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Sie parkten hinter dem altehrwürdigen Sandsteingemäuer, welches die Polizeiwache beherbergte, und marschierten eilig nebeneinander her über die schräge, lange Rampe hinunter in die unterirdische Etage zur Pathologie. Ihnen voran drückte Moretti die halbgläserne Türe auf und hielt sie fest, um Custer und von Hesse nach sich eintreten zu lassen. „Sind Sie soweit, Marti?“, erkundigte er sich nervös, als der hagere Pathologe aus dem Nebenraum in sein Blickfeld trat.

Hans Marti nickte. „Einigermaßen.“

„Das ist Herr von Hesse, Morgan Custer, ein neuer Kollege. Hans Marti ist unser Daniel Düsentrieb in der Forensik“, stellte er sie nacheinander vor.

„Nun übertreiben Sie mal nicht.“ Marti war ein ausgemergelt wirkender Mann mit tiefen Runzeln im Gesicht, obwohl er noch nicht gar so alt war, wie er aussah. Ein graumelierter, gepflegter Bart umschmeichelte sein ausdrucksstarkes Kinn, seine braunen Augen, die unter buschigen Brauen lagen, blickten wach und freundlich. Er quittierte den Spruch mit einem raschen, erheiterten Lächeln, ehe er sich zurücknahm, um nicht taktlos zu erscheinen. „Mein herzliches Beileid zu Ihrem Verlust, Herr von Hesse“, sagte er mitleidsvoll, während er ihm die Hand entgegenstreckte.

„Vielen Dank.“ Dessen Händedruck fühlte sich weich, aber durch die Kraft, die er hineinlegte, sehr aufrichtig an.

Nach einem kurzen Zunicken widmete er dem Amerikaner einen aufmerksamen, aber kurzen Blick, der nicht nur sein Gesicht, sondern auch seine Hände in Sekundenschnelle mit einschloss. „Tag, Kollege“, sagte er an diesen gewandt, als er ihm als zweitem die Hand reichte. Dabei fiel Marti auf, dass sich die äußere Seite seines rechten Handballens heiß und geschwollen anfühlte, geradeso als hätte er noch vor kurzem ungewohnt schwer gearbeitet. Im Gegensatz zu dem jungen Adligen schien er sein Leben nicht mit Studien an Universitäten verbracht zu haben, seine Haut fühlte sich hart und rau und an einigen Stellen sogar schwielig an. Auf dem Handrücken bemerkte er Spuren minimaler Verletzungen, als hätte ihn ein Igel gepiekst, und unter dem Aufschlag seines Ärmels wurden eindeutige Kratzspuren sichtbar, als er ihm den Arm zum Gruß entgegenstreckte. Marti vermutete, dass er eine bösartige Katze zuhause hatte.

Morgan Custer nickte kurz angebunden. Er fühlte sich in dem Geruch von Formaldehyd und Desinfektionsmittel und der Sterilität des Raumes höchst unwohl, wie in einer hochmodernen Schlachterei für Menschen! Zudem war es unangenehm kühl, so dass er fröstelte. „Danke. Wo ist er?“, fragte er entsprechend eilig.

Der Sektionssaal der Pathologie war ein teilweise oberirdisch angelegter, großer Raum, in dessen Mitte drei lange, auf jeweils einem Sockel befestigte Seziertische aus Edelstahl standen. Diese wiesen mehrere Ablaufrinnen sowie am Kopfende ein Ausgussbecken mit verchromten Hähnen auf. Der Boden bestand aus wasserabweisendem, bordeaurotem Beton, an dem die Blutspuren weder haften blieben noch sonstige Rückstände sichtbar waren. An den Wänden, die in einem hellen Blau gehalten, waren, befanden sich Plastikspülbecken, daneben standen Medizinschränke aus Chromstahl mit abschließbaren, verglasten Türen, durch die die Regale und deren Inhalt, bestehend aus Gummihandschuhen, Abdecktüchern, frischen Operationskitteln und Schürzen, sichtbar waren. Des weiteren gab es weißlackierte Schubladenfächer, aus denen der Pathologe sein Chirurgenbesteck und vieles andere mit einem einzigen Griff aus geringer Distanz erreichen konnte. Die Oberlichter waren mit einem grauweißen, feinmaschigen Kunststoffgitter versehen, um Fliegen und Mücken das Eindringen in den Raum zu verwehren.

„Kommen Sie bitte mit.“ Marti ging ihnen voran, zwischen den leerstehenden Seziertischen hindurch hinüber in den angrenzenden Kühlraum. Aus der der Türe gegenüberliegenden Wand aus Edelstahl zog er eines der überdimensionierten Schubfächer auf. Ein Bügel mit Rädern fiel herab, und er rollte den zugedeckten Leichnam aus der Kühlbox.

Sie versammelten sich um seinen Kopf.

