LYNDHURST, HAMPSHIRE, 1890

Was Maude wirklich unerträglich fand, war das gleichmäßige, hohle Ticken der Uhr. Sie hatte es in jeder Ecke von Marsh House versucht – vom Weinkeller mit seiner Gewölbedecke bis zu den verwinkelten Dienstbotenkammern unter dem Dach. Doch so unmöglich es erschien, irgendwie glaubte sie überall, dieses Ticken zu hören. Es unterbrach ihre Spiele oder Tagträume mit der nagenden Mahnung, dass sie noch Fingerübungen am Klavier oder endlose Mathematik-Aufgaben zu machen hatte. Dann wurde es zäh. Auch an diesem Tag verging die Zeit sehr langsam. Das Ticken machte die Luft dick und schwer, und es juckte wie lauter Mückenstiche, die man einfach nicht ignorieren kann. Gereizt zupfte sie immer wieder an ihrer Kleidung, wenn es in den Achseln zwickte und an ihren Schultern kribbelte. Es war Juni, doch die Welt draußen tropfte unter einem tief hängenden grauen Himmel vor sich hin. Seit dem Frühstück regnete es unablässig. Alle Fenster waren geschlossen, und der Geruch nach Toast und Räucherhering hing im Flur und auf der Treppe. Maude durfte nicht hinaus, nicht einmal im Gewächshaus spielen oder ihr Pony reiten. Ab und zu hörte sie das perlende Zwitschern einer Amsel, die sich im triefnassen Flieder bemühte, Fröhlichkeit zu verbreiten, doch es ließ die Stille im Haus nur umso drückender wirken.

Ihr Vater war in London – er hatte irgendetwas Wichtiges im Außenministerium zu tun. Ihre Mutter saß im Wohnzimmer, strich über ihre Seidengarne und pikste an ihrer nächsten Stickarbeit herum. Maude nahm an, dass ihre Mutter manchmal auch keine Lust auf Sticken haben musste, aber sie konnte sich an keinen Tag erinnern, an dem ihre Mutter nicht gestickt hatte. Wie bedeutsam eine bestimmte Neuigkeit war, wie wichtig ein Gast oder wie tadelnswert das Vergehen eines Kindes – all das ließ sich daran ermessen, ob es Antoinette Vickery dazu brachte, Nadel und Stickrahmen beiseitezulegen oder nicht. So oft war ihr Blick auf ihre Arbeit gesenkt, vollkommen darauf konzentriert, dass man ganz verblüfft war, wenn sie einen einmal direkt ansah. Diese Augen machten Maude unruhig, sie wollte sie gleichermaßen näher untersuchen und sich vor ihrem Blick verstecken. Sie erinnerten an glänzend polierte Steine oder etwas, das man gerade so am Grund eines Gezeitentümpels erkennen konnte – irgendwie schön, aber merkwürdig. Ihr Blick war stets flüchtig, gab Maude aber das ungute Gefühl, dass ihre Mutter aus völlig anderem Holz geschnitzt sei als sie. Manchmal trieb sie sich auf der Schwelle des Zimmers herum, in dem Antoinette sich gerade aufhielt, und trat zappelig von einem Fuß auf den anderen, gequält von dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und zugleich zu unsicher, um einen Laut von sich zu geben.

Mit acht Jahren war Maude nur so groß wie eine Sechsjährige, was beim Versteckspiel recht nützlich war, aber nicht, wenn sie auf Bäume klettern wollte. Oder sich wünschte, ihre Brüder Francis und John, vier und fünf Jahre älter als sie, würden die kleine Schwester ernst nehmen. Sie nannten sie »Krümel« und hängten gern Dinge so hoch auf, dass Maude sie nicht erreichen konnte. Sie warfen sich über ihren Kopf hinweg Sachen zu oder legten sich Maude quer über die Schultern, um sie herumzuwirbeln, bis ihr übel wurde. Du wirst doch nicht etwa weinen, oder, Krümel? Wenn ihr Vater das einmal mitbekam, sagte er stets: Unsinn. Maude ist zäher als ihr beiden zusammen, was Maude im Stillen ganz glücklich machte. Die Jungen sollten heute von der Schule nach Hause kommen, für die Sommerferien, und Maude konnte ihre Aufregung kaum zügeln. Die Vorfreude auf ihre Ankunft und dazu die Stille und der Regen, all das ließ die Zeit so dahinschleichen. Maude wurde allmählich nervös. Nachdem John und Francis so lange aus ihrem Leben verschwunden waren, wurde sie bei diesem Wiedersehen immer ein wenig furchtsam und schüchtern. Jedes Mal hatten sich ihre Gesichter über das Schulhalbjahr verändert, und sie waren größer geworden, sodass sie Maude im ersten Moment wie zwei Fremde erschienen und nicht wie ihre Brüder. Das dauerte für gewöhnlich nicht lange – spätestens nach einer halben Stunde fingen sie an, ihr die Bänder aus dem Haar zu ziehen oder ihre Schuhe zu verstecken, und dann war alles wieder ganz normal.

