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Die kleine italienische Bar war seine Lieblingskneipe, in der er sich gern aufhielt. Das Essen war gut und reichlich, es roch immer köstlich nach gerösteten Zwiebeln und Oregano, aber vor allem war das Licht am Tresen durch die vielen farbigen Glasscheiben hinter dem Barausschank etwas diffus. Für Verliebte war es eine beliebte Ecke um herumzuknutschen, für ihn bedeutete es, dass seine Mimik beim Zeitung lesen nicht gleich jedem auffiel. Die Schweizer Boulevardzeitung lag schon zusammengefaltet auf dem Tresen, und er war froh, dass er sie nicht aus dem Licht der Tische holen musste, wo bereits mehrere Gäste bei Pizza und Tagliatelle beim Abendessen saßen. Er platzierte sich auf dem Barhocker und faltete sie auseinander, während ihm die braunhaarige Barfrau einen Drink mixte.
Auf den ersten Blick stach es ihm ins Auge: In der Abendausgabe und in jedem anderen Abendblatt stand es schon in dicken Lettern auf der Titelseite: „Die Polizei hat einen Verdächtigen! Mörder mit Haar überführt!“
Er wurde zuerst blass, dann rot vor Wut. Seine Finger krallten sich wie im Krampf zusammen, seine Miene, verdunkelt durch das Hängegestell, auf dem die Schnapsflaschen standen, verdüsterte und verzerrte sich, ohne dass es jemandem auffiel. Er presste die Kiefer so hart aufeinander, dass es schmerzte. Infame Lügner! Ihr habt nichts! Aber auch gar nichts!, knurrte er verbittert in sich hinein, doch bevor die Barfrau zurückkam und den Drink vor ihn hinstellte, hatte er sich wieder in der Gewalt. Sein dünnlippiger Mund zog sich zu einem zynischen Grinsen auseinander, derweil er weiterlas. Der Schlächter von Bern klang gut. Das war der Name, den sie ihm in der Presse verliehen hatten. Es war eine Anerkennung für das, was er getan hatte. Aber es war ein Problem!
Die Brünette deutete mit dem Kinn auf den Artikel, der zuvorderst auf der Seite prangte. „Fürchterliche Sache, nicht?“, meinte sie.
Er zog die Brauen zusammen und nickte, während er mechanisch nach dem Glas griff, es jedoch nicht bis zum Mund führte.
Sie wandte sich von ihm ab, als er nicht mit ihr reden wollte, und verwickelte einen willigeren Gast in ein Gespräch.
Er war froh darüber, dass sie ihn in Ruhe ließ. Es war nicht ihre Frage gewesen, die ihn erneut aufgewühlt hatte, sondern das, was ihm gerade durch den Sinn gegangen war. Die Polizei besaß ein Haar von ihm, der einzige Hinweis auf seine wahre Identität! Dabei hatte er sich soviel Mühe gegeben, alle seine Spuren zu verwischen! Der Leichnam war in Plastik eingewickelt gewesen, er hatte sogar die Schuhe gewechselt, damit sie nicht herausfanden, woher er hereingekommen war! Er hatte an alles gedacht und alles geplant, nur nicht, dass er beim Entfernen des Plastiks mit seinem Haar am Jackenaufschlag hängen bleiben und einen Knopf abreißen würde!
Mit einem tiefen Seufzer schob er die negativen Gedanken beiseite, die für einen kurzen Moment in ihm hochwirbelten, bevor er sich wieder in der Gewalt hatte. Es war ja so was von egal, es nützte ihnen nichts! Ein schmales Lächeln huschte über seine Lippen, er hob das Glas und nippte an dem scharfen Gebräu, während er seine Gedanken weiter spann: Er war ihnen nicht bekannt! Und ein weiteres Indiz gedachte er ihnen nicht zu liefern!
Dennoch gelang es ihm nicht wirklich, seine Wut im Zaum zu halten. Er war wütend auf die Polente, die bereits von Überführung faselte und Lügen verbreitete, obwohl sie noch gar keine Ahnung hatte, wer der Schlächter war! Und er war wütend auf sich selbst, auf seine Nachlässigkeit, durch die er ihnen ein Indiz hinterlassen hatte! Die Unruhe, die ihn erfasst hatte, trieb ihn zurück auf die Strasse. Er warf die Zeche mit etwas Trinkgeld auf den Tresen und verließ die Bar, ohne das Glas ausgetrunken zu haben. In seinem Innern wühlte die Wut. Sie fühlte sich an wie ein glühend heißer Knäuel, der sich in seinem Bauch wie ein Orkan um sich selbst drehte, ihm die Lungen zusammenpresste und die Luft abschnürte. Aber in erster Linie war er wütend, weil die Polizei einen anderen Mann verdächtigte, der Schlächter von Bern zu sein als er! Innert Kürze reifte in ihm ein teuflischer Plan...