Marti vergewisserte sich mit einem fragenden Blick, ob Hesse soweit war, dann hob er fast andächtig das Leichentuch, faltete es über dem starren Körper zusammen und legte das Gesicht bis hinunter zur nackten Oberpartie der Schultern frei.

Frank August warf nur einen kurzen Blick auf den Mann, aber er prallte sofort schockiert zurück.

Für Moretti sah der Tote im Gegensatz zu heute Morgen geradezu schön aus. Marti hatte das Unmögliche möglich gemacht und ihm wieder ein Gesicht gegeben; vom Blut reingewaschen und die klaffenden Wunden vernäht, sah er eindeutig wie auf dem Vermisstenfoto aus, das ihm Scherrer von seinem i-phone aus unter die Nase gehalten hatte.

Nach der kurzen Beobachtung sah er den jungen Hesse aufmerksam an. Sämtliche Farbe war aus dessen gebräuntem Gesicht gewichen, es war kalkweiß und blutleer wie ein Laken. Ein Mensch konnte das nicht spielen, er war über den Anblick des Toten und wohl auch der zugerichteten Wunden zu Tode erschrocken. Ein Mensch, der jemanden so bestialisch zugerichtet hatte, konnte nicht so aussehen, was auch die letzten Zweifel über von Hessens Schuld aus Morettis Verdachtskreis löschte.

Nach dem sekundenschnellen Hersehen blickte er rasch weg, indem er zuerst den Kopf wegdrehte und sich dann gänzlich vom Toten abwandte.

Zu schnell, für Morettis Empfinden. Sein Argwohn war sofort wieder geweckt.

„Ja, das ist er!“, erklärte von Hesse. Er war kurzatmig und sah aus wie auf der Flucht. „Das ist mein Vater.“

Moretti nickte Marti zu, um sich auf diese Weise stumm zu bedanken, und führte Hesse mit sanftem Druck hinaus. „Ich danke Ihnen. Und es tut mir leid, dass ich Ihnen das antun musste.“

Der junge Mann nickte mechanisch. „Wem anders als mir wäre das zuzumuten?“, erwiderte er mit rauer Sprache, weil ihm die Zunge breit am trockenen Gaumen klebte und ihm fast nicht mehr gehorchen wollte. „Wie ist er gestorben?“, krächzte er.

Wieder eine dieser Fragen, die Moretti so abgrundtief hasste, weil er sie nicht umgehen konnte und die Wahrheit für die Betroffenen zu sehr schmerzte. Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, den die einen für eine Entschuldigung hielten, aber sie diente ihm genauso gut, um die Antwort hinauszuschieben. Auch ihm fiel das Sprechen hörbar schwerer, als er antwortete: „Woran genau, muss unser Pathologe noch feststellen. Weil verschiedene Waffen infrage kommen, bestehen zwangsweise auch mehrere Ursachen, die zu seinem Ableben geführt haben.“

„Wer tut so was? Ich meine... welcher Irrer richtet einen Menschen so zu und nimmt ihm auch noch seine Identität?“, brachte er mühsam zwischen den blutleeren Lippen hervor. Sein fragender Blick schweifte zwischen dem Kommissar und Marti auf der Suche nach einer Erklärung hin und her, sein Gesicht begann inzwischen wieder etwas Farbe anzunehmen, weil die Wut auf den Täter in ihm aufflammte.

Custer schüttelte hastig den Kopf. „Kein Irrer! Das muss ein sehr wütender Mensch gewesen sein!“, kam er ihnen mit einer schlagfertigen, belehrenden Antwort schnell zuvor, ehe sie überhaupt richtig den Mund aufmachen konnten.

Der Pathologe warf ihm von der Seite her stirnrunzelnd einen barschen Blick zu, der ihm verriet, dass er ihn nicht für kompetent genug hielt, um Moretti das Wort abzunehmen.

Dieser blickte seinerseits überrascht zu ihm hoch und war ihm für einmal für seine Voreiligkeit dankbar.

„Also ein Mann?“, folgerte Hesse.

Beide nickten fast gleichzeitig. „Wir gehen davon aus. Allerdings wissen wir noch nicht, wie er es fertiggebracht hat, den Leichnam Ihres Vaters ins Münster zu schaffen.“

„Dann hat er ihn nicht dort umgebracht?“

„Nein. Aber allein schon die Idee, ihn in einem Gotteshaus so darzustellen, wie der Mörder es getan hat, entbehrt jeglichen christlichen Glaubens und zeugt von einer unglaublich teuflischen Abgebrühtheit!“

Custers Gesicht verlor sämtliche Farbe, ehe sie in verstärktem Masse zurückschoss. „Vielleicht wollte er damit ja etwas wieder gutmachen!“, widersprach er mutmaßend.

