SALALAH UND DAS LEERE VIERTEL, OMAN, MÄRZ 1909
Maude sah Nathaniel zwischen Fayes Tod und ihrer Abreise nach Arabien nur ein Mal. An Weihnachten, in Marsh House. Er hatte dieselben geröteten Augen und war ebenso rastlos, wie er als Junge gewesen war, wenn er von einem Besuch bei seiner Mutter in Nizza zurückgekehrt war. Faye war einem Tumor erlegen, der sie, wie man hörte, zunächst auf grausame Weise ihrer alabasternen Schönheit beraubt und ihr sodann das Leben genommen hatte. Maude war ihr nur ein einziges Mal begegnet. Und zu sehen, wie Nathan sie liebte, war so überaus schmerzhaft gewesen, dass Maude anschließend erkrankt war – nicht körperlich, doch sie war so niedergeschlagen gewesen, dass sie weder ausgehen noch jemanden treffen noch essen konnte. Da sie sich ihrer Schwäche schämte, verheimlichte sie ihren Zusammenbruch, vor allem vor ihrem Vater, und behauptete, dass sie mit den letzten Seiten ihres Manuskriptes ringe. Nathaniels dreijährige Ehe mit Faye war kinderlos geblieben und von beiderseitigen Krankheitsschüben getrübt gewesen. Sie hatten überwiegend in Tripoli gelebt, dann in Bagdad, und das strapaziöse Klima und der fehlende Komfort hatten ihren Tribut von Faye gefordert, die, wie es hieß, immer schwächer geworden war, obwohl sie sich nie beklagt hatte. Maude versuchte, das Mädchen nicht zu hassen, sie traf keine Schuld, doch es fiel ihr schwer. Ihr Tod löste in Maude eine derart schreiende Abwesenheit jeglichen Gefühls aus, dass sie Nathaniel eine Weile mied. Es war ihr unmöglich, Worte zu finden, und sie ertrug es nicht, seinen Schmerz zu sehen. Er bewirkte, dass sie sich unablässig und erbarmungslos stranguliert fühlte. Sie schickte eine offizielle Kondolenzkarte und hoffte, er wäre zu zerstreut, um zu bemerken, wie überaus unpassend das war.
An jenem Weihnachten in Marsh House, Weihnachten 1908, war Faye seit einem halben Jahr tot. Nathaniel wirkte älter, noch hagerer, als hätte ihm der Kummer die letzten Reste jungenhafter Sorglosigkeit genommen. Er stand nicht mehr mit offenem Jackett da, die Hände in die Hosentaschen geschoben, er lehnte sich nicht mehr geschmeidig an ein Kaminsims. Er stand aufrecht, leicht nach vorn gebeugt, als würde er sich für einen unvermuteten Angriff wappnen.
Maude fiel es noch immer schwer, sich mit der früheren Leichtigkeit mit ihm zu unterhalten. Sie liebte ihn noch wie eh und je, und sie litt noch immer darunter, dass all ihre Hoffnungen in dem Augenblick gestorben waren, als er ihr von Faye erzählt hatte. Fayes Tod war kein Grund, diese Hoffnungen wiederzubeleben. Es war klar, dass Nathaniel noch an ihrer Erinnerung hing, und selbst wenn nicht, wären seine Gefühle für Maude noch dieselben gewesen. Sie sprachen meist über Reisen, über ihre Pläne, das Rub al-Chali zu durchqueren – das Leere Viertel in der arabischen Wüste –, das noch nie von Süden nach Norden, auf dem längsten Weg, passiert worden war. Dass Maude, wenn es ihr gelang, die Erste sein würde, war für sie beinahe nebensächlich. Es verursachte ihr einen angenehm prickelnden Wonneschauer, aber sie hatte sich bereits einen Namen als Reisende gemacht, als Forscherin und Altphilologin. Ihre Bücher erhielten selbst von verschrobenen alten Wissenschaftlern wohlwollende Kritiken, wenn auch nicht ohne Neid. Einige hatten sogar aufgehört, ihr Lob durch den Zusatz für eine Frau zu relativieren. Doch was sie wirklich in das Leere Viertel zog, war seine Leere. Die ursprüngliche, unberührte Wüste, unerreicht in ihrer einzigartigen Erhabenheit. Auf ihren früheren Reisen hatte sie hier und da eine Kostprobe davon erhalten, und diese Kostproben hatten ihr Verlangen nur verstärkt, anstatt es zu stillen.
Nathaniel lauschte ihren Plänen, während sie gebratene Gans mit Johannisbeersoße aßen, im eintönigen grauen Nieselregen ausritten und mit dem Pfarrer bei Sherry und Shortbread beisammensaßen. Und während Nathan ihr zuhörte, kehrte allmählich die Begeisterung in seine Augen zurück. Also erzählte Maude mehr, denn zu sehen, wie er ihre Worte aufsog, erzeugte ein Glücksgefühl in ihrem Herzen.
»Vielleicht ist das die Antwort, Mo«, sagte er eines Abends spät, als nur sie beide vor dem Kamin saßen. »Ich weiß nicht, warum ich nicht früher darauf gekommen bin. Ich war einfach so erschöpft und … ich weiß nicht. Es fiel mir so schwer zu denken, seit Faye … gestorben ist. Überhaupt über irgendetwas nachzudenken. Aber die Wüste würde das alles ändern. Wie bei jenem ersten Mal in Ägypten, als ich so wütend auf die Welt und auf alle war. Dieser Frieden. Mir war es dort unmöglich, Wut zu empfinden. Es war unmöglich, sich an irgendetwas zu stören, es fiel einfach … alles von mir ab. Gott, das brauche ich jetzt, Maude! Genau das brauche ich.« Mit leidenschaftlichem Blick beugte er sich zu ihr vor.
»Komm mit mir!«, sagte Maude unbesonnen. »Nimm dir eine Auszeit von deinem Dienst … Die Kosten spielen keine Rolle. Bitte lass mich das für dich tun.« Doch kaum hatte sie es ausgesprochen, sah sie, wie das Feuer in seinen Augen ein wenig erlosch und die Erschöpfung ein kleines bisschen zurückkehrte. Und sie wusste, dass er allein fahren musste, dass er nicht ihr Begleiter sein konnte, ein Vickery-Anhängsel. Sie bemühte sich, den Stich zu ignorieren. Eine Weile saßen sie schweigend beieinander, während das Feuer schwelte und leise zusammenfiel. Als sie ihn ansah, war er ihr so vertraut wie sie selbst – und unendlich viel wertvoller. Vielleicht lag es daran, dass sie nach dem Rotwein beim Abendessen zu viel Brandy getrunken hatte, oder daran, dass es im Zimmer beinahe dunkel war, doch plötzlich musste Maude etwas aussprechen, das sie ihm schon vor Monaten hatte sagen wollen. »Wenn ich dir deine Last abnehmen könnte, würde ich es tun«, sagte sie, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. »Wenn ich dich von deinem Schmerz befreien könnte, würde ich es sofort tun, auch wenn das bedeuten würde, dass ich ihn für immer spüre.«
»Ich weiß«, sagte er nach einer Pause sanft. Aber sie sah sofort, dass die Worte ihn weiter von ihr entfernt hatten, anstatt ihn ihr näherzubringen. Er stand auf und legte ihr einen Augenblick die Hand auf die Schulter, dann ging er. »Das weiß ich, Maude.«
Im darauffolgenden Jahr schrieb sie ihm aus Salalah, der südlichsten Stadt im Reich von Sultan Faisal bin Turki, wo der Palast, in dem der Sultan die meiste Zeit lebte, seine großen Fenster zum Meer öffnete, um die Brise einzufangen. Maude saß in einem Klappstuhl an der sandigen Küste, über ihr ein milchig grauer Himmel, und schwitzte leicht in der feuchtheißen, salzigen Luft. Ihr Brief an Nathaniel war fragil, das dünne Papier hatte sich gewellt. Sie schrieb auf einem Holztablett, das auf ihren Knien ruhte, und das Tintenfass wankte gefährlich, wann immer sie sich in ihrem Sitz bewegte. Das Meer und der Himmel hatten dieselbe Farbe, dasselbe Blau, der Sand einen hellen Lehmton. Es wirkte harmonisch, beruhigend, seltsam leblos.
