![]() | ![]() |
Doch auch dieser Arbeitsschritt war ernüchternd.
Die Beamten starrten wortlos vor Enttäuschung auf das Bild am Bildschirm, das ein kantiges Gesicht mit Kinnkerbe und gerader Nase zeigte. Die stechenden Augen lagen im Dunkel einer Hutkrempe, und dieser sah aus wie eine etwas zerquetschte Melone. Fast wie auf Kommando sahen sie sich gegenseitig betreten an.
Wyss blickte zu ihnen hoch, als keiner einen Kommentar zu seinem Bild abgab.
„Das ist alles?“
Er nickte. „So sah er aus.“
Scherrer schüttelte den Kopf. „Das ist etwas und gar nichts. Tut mir leid, aber das hilft uns leider nicht wirklich weiter.“
Wyss nickte seufzend, er war sich dessen voll bewusst. „Ja, mir auch.“
Tröstend tätschelte ihm Moretti auf die Schulter. Es kostete ihn zwar Überwindung, es zu sagen, aber er sprang über seinen Frustrationsschatten und sagte trotzdem: „Schon gut, Sie haben getan, was Sie konnten.“
Trotzdem fühlte sich der junge Mann dazu gedrängt, sich zu rechtfertigen: „Ich weiß, es war nicht gut genug. Aber das ist alles, was ich von ihm erkennen konnte.“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Es ist nicht Ihr Fehler.“
Frustriert und verärgert zuckte Wyss die Schultern. „Ja, schon! Aber ich hoffe, Sie schnappen ihn trotzdem! Dieser Mörder versetzt die ganze Stadt in Angst!“
Nicht nur die Stadt, dachte Moretti bedrückt.
Wyss erhob sich von seinem Sessel und strich sich die Hose glatt.
Sutter nickte mit grimmiger Miene. „Worauf Sie Gift nehmen können!“, knurrte er, und es klang wie ein Versprechen, das er sich selbst gab.
„Wir tun unser Bestes. Haben Sie trotzdem vielen Dank.“
Wyss nickte ihnen verabschiedend zu, während sie sich die Hände reichten, danach ließ er die Beamten bedrückt mit ihren Problemen zurück.
Er war kaum durch den Ausgang verschwunden, als Custer fröhlich „Die Brücke am Qwai“ pfeifend aus der Versenkung zurückkehrte. Er hielt noch immer seinen Stapel Heftordner in den Armen, als wäre er nie weggewesen.
„Wo waren Sie denn?“, fragte Sutter unwirsch, den im Moment alles und jedes ärgerte, weil bei der Übung mit dem Zeugen nicht mehr herausgekommen und ihre Hoffnung wie ein Kartenhaus eingestürzt war.
Custer stellte die Ordner auf den Tresen von Arno Gonzalos Büro und grinste vergnügt, als er feixte: „Habt ihr mich etwa schon vermisst?“
Sie warfen ihm lediglich genervte Blicke zu, die er links liegen ließ und salopp umschiffte: „War mal für kleine Jungs. Was habe ich verpasst?“
Wortlos deutete Moretti auf das halbe Phantombild, das ein kantiges Gesicht mit tiefer Kinnkerbe und Melone zeigte.
Er warf nur kurz einen Blick darauf, ehe er die Achseln zuckte. „Scheint nicht sehr aufschlussreich“, konstatierte er kopfschüttelnd.
Die Männer warfen ihm einen missmutigen Blick zu. Der spanisch-stämmige Computerfreak verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. „Dass weiß ich selbst!“, knurrte er beleidigt.
„Entschuldigung.“ Custer zuckte zwar mit den Achseln, aber es schien ihm nicht wirklich leid zu tun.
Moretti stieß einen tiefen Seufzer aus. „Das einzige, was wir wissen ist, dass er groß und schlank ist!“
„Und sehr zielstrebig!“, mischte sich Scherrer in die Diskussion ein.
Custer blickte ihn mit erhobener Hand gestikulierend an. „Langsam kriegen wir doch ein Bild von dem Kerl!“
Sutter warf ihm einen genervten Blick zu. Er störte sich daran, dass das Greenhorn den Fall nicht so schwer nahm wie sie alle. Vorwurfsvoll beschwerte er sich: „Das ist nun schon das zweite Opfer! Und wir haben noch immer nicht mehr als ein Bild von ihm!“
„Also doch ein Serienmörder?“, fragte Custer hoffnungsvoll.
Moretti bedachte ihn mit einem wütenden Blick: „Das werden wir wohl schon bald erfahren!“
„Wenn der Kerl in dem Tempo weitermacht, wird Bern entvölkert sein, bis wir ihn finden!“
Moretti schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Hoffentlich nicht! Weshalb glauben Sie das, Custer? Was macht Sie so sicher?“
„Nichts, Sir. Ich versuche nur meinem Instinkt zu folgen. Ich sehe in den zwei identischen Fällen ein Muster.“
„Ein amerikanisches Muster?“, knurrte Sutter mürrisch, der den Grünschnabel noch immer nicht leiden konnte. Er war ihm zu eingebildet und zu vorlaut!
Dieser zuckte lakonisch die Achseln.
„Wir sind hier in Bern, schon vergessen?“
Moretti seufzte und bereitete dem Schlagabtausch ein jähes Ende: „Franz, du weißt, was du zu tun hast! Custer, Sie kommen mit mir! Wir sehen uns nochmal die Videobänder der Basilika an. Mal sehen, ob wir darauf diesmal was finden! Einen großen Kerl mit Hut sollten wir ja weiß Gott nicht übersehen, oder?“