„Wie denn das?“ Moretti warf ihm einen eigentümlich abwertenden Blick zu. Immer, wenn eine Äußerung über den Täter zu negativ war, fand Custer eine andere Erklärung dafür, wenngleich er vielleicht mit manchem gar nicht so unrecht haben konnte. Er verzichtete vor Hesse jedoch darauf, ihn daraufhin anzusprechen.

Custer hob achselzuckend die Hände. „Indem er ihn wie Jesus am Kreuz darstellt?“

Sein Gesicht sah in diesem Moment ziemlich komisch aus und hätte Frank August in einer anderen Situation vermutlich zum Lachen gereizt, aber in dieser Situation hielt er seine Antwort für alles andere als angebracht. „Wie sollte damit eine solch bösartige Tat wieder gutzumachen sein?“, fauchte er ihn entrüstet an. „Das wird ihm der Liebe Gott deswegen gewiss nicht verzeihen, und wir auch nicht! Hoffentlich wird er dafür im Höllenfeuer braten!“

Morgan Custer blickte ihn aus seinen wutdunklen Augen einen Moment lang ebenso zornig an. Sie sahen aus wie zwei Streithähne, die gleich aufeinander losgehen würden.

Moretti nahm sich vor, Custer später darauf anzusprechen und ihm vorzuhalten, dass er sich vergessen und dem Trauernden gegenüber ungebührlich verhalten hatte. Doch jetzt musste er ihn zuerst einmal bremsen! „Custer!“, wies er ihn barsch zurecht.

Das böse Glühen in den blauen Augen erlosch, als er sich einigermaßen wieder unter Kontrolle bekam. Heftig schnaubend nickte er: „Ja, mag sein! Es ist eine Schweinerei!“ Danach wandte er sich brüsk ab.

Allem Anschein nach hatte er die Geschichte in den falschen Hals gekriegt, mutmaßte Moretti mürrisch. Er hasste solch unkontrollierte Ausbrüche, und Beamte mit diesem Syndrom waren ihm ein Gräuel.

„Wie ist er gestorben?“, wiederholte von Hesse seine anfängliche Frage.

Morettis Kehle fühlte sich trocken an, als er den Mund aufmachte, um Atem zu holen und ihm zu antworten.

„Ich meine, hat er lange gelitten?“, fuhr Frank August seine Frage konkretisierend rasch fort.

Tief aufseufzend blickte Moretti zur Seite, als läge die Antwort neben ihm am Boden, ehe er den Kopf hob und von Hesse aufrichtig ansah. „Er hatte keinen leichten Tod. Es tut mir sehr leid.“

Frank August nickte schluckend und setzte sich Richtung Tür in Bewegung.

Moretti hatte ihm sanft die Hand an die Schulter gelegt und führte ihn zum Aufzug. Custer ging ihnen voran und drückte den Knopf für den Fahrstuhl.

„Fühlen Sie sich in der Lage, uns ein bisschen was über Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater zu erzählen?“

Von Hesse blickte mit einem erstaunten Gesichtsausdruck auf ihn hinab. „Sie schließen mich in den Kreis Ihrer Verdächtigen mit ein?“

„Nein. Ich glaube nicht, dass Sie dazu in der Lage gewesen wären.“ Jedenfalls nicht, um es selbst zu tun, dachte er.

„Brauche ich einen Anwalt?“

„Nur, wenn Sie es wünschen.“

„Es gibt eigentlich nichts zu verbergen – und nichts, das nicht schon bekannt wäre.“

Während er abgrundtief seufzte und sie den Aufzug bestiegen, bedachte ihn Moretti mit einem eigentümlichen Blick, als wollte er ihn fragen, ob er ihm wirklich die Wahrheit gesagt hatte.

Custer fiel auf, dass der Kommissar ausgesprochen häufig seufzte, immer dann, wenn ihm eine Frage, Situation oder Antwort unangenehm war. Es hörte sich an wie die Überbrückung von etwas, um zu einer Entscheidung oder Antwort zu kommen, ehe er damit herausrückte.

„Darf ich Sie fragen, was Sie damit meinen?“, nahm er denn auch den hingeworfenen Satz sofort wieder auf.

Von Hesse nickte bereitwillig. „Mein Vater hatte ein Gen zuviel, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Nein.“ Moretti schüttelte verständnislos den ergrauten Schädel, dass seine Babyglatze im darauffallenden Licht im Spiegel an der Decke reflektierte.

„Das Fremd-gehn. Er hatte... es gab häufig wechselnde Frauengeschichten. Er hat meiner Mutter damit sehr weh getan. Als ich es herausfand, war ich sechzehn. Seither redeten wir kaum mehr als das Nötigste miteinander. Ich habe ihn meine Verachtung spüren lassen und er gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich ein Niemand sei, der ihm nichts vorwerfen könne!“

„Ich kann mir vorstellen, dass Sie das sehr wütend gemacht hat.“ Moretti drückte die Lifttüre auf und ließ die beiden hinaus auf den Korridor treten, dann ging er ihnen zu seinem Büro voran.