Heute am späten Nachmittag habe ich meine letzte Audienz bei Seiner Hoheit Faisal bin Turki, schrieb sie. Ich glaube, dass er mir die Erlaubnis zum Reisen geben wird, obwohl er diese vor mir noch keinem Ausländer gewährt hat. Er scheint irgendwie Gefallen an mir gefunden zu haben – oder vielleicht bin ich für ihn auch nur so etwas wie eine Neuheit. Im Allgemeinen werden die Frauen hier deutlich kürzer gehalten.
Sie dachte intensiv nach und schrieb dann nicht, was sie eigentlich schreiben wollte, da der Brief von den Männern des Sultans verschickt wurde, und Maude war sich ziemlich sicher, dass diese ihn zuerst lesen würden. Sie hatte schreiben wollen: Natürlich beabsichtige ich, ohnehin aufzubrechen, ob mit oder ohne Erlaubnis. Ohne wird es nur etwas komplizierter. Sobald sie in der Wüste war, konnte nicht einmal der Sultan ihr etwas anhaben oder sie beschützen. Dann wird alles von den Beduinenführern abhängen, von meiner Urteilskraft und von meinem Glück. Ich danke Gott, dass ich den lieben Haroun bei mir habe. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir nichts Schlimmes widerfahren kann, solange er an meiner Seite ist, jammernd wie eine jungfernhafte Tante.
Maude war in beiden Richtungen meilenweit die Einzige am Strand. Ein paar streunende Hunde suchten in der Gezeitengrenze nach Fischresten, und einige Möwen taten es ihnen gleich. Helle gelbe Krebse tippelten über den festen Sand in der Nähe des Wassers und bewegten sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in ihre Höhlen hinein und wieder heraus. Es würde noch Stunden dauern, bis die Fischer mit ihrem zweiten Tagesfang hereinkamen, und es waren Stunden vergangen, seit sie die erste Ladung an Land gebracht, die Boote gewendet hatten und erneut ausgelaufen waren. In Ufernähe waren ein paar von ihnen zu sehen – weiße Einer und noch kleinere, einfachere Boote, in denen sie selbst nur ungern in See gestochen wäre. An der Küste gen Norden lagen die Ruinen der Stadt Surmurham, im Süden jene von Balid – sie war die Erste gewesen, der zu beiden Zugang gewährt worden war, um sie zu erforschen und zu kartografieren. Die Karten und Zeichnungen waren alles, was sie brauchte, um ihr Buch über Städte an den ehemaligen Weihrauch-Handelsstrecken von Arabien fertigzustellen. Die Reise in die Wüste unternahm sie nur für sich selbst, egal, was sie dem Sultan erzählt hatte.
Sie und Haroun hatten Zimmer in einem Kaufmannshaus am Hafenrand genommen. Die Böden waren sandig und die Wände voller Risse. Salz und Sonne hatten alle Oberflächen mit den Jahren ausgebleicht. Haroun mochte Oman nicht. Er beklagte sich in erster Linie über die Feuchtigkeit – dann über die Bremsen, über das schal schmeckende Wasser, den verschlagenen Blick der Omanis und die primitiven unzivilisierten Mitglieder des Qara-Stammes, die aus den Bergen herunterkamen, um spärlich bekleidet über die Märkte zu streifen. Da kam Haroun über den Strand zu Maude geeilt.
»Werte Madam, das Mittagessen für Sie ist zubereitet«, sagte er, als er sie erreichte, und wischte sich mit einem weißen Taschentuch die Stirn. Zum ersten Mal bemerkte Maude graue Barthaare in seinem schwarzen Schnurrbart.
»Ist es dir gelungen, frische Äpfel zu bekommen? Oder Erdbeeren?«, fragte sie auf Arabisch.
»Ich bitte untertänigst um Verzeihung, nein. Ich glaube, sie werden hier nicht angebaut«, sagte er.
»Wie schade«, seufzte Maude. »Ich hatte solch einen Appetit auf etwas Frisches, bevor wir uns auf unsere Reiseverpflegung beschränken müssen.« Sie reichte ihm ihr Schreibtablett, während sie aufstand. Ihre Kniehosen und ihre Bluse klebten an ihrer Haut. Obwohl sie auf ihren Reisen wenig Zugeständnisse an ihre Weiblichkeit machte, ging sie nicht so weit, in der Öffentlichkeit an ihren Kleidern zu zerren. Diverse Sandmücken waren unter das Netz ihres Huts gelangt und schwirrten aufreizend um ihre Augen. Maude nahm den Hut ab und schlug ihn angewidert aus. »Allmählich schließe ich mich deiner Meinung über die Insekten hier an, Haroun«, sagte sie. Ihr Diener nickte.
»Sie sind zahlreicher als Sandkörner in der Wüste«, erwiderte er schwermütig.
Als Maude sich nach dem Mittagessen umzog, dachte sie an ihren Vater. Der Sultan zog es vor, sie in weiblicher Kleidung zu empfangen, darum wählte sie ein langes Teestundenkleid aus weichem beigem Batist, das sich locker um ihre Taille und ihre Hüften schmiegte, obwohl sie schon lange kein Korsett mehr trug. Das Kleid kam zerknittert aus dem Koffer, daran konnte sie nichts ändern, doch Salalahs Feuchtigkeit hatte wenigstens den Vorteil, dass sie die Falten dazu ermunterte, sich auszuhängen. Maude legte einen Schal um ihre Schultern, damit sie ausreichend züchtig wirkte. Es hat keinen Sinn, die Pferde scheu zu machen, hatte sie ihrem Vater geschrieben, als sie ihm ihre merkwürdige Garderobenwahl schilderte. Er hatte zurückgeschrieben: Wenn man in der Ferne reist, weit weg von den Annehmlichkeiten zu Hause, ist praktisches Denken weitaus wichtiger als Konventionen. Neuerdings erteilte er ihr Ratschläge, die er ihr schon als Kind mitgegeben hatte, und schien sich dabei keineswegs bewusst zu sein, dass er sich wiederholte. In Maude regte sich zum ersten Mal Sorge um ihn, doch noch hatte sie keine Zeit, dieser nachzugehen. Bald, wenn sie von ihrer Reise zurück war. Stattdessen schrieb sie ihren Brüdern und instruierte sie, ihren Vater häufig zu besuchen und sich um ihn zu kümmern. John und Francis hatten sich schon früh, in ihren mittleren Jahren, bequem eingerichtet. Sie schienen ihre Schwester überaus anstrengend zu finden, und da sie sehr darauf bedacht waren, Maudes Vorwürfe zu vermeiden, taten die beiden meistens, was sie ihnen auftrug.
