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Nach diesen negativen Informationen schlenderte Moretti mit hängendem Kopf hinüber ins Labor, wo Wolfgang Fiala damit begonnen hatte, die Kleidung der Toten zu untersuchen. Er warf ihm einen fragenden Blick zu, als er sah, wie bedrückt dieser war. „Du siehst nicht gerade sehr glücklich aus, Paolo“, konstatierte er ernst.

Dieser schüttelte betrübt den Kopf. „Jede Spur eine Sackgasse! Es ist zum Verrückt werden!“

„Verzweifle nicht. Irgendwann wird der Kerl einen Fehler machen, und dann kriegen wir ihn“, tröstete ihn Fiala, während er mit einer Pipette ein paar Stofffasern in einem Röhrchen befeuchtete.

„Ja, aber die Frage ist wann! Die Presse wird sich auf unsere Schöne stürzen, und uns Unfähigkeit vorwerfen, weil wir nicht in der Lage sind, den Scheißkerl zu schnappen und dem Morden ein Ende zu bereiten!“

„Ich kann dir vielleicht sagen, was schiefgelaufen ist.“

Hellhörig blickte Moretti zu ihm auf. „Was denn?“

„Er hat gleichentags wieder gemordet, als ihr das mit dem Haar in der Presse gebracht habt!“

„Verdammt!“, entfuhr es Moretti wider Willen. Er hieb mit der Faust ein Loch in die Luft und nickte. „Wir haben ihn wütend gemacht, und er wollte uns beweisen, dass er uns jederzeit voraus ist! Er ist ein Narzist!“, hielt er mit Erstaunen seine eigene Erkenntnis fest.

Fiala nickte. „Das vermute ich. Das würde erklären, warum er nicht zu Empathie fähig ist.“

„Er hat wenig oder gar kein Selbstwertgefühl und ist auf ständige Bestätigung von außen angewiesen!“, spann Moretti den Faden weiter.

Die pathologische Form der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung war gekennzeichnet durch ein grandioses Gefühl eigener Wichtigkeit, Fantasien über grenzenlosen Erfolg und Macht, Glaube an eigene Besonderheit, Verlangen nach übermäßiger Bewunderung, übertriebene Ansprüche, ausbeuterische Beziehungen, Empathiemangel, Neid und Arroganz. 

„Er ist rechthaberisch...“

„...versucht seine Macht auszunutzen und alles und jeden zu kontrollieren...“

„Er ist unbefriedigt mit dem, was er hat oder tut...“

„Vermutlich ein griesgrämiger Eigenbrötler! Ein Profil, das einem eigentlich auffallen müsste!“, knurrte Moretti.

„Und er liebt Tabascosoße!“

Moretti warf dem Laborchef einen verwunderten Blick zu. „Was? Wirklich?“

Wolfgang Fiala zuckte entschuldigend mit den Achseln. „Hab’ ich aus seinem Haar herausgelesen.“

„Mann!“

„Die Erde stammt vom Weinberg.“

„Hm?“, machte Moretti irritiert.

„Marti sagte dir doch, von Hesse wurde getreten. Der Schurke hatte Erdkrümel an seinen Schuhen, die an den Fasern haften geblieben sind. Grobe Profile.“

„Wir haben keine Erdkrümel im Münster gefunden!“, widersprach er.

„Vielleicht hat er nach der Tat die Schuhe gewechselt.“

„Mistkerl! Der Schuft denkt wohl wirklich an alles!“ Bei dem Gedanken daran, was das bedeutete, rieselte ihm ein kalter Schauder über den Rücken.

„Hast du daran gedacht, das Bild der Toten in der Zeitung zu veröffentlichen?“, erkundigte sich Fiala nachdenklich.

Moretti nickte. „Scherrer hat ein Foto von ihr gemacht.“

„Dann sei vorsichtig mit dem, was an die Presse rausgegeben wird! Versuch’ ihn nicht wieder wütend zu machen!“

„Oder wir provozieren ihn. Wenn es noch einen Toten gibt, wird er diesmal vielleicht einen Fehler machen.“

„Dafür hast du keine Garantie! Tu es nur, wenn du es dir danach nicht vorwirfst!“, warnte er.

Moretti nickte seufzend. Das war der Haken an der Sache. „Danke für deinen Rat. Ich werde dran denken, wenn ich ihn beherzige. Lass mich wissen, wenn du noch was rausfindest.“

„Ja, klar.“

„Tschau, mach’s gut. Ich muss sehen, ob ich die Mitteilung noch stoppen kann! Danke dir, Wolfi. Was würde ich nur ohne dich machen!“ Die Antwort des Laborchefs hörte er danach schon nicht mehr; in Windeseile, als wäre die Kripo hinter ihm her, stürzte er aus der Türe zum Lift.