Von Hesse nickte. „Das ist wahr. Es ist ja auch verständlich, nicht wahr? Und auch, wenn ich das nicht sagen sollte und Gefahr laufe, mich doch verdächtig zu machen, ich habe mir ein paar Mal vorgestellt, wie es wäre, ihn umzubringen! Ich nehme an, Sie kennen all die abscheulichen Abgründe menschlicher Eitelkeit, Kommissar. Sie können sich sicher vorstellen, wie sich ein Junge in diesem Alter gefühlt haben muss.“

Moretti nickte nachdrücklich zur Bestätigung. „Ich kenne einige, nicht alle, aber einige.“

Custer blickte beunruhigt von einem zum anderen. War der Mann etwa gerade dabei, sich wieder in Morettis Kreis der Verdächtigen einzureihen? „Sie sind es doch nicht gewesen!“, stellte er rasch klar, um Moretti an solchen Gedankengängen zu hindern.

Von Hesse schüttelte mit Bedauern in der Stimme seinen dunklen Schopf. „Bewahre, nein, ich war’s nicht, aber ich habe es mir weiß Gott oft genug gewünscht! Seine Arroganz und Menschenunwürdigkeit hat meine Mutter krank gemacht! Es hat nicht viel gefehlt, und sie wäre gestorben! Es ist eine Ironie des Schicksals, dass es nun ihn erwischt hat!“

„Vielleicht sollten Sie sich besser doch einen Anwalt...“

von Hesse blitzte Custer erneut wütend an, ehe seine Schultern erschlafften. „Sie haben recht, ich rede wie ein Wasserfall. Ich fühle mich wie in einer Zwickmühle. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man sich sehnlichst wünscht, dass eine Situation endlich aufhört?“

Sie betraten Morettis Büro, wo dieser seinem Gast den Stuhl vor dem Schreibtisch anwies.

Obwohl ihm gegenüber der Kommissar eher klein war, musste von Hesse aus dieser Position von unten herauf zu ihm hochblicken, während dieser den Komplex umrundete und es sich in seinem Sessel bequem machte. Er klaubte seine Sachen aus den Hosen- und Gesäßtaschen und legte den Revolver bedeutungsvoll vor sich auf den Tisch.

Frank August fuhr ungezwungen mit seiner Erzählung fort. Es schien, als wäre er sich gar nicht bewusst, worauf er mit seinem Drang zur Wahrheit zusteuerte: „Und wenn sie einem dann plötzlich von den Schultern genommen ist, kommt etwas ganz anderes, das einen fast erdrückt!“

Moretti schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Ich spreche von Verantwortung. Mein Vater hat nie daran gedacht, mit mir über eine Nachfolge zu sprechen, weder über die Firma, noch gegenüber der Familie! Er hielt die Fäden stets streng in den eigenen Händen! Ich habe keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll!“ Er schloss die Augen und legte schwer atmend den Kopf in den Nacken.

Moretti seufzte. Einmal mehr eine ungemütliche Situation, in der er nicht mit Ratschlägen weiterhelfen konnte. Würde sich ein Mörder, der im Affekt übertötete, vorher oder nach seiner Tat solche Gedanken machen und erst noch vor der Polizei öffentlich preisgeben? Außer, er wäre in der Tat so abgebrüht, dass er sich wissentlich verdächtig machte, weil er davon ausging, bald wieder entlastet zu werden? Selbst wenn Hesse einen Auftragsmörder gedungen hatte und es jetzt bedauerte, wäre er ein Narr gewesen, seinen Verdacht absichtlich auf sich zu lenken! Aber wie groß war sein Vertrauen in ihn, dass ihm ausgerechnet diese Gedanken durch den Kopf gehen und ihn beschäftigen würden? Dazu musste er fast ein Hellseher sein, oder?

Moretti seufzte. Obwohl von Hesse sich hier als Verdächtiger präsentierte, hatte er nichts, aber auch gar nichts in der Hand! „Sie werden das schon hinkriegen, irgendwie“, murmelte er gedehnt und stand auf, während er ihm über den Tisch hinweg die Hand entgegenstreckte. „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit.“

Von Hesse blickte zu ihm hoch und stand dann langsam ebenfalls auf. „Dann kann ich jetzt gehen?“ Obwohl die simple Frage lediglich darauf abzielte, endlich in den Schoss der Familie zurückkehren zu dürfen, drückte sie in ihren Ohren so etwas wie Erstaunen darüber aus, dass sie ihn nicht länger festhielten.