Zur vereinbarten Zeit und zitternd vor Aufregung begab sich Maude auf den Weg in den Palast. Es war recht kühl. Magere Omani-Soldaten und riesige, muskulöse Negersklaven in passenden blauen Tuniken bildeten die Wachen. Ein Brunnen plätscherte melodisch im Hof, durch die Flure hallte leise arabisches Gemurmel, und das Gezwitscher der Singvögel drang vom Garten herein. Maude wünschte, Nathaniel wäre bei ihr. Sie konnte ihn sich leicht vorstellen, wie er im Meer schwamm, im Schatten schlief. Wie die Sonne sich in den feinen Härchen an seinen Schläfen fing. Diese Gedanken lenkten sie ab, darum verbannte sie sie. Sultan Faisal bin Turki war ein kleiner, gut gebauter Mann Mitte vierzig, mit harten braunen Augen unter geraden Brauen, einer vollen Unterlippe und einem kurz geschnittenen Bart. Er trug den königlichen Turban, der wie seine Fahne aus roter Seide mit goldenen Streifen gefertigt war. Anfangs hatte er sich ihr gegenüber distanziert gezeigt, fast kühl – sie wusste, dass er nur eingewilligt hatte, sie überhaupt zu empfangen, weil er neugierig auf ihre Erscheinung war, ihre Fremdartigkeit, ihre Weiblichkeit. Das Ansehen, das sie in anderen Teilen der Welt genoss, interessierte ihn nicht. Doch nach und nach, im Lauf ihrer diversen Unterredungen, hatte sie bemerkt, dass er allmählich auftaute. Jetzt schien er beinahe zu lächeln, doch nur beinahe. Maude machte einen Knicks, dann nahm sie auf dem einfachen Holzstuhl Platz, den man ihm gegenüber aufgestellt hatte, etwas näher, als ihr angenehm war. Natürlich musste sie zu ihm aufsehen, und sie achtete sorgsam darauf, weder die Beine übereinanderzuschlagen noch die Arme zu verschränken. Er roch intensiv nach Rosenwasser, Weihrauch und Kaffee. Eine Weile tauschten sie die üblichen Höflichkeiten aus, dann beobachtete Faisal sie eine Weile intensiv, ohne zu blinzeln.
»Ich hoffe, Sie genießen Ihre Zeit in Salalah?«, sagte er.
»Sehr sogar, Eure Hoheit. Obwohl ich finde, dass Ihr einigen Eurer Untertanen mehr Anstand beibringen solltet.« Maude lächelte und wartete einen Augenblick, bis sich auf Faisals Gesicht Empörung abzeichnete, erst dann fuhr sie fort: »Die Sandmücken, Eure Hoheit. Die sind äußerst ungebärdig.«
»Aber wir sind alle Gottes Kreaturen, Miss Vickery«, sagte er und lächelte ganz kurz. »Ich bin froh, dass Ihnen Salalah gefällt. Sie sind herzlich eingeladen, Ihren Aufenthalt nach Belieben zu verlängern.«
»Mein Dank, Eure Hoheit. Ihr seid äußerst großzügig.« Maude wusste nicht, ob er wollte, dass sie ihm seine Ungeduld zeigte und ihn nach der Reise fragte, oder ob das verheerend wäre.
Erneut folgte langes Schweigen, dann lächelte der Sultan noch einmal, diesmal ein bisschen länger. »Sie dürfen sich im Reich nach Belieben bewegen, Miss Vickery. Ich fürchte in diesen wilden Gegenden um Ihre Sicherheit, aber Sie sind gewiss keine normale Frau. Und ich spüre Ihre Liebe für mein Land – für diese Dinge habe ich ein hervorragendes Gespür.«
»Ich danke Ihnen ergebenst, Eure Hoheit«, sagte Maude, atemlos vor Siegesfreude. Sie bewahrte eine unterwürfige Miene und achtete auf ihren Ton.
»Ich frage mich«, sagte Faisal und beugte sich mit funkelnden Augen ein wenig vor. »Ich frage mich, wen Sie mit dieser Zurschaustellung von Demut täuschen wollen.«
»Ich weiß, dass ich Euch niemals täuschen könnte, Eure Hoheit.«
Maude bestand darauf, die Beduinen kennenzulernen, die sie führen würden. Sie gehörten zum Stamm der Bait Kathir – der weniger feindselig als andere war –, und sie blickte jedem der Männer in die Augen, um seinen Charakter einzuschätzen. Sie feilschte mit ihnen um ihre Entlohnung, die die Beduinen in unverschämter Höhe von ihr forderten, und weigerte sich, mehr als die Hälfte im Voraus zu begleichen. Sie stritt mit ihnen über die Anzahl der Kamele, die sie kaufen musste, und von wem, und am Ende nahm sie sie mit auf den staubigen Markt in den Hügeln hinter Salalah, damit sie ihr bei der Auswahl der Tiere halfen. Verhielten sie sich zunächst respektlos, ja zeigten sogar unverhohlenen Spott für die kleine, fremdartige Frau mit dem verrückten Plan, die Wüste zu durchqueren, bemerkte Maude bald, dass sie sie widerwillig akzeptierten – und je härter sie mit ihnen stritt, desto mehr wuchs sie in ihrem Ansehen. Und Maude stritt hart.