Um Viertel nach zwei hörte Maude, wie Thorpe mit dem Wagen losfuhr, um die Jungen vom Bahnhof abzuholen. In ihrem Magen kribbelte es heftig, und sie lief zum Fenster im Flur. Von hier aus konnte sie sehen, wie er unter den Weiden am Tor verschwand, deren tropfnasse Zweige bis auf den Boden hingen. Maude fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis der Garten Marsh House verschlang, Bäume und Ranken in alle Räume eindrangen, bis das Haus ganz überwuchert und vergessen war – so, wie sie selbst und die anderen Bewohner jetzt schon von aller Welt vergessen schienen. Ziemlich lange, befand sie. Das Haus war sehr groß. Das Knirschen der Wagenräder und das Hufgetrappel verstummten bald. Es würde etwa eine Dreiviertelstunde dauern, bis Thorpe mit den Jungs zurückkehrte, und Maude wusste nicht, was sie bis dahin mit sich anfangen sollte. Also übte sie ihren geplanten Empfang – ihre Ausgangsposition. Sie wollte am Fuß der Treppe stehen, wo die Porträts all ihrer Ahnen von der Wand hinter ihr herabspähten. Mit einem Buch in der Hand und gelassener Miene. Vielleicht auch mit einem beiläufigen Lächeln, wie eine Erwachsene, als hätte sie ganz vergessen, dass die beiden heute ankommen sollten, und sei nicht im Geringsten aufgeregt.

Als Nächstes ging sie in die Bibliothek, nahm die neueste Ausgabe des Fortnightly Review vom Schreibtisch ihres Vaters und kletterte die Leiter hinauf zu dem schmalen Zwischengeschoss, das sich um drei Seiten des Raumes zog. In einer Ecke lag ein plattes altes Kissen, auf das sich Maude oft zum Lesen zurückzog. Sie ließ sich wenig anmutig darauf plumpsen und nieste im aufwirbelnden Staub. Das Ticken der Uhr übertönte sie, indem sie das Lied vor sich hin summte, das ihre Klavierlehrerin ihr gerade so tapfer beizubringen versuchte – »Greensleeves«. Dann analysierte sie ihre Nervosität, denn ihr Vater hatte ihr beigebracht, dass dies der beste Weg war, sie zu besiegen. Sie war sich selbst gegenüber aufrichtig genug, sich einzugestehen, was das Schlimmste an der Ankunft der Jungs war: Es bedeutete, dass von diesem Moment an der Tag näher rückte, an dem sie wieder abreisten und Maude hier zurückließen. Das verabscheute sie so sehr, dass sie sich beim Gedanken daran vor hilfloser Verzweiflung die Fingernägel in die Handballen bohrte.