Während er in Morettis Hand einschlug, nickte dieser. „Selbstverständlich. Aber es kann sein, dass wir Sie wieder belästigen müssen.“

„Ja, sicher, kommen Sie vorbei, wenn es notwendig ist. Und bitte, finden Sie den Kerl! So bald wie möglich! Ehe er noch mehr Unheil anrichtet!“

Moretti horchte hellhörig auf. War da etwa eine Anspielung darauf, dass er es doch gewesen war und dass er von ihnen gestoppt werden wollte, bevor er wieder so etwas Schreckliches tat? War es das, was er ihm mitteilen wollte? Dass er sich davor fürchtete, ein weiteres Mal zum Mörder zu werden? „Sie denken, dass er noch ein weiteres Mal zuschlägt?“

Von Hesse zuckte die Achsen. „Woher soll ich das wissen? Es ist Ihr Job, an eine solche Eventualität zu denken!“

Moretti nickte gedankenverloren.

Custer sah, wie ihn der hingeworfene Knochen sogleich beschäftigte, seine Hirnströme zu rotieren begannen und Hesse in den Kreis der Verdächtigen wieder aufsteigen ließ.

„Ich werde darüber nachdenken“, versprach Moretti.

Frank August nickte nachdrücklich. „Ja, tun Sie das.“

„Ganz bestimmt.“

Blöder Hammel!, dachte Custer kopfschüttelnd hinter ihm.

„Auf Wiedersehen.“

„Auf dem Korridor rechts kommen Sie hinaus.“ Die beiden reichten sich die Hände, als sich Hesse verabschiedete und dann durch die Türe verschwand.

Mit einem raschen Schritt stürzte Custer nach vorne an den Schreibtisch. Die Hände auf der Platte abgestützt, entluden sich seine aufgestauten Emotionen fast wie ein Schrei: „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass der Mann am Tod seines Vaters etwas zu tun hat, oder?“

Moretti blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen überrascht an. Seine Unterarme lagen auf der Tischplatte, während er unverwandt Custers Blick erwiderte. „Wieso nicht? Vielleicht war er ausgesprochen gewieft.“

„Ausgesprochen dumm, meinen Sie? Nein, der arme Mann weiß vor lauter Elend nicht mehr ein noch aus, deshalb war er so redselig! Haben Sie gesehen, wie erschrocken und totenbleich er war, als er seinen Vater gesehen hat?“

„Weil ihm bewusst wurde, was er getan hat?“

„Ums Himmels Willen, Kommissioner! Dieser Mann wäre nie im Leben fähig dazu, auch nur zu so einem Mord anzustiften!“

„Und Sie sollten Ihre eigenen Worte und Gefühle besser unter Kontrolle halten!“, doppelte Moretti nun vorwurfsvoll seinerseits nach, dem es gegen den Strich ging, dass ihm der Schnösel vorschreiben wollte, was er zu glauben hatte. „Die Leute ertragen Ihre Rechthaberei nicht, genauso wenig wie ich!“

„Okay. Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht ärgern.“ Custer streckte friedfertig die Waffen. „Einigen wir uns darauf, dass wir weitersuchen?“

„Natürlich, was denn sonst? Denken Sie, mit Vermutungen gebe ich mich zufrieden?“, knurrte er aufgebracht.

„No, natürlich nicht. Entschuldigung. Ich wollte nur nicht, dass wir aufhören, nach dem Täter zu suchen.“

Custer kam Moretti mehr als suspekt vor, und er drängte darauf, den unliebsamen Gesellen, der ihm überall dreinzureden versuchte, möglichst schnell loszuwerden. „Sagen Sie Bircher an der Information, er soll Ihnen einen Arbeitsplatz zuweisen. Und lassen Sie sich von ihm Dr. Lettas Nummer geben. Den rufen Sie an und bitten ihn um einen Termin für ein psychologisches Gespräch! Das ist wichtig nachdem, was Sie heute Morgen im Münster erlebt haben!“

„Okay, Chief.“ Custer nickte hastig.

„Gut!“ Moretti atmete erleichtert auf. „Und dann halten Sie sich die nächste Zeit besser von mir fern!“, grummelte er aggressiv.

Custer nickte wieder, wie eines jenes Spielzeuge, die man antippen konnte, damit sie auf und abwippten. „Yes, thanks, Chief. Ich werde versuchen, Ihnen nicht wieder auf die Nerven zu fallen.“

„Ja, dafür wäre ich Ihnen wirklich dankbar! Ich weiß selbst, wie ich meinen Fall zu lösen habe!“ Damit wandte sich Moretti demonstrativ seinen eigenen Angelegenheiten zu, indem er seine Utensilien auf ihre angestammten Plätze schob und die Pistole in die aufgezogene Schublade legte.

Custer wandte sich ab und verließ das Büro.

Der Kommissar atmete auf, als er ihn endlich los war.

Dieser trat zu dem als Bircher bezeichneten Beamten an den Informationsschalter. „Entschuldigung, sind Sie Bircher?“ Mit seinem amerikanischen Akzent sprach er das i als ö und das ch wie ein k aus, weshalb Bircher dann schließlich nach Börker klang.