Sie war glücklich, dass sie insbesondere die Dienste eines Mannes erworben hatte. Khalid bin Fatimah war von kräftiger Statur und besaß überaus intelligente Augen. Er hätte jedes Alter zwischen dreißig und sechzig haben können, und er beobachtete viel und hörte aufmerksam zu. Er sprach mit verhaltenem Respekt mit ihr, der weder unterstellte, dass sie ihn verdiente, noch, dass sie ihn nicht verdiente, was Maude überaus vernünftig schien. Er erklärte, welche Kamele in der Wüste nützlich waren, welche für die Berge, welche lahmen würden, wenn sie die unendlichen Schotterebenen durchqueren mussten, die einen Großteil des Rub al-Chali ausmachten, welche in den Dünen straucheln und sich weigern würden, sie zu überqueren. Die Herde, die sie schließlich zusammenstellten, bestand nur aus Weibchen, und bis auf eins wirkten alle fügsam und kooperativ, obwohl Maude bereits aus Erfahrung wusste, dass sogar das freundlichste Kamel seine Aussetzer haben konnte. Sie hatte eins in der Nähe der antiken nabatäischen Stadt Petra erlebt, das seinen tyrannischen Besitzer mit einem gut platzierten tödlichen Tritt mit dem Vorderhuf ins Jenseits befördert hatte. Maude stellte sich ihrem neuen, schlecht gelaunten Kamel vor – es war das kleinste der Herde –, indem sie es mit Datteln fütterte. »Ich weiß, wie das ist, wenn man klein ist und böse auf die Welt«, erzählte sie dem Tier. »Wir nennen dich Krümel, so wie mich früher. Und wenn du mich je beißen solltest, ziehe ich dir das Fell über die Ohren und mache Sandalen und Wasserflaschen daraus.« Krümel stieß mit ihrer behaarten Nase gegen Maudes Schulter, sodass sie gezwungenermaßen einen Schritt zurückweichen musste. Das Kamel knurrte tief in seiner Kehle und spähte unter seinen langen Wimpern zu ihr hinunter. Maude hätte schwören können, dass seine Augen amüsiert blitzten.
Morgen brechen wir auf, schrieb Maude in einem weiteren Brief an Nathaniel, einem, der erst am Ende der Reise abgeschickt werden würde – sofern sie jemals ihr Reiseziel erreichen würde. Khalid und Haroun schienen sich gut zu verstehen, und die anderen Beduinen beugten sich Khalid, so wie sie sich jedem beugten. Zufrieden dachte Maude, dass sie ihre Gruppe nicht besser hätte zusammenstellen können, selbst wenn sie es versucht hätte. Es gab drei jüngere Beduinen, die für Maude zunächst alle ziemlich ähnlich aussahen, mit ihrem verfilzten, schwarzen Haar, den dünnen Bärten, den verblassten Tuniken und ihren nackten Füßen. Alle trugen ein Gewehr mit Munitionsgürtel sowie einen Khanjar und hatten Kafias um die Köpfe geknotet. Einer von ihnen besaß eine kaputte Schweizer Armbanduhr, auf die er übermäßig stolz war. Maude mochte nicht darüber nachdenken, wie um alles in der Welt sie in seinen Besitz gelangt war. Sie lernte sogleich ihre Namen – Fatih, Ubaid und Kamal –, war sich anfangs jedoch nicht immer ganz sicher, ob sie den Einzelnen mit dem richtigen Namen ansprach. Es war auch ein älterer Mann dabei, der behauptete, die Wüste auf jede erdenkliche Weise durchquert zu haben. Sein Haar und sein Bart waren weiß, und er blickte aus Unmengen von Hautfalten auf die Welt. Sein Name war Sayyid, und die jüngeren Männer verspotteten ihn fröhlich, was Maude überraschte. Anscheinend zollte man Älteren nicht automatisch Respekt. Ziel des meisten Spotts war jedoch ein magerer Kerl mit Namen Majid, den Haroun in Salalah als Diener für diverse Arbeiten angeheuert hatte. Er sprach wenig, besaß die furchtsamen Augen eines Rehs und schien nicht älter als dreizehn zu sein.
Anfangs ritten sie stetig von der Küste aus nach Nordosten, über weite Schotterfelder mit vereinzelten kugelrunden Geoden, eigentümlichen Felsformationen und versteinerten Pflanzen. Die Kamele grasten unterwegs an kurzen dornigen Bäumen. Die Luft flirrte. Hin und wieder schreckten sie eine Gazelle auf, und die Beduinen schossen abwechselnd auf sie, lachten und warfen sich beiläufig Beleidigungen an den Kopf, wenn die Gazelle unversehrt entkam. Sie führten Vorräte an Mehl, Salz, Wasser, Datteln, Kaffee, Zucker, scharfen Zwiebeln und getrocknetem Ziegenfleisch mit sich. Als sie am vierten Tag eine Gazelle erlegten, stellte das frische Fleisch eine willkommene Abwechslung dar. In einer verschließbaren Dose verwahrte Haroun einen Vorrat an süßen Keksen, schwarzem Tee, glacierter Kokosnuss und türkischem Honig, die für Maudes exklusiven Gebrauch bestimmt waren. Er trug den Schlüssel zu der Kiste stets bei sich und wachte über ihn wie eine Burggräfin.
»Die Stammesangehörigen sind wie die Kinder hinter Süßigkeiten her, Madam«, erklärte er ihr voller Ernst. »Und sie werden sie stehlen wie die Kinder.«
»Haroun, unser Leben hängt von diesen Männern ab«, erinnerte Maude ihn amüsiert. »Wäre es schlimm, ein wenig mit ihnen zu teilen?« Murrend, wie schnell die Vorräte zur Neige gehen würden, reichte Haroun die Kiste mit dem türkischen Honig herum, und die Männer nahmen, so viel sie konnten, ehe er sie ihnen wieder entriss. Grinsend kauten sie, und der Puderzucker rieselte in ihre Bärte. Der junge Majid, der so etwas noch nie zuvor gegessen hatte, schloss in fassungsloser Seligkeit die Augen. Von da an reichte Maude ihm jeden Abend ein Stück, wenn niemand anders es sah.
Die Beduinen amüsierten sich über Maudes Zelt, ihr Feldbett, ihren Tisch, den Waschständer und den Stuhl. Sie gaben sich keine Mühe, ihre spöttischen Bemerkungen heimlich auszutauschen oder ihr Gelächter zu verbergen, wenn Haroun und Majid sich abends beeilten, Maudes Unterkunft herzurichten. Auch Haroun hatte ein Zelt, ein kleineres, und dann gab es noch ein kleines senkrechtes, das wie ein Kasperletheater aussah und Maude als Abort diente. Maude saß auf ihrem Stuhl am Feuer, trank Tee und tauschte Geschichten mit den Beduinen aus. Sie aßen alle gemeinsam. Die Männer buken abwechselnd Fladenbrot auf einem Blech über dem Feuer, in das sie Stücke getrockneten Ziegenfleischs und unweigerlich eine ordentliche Portion Sand einrollten. Dann folgten Datteln und Kaffee, der den ranzigen Geschmack des Wassers nicht überdecken konnte, das sie unter der heißen Sonne in Ziegenhäuten transportierten – dadurch war es jedoch ein kleines bisschen genießbarer. Die Beduinen tranken und aßen wenig. Sie wirkten auf Maude ebenso autark wie ihre Kamele und in der Lage, mit weit weniger zu überleben, als es möglich schien. Nach einer Woche erfuhr Maude, dass einer der jüngeren Männer, Fatih, der geschwätzigste unter ihnen, Khalids ältester Sohn war. Der Junge redete und sang ununterbrochen und buhlte mit unglaublichen Geschichten um die Aufmerksamkeit und die Anerkennung seines Vaters. Am Tag sangen die Männer Teile aus dem Koran oder Gebete oder ausufernde Volkslieder zu irgendeiner Melodie, die ihnen gerade in den Sinn kam. Wenn das Ende des Liedes erreicht war, begannen sie wieder von vorn. Nach diversen Stunden, in denen Maude still die Gesänge verfolgt hatte, stimmte sie eines Tages laut eine stürmische Interpretation von Jerusalem aus Gold an. Die Männer hörten amüsiert zu und brachen dann in fröhliches Gelächter aus.
