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Bis von Hesse zu den wartenden Polizeibeamten in die Bibliothek zurückgekehrt war, hatten diese neugierig die altehrwürdigen Bildnisse und Portraits und das Kunsthandwerk der Holzschnitzer betrachtet, die schon zu jener Zeit vor Jahrhunderten mit ihren Perlmutteinlegearbeiten und hauchdünnen Goldauflagen Kunstschätze von unvorstellbarem Wert geschaffen hatten, über deren handwerkliches Können mit den damaligen technischen Möglichkeiten im heutigen Computerzeitalter jeder nur noch staunen konnte.

Oben auf dem Absatz, blieb er an der Türe stehen, als fühlte er sich dort wesentlich sicherer. Moretti fiel auf, dass er stark gestikulierend seine Worte untermalte: „Bitte, entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen. Die Familie ist ganz aufgelöst. Wir können es alle nicht verstehen! Warum ausgerechnet er?“

Moretti seufzte tief auf. Man stellte ihm immer dieselbe Frage, ob es nun um Mord und Totschlag oder um Prügeleien mit einem Sieger und Unterlegenen gab: warum ausgerechnet er – oder sie? Warum niemand anders?, und er konnte jedes Mal nur bedauernd die Schultern zucken und seufzend darauf hinweisen: Das wissen wir noch nicht. Meistens sagte er, wenn sie des Täters habhaft waren: Eine Aussage steht noch aus. Oder: Es steht Aussage gegen Aussage. Diesmal konnte er sagen: „Der Täter ist noch flüchtig und wir haben im Moment noch keinerlei Hinweise, denen wir nachgehen können.“

Frank August nickte von oben auf sie herab. Er sah aus, als zögerte er.

Moretti wurde langsam ungeduldig. „Können wir gehen?“

„Mein Mantel hängt in der Diele“, bestätigte er. Er nickte Sutter zu: „Die Familie ist bereit, auf Ihre Fragen zu antworten, Herr Sutter.“

Dieser nickte und nahm die zwei Stufen mit einem Schritt.

Moretti warf Hesse einen prüfenden Blick zu. „Und Sie? Sind Sie bereit, mit uns zu gehen?“

„Bereit kann man zu so was nie sein, nicht wahr? Können Sie mir schon sagen, was mich erwartet?“

„Der Täter hat versucht, mit Schnitten sein Gesicht zu entstellen. Vermutlich in der Hoffnung, dass wir ihn nicht so schnell identifizieren würden. Aber ich denke, wenn es sich wirklich um Ihren Vater handeln sollte, werden Sie ihn trotzdem erkennen.“

Hesse schluckte an einem dicken Kloß herum. „Also gut.“ Er gab sich einen sichtlichen Ruck, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und den Türöffner ergriff. „Dann bringen wir’s am besten so bald wie möglich hinter uns! Je eher, desto besser!“ Er hielt für Sutter die Türe auf, bevor er mit erschreckender Entschlossenheit die Stufen herabstieg, auf sie zustürmte und sich dann mit langen Schritten an ihnen vorbeischob, als wäre er selbst auf der Flucht.

„Dann wissen Sie, ob Sie weiter hoffen dürfen“, bestätigte Moretti, während sie sich in Bewegung setzten und hastig hinter ihm hereilten.

Von Hesse machte ein verkniffenes Gesicht. Er drehte sich weder nach ihnen um, noch machte er darauf eine weitere Anspielung. Seine Gedanken jagten sich. Er war sich nicht sicher, ob er das wirklich wollte! In gewisser Weise hatte ihnen der Mörder sogar einen Gefallen getan! Er versuchte sich auf das Schlimmste ihm Vorstellbare einzustellen.