimik: plötzlich sah er ziemlich zerknirscht aus, als fühlte er sich ungemütlich in seinem jäh entstandenen Schuldbewusstsein, und er krebste zurück: „Tut mir leid, mehr Auskunft kann ich nicht sagen. Sie erfahren es, wenn meine Leute Genaueres wissen.“