Ihre Route richtete sich danach, wo die Kamele grasen konnten und wo es Wasserlöcher gab, und Maude versuchte, nicht an der Ineffizienz dieser Routen zu verzweifeln. Doch zehn Tage nach Beginn ihrer Reise war sie vollkommen bestürzt, wie wenig Strecke sie zurückgelegt hatten. Sie bestimmte ihre Position häufig mit ihrem Kompass und erstellte eine möglichst genaue Karte ihrer Route. Sie machte Fotografien, zeichnete die zerklüfteten Felsrücken, die sie passierten, die Flora und die Fauna, die sie sahen, deren Vorkommen allerdings recht überschaubar war. Große, hellgrüne Skorpione, schwarze Käfer, Krähen, Löffelfüchse und gelegentlich eine grimmig aussehende Eidechse mit einem Schwanz, dick wie eine Keule, die in ihre Höhle spurtete. An dem Tag, als Khalid eine Oryxantilope schoss, bat sie um eine halbe Stunde, in der sie die wunderschönen schwarzen Hörner und das weiße Fell zeichnete, makellos, bis auf die Blutspritzer um die Löcher an ihren Rippen, wo man sie getroffen hatte. Bald lag sie in Fleischfetzen über einem Weidengestell, um in der Sonne zu trocknen, bekam eine Sandkruste und zog Fliegen an. Das Fell und die Hörner verschwanden im Gepäck der Männer. Die Beduinen führten ein hartes Leben und hatten keine Zeit, die Schönheit der Natur zu entdecken. Voller Neugier betrachtete Khalid ihre Zeichnungen.
»Wir werden nicht viele von denen sehen«, sagte er schließlich. »Diese Wesen sind menschenscheu und können schnell laufen.«
»Gut so, sonst würden vielleicht keine mehr übrig bleiben«, sagte Maude.
»Es ist Gottes Wille«, stimme Khalid zu. »Jeder von uns hat Mittel zu leben und Mittel zu sterben.«
»Und dank Ihres scharfen Schusses haben wir ein Mittel, um zu Abend zu essen«, sagte sie, und der starke Mann lächelte.
Maude hatte bald genug von Datteln, die einen Gutteil ihrer Ernährung bildeten. Sie verursachten ihr Magenkrämpfe, und selbst an Tagen, an denen es nur wenig anderes zu essen gab, blieb sie stattdessen lieber hungrig. Am Ende des Tages schmerzte ihr Rücken von der unablässigen Schaukelbewegung des Kamels, und ihr Gesäß war taub und wund. Sie versuchte, hinter dem Höcker kniend zu reiten, wie es die Beduinen taten, stellte jedoch schnell fest, dass man diese Haltung von Kindesbeinen an gelernt haben musste, um sie einigermaßen erträglich zu finden. Eine Weile versuchte sie, neben ihrem Kamel herzugehen, doch die Erleichterung endete schnell, als sie merkte, wie schwach ihre Beine waren und wie kraftlos sie die Ernährung gemacht hatte. Durch die trockene Hitze sprangen ihre Lippen auf, und sie war durstig vom Erwachen bis zum Schlafen. Die Beduinen schienen ebenso wenig Schlaf zu brauchen wie Essen oder Wasser, und sie sprachen bis spät in die Nacht und hielten sie wach. Als eines Abends ein Streit über irgendwelche Spuren, an denen sie an jenem Tag vorbeigekommen waren, bereits in die zweite Stunde ging, musste sie sich auf die Zunge beißen, um nicht hinauszustürmen und um Ruhe zu bitten: Ob die Kamele alt oder jung gewesen waren, fett oder ausgehungert, schwer beladen oder leicht bepackt, um Geplündertes tragen zu können. Sie stellte fest, dass sie es nur ertragen konnte, indem sie stumm, in Gedanken, einen Brief an Nathaniel verfasste. In mancherlei Hinsicht sind sie wie kleine Jungen, die sich um Kastanien balgen. Doch dann wieder streiten sie darüber, wie viele Männer sie getötet haben.
Ihre Augen tränten unablässig, weil sie nur auf den leeren blendenden Himmel blickte, der sich in den niedrigen Sandhügeln spiegelte, die sie überquerten. Nachdem sie zwei Tage ständig getupft und dabei jedes Mal Sand hineinbekommen hatte, war Maude davon überzeugt, dass Khalid ihr die Lider mit einem Kholstift schminken musste. Die Beduinen trugen alle eine kleine Metalltube von dem Zeug mit sich, mit einem Stift im Deckel. Khalid zog den Stift fest am unteren Rand ihrer Augen entlang, und sie blinzelte heftig ob des brennenden und seltsam heißen, sandigen Gefühls. Doch nachdem es nachgelassen und sie sich daran gewöhnt hatte, stellte sie fest, dass es das Blenden milderte und sie sich deutlich wohler fühlte. An jenem Nachmittag sahen sie eine andere Gruppe Beduinen auf einer Anhöhe vor sich. Khalid starrte hinauf, während die anderen sich um ihn scharten. Er stieg ab, ging in die Hocke und warf zum Zeichen ihrer friedlichen Absicht eine Handvoll Sand in die Luft. Als die Geste nicht erwidert wurde, folgte dunkles Murren. Die fremden Männer starrten sie unverwandt an, und Maude fröstelte. Ihre Beduinen nahmen die Gewehre in die Hände und starrten ebenso unverwandt zurück.
»Ein Überfallkommando?«, fragte sie Sayyid neben sich. Der alte Mann nickte.
»Die gehören nicht zu Bait Kathir. Zu Rashid, vielleicht. Sie sind uns zahlenmäßig unterlegen und werden weiterreiten, aber wir müssen in der Dunkelheit auf sie achten.«
Es folgte eine unruhige, schlaflose Nacht, und als die Kamele knurrten, waren die Beduinen sofort auf den Beinen und griffen nach ihren Waffen. Andere Reisende, denen sie begegneten, waren freundlicher und hielten an, um sich ausgiebig mit ihnen zu unterhalten. Eines Tages verloren sie einen ganzen Nachmittag, weil sie gezwungen waren, Schutz vor einem Sturm zu suchen. Zunächst schien er nicht sehr stark zu sein. Maude versuchte erfolglos, die Männer zum Weiterreiten zu drängen, doch die Kamele legten sich hin, ihre Führer kauerten sich an ihre windabgewandte Seite und schlangen die Kafias um ihre Gesichter. Haroun und Majid kämpften, um die Zelte in dem wachsenden Sturm aufzubauen, und Maude stand mit dem Rücken zum Wind, fasziniert, wie der Sand sich in Streifen und Schwaden und seltsamen fingerähnlichen Ranken bewegte – genau wie Rauch. Er brannte überall, wo die Kleidung ihre Haut nicht bedeckte, und setzte sich dort fest. Man konnte unmöglich sprechen und nur schwer sehen. Maude wünschte, sie könnte ihn greifen, da er dem Wind eine körperliche Gestalt zu verleihen schien. Als sie gezwungen war, in ihr Zelt zu gehen, war sie von Kopf bis Fuß damit bedeckt, und ihre Ohren rauschten.
