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Sutter hätte es gefuxt, wenn er gewusst hätte, dass er Custer um wenige Augenblicke verpasst hatte, der auf der Rückseite der Ausgrabungsstätte zwischen den Absperrgittern hindurch geschlüpft und in seinem Stollen verschwunden war. Auf diese Weise verpasste er das anrückende Polizeiaufgebot. Möglicherweise hätte er sonst die Flucht ergriffen und Fersengeld gegeben. So aber fühlte er sich völlig sicher. Es gab nichts mehr, das darauf hindeutete, dass der Polizeikommissar überhaupt hier gewesen war!
Die Blaulichter rotierten zwar noch, aber die Sirenen heulten nicht mehr. Sie reflektierten sich am Plastik der Absperrgitter und den Fassaden vom Münster sowie der umliegenden Häuser, aber sie vermochten nicht auf den Platz zu dringen, um ihn zu warnen. Custer hatte zwar wohl Polizeisirenen auf der Kirchenfeldbrücke und davor irgendwo gehört, doch er hatte sie nicht mit sich selbst in Verbindung gebracht. In seiner Überheblichkeit fühlte er sich völlig sicher.
Auf seinem Weg zurück zu Moretti kam er zuerst an Christina vorbei, die demoralisiert und wütend mitbekommen hatte, wie Moretti ihrem gefährlichen Bruder tatsächlich in die Falle gelaufen und von diesem gefesselt und geknebelt hereingeschleppt worden war. Als sie seine Schritte hörte, hob sie den Kopf. Sie wollte ihm keine Gelegenheit geben, ihre Angst zu sehen und ihm so lange wie möglich Stärke zeigen. Er sollte nicht glauben, dass eine von Hesse schwach war! „Was wirst du tun, wenn du Moretti umgebracht hast? Und danach, wenn du in Sicherheit bist? Bringst du mich dann auch um?“
Er blieb stehen und warf ihr einen traurigen Blick zu. „Ich wollte dir nie etwas tun, Christina! Du bist meine Familie!“
„Du weißt, ich hätte immer Angst vor dir!“
Er nickte ausdruckslos, es tat ihm nicht wirklich so leid, wie er vorgab: „Mein Fehler. Ich hätte dir nicht Angst einjagen dürfen!“
Ihre Augen funkelten ihn vorwurfsvoll an. „Dafür ist es nun zu spät! Du hättest einfach herkommen und bei uns anklopfen sollen! Frank und ich hätten dich mit offenen Armen empfangen!“, fauchte sie ihn mit aller ihr möglichen Empörung an.
„Frank und du! Wer wart ihr denn schon?“, zischte er abwertend zurück. „Ich habe euch doch erst zu den Herren von Maierhofen gemacht, die ihr jetzt seid!“
Christinas Kinn schnellte energisch auf ihn zu, als sie schrill kritisierte: „Das wollten wir nie sein!“
Custer schoss das Blut vor Wut ins Gesicht. „Du lügst!“, schrie er sie an, und er war sicher, dass er Recht hatte.
„Aber nicht so! Nicht auf diese Art!“, protestierte sie.
Er hasste es, dass sie auf diese Weise mit ihm sprach und ihn der Unterlassung bezichtigte, dabei wusste er genau, dass sie und Frank neben ihrem allmächtigen Vater nichts hätten ausrichten können! Oder doch? Sutter hatte gesagt, dass er allen ungewollten Kindern eine stattliche Abfindung gezahlt und ihnen die besten Ausbildungen ermöglicht hatte! Vielleicht hätte er seinen Zorn im Zaum halten und besser doch diese Variante wählen sollen! Dass sie auch noch recht hatte, erzürnte ihn erst recht.
Angelegentlich warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Er musste sich beschäftigen, um nicht wieder auszurasten! Er wollte sich nicht an Christina vergreifen! Noch nicht! „Ich muss jetzt los!“, brach er knurrend das Gespräch abrupt ab. „Dein Retter erwartet mich!“, spottete er.
Christinas Kopf sank mutlos auf die Brust hinunter, als er sie verließ. Jetzt, wo Moretti in seiner Hand war, hatte sie nur noch wenig Hoffnung.