Natürlich stand, wie nicht anders zu erwarten, das Ereignis noch selbentags in den Abendnachrichten und auch in der Tagesschau wurde darüber berichtet. Die leicht untersetzte Tagesschausprecherin hielt ihre Notizblätter sichtlich krampfhaft mit beiden Händen fest und stieß einen tiefen Seufzer aus, als müsste sie um Worte ringen, ehe sie mit ihrem Bericht begann: „In Bern fing dieser Tag heute ungemütlich an. Heute Morgen wurde im Münster die Leiche eines brutal verstümmelten Mannes gefunden. Gemäss Aussage eines handelnden Mitarbeiters der Kantonspolizei könnte es sich bei dem Toten möglicherweise um einen Politiker handeln, der, ich zitiere: ’von Andersdenkenden abgeschlachtet wurde’. Zitat Ende. Franziska Kopp berichtet:“
Das Gesicht der Tagesschausprecherin verschwand, stattdessen wurde ein Film abgespult, der den untersetzten Leiter der Medienstelle der Berner Polizei auf den Treppenstufen vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft zeigte. Die Miene hinter seiner Nickelbrille wirkte gefasst, doch Martin Lauener hielt sich mit einer Hand am Geländer fest, das der Treppe entlangführte; scheinbar musste er sich aufgrund der grausigen Tat sichtlich stützen. Die Kamera war auf die sich im Vordergrund befindliche Reporterin gerichtet, die ein überdimensioniertes Mikrofon in der Faust hielt, während der abendliche Wind an ihrer Dauerwelle und dem geschmackvollen Jäckchen zerrte, das sie sich umgehängt hatte, damit man ihre knochigen Schultern weniger gut sah.
Mit einem penetranten Pepsodentlächeln strahlte Franziska Kopp in die Linse, als die Kamera herumschwenkte und ihr das Zeichen gemacht wurde, dass sie auf Sendung war. „Heute Morgen wurde im Berner Münster vom Sigrist Heinz Kummer eine schrecklich zugerichtete Person tot aufgefunden. Während Stunden waren das Münster sowie die beliebten Ausflugsplattformen für die Besucher und zahlreich angereisten Touristen gesperrt. Wie man hörte, sagte ein Polizeimitarbeiter heute Morgen aus, dass es sich bei dem Toten möglicherweise um einen bekannten Politiker handeln könnte und dass der arme Mann regelrecht abgeschlachtet worden sei. Auf Anfrage bei der KriminalpoIizei waren bisher leider keine weiteren Informationen zu dem Fall und der getöteten Person zu erfahren“, berichtete sie mit ihrer angenehmen, klaren Stimme. Danach drehte sie sich um die eigene Achse und wandte sich Lauener zu, indem sie sich direkt erkundigte: „Martin Lauener, gibt es bereits irgendwelche Hinweise auf den oder die Täter?“ Mit einem fragenden Blick hielt sie dem Polizeisprecher ihr Mikrofon unter die Nase.
Dieser schüttelte mit müdem Seufzen den Kopf. „Nein, dazu lässt sich leider noch nichts sagen, das ist gegenwärtig Gegenstand der Ermittlungen.“
„Handelt es sich bei der Massakrierung um die Tat einer radikalisierten Gruppierung oder geht die Polizei von einem mutmaßlichen Einzeltäter aus?“
Martin Lauener sah sie entschlossen, aber bedauernd an, indem er rigoros erklärte: „Solche Spekulationen werden wir nicht kommentieren."
„Gemäss Angaben soll es sich bei dem Toten um einen bekannten Politiker handeln? Können Sie uns dazu Angaben machen und uns sagen, wer es ist?“, bohrte sie hartnäckig weiter.
Er blickte sie durch seine Brillengläser durchdringend an. „Dazu kann ich keine Stellung nehmen“, erklärte er konsequent. Auf ihre entrüstete Miene fuhr er dann aber dennoch fort, um etwas weniger unfreundlich zu erscheinen: „Aber es laufen spurentechnische Auswertungen und die Zusammenstellung der Obduktionsberichte zu den Verletzungsmustern. Nach bisherigem Erkenntnisstand sind mindestens drei verschiedene Waffen während dieser Tötung eingesetzt worden. Wie viele und welche es tatsächlich gewesen sind, können wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht bekannt geben. Wie gesagt, sind unsere Forensiker und Pathologen noch daran, die erforderlichen Untersuchungen zur Eruierung vorzunehmen. Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis.“
Franziska Kopp nickte ihm ungnädig zu, wenngleich dies auf dem Film nicht ersichtlich war. Als die Kamera auf sie zurückschwenkte, hatte sie sich wieder voll unter Kontrolle und blickte freundlich in die Linse. „Eine weitere Stellungnahme über das Tötungsdelikt wird vonseiten der Kantonspolizei Bern leider bisher verweigert, und auch von der Staatsanwaltschaft ist niemand für konkretere Informationen zu sprechen. Gemäss dem Medienstellenleiter Martin Lauener liegen derzeit noch keine genügenden Hinweise vor. Über den Täter gaben die Behörden bisher nichts bekannt. Die Polizei machte auch über die betroffene Person, bei der es sich möglicherweise um einen bekannten Politiker handelt, noch keine Angaben.“
Das Bild der adretten Tagesschausprecherin kehrte zurück. „Wir werden Sie darüber auf dem Laufenden halten“, versprach sie den Zuschauern lächelnd, während sie ihre Notizen umblätterte, um zum nächsten Thema überzugehen.