Am Morgen herrschte eine spürbare Stille, und der Himmel war makellos blau. Fröhlich verfluchten die Beduinen die Massen von Sandkörnern, während sie sie aus allem, was sie besaßen, herausschüttelten, sie von den Kamelen klopften und sie beim Frühstück zwischen ihren Zähnen mahlten. Im nächsten Atemzug erkannten sie stoisch an, dass der Wind Gottes Wille gewesen sei. Im kühlen Morgengrauen ging Maude ein Stück und stieg ein paar Felsen hinauf. Sie war hungrig, durstig, erschöpft und zutiefst glücklich. Ich wünschte, du wärst hier bei mir, schrieb sie im Geiste an Nathaniel. Du bist der einzige Mensch, der dieses Gefühl mit mir teilen könnte, ohne es zu zerstören; der dieses Paradies mit mir teilen könnte, ohne es zu ruinieren. Plötzlich wallte Optimismus in ihr auf. Gewiss, sie war immer davon überzeugt gewesen, dass sie in der Lage war, diese Reise zu unternehmen, aber vielleicht hatte sie sich so sehr damit beschäftigt, was alles schiefgehen und wie sie dies verhindern konnte, dass sie geradezu darauf gewartet hatte, dass eines dieser Übel eintraf. Erst in diesem Moment hörte sie auf zu warten. Sie sah das erfolgreiche Ende vor sich, obwohl es noch ein weiter Weg bis dorthin war. Und sie wüsste immer, dass ihr dies als Erster gelungen war – und noch dazu als Frau. Sie entschied, wie das Buch heißen sollte, das sie über diese Reise schreiben würde: Arabien: Reisen umgeben von Wind und Sternen. An jenem Morgen leuchtete noch immer ein einzelner Stern im Westen, ein winziger silberner Fleck, der gegen das Tageslicht ankämpfte.
Doch nach ein paar Tagen verebbte ihr Optimismus. Die Reise war die zermürbendste, die sie je unternommen hatte. Das Gelände war das erbarmungsloseste und eintönigste, das sie je erlebt hatte. Ihre täglichen Etappen fühlten sich allmählich an, als würden sie ein Loch graben, das nie tiefer wurde. Es kam Maude vor, als würde sie in einem Meer aus Staub und Schotter auf der Stelle treten. Als sie eines Abends ihr Lager aufschlugen, sehnte sie sich danach, sich hinzulegen und zu schlafen, doch Haroun schien ewig zu brauchen, um alles vorzubereiten. Von der Müdigkeit überreizt, fuhr Maude ihn an.
»Meine Güte, wieso, in Gottes Namen, dauert das so lange? In der Zeit, in der du ein Zelt aufbaust und Tee kochst, hätte ich mir ein ganzes Schloss aus Sand errichten können.«
»Ich bitte vielmals um Verzeihung, Madam«, sagte Haroun, verneigte sich und war ganz offensichtlich verzweifelt. »Es dauert nur noch ein paar Minuten.« Dann bemerkte Maude, dass er keuchte und dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand, und sofort ergriff sie Reue.
»Haroun! Ist dir nicht wohl?«
»Es ist nichts, Sahib. Nur ein leichter Fieberschub.« Doch seine Hände waren kraftlos und unruhig, er wirkte benommen und hatte Ringe unter den Augen.
»Majid, bau, so schnell du kannst, Harouns Zelt auf«, wies sie den Jungen an. »Haroun, setz dich. Ich bestehe darauf. Du legst dich gleich hin.«
»Aber …«
»Keine Widerrede. Majid und ich schaffen das schon.«
»Ja, Madam.«
Am Ende stand Maudes Zelt schief, und es überhaupt aufzubauen war ihnen nur mit Khalids Hilfe gelungen, und anschließend war keine Zeit mehr, Tee zu trinken. Maude klappte ihr Bett auseinander und breitete Laken und Decken darauf aus, um das restliche Mobiliar kümmerte sie sich nicht. Die Nacht war eiskalt, und sie zitterte am Feuer, während sie auf ihre Ration Brot und Fleisch wartete. Majid kehrte mit einem unberührten Teller aus Harouns Zelt zurück und berichtete, dass der Diener eingeschlafen sei.
»Gut«, sagte Maude überaus beunruhigt. »Er muss sich ausruhen. Ich hätte das früher bemerken müssen, es war selbstsüchtig von mir.« In ihrer Sorge vergaß sie sich und sprach auf Englisch, und Majid blickte sie verständnislos mit weit aufgerissenen Augen an. Am Morgen stand Haroun auf, zitterte jedoch am ganzen Leib und taumelte benommen, als er versuchte, das Frühstück zuzubereiten.
Majid half ihm, sich vom Lager ein Stück in die Felsen zu entfernen, und als er wieder zurückgekehrt war, fragte Maude ihn so behutsam wie möglich.
»Ist es die Ruhr, Haroun? Sprich offen, mit diesen Dingen kannst du mich nicht in Verlegenheit bringen.«
»Vielleicht sind es nur die Datteln oder das Wasser, Madam.«
»Vielleicht, und das hoffe ich. Aber ich sollte dir in jedem Fall ein Mittel anrühren.«
»Sie müssen Ihre Arznei aufsparen, Sahib. Vielleicht brauchen Sie sie noch.«
»Ich brauche sie jetzt, weil ich ohne dich nicht zurechtkomme, Haroun«, sagte sie und freute sich, ihn ein wenig lächeln zu sehen.
Die Beduinen protestierten lautstark dagegen zu bleiben, wo sie waren. Hier konnten die Kamele nicht grasen, und ihre Wasservorräte gingen zur Neige. Sie mussten weiter zur Quelle kommen, die, wie Sayyid erklärte, noch einen Tagesritt entfernt lag. Maude ließ sich nicht erweichen. Haroun konnte nicht reiten, und sie würde ihn auf keinen Fall über sein Kamel werfen, wie einer der Männer vorschlug, oder ihn zurücklassen. Es wurden einige finstere Blicke und brummige Worte getauscht und etwas abseits eine Diskussion geführt, die Khalid schließlich mit ein paar wohlüberlegten Worten beendete.
»Zwei reiten zur Quelle und füllen die Häute mit Wasser«, erklärte er Maude. »Die Kamele können zwei Tage lang Datteln fressen, vielleicht drei. Dann müssen wir weiter, sonst werden wir hier zugrunde gehen.«
»Sehr gut«, sagte Maude. »Danke. Ich bin mir sicher, dass er sich bis dahin erholt hat.«
Khalid nickte und ging. Maude fragte sich, ob die zwei jungen Männer, die man zur Quelle schickte, zurückkommen oder ob sie weiterreiten und ihr Glück woanders suchen würden. Wenn sie sich mit dem Großteil der Wasserhäute davonmachten, waren die, die zurückblieben, verloren. Plötzlich spürte sie sehr deutlich die Gefahr, in der sie sich befanden. Eine falsche Entscheidung, ein falscher Weg konnte den Tod bedeuten. Die Angst davor hatte sogar einen Geschmack, sie schmeckte nach Kupfer, nur ganz leicht, weit hinten im Hals.