„Wer fragt danach?“ Der dicke Mann drehte sich auf seinem Sessel vom PC weg nach ihm um. Um die Lippen herum glänzte das Gesicht etwas fettig, weil er gerade dabei gewesen war, seinen Hamburger zu Mittag zu verdrücken. Rasch fuhr er sich mit der Papierserviette über den Mund.

„Morgan Custer.“ Er streckte ihm die Hand zum Gruß über den Tresen entgegen. „Ich bin ein neuer Kollege. Ich soll Sie von Moretti bitten, mir einen Arbeitsplatz zuzuweisen.“

Da Bircher schon von anderen auf den Ankömmling vorbereitet worden war, hatte er keine Probleme damit und stellte keine überflüssigen Fragen. Etwas umständlich erhob er sich, umrundete den Tresen und öffnete die Klappe, um herauszukommen, danach winkte er Custer zu, ihm zu folgen. Sie gingen am großen Hauptbüro und danach auch noch an Morettis Büro vorbei. Fast am Ende des Ganges stieß Bircher die Türe zu einem Zweierbüro auf. Es war hell und geräumig und weit abseits von den Kriminalbeamten genug, dass sie ihn nicht jede Stunde des Tages sehen und sich über ihn ärgern mussten.

„Wilhelm Krämer“, stellte Bircher den jungen Mann hinter dem Computertisch knapp vor. „Morgan Custer, der Neue.“

Dieser nickte grinsend und trat mit ausgestreckter Hand ein. „Hello, Wilhelm Tell. Ich freue mich, mit Ihnen zusammenarbeiten zu können.”

Der junge Blondschopf erhob sich hinter seinem Schreibtisch und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin der Willi“, sagte er aufgekratzt.

„Dann nennen Sie mich Morgan, Willi.“

„Ihr neuer Platz.“

„Thank you, Bircher.“ Er ging hinüber und probierte den neuen Sessel sogleich aus. „Perfect“, sagte er zufrieden. „Vielen Dank.“

Während die beiden zu ihm hinüberstarrten, zog er seine Arbeitsempfehlung aus der Brusttasche, warf sie in die Mittelschublade unter der Lade und richtete sich auf seinem Posten ein. Auf diese Weise landete Mosleys Schreiben unbeachtet und unbesehen in Custers neuer Schreibtischschublade. „Was soll ich jetzt tun?“, fragte er.

„Schreiben Sie Ihren Bericht über den heutigen Morgen“, riet ihm Bircher achselzuckend, ehe er verschwand.

Für Custers Geschmack war der dicke Bircher keine große Hilfe. Wenig später streckte er trotz entgegengesetztem Befehl, nach einem kurzen Klopfen schon wieder den Kopf in Morettis Büro hinein. „Sorry, Chief. Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte er.

Moretti warf Custer einen düsteren Blick zu, weil dieser sich erfrechte, ihn schon wieder zu stören, doch dann besann er sich eines Besseren und schüttelte den Kopf, als müsste er die negativen Gedanken abschütteln wie ein Hund die Flöhe. Vielleicht lag seine Gereiztheit ja gar nicht wirklich an dem Neuen, sondern einfach an dem vertrackt schwierigen Fall?, ging es ihm durch den Sinn. Er hievte seine Pfunde aus dem protestierend knarrenden Sessel in die Höhe. „Mitkommen!“, kommandierte er, während er an ihm vorbei aus dem Büro pflügte.

Für sein Gewicht hatte er ein ziemlich rasches Tempo auf dem Zähler, als er am Tresen seiner Beamten vorbeistürmte. Custer musste die Beine in die Hand nehmen und sich beeilen, um sich neben ihm zu halten, während sie zurück in die Pathologie trabten und er zu Custer sagte: „Der junge Hesse hat ihn sich nur so kurz angesehen! Vielleicht wollte er uns mit all dem, was er uns erzählt hat, ja bloß in die Irre führen!“

„Wirklich?“ Der junge Mann blickte ihn an, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. „Kann ich mir nicht vorstellen.“ Stirnrunzelnd folgte er ihm trotzdem mit der Neugier eines Kindes, um herauszufinden, was er nun weiter vorhatte.

Die Fahrt mit dem Lift dauerte Moretti fast zu lang, dennoch verzichtete er aufgrund seiner Schweratmigkeit auf den Gang über die Treppe. Seine anfängliche Hast rächte sich nun, so dass er keuchte wie ein Nilpferd. Als sie im unteren Stock in der Pathologie anlangten, war er noch immer halb außer Atem. Mit Wucht stieß er die Türe auf, wo er schon im Eingang rief: „Marti, haben Sie seine Fingerabdrücke genommen? Können Sie ihn identifizieren?“

Der hagere Pathologe drehte sich überrascht nach ihm um. So schnell nach der Einlieferung eines Toten war Moretti gewöhnlich nicht schon zu erwarten. Er sah ausgesprochen wütend und unzufrieden aus.