Sie knabberte an einem Daumennagel, schlug den Fortnightly Review auf und konzentrierte sich aufs Lesen. Ihrem Vater gefiel es, wenn sie Texte las, die eigentlich noch viel zu schwer für sie waren. Deshalb übte Maude gewissenhaft, wenn er nicht da war. Manchmal musste sie dabei das Wörterbuch griffbereit danebenlegen, doch wenn sie ein Wort einmal gelernt hatte, vergaß sie es nicht mehr. So ging es ihr auch bei Französisch, Deutsch und Latein, und sie verstand nicht, warum ihre Brüder sich mit dem Konjugieren von Verben so schwertaten. »Von allen Städten auf der Welt«, las sie nun, »gilt Maskat gemeinhin als die heißeste, da es am Indischen Ozean liegt und durch hohe, vulkanische Hügel, auf denen kein Grashalm wächst, vor jeder kühlenden Brise geschützt wird …« In dem Artikel wimmelte es nur so von seltsam klingenden Namen von Menschen und Orten, und sie musste viele Wörter nachschlagen, etwa »autokratisch« und »gebührend«. Sie las von maskierten Frauen und belebten Basaren voll fremdartiger Menschen und Waren, von exotischen Krankheiten, und sie fragte sich, wie sich das wohl alles anfühlen mochte – Medinawurm und Golffieber oder Aleppobeule. Während sie las, hörte das Ticken allmählich auf. Der Regen wich, und statt Räucherhering roch sie Rosenöl, Weihrauch und den Gestank nach Blut von einer Schlachtbank auf einem heißen, staubigen Platz. Sie war so vollkommen in diese Welt eingetaucht, dass ihr Herz einen Satz machte, als die Haustür zuschlug. Ihre Brüder waren zu Hause, und sie hatte die Chance verpasst, bei ihrer Ankunft am Fuß der Treppe zu posieren. Enttäuschung und Panik schnürten ihr die Kehle zu.

Maude wartete mit gespitzten Ohren, während die Jungen das Wohnzimmer betraten und mit einem vage erfreuten Laut von Antoinette begrüßt wurden. Dann trampelten sie die Treppe hinauf und gleich darauf wieder hinunter in die Küche – immer hungrig, immer ungeduldig. Es schien unmöglich, dass nur zwei Jungen so viel Lärm machen konnten. Gedämpft hörte Maude das raue Lachen der Köchin – sie liebte die Frechheit und die Gier der beiden, obwohl sie so streng tat. Maude konnte nicht mehr weiterlesen, sondern starrte nur noch die aufgeschlagene Seite an, lauschte und wartete. Sie hoffte, dass ihre Brüder nach ihr suchen würden, statt einfach im Billardzimmer zu verschwinden oder sich zu ihrer Mutter zu gesellen und ihr wild durcheinanderredend alles zu erzählen, was sie gesehen, gehört und erlebt hatten. Oder Pläne für die Ferien zu schmieden – überflüssigerweise, denn es würde ohnehin nichts entschieden werden, ehe ihr Vater nach Hause kam. Was immer sie tun mochten, nach ihrer kleinen Schwester suchten sie jedenfalls nicht. Maude hasste Selbstmitleid. Sie wollte das Gefühl nicht zulassen und biss sich auf die Unterlippe, bis die anschwoll und sie ein wenig Blut schmeckte – da hörte sie lieber damit auf. Die Minuten schlichen dahin und dehnten sich zu einer qualvollen halben Stunde aus. Maude kam zu dem Schluss, dass sie wohl für immer hier oben würde bleiben müssen, weil sie viel zu verletzt und zornig war, um hinunterzugehen und John und Francis an ihre Existenz zu erinnern.

Eine Weile später rief Clara, das Hausmädchen, Maude zum Tee. Ihr Magen knurrte, doch sie konnte immer noch nicht hinuntersteigen. Ihre Beine waren steif und müde, weil sie so lange auf dem Boden gesessen hatte, und ihr linker Fuß war eingeschlafen, doch sie kauerte sich in ihrem Elend zwischen den Bücherregalen zusammen und pflegte ihren verletzten Stolz. Wie sollte sie es aushalten, ihre Brüder je wiederzusehen? Sie suchte nach einer Möglichkeit, wie es gehen könnte. Sie würde so vollkommen distanziert, so ganz und gar gleichgültig ihnen gegenüber sein müssen wie die beiden ihr gegenüber. Das war bestimmt nicht allzu schwer – in diesem Moment hasste sie die beiden. Die Sommerferien würden lang, langweilig und einsam sein, wenn sie sich weigerte, mit ihnen zu spielen, oder die beiden Maude aus ihren Abenteuern ausschlossen. Vor lauter Verzweiflung biss sie sich wieder auf die Unterlippe, und da öffnete sich auf einmal die Tür der Bibliothek mit ihrem typischen leisen Ächzen. Hoffnung brandete in ihr auf. Sie griff nach der Zeitschrift und verbarg das Gesicht dahinter. Ihre Wangen begannen zu brennen, als sie die Leiter knarren hörte und dann Schritte auf dem Zwischengeschoss. Endlich kam jemand, um nach ihr zu sehen, und derjenige wusste auch, wo er suchen musste. Maude verging fast vor Neugier, ob es ihr jüngster Bruder Francis oder der ältere John war, aber sie konnte nicht aufblicken. Aus irgendeinem Grund, der zu kompliziert war, als dass sie ihn jetzt ergründen könnte, traute sie sich nicht.

