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Mit zutiefst beunruhigter Miene und gerunzelter Stirn sah Hesse Scherrer an, als dieser den Hörer auflegte. Eine böse Vorahnung hatte ihn erfasst, er schluckte hart, bevor er beklommen fragte: „Was ist los? Warum suchen Sie auch Ihren Chef?“

Scherrer fühlte sich genauso unwohl, und er bedauerte den Mann. Der Familie blieb wohl nichts erspart! „Ich glaube, Sie sollten sich besser setzen. Und sich auf eine längere Wartezeit einstellen.“

„Warum?“

„Es kann sein, dass die Sache böse ausgeht!“

Frank August verstand sofort. Sein Gesicht wechselte die Farbe, er wurde bleich wie ein Laken. „Oh mein Gott!“, stammelte er. „Sagen Sie nicht, dass es so ist! Nicht auch noch Christina!“

Entschuldigend hob Scherrer die Hände und zuckte ungemütlich mit den Schultern. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht! Aber versprechen kann ich nichts“, erklärte er mit ehrlichem Bedauern.

Hesse nickte würgend. „Wer ist der Kerl?“, krächzte er, „Wer ist der Schlächter?“

Scherrer stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Obwohl er eigentlich keine Auskunft erteilen durfte und vor dem Beweis die Unschuldsvermutung für den Angeklagten galt, ließ er diese Vorschrift für einmal außer Acht. Der Mann hatte ein Recht darauf, es zu wissen, zumal es sich um ein so schreckliches Verbrechen handelte und sich bereits ein weiteres Familienmitglied in den Fängen der Bestie befand! Sein Rückgrat straffte sich, seine Augen suchten seinen Blick, ehe er ihm wahrheitsgetreu antwortete: „Sie kennen ihn! Es ist Custer!“

Frank August nickte auf die Eröffnung erstaunlich ruhig. Die Anspannung fiel für einen Moment sichtlich von ihm ab, als er zuerst verhalten, dann aber immer wütender und lauter werdend ausstieß: „Er hatte Mutters Augen! Er kam mir gleich irgendwie so vertraut vor! Dieses Dreckschwein! Finden Sie ihn, diesen miesen Sausack!“

Scherrer nickte zur Beruhigung. „Wir sind ihm dicht auf den Fersen.“ Er war sich bei seiner Behauptung sicher, dass sie ihn fassen würden – sofern sie ihn rechtzeitig fanden!

„Sie hätten es mir sagen müssen!“, wiederholte Hesse mit düsterem Blick und fügte mit Betonung wütend hinzu: „Bevor so etwas geschehen konnte!“

Scherrer nickte ungemütlich. „Das stand für heute auf dem Programm. Ich wollte Sie nach Morettis Ankunft informieren, dass wir kommen. Aber dann wurde er um eine halbe Stunde verhindert!“

„Finden Sie meine Schwester!“, knirschte Hesse zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Finden Sie das Dreckschwein! Tot oder lebendig! Ich will den Mistkerl haben! Wenn nötig, werde ich ein Kopfgeld auf ihn aussetzen!“

Scherrer seufzte tief zur Bestätigung. Eigentlich hätte er ihm die Sache mit dem Kopfgeld ausreden müssen, aber er konnte ihm nachempfinden. „Wir haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Wir kennen Morettis Standort. Wir werden ihn finden!“, versprach er.

Das beruhigte Hesse hingegen reichlich wenig. „Wenn es bis dahin nicht schon zu spät ist!“, knirschte er.

„Das wollen wir nicht hoffen!“ Abwehrend schüttelte Scherrer den Kopf, um die bildliche Vorstellung zu verjagen, dennoch war er gleichermaßen betrübt und voller Angst darüber, dass dieser Fall eintreten könnte, wenngleich er es nicht zugegeben hätte. Er hoffte inbrünstig, dass er mit seinem Versprechen eben nicht gerade zu voreilig gewesen war und insofern gelogen hatte. Custer war verdammt durchtrieben, es war ihm alles zuzutrauen! Vermutlich würde er sogar auf eine Situation wie diese vorbereitet sein! Was würde er Moretti antun, falls der ihn fand? Mit zwei Geiseln konnte er nicht so gut fliehen! Er würde eine von ihnen schnell umbringen müssen! Oder beide! Wenn nicht, blieb ihnen vielleicht noch etwas Zeit! Scherrer hoffte inbrünstig auf die zweite Variante.