„Wen?“, erkundigte sich Hans Marti verständnislos.

„Na, unseren Toten!“

„Herr von Hesse hat ihn ja gerade identifiziert, dass es sein Vater...“

„Papperlapapp! Der Kerl hat ihn sich nur so kurz angesehen, ich glaube, der versucht uns doch nur in die Irre zu führen!“, wiederholte er seine Behauptung vor dem Chefpathologen mit beinerner Hartnäckigkeit.

Dieser blickte ihn verständnislos an. „Warum sollte er das tun?“

„Was weiß ich, sagen Sie es mir!“, drängte Moretti ungeduldig.

„Warum sollte er uns belügen?“

„Das habe ich ihm auch schon gesagt. Ein so feiner Herr, der hat das doch gar nicht nötig.“

„Können Sie nun beweisen, dass es von Hesse ist oder nicht?“, knurrte Moretti verärgert über Custers Widerworte und Martis ungewöhnlich lange Leitung.

Seufzend zuckte dieser entschuldigend mit den Achseln. „Wir haben nichts in der Kartei, wenn Sie das meinen, der Mann ist uns noch nicht bekannt. Die Antwort lautet also nein, ich kann es Ihnen nicht beweisen.“

„Vermisstenliste?“

Marti warf seinem Assistenten Felix Maibach einen beredten Blick zu. Der junge Mann nickte. Er zog sein iphone aus der Hosentasche unter seinem Kittel und gab im Suchmodus den Namen August von Hesse ein. Es dauerte keine zwei Minuten, bis er ein Portrait von ihm gefunden hatte. Er hielt das iphone mit dem Konterfei des Mannes näher ans Gesicht des Toten heran. „Ich finde, das ist doch ein Treffer.“

Custer trat einen Schritt näher, damit er ihm über die Schulter schielen konnte. „Wer ist es?“

„Heinrich von Hesse.“ Der pickelgesichtige Maibach grinste ihm triumphierend zu, doch Moretti war keineswegs erfreut.

„Franz hatte auch schon dasselbe Bild!“, stieß er wutschnaubend aus. „Dann also wirklich der Politiker!“ Es klang nicht sehr glücklich, schon eher wie ein Vorwurf, dass es scheinbar tatsächlich so war. Der Fall würde jede Menge Staub in der Öffentlichkeit aufwirbeln!

Hans Marti nickte mit einem verständnisvollen Stirnrunzeln, das seine Gedanken bestätigte. „Sieht so aus“, sagte er bedauernd.

„Sie kombinieren schnell“, meinte Custer perplex.

Moretti nickte, seine Miene sah säuerlich aus und es kam Custer vor, als hätte er in einen Apfel gebissen. „Wenn es zutrifft, sind wir zumindest einen Schritt weiter!“, grunzte er, doch von Erleichterung war nicht das Geringste zu spüren. Der Apfel, in den er durch diesen Politikermord beißen musste, war mehr als sauer und er kam, im Hinblick auf seine baldige Pensionierung, für ihn mehr als ungelegen.

Maibach warf seinem Vorgesetzten einen fragenden Blick zu, und dieser nickte, ehe er sagte: „Mit einem DNA-Abgleich könnten wir’s definitiv rausfinden.“

Custers Miene hellte sich schlagartig auf, er war plötzlich richtig aufgeregt: „Was brauchen Sie denn dafür?“

Marti seufzte. Custer interpretierte sein Schulterzucken zunächst damit, dass er es nicht wusste, was aber in Anbetracht seiner Chefposition höchst unwahrscheinlich war. Folglich musste es vermutlich mehrere Dinge geben, die dafür infrage kamen. „Ein Haar würde schon genügen. Oder eine DNA-Probe von jemandem aus seiner Familie: Blut, Urin, Speichel“, erklärte er.

Custer nickte und wandte sich mit einer weitausholenden Armbewegung und fliegendem Mantel zum Gehen. Er hatte sich bereits ein klares Bild davon gemacht, was er nun zu tun hatte. „Okay, bekommen Sie, ich besorge Ihnen, was Sie brauchen!“, rief er über die Schulter zurück.

Moretti blickte kopfschüttelnd hinter ihm her und seufzte wieder, aber diesmal sah er gar nicht so unzufrieden aus.

„Wo will er denn hin?“, fragte Maibach irritiert.

Der Kommissar wippte erwartungsvoll auf den Zehen und lächelte still vor sich hin. „Das holen, was Sie brauchen, denke ich.“

„Ich habe aber dennoch etwas festgestellt...“, lenkte Hans Marti das Gespräch zurück auf den Toten und bewirkte damit, dass Custer im Schritt abrupt stehen blieb und sich rasch wieder nach ihnen umdrehte.