Ein Junge hockte sich mit einem leisen Seufzen neben sie und stieß ihr Knie mit seinem Knie an. Aus dem Augenwinkel sah sie staubig-schmutzige schwarze Kniestrümpfe, die kurze graue Hose einer Schuluniform und zerschrammte Schuhe. Das reichte ihr, um zu erkennen, dass es keiner ihrer Brüder war. Nathaniel Elliot war zwölf, genauso alt wie Francis, und nahm seinen Raum in der Welt völlig anders ein als die Vickery-Jungen. Sein Vater, ein guter Freund ihres Vaters, Colonel Henry Thomas Elliot, war in Afrika von nackten, speerschwingenden Wilden getötet worden – was Maude dermaßen faszinierend fand, dass sie sich immer wieder vor Augen halten musste, welch eine Tragödie das tatsächlich war. Nathaniels Mutter war kränklich und ihrer Gesundheit wegen nach Nizza gezogen, wo ihr Sohn sie immer nur kurz in ihrer Wohnung direkt am Meer besuchte. Sie setzte ihm Hummer, Austern und Champagner vor, und er durfte bis spät in die Nacht aufbleiben, während sie und ihre Freunde tranken, rauchten und Karten spielten. Nach ein paar Tagen erklärte sie ihm dann, er strenge sie zu sehr an, und schickte ihn zurück nach England. Er hatte eine Tante in London, verbrachte die Ferien aber oft in Marsh House, statt ihr zur Last zu fallen oder allein durch die öden Flure des leeren Internats zu streifen. Maude erfuhr von seinem Besuch immer erst, wenn er schon vor der Tür stand. Wenn er direkt von seiner Mutter kam, hatte er gerötete, verquollene Augen und war rastlos und streitsüchtig, als brütete er irgendeine Krankheit aus. Kam er von der Schule aus her, war er ruhiger und sah gesünder aus, war aber verschlossener.

Maude entspannte sich sofort. Nathaniel war ihr nichts schuldig und sie ihm auch nicht. Für sie beide galten die Anstandsregeln der Nicht-Verwandtschaft. Er war eher so etwas wie ein Freund, wenn auch kein sehr enger, denn die vier Jahre Altersunterschied bildeten eine praktisch unüberwindliche Kluft zwischen ihnen, und obendrein war er schließlich ein Junge. Er roch leicht nach Schuhcreme, ungewaschenen Socken und Pfefferminz. Nach kurzem Schweigen sagte Maude: »Komm lieber nicht zu spät zum Tee, sonst lassen meine Brüder dir nichts übrig.« Sie hatte immer noch nicht von ihrer Zeitschrift aufgeblickt, doch nun wagte sie einen verstohlenen Blick. Nathaniel war kleiner als ihre Brüder, schmal, weich und geschmeidig, und seine Füße wirkten zu groß für seinen Körper, weil seine Schienbeine so dünn wie Messerrücken waren. Sein Gesicht war blass und unscheinbar und so schmal wie alles an ihm, vor allem die Nase. Aber seine Augen hatten einen scharfen, wachen Ausdruck – als könnten sie irgendwie mehr sehen und weniger preisgeben als die Augen anderer Leute. Sie waren dunkelbraun, wie sein Haar.

»Hallo, Maude«, sagte er.

»Hallo.«

»Dachte ich es mir doch, dass ich dich hier finde, mit der Nase in einem Buch. Oder einer sehr ernsthaften Zeitschrift.« Er schnippte die Ecke des Journals mit dem Zeigefinger an. Maude zuckte mit den Schultern.

