image
image
image

26

image

Morgen, Chef“, wurde er auf der Etage von seiner Mannschaft freundlich begrüßt, doch seine Verzweiflung war noch immer spürbar, entsprechend kurz angebunden knurrte er unwirsch zurück: „Morgen, Jungs!“

Die Männer warfen einander beredte Blicke zu. Allem Anschein nach war der Boss mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden.

Dieser blieb stehen und stützte den Arm schwer auf den Tresen, als müsste er sich damit Halt geben. „Gibt’s wenigstens bei euch was Neues?“, erkundigte er sich ohne große Erwartungen mit einem trotzdem hoffnungsvollen Blick.

Die Beamten schüttelten stumm die Köpfe, einige hoben Schultern und Hände, um anzudeuten, dass ihre Arbeit mit den Videokameras und alten Polizeiakten bisher die reinste Zeitverschwendung gewesen war.

Abteilungsleiter Franz Scherrer warf ihm einen vielsagenden Blick zu, bevor er die allgemeine Stimmung in Worte fasste: „Tut mir leid, Paolo, nein.“ Eigentlich murmelte er mehr, als dass er es laut sagte, während er die niederschmetternden Worte mit einem bedauernden Kopfschütteln unterstrich.

Moretti fühlte sich in einem bodenlosen Loch versinken, wenn er daran dachte, dass er in wenigen Stunden seinen Vorgesetzten würde Rede und Antwort stehen und ihnen erklären müssen, dass er trotz der riesigen Sauerei am Tatort weder einen Schuhabdruck noch sonst irgend einen Hinweis auf den Täter vorweisen konnte. „Dann haben wir also gar nichts?“, knirschte er mit gefurchter Stirn verdrossen. Das Wissen um die Tatsache, dass er bisher versagt hatte, ließ ihn beinahe aus der Haut fahren.

Mit einem irritierend bedeutsamen Lächeln zuckte Scherrer die Achseln. „Jedenfalls nichts, was uns hier weiterhilft.“

Moretti war so mit sich selbst beschäftigt, dass er die Betonung überhörte. Aus Frust über die Unfähigkeit seiner Untergebenen flippte er aus; er hieb mit der Faust so hart auf den Tresen, dass die Schale mit dem Arrangement darauf klapperte. „Verdammt! Dann forschen wir halt in der Familie ein bisschen weiter! Es kann doch nicht sein, dass wir bei all dem nichts finden, verflixt und zugenäht!“ Nach diesem Wutausbruch fühlte er sich wesentlich besser und etwas von seiner gewohnten Ruhe kehrte in ihn zurück. Während die Mannschaft ungemütlich darauf wartete, was noch kommen würde, stellte er fest, dass sie nicht komplett waren. „Wo ist eigentlich dieser Grünschnabel Custer?“, wechselte er mit grantigem Tonfall das Thema, als er dessen Fehlen bemerkte.

„Den habe ich zum Znüniholen geschickt, damit wir ungestört reden können.“

„Warum?“ Seine Stirn runzelte sich ungehalten, dennoch sah man ihm sein plötzliches Interesse an, mit dem er Franz Scherrer seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkte.

Dieser seufzte, entschuldigend hob er die Hände und zuckte mit den Schultern: „Weil uns scheint, du hast einen Narren an dem Kerl gefressen!“

Hinter ihm nickte Sutter zur Bekräftigung heftig.

Moretti fuhr sich mit der Hand fahrig über die Stirn. Mit einem tiefen Seufzer nickte er entschuldigend. „Ich gebe zu, er hat mich gestern schon ein bisschen beeindruckt. Aber deswegen ist er noch lange kein Profiler wie du, Franz. Du weißt doch, du und deine Leute sind für mich unersetzbar!“

„Es tut mir leid, Chef. Uns ist der Kerl einfach schief eingefahren“, meldete sich nun auch Karl Sutter zu Wort.

Moretti nahm das Problem mit einem Nicken zur Kenntnis. „Schon gut. Nehmt euch von Hesses Familie noch mal vor. Auch wenn jedermann ausgesagt hat, dass keiner dem anderen so etwas zutraut, aber es wäre ja immerhin dennoch möglich, dass sie sich geirrt haben und wir trotzdem hier fündig werden.“

„Okay, Chef.“ Sutter wandte sich nach einem kleinen Zwinkern zu Scherrer halbwegs ab, bevor er innehielt und sich langsam, grinsend zurückdrehte. Er war gespannt, wie Moretti gleich reagieren würde: „Hat Ihnen Wolfi übrigens schon was gesagt?“

„Nein. Was sollte er mir denn gesagt haben?“ Verständnislos runzelte der Kommissar missmutig die Stirn.

Scherrer lächelte verhalten. Am liebsten hätte er selbst gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, aber da sie ihm die gute Nachricht bisher verheimlicht hatten, hielt er es für angebrachter, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. „Entschuldige bitte, dass du das erst jetzt erfährst, aber... Kari und ich haben gestern einen Knopf beim Toten gefunden“, eröffnete er ihm die frohe Botschaft.

Moretti fuhr hoch wie ein Berserker, seine rundliche Gestalt hinter dem Tresen straffte sich wie zum Angriff, und es klang wie ein Aufschrei, wütend und beleidigt, als er ausrief: „Und das sagt ihr mir erst jetzt?“ Er stieß sich ab und marschierte im Eiltempo an ihnen vorbei den Korridor hinunter.

Sutter und Scherrer warfen sich zufrieden einen vielsagenden Blick zu, dann spurteten sie erwartungsvoll grinsend hinter ihm her. „Wir wollten nicht, dass Custer es gleich mitkriegt und seinen naseweisen Senf dazugibt.“

Doch Moretti hatte gar kein Interesse daran, die Hintergründe zu erfahren, er wollte nur so schnell wie möglich wissen, ob es ihm in diesem Fall weiterhalf. „Und, hat Wolfi schon was rausgefunden?“, warf er über die Schulter zu ihnen nach hinten zurück.

„Ich weiß’ nicht. Ich habe grade noch einen Fall wegen schwerer Körperverletzung am Laufen. Der Mann sitzt jetzt erst mal in Untersuchungshaft.“

„Und ich hatte Empfangsdienst“, erklärte Sutter schnell. „Aber wir dachten, Sie würden nach dem Gericht sicher zuerst im Labor vorbeischauen.“

„Nein, seit gestern nicht mehr. Ich war nur bei Marti in der Pathologie.“ Nervös drückte Moretti den Liftknopf und wartete ungeduldig, bis der Fahrstuhl kam.

„Hat der was gefunden?“

„Außer der Art und Reihenfolge der Waffen nichts Nennenswertes.“

Endlich öffnete sich die Schiebetüre und sie betraten den Aufzug.

Die beiden Freunde stellten sich hinter ihn. Sutter wippte nervös auf den Zehen, während er seinem Kollegen erwartungsvoll beredte Blicke zuwarf. Dieser quittierte sie mit einem Grinsen; beide konnten es kaum erwarten, wenn Moretti und sie ohne Custers Beisein und dämliche Kommentare – hoffentlich – von Fiala etwas mehr erfuhren als sie jetzt schon wussten. 

Als der Lift unten ankam, trabte ihnen Moretti trotz seines Asthmas wie ein Leichtgewicht voran; voller Erwartung verschob er seine Kilos im Eiltempo hinüber ins Labor.