Die Stelle, an der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, war von niedrigen Dünen aus festem Sand umgeben, auf denen ihre Füße kaum sichtbare Abdrücke hinterließen. Maude studierte die Karte, die sie gezeichnet hatte, als könnte sie auf ihr auch den Weg erkennen, der noch vor ihnen lag. Sie zeigte sie dem alten Sayyid und versuchte, aus ihm herauszubekommen, wie weit sie gekommen waren und wie weit sie noch von Uruk al-Schaiba entfernt waren, der Grenze aus gewaltigen Dünen, die ihr Angst einjagten, wann immer sie an sie dachte. Als sie von ihnen gehört hatte, hatte sie sogar vorgeschlagen, sie zu umgehen. Doch der alte Mann hatte gelächelt. Im Osten lag ein riesiges Treibsandgebiet, im Westen Wüste, in der es über so weite Strecken kein Wasser gab, dass es unmöglich war, sie lebend zu durchqueren. Kurzum, erst nachdem sie die Dünen überquert hatten, konnten sie nach Osten abbiegen und die Wüste in Richtung Berge verlassen, die zwischen ihnen und dem Meer sowie dem Ende ihrer Reise lagen. Der Sultan hatte sie gebeten, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, wenn sie Maskat erreicht hatte. Maude betrachtete das Gelände und stellte fest, wie leicht es war, auf den niedrigen, festen Dünen zu gehen. Sie deutete Khalid gegenüber an, dass es vielleicht gar nicht so schwer war, wie sie dachte. Doch der schüttelte den Kopf.
»Männer haben sich gegen die Dünen geworfen und sind an ihnen zerschellt wie Wellen, die sich an Felsen brechen. Sayyid ist der Einzige von uns, dem es bereits gelungen ist, sie zu passieren. Wir müssen alle darauf vertrauen, dass er uns sicher über sie hinwegführt. Und das wird er, so Gott will.«
»So Gott will«, echote Maude mit schwerer Stimme.
Als der zweite Tag anbrach, saß Maude bei dem schlafenden Haroun, und sie alle hielten wiederholt am Horizont Ausschau nach den Männern, die zur Quelle geritten waren. Ihnen blieb wenig anderes zu tun. Die Beduinen nahmen ihre Gewehre auseinander, säuberten sie von Sand und setzten sie erneut zusammen. Sie stritten und sangen. Fatih ging weg und kehrte Stunden später mit einem vertrockneten Bündel Borzeldorn zurück, den die Kamele wenig begeistert fraßen. Maude wusste, dass ihre Trägheit vom Durst herrührte. Haroun murmelte im Schlaf vor sich hin und schien dann ruhiger zu werden. Maude vermochte nicht zu sagen, ob das ein gutes Zeichen war. Sie mischte erneut Magentropfen an und fügte etwas Eisenpulver zur Stärkung hinzu, konnte ihn jedoch nicht wecken, um sie ihm zu verabreichen. Sein Gesicht war eingefallen und glänzte, sein Atem roch nach Schwefel. Maude dachte an seine Frau, die in Palästina allein mit ihren Kindern war, viele Meilen weit weg.
»Haroun«, sagte sie dicht an seinem Ohr. »Haroun, du musst gesund werden. Bitte. Ich befehle es dir! Ich kann dich nicht hier zurücklassen, aber wir müssen bald weiter. Darum musst du aufstehen und dich bereit machen. Hörst du mich?« Sie versuchte, gebieterisch zu klingen, doch stattdessen klang ihre Stimme leise und flehend. Sie schluckte. Haroun hat mir ein wenig Angst eingejagt, setzte sie ihren Brief, den sie im Geiste an Nathaniel schrieb, mit verzweifeltem Optimismus fort. Wir mussten im falschen Moment anhalten, die Wasservorräte gingen zur Neige, doch er musste sich von der Ruhr erholen. Glücklicherweise hat er sich erholt, und wir sind wieder auf dem Weg.
»Wir müssen ihn brandmarken. Das heilt ihn. Ich hatte letztes Jahr dieselbe Krankheit, mit diesem Brandzeichen hat man mich geheilt«, sagte Fatih, zog seinen Ärmel hoch und zeigte ihr drei kurze parallele Brandnarben auf seinem Unterarm.
»Unsinn«, entgegnete Maude. »Davon will ich nichts hören.« Fatih entfernte sich und murrte über die Dummheit der Ausländer, der Frauen und der Gottlosen.
»Sahib«, sagte Majid vorsichtig. »Ein Brandzeichen ist wirkungsvoll. Das könnte ihn retten.« Der Junge sah sie aus seinen großen ängstlichen Augen an, und Maude verkniff sich eine bissige Antwort. Sie schüttelte nur den Kopf.
Haroun starb beinahe lautlos, er verschied mit einem leisen Murmeln. Sein letzter Atemzug ging in den plötzlichen Freudenschreien und dem fröhlichen Gewehrfeuer unter, das ertönte, als man die Wasserträger am Horizont entdeckte. Maude saß benommen neben ihm. Auf einmal hatte sie nicht die leiseste Ahnung, was zu tun war. Eine Weile blieb sie bei ihm im Zelt und weinte still an seiner Seite. Sie überzeugte sich jedoch davon, dass die Tränen getrocknet waren, bevor sie schließlich hinaustrat, um den anderen mitzuteilen, was geschehen war.
»Hätten wir ihn nur gebrandmarkt«, sagte Fatih, während die Beduinen die Dinge in die Hand nahmen, Haroun in seine Decke wickelten und ihn wegtrugen. Khalid sprach ein paar Verse aus dem Koran für ihn, dann bahrten sie ihn auf, um zu warten, bis sie bei Sonnenuntergang genügend Felsstücke und Steine gesammelt hatten, um sein dürftiges Grab zu bedecken. Maude beleidigte den Glauben ihres Freundes nicht, indem sie irgendein christliches Gebet an seiner Ruhestätte sprach. Sie suchte in ihrem Gepäck nach einem Andenken, das sie ihm hinterlassen konnte, doch Khalid warnte sie, dass alles, was sie zurückließ, von den Nächsten, die hier entlangritten, geraubt werde.
»Ich dachte, Grabstätten seien den Muslimen heilig? Geweiht für die Ewigkeit?«, entgegnete sie wütend.