Moretti blickte fragend zu ihm hoch: „Was denn?“

Marti warf ihm einen eigentümlichen Blick zu: „Sein Herz fehlt!“

Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber angesichts der Brutalität zuckte Moretti unter der Vorstellung mechanisch einen Schritt zurück. „Und ihr habt es nicht wiedergefunden?“, fragte er mit vor Bestürzung am Gaumen klebender, schwerer Zunge.

Marti schüttelte verneinend den Kopf. „Sieht nicht so aus. Ich habe Scherrer unlängst angepiepst, als ich es feststellte, aber er meinte, sie hätten von Hesse so gefunden, wie sie ihn brachten. Der Täter muss es mitgenommen haben!“

„Was?“

„Vielleicht hat er es verspeist, um die Kräfte des Toten zu erlangen!“, meinte Felix Maibach phantasievoll.

Und Custer doppelte nach: „Oder um ihn zu erniedrigen!“

„Oder es als Trophäe zu behalten! Dieser Fall ist an Absurdität wirklich kaum mehr zu überbieten!“, schnaubte Moretti ungehalten.

„Ich befürchte, wenn ich mir das alles so ansehe, dann war das wohl das Letzte, was der arme Mann noch mitbekommen hat“, murmelte Marti deprimiert.

Bei der Vorstellung, wie sich das für von Hesse angefühlt haben musste, das eigene Sterben über Stunden hinweg mitverfolgen zu müssen, bis er entweder vor Schmerzen und Blutverlust bewusstlos geworden war oder vielleicht sogar noch mitzubekommen, wie der Teufel seine Brust aufschnitt, um ihm das Herz zu entreißen, wurden ihre Augen vor Entsetzen riesengroß.

„Dieser Bastard!“, fluchte Moretti ungewohnt lautstark. Allein schon beim Gedanken an die Hälfte der zugefügten Höllenqualen stellten sich ihm sämtliche Körperhaare vor Grauen auf.

Unwillig schüttelte er den Kopf, um die scheußlichen Bilder wieder loszuwerden. Er ließ ihnen keinen Raum mehr, versuchte sich zu entspannen und ließ dafür die Wut an ihren Platz. Seine tiefe, raue Stimme klang kompromisslos und hart, als er fortfuhr: „Wir wissen wo, wir wissen wie, wir wissen wann! Nur das warum kennen wir noch nicht. Aber das ist auch egal, das Warum interessiert kein Schwein!“

Custers Augen verengten sich durch sein Stirnrunzeln zu schmalen Spalten, während er die Arme abwehrend vor der Brust verschränkte und reklamierte: „Aber ich denke, das Motiv ist das Wichtigste am ganzen Fall!“

Moretti schüttelte den Kopf. „Da bin ich nicht gleicher Meinung. Egal, warum der Bastard das getan hat, für mich ist jetzt einzig und allein die Beweislast für seine Schuld das Wichtigste! Und den Scheißkerl zu schnappen ist wie das Salz in der Suppe – das verleiht dem Job erst die richtige Würze!“ Er spuckte jedes einzelne Wort wie ein Stück heiße Kartoffel aus; es war unüberhörbar, wie wütend ihn die Brutalität dieses Falls machte, und zugleich klang es wie Vorfreude auf die bevorstehende Jagd.

Custer pflichtete ihm mit einem Lächeln bei, bevor er wissen wollte: „Wie ist das so, wenn man die Täter erwischt?“

Moretti stieß hörbar den Atem aus, um sich zu entspannen. Er wünschte sich, es wäre bereits soweit. „Ein Glücksgefühl ohnegleichen und das Wissen, dass der Kerl niemandem mehr wehtun kann, ist unvergleichlich!“

„Dann wollen wir hoffen, dass der Scheißkerl nicht cleverer ist als Sie!“ Damit hieb Custer in eine sehr empfindliche Stelle.

Aber Moretti wollte keinen weiteren ungelösten Fall, er wollte... nein, er musste den Killer schnappen! Und er machte es sich zu seiner persönlichen Aufgabe. Um den Jungen seine Gedanken nicht erkennen zu lassen, zuckte er lakonisch die Achseln. „Wir werden sehen!“ Es klang dennoch wie ein Versprechen, auch als er vielsagend fortfuhr: „Kommt Zeit, kommt Rat – kommt Attentat!“

„Wie bitte?“

Custer machte ein verduztes Gesicht, das Moretti trotz dem Ernst der Lage zum Lachen reizte. Er verkniff es sich und winkte verschmitzt mit einem verlegenen Grinsen ab: „Ach nichts.“ Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, wandte er sich ab und verließ den Raum. Er wollte seine Ruhe und hatte keine Lust mehr auf Custers Begleitung. Und schon gar nicht wollte er ihm mitteilen, dass er sich nun zur Entspannung in seinem Büro einen kleinen Beruhigungsschluck genehmigen würde.