»Möchtest du John und Francis nicht Hallo sagen?«, fragte er. Maude zuckte erneut mit den Schultern, denn sie traute ihrer Stimme nicht recht. »Außerdem kommst du genauso spät zum Tee wie ich. Und es gibt Crumpets.« Die unmögliche Zwickmühle, in der Maude steckte, war kaum zu ertragen, und die Zeitschrift zitterte kurz in ihren Händen, ehe sie es verhindern konnte. Sie spürte Nathaniels durchdringenden Blick und seine Verwunderung wie einen leichten Druck. »Was liest du da drin eigentlich?«

»Es geht um das britische Protektorat Maskat und Oman«, antwortete sie mit einer Spur von Arroganz.

»Hoppla.« Er grinste. »Hört sich wahnsinnig trocken an.«

»Nein, ist es nicht. Oman gehört zu den heißesten Ländern der Welt, und es gibt da lauter mittelalterliche Könige und weise Männer und auch Schurken. Und die Frauen müssen alle Masken tragen, weil sie so schön sind, dass niemand sie anschauen darf. Die Leute sind Seefahrer, genau wie Sindbad, und der Sultan kann dich seinem Löwen zum Fraß vorwerfen, wenn er will. Und man muss unglaublich mutig sein, um dorthin zu reisen und das Land zu erforschen, weil die Männer alle Dolche tragen und einen wegen jeder Kleinigkeit aufschlitzen, und überall sind Krankheiten und Wölfe und Leoparden.«

Maude holte am Ende dieser nachdrücklichen Rede tief Luft und stellte fest, dass Nathaniel lächelte.

»Also gut, ich nehme es zurück. Das hört sich überhaupt nicht langweilig an«, sagte er. Ihre Brüder hätten nie so nachgegeben. Sie hätten ihr gesagt, dass sie eine so überschäumende Fantasie besaß, und wie niedlich es sei, dass sie sich gern solche Geschichten ausdachte. Nathaniels Zugeständnis nahm ihr den Wind aus den Segeln.

»Und ich werde dorthin reisen und all das selbst sehen. Wenn ich groß bin. Ich werde überallhin reisen, weit weg von hier«, sagte sie. Weit weg von der tickenden Uhr und den Edelstein-Augen ihrer Mutter. Der Gedanke war verführerisch und aufregend.

»Aber du bist doch ein Mädchen, Maude. Willst du denn nicht heiraten, wie alle Mädchen?«

»Nein! Ich werde nie heiraten.« Ehe – das war eine tickende Uhr und Stickarbeiten, das wusste Maude mit ihren acht Jahren ganz sicher. »Ich werde die ganze Welt bereisen. Du wirst schon sehen.« Sein Blick war skeptisch, obwohl er ihr nicht widersprach. Auf einmal war es ihr furchtbar wichtig, dass er ihr glaubte … dass sie selbst daran glaubte. »Ja, ganz bestimmt. Du wirst schon sehen«, wiederholte sie, den Tränen nahe.

»Na gut«, sagte Nathaniel. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«

»Was denn?«

»Genau das will ich auch. Ich will Entdecker werden.« Er senkte die Stimme, beugte sich zu ihr hinab, der trübe Ausdruck verschwand aus seinen Augen, und Maude sah ihm an, wie vollkommen überzeugt er davon war. Sie sah eine verwandte Seele. Auf einmal war ihr ganz leicht ums Herz, und das Gefühl, bereit zum Aufbruch zu sein, ließ sie vor Glück innerlich kribbelig werden. »Wir haben in Geschichte gerade Lewis und Clark durchgenommen, und da ist mir klar geworden, dass ich so berühmt werden will wie sie und genauso weite und gefährliche Forschungsreisen unternehmen. Aber wir sollten lieber nicht mit leerem Magen aufbrechen, was meinst du? Na komm.« Er richtete sich auf und strich seine Kleidung glatt. Maude rappelte sich auf. Er hielt ihr nicht die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. In solchen Kleinigkeiten zeigte sich, dass er sie als Gleichgestellte ansah. Und dass er sie gesucht hatte, um sie zum Tee zu holen, machte es ihr irgendwie ganz leicht hinunterzugehen, ihre Brüder zu begrüßen und sich nicht zu grämen, weil sie nicht einmal auf sie gewartet hatten.