»Mit Bedauern. Dies ist keine Grabstätte. Dies ist die Wüste, und obwohl es hier Glauben gibt, gibt es nicht immer Mitleid. Hat er Sie lange begleitet?«
»Ja. Er war … Ich habe ihn sehr geschätzt.«
Maude schlief kaum, und wenn sie schlief, träumte sie von kaltem fließendem Wasser, von randvollen Gläsern, an die sie nicht herankam. Am Morgen fühlte sich ihr Mund ledrig an, und als sie aufbrachen, schienen nur Majid und sie düsterer Stimmung zu sein. Die Wüstenmänner wirkten unverändert. Wenn überhaupt, waren sie fröhlich, geradezu glücklich, zur Quelle weiterzureiten. Die Beduinen haben kein Herz und keine Gefühle, schrieb sie an Nathaniel, aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Haroun war keiner von ihnen gewesen, und sie hatten schon viele Männer sterben sehen. Wenn sie zuließen, dass ihnen jeder Tod naheging, wären sie bald ausgelaugt und würden von ihren Gefühlen erdrückt.
Majid weinte ein wenig, als sie den Steinhaufen hinter sich ließen, wofür Maude ihm dankbar war, auch wenn sie vermutete, dass er mehr um seine eigene Haut fürchtete, als dass er um Haroun trauerte. Der Junge war noch magerer als zum Zeitpunkt seiner Ankunft. Es war schwer vorstellbar, dass er noch dünner werden konnte, ohne gänzlich zu verschwinden. Am Ende des Tages erreichten sie die Quelle, doch das Wasser war brackig und faulig, und die Kamele weigerten sich, es zu trinken. Der Geruch des ungenießbaren Wassers erfüllte die Luft, die Kamele brüllten empört, und ihre Führer fluchten. Maude riss sich zusammen, nahm einen Becher und trank einen großen Schluck. Es schmeckte schrecklich und würde ihr Krämpfe bereiten, aber es linderte ihren Durst. Sie füllte ihren Becher ein weiteres Mal und trank. Mit einem glucksenden Seufzer folgte das kleinste Kamel, Krümel, ihrem Beispiel. Dann gaben die Kamele eins nach dem anderen ihren Widerstand auf und traten vor, um ebenfalls zu trinken. Khalid, Fatih und die anderen schauten fassungslos zu, dann lachten sie vor Freude.
»Sie sind die Herrin der Kamele, Madam«, erklärte Ubaid grinsend. »Gott ist gut!«
Vier Tage lang ritten sie durch eine flirrende Salzwüste zwischen riesigen Wanderdünen aus Sand hindurch. Abgesehen vom Singen und Streiten war nur das Knirschen der Kruste unter dem breitbeinigen Gang der Kamele zu hören. Maude suchte in sich nach dem Optimismus, den sie noch vor Kurzem empfunden hatte, konnte ihn jedoch nicht mehr finden. Ohne Haroun fühlte sie sich schrecklich allein. Die Wüste schien endlos, Durst und Hunger begleiteten sie ständig. Das Wasser verursachte Diarrhö, was sie noch durstiger machte und noch stärker schwächte. Am Abend schafften Majid und sie es nicht, ihr großes Zelt sicher aufzustellen, und so benutzte sie fortan das kleine von Haroun. Ihr Mobiliar ließ sie als zusammengeschnürten Haufen auf dem Boden stehen. Es gab keine Süßigkeiten mehr, nur ein wenig Tee, doch Haroun hatte Majid beigebracht, wie man ihn zubereitete. Maude sprach sehr wenig. Sie spürte jedoch, dass Khalid ein Auge auf sie hatte. Er gab ihr kaum merklich das Gefühl, dass er auf sie aufpasste, und dafür war sie ihm dankbar. Sie bestimmte weiterhin ihre Position und führte die Karte fort, vernachlässigte jedoch ihre Notizen und fertigte auch keine Zeichnungen mehr an. Eines Morgens betrachtete sie ihre Hände – sie waren schmutzig, runzelig, zerkratzt und zitterig.
Dann erschien irgendwann gegen Mittag eine Düne vor ihnen am Horizont. Eine gewaltige, geschwungene goldene Masse, die sich in alle Richtungen erstreckte, so weit das Auge reichte. Sie befanden sich auf ihrer windabgewandten Seite, die weitaus steiler als die dem Wind zugewandte Seite war. Auf dem Gipfel ihrer abschüssigen Flanke befand sich ein zerfurchter Kamm, der aussah wie eine Welle, kurz bevor sie brach.
Maude betrachtete sie ungläubig, schweigend ritten sie weiter – sogar das Singen erstarb, als sie dem erschreckenden Hindernis immer näher kamen. Plötzlich verstand Maude. Die Dünen, die sie bis hierher auf beiden Seiten der Salzwüste gesehen hatten, waren Kinder gewesen, Miniaturen, verglichen mit diesem Monster und vermutlich mit den anderen, die noch dahinter lagen. Maude betete, dass sich ein offensichtlicher Weg eröffnen würde, wenn sie näher kamen, doch es war nichts zu sehen. Sie hielten im Schatten des schroffen Abhangs und starrten an ihm hinauf. Der Kamm befand sich zweihundert, vielleicht dreihundert Fuß über ihnen, das war schwer zu schätzen. Maudes Herz zog sich mit jedem Schlag zusammen. Die Beduinen schienen unruhig, und sogar der alte Sayyid sah mit gerunzelter Stirn an der Düne hinauf, als hätte er etwas Derartiges noch nie gesehen.
»Aber das ist unmöglich«, sagte Maude, sodass es jeder hörte. »Niemand kann mit einem Kamel eine solche Steigung bewältigen!«
»Sayyid hat es schon getan. Er wird uns einen Weg zeigen«, sagte Fatih und klang nicht im Geringsten überzeugt.
»Jetzt liegt unser Schicksal in Gottes Hand«, sagte Khalid mit besorgter Miene. »Möge er Erbarmen haben.«
Majid blickte ihn ängstlich aus seinen Rehaugen an.
»Das ist unmöglich!«, sagte Maude erneut, dann schwieg sie, verlegen ob der aufkeimenden Panik in ihrer Stimme. Die andere Möglichkeit war umzukehren, und das war äußerst riskant. Sie hatten nicht genug Wasser, um zur letzten Quelle zurückzugelangen, und wenn sie diese verpassten, was immer möglich war, würden sie sterben. Und auch, wenn sie es zurückschafften, starben damit alle Hoffnungen, die Durchquerung zu vollenden. All die Mühsal – und der Tod von Haroun – wäre sinnlos gewesen. Sie mussten weiterreiten.
Maude versuchte, sich zu sammeln. Sie versuchte zu schlucken, aber ihr Hals war zu trocken. Sie dachte an ihren Brief an Nathaniel, aber ihr Kopf war leer, und ihr fiel nichts ein, was sie hinzufügen konnte. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen, niemand außer dieser Handvoll Männer wusste überhaupt, wo sie war. Sie wünschte, sie könnte die Düne als Herausforderung empfinden, aber der Gedanke, sich durch all diesen Sand zu kämpfen, weckte den Wunsch in ihr, sich hinzulegen und zu schlafen und vielleicht, wie Haroun, nie wieder aufzuwachen. Sie stiegen ab, legten die Kamele nieder und kochten Kaffee, während Sayyid erst einen Weg ging, dann einen anderen. Er runzelte die Stirn und murmelte leise Gebete vor sich hin. Er sah ganz so aus wie jemand, der keine Ahnung hatte, was als Nächstes zu tun war.