„Franz, ist unser Statement an die Presse schon raus?“, erkundigte er sich außer Atem, als er nach einem schnellen Lauf heftig schnaufend oben im Büro bei seiner Mannschaft ankam.

Die Männer blickten ihn konsterniert an. Scherrer schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Warum?“

„Wir müssen unser Profil eingrenzen! Er ist Narzist! Als wir das letzte Mal schrieben, wir seien ihm auf den Fersen, hat er vielleicht getötet, um uns das Gegenteil zu beweisen!“, erklärte er.

„Oh mein Gott!“ Jordi keuchte schockiert. „Dann waren wir also schuld an ihrem Tod?“

Moretti zuckte mit einem vagen Anheben nickend die Schultern. „Wir müssen leider davon ausgehen, dass unsere Aussage dies ausgelöst haben könnte.“

„Oh, Mann, Scheiße!“

„Dann dürfen wir ihn nicht wieder provozieren!“

„Wie sollen wir dann seine Aufmerksamkeit erreichen?“

„Indem wir auf keinen Fall herabwürdigen, was er getan hat, das würde ihn sonst wieder zum Ausrasten bringen!“

„Wir schreiben über den Fall, fragen, ob jemand die tote Frau kennt...“

„Oder wir tun es, um ihn aus der Reserve zu locken!“, unterbrach Moretti mit versteinerter Miene knallhart. „Vielleicht macht er beim nächsten Mal ja einen Fehler.“

Mit offenen Mündern warfen ihm die Männer lange, perplexe Blicke zu. „Das können wir nicht tun!“, keuchte Jordi entsetzt.

Und Seematter mahnte kopfschüttelnd: „Noch ein weiteres Todesopfer wäre nicht gut! Das ließe uns in der Presse schlecht aussehen!“

„Wenn er von sich aus weiter tötet auch! Manchmal muss man unkonventionelle Wege gehen, um ans Ziel zu kommen, Tinu!“, schlug sich Scherrer auf Morettis Seite.

Sutter nickte nachdenklich. „Ich denke auch. Wenn wir warten, hat er Zeit, alles bis ins letzte Detail zu planen. Wenn wir ihn provozieren, wird er vielleicht wahllos und unkontrolliert zuschlagen...“

„Also gut. Wenn wir schon dabei sind, ihr Foto zu veröffentlichen, dann stellen wir gleich mal eine Behauptung auf, die ihm nicht schmecken dürfte! Und wenn unser Täterprofil stimmt, wird er versuchen, die Sache richtig zu stellen...!“

„Und jemand Neues töten!“, warf Seematter warnend ein.

Moretti nickte abwesend. „Ja, gut, ich weiß!“ Angesichts der Zwiespältigkeit in seinem Innern war das Verfassen dieses Statements für ihn ein Dilemma, entsprechend klang seine Antwort wie ein entrüstetes Fauchen. Etwas versöhnlicher sagte er an Scherrer gewandt: „Franz, lass mich mal sehen, was du geschrieben hast!“

Er nahm ihm den Wisch aus den Fingern und warf einen schnellen Blick auf das Porträt der schlafenden Toten. Zum Glück hatte der Schlächter ihr Gesicht nicht entstellt, so dass Marti sie nicht wieder hatte zusammenflicken müssen wie Hesse und ein Erkennen besser möglich war. Mit dem korrigierten Make-up sah sie für eine Tote sogar relativ gut aus.

Abwartend blickte Scherrer ihn an und war erleichtert, als Moretti nach einigen Korrekturen und Abänderungen schließlich nickte. „Ist gut, kann so rausgehen. Wann wird’s zum ersten Mal gebracht?“

„Im Radio um vier, und dann in allen Abendnachrichten.“

„Okay. Sind die Leute von der Presse noch hier?“

Scherrer nickte missmutig. „Sie lungern draußen vor dem Eingang herum und warten auf ein Lebenszeichen von uns.“

Moretti grinste schmal. Diesmal kam es ihm einmal gelegen, dass sie sich wie Kletten an ihn hängten. „Ich bin dann mal vorne, wenn ihr mich braucht. Drückt mir die Daumen, Jungs!“, murmelte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte er sich brüsk um und verließ auf dem Absatz drehend rasch das Büro.