KAPITEL

8

Ich werde wachgerüttelt, weil ich von jemandem wie ein Getreidesack über der Schulter getragen werde. Ich unterdrücke einen Entsetzensschrei und zwinge mich zu drei tiefen Atemzügen, um mein pochendes Herz zu beruhigen. Sei klug, Brie.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meine Klugheit in dem Moment zurückgelassen habe, als ich aus dem sicheren Palast der Königin von Seelie ohne Plan und ohne Waffen geflohen bin. Und jetzt hat man mich gefangen genommen.

Nach den fleischigen Händen hinten auf meinem Rock und der Größe meines Entführers zu urteilen, ist es der Mann, der mich trägt. Aber die Frau, die ich sah, bevor ich in Ohnmacht fiel – ich dachte, sie wäre jemand, dem ich vertrauen kann.

»Halte die Tür auf«, knurrt der Mann, der mich trägt. »Sie wird jeden Moment aufwachen.«

»Grobian«, ist von vorn eine melodische Stimme zu vernehmen. Pretha, die schöne Frau, die mir half, ins Schloss der Königin zu kommen. Ich weiß, dass sie dieselbe Person ist, obwohl sie anders aussieht als die Frau, mit der ich in der Schlange stand. Sie hat zwar dieselben hübschen braunen Augen und das dunkle Haar, aber jetzt hat sie spitze, lange Ohren und dieses himmlische Schimmern, das allen adligen Fae eigen zu sein scheint. »Du hättest sie ja nicht gleich umzuhauen brauchen«, sagt sie.

»Mit hysterischen Sterblichen komme ich nicht gut klar«, antwortet der Fae, als er mich auf der Schulter zurechtrückt.

Die Tür öffnet sich und laute Musik dringt heraus. Ich versuche, ganz schlaff zu bleiben, damit mein Entführer nicht merkt, dass ich wach bin. Während er eintritt, sehe ich mich um. Abgesehen von den Gästen unterscheidet sich die Schenke kaum von Gorsts Wirtshaus in Fairscape. Es stinkt nach schalem Bier und ist so laut, dass mir die Ohren schmerzen. Wo man hinsieht, tanzen Paare aller Art. Ein schlanker Elementargeist mit durchsichtigen Flügeln, bekleidet mit einem Nichts von einem Kleid, lässt sich von einem Troll eine Goldmünze zwischen die Brüste stecken. Eine junge Elfe in ledernem Reitzeug fährt ihrem korpulenten Tanzpartner durch den Irokesenkamm, während sie sich aneinander reiben. Männer wie Frauen tanzen auf den Theken und wirbeln unter dem aufmunternden Gebrüll der Menge um Stangen. Eine vollbusige Feuer-Fae in hautengem schwarzen Leder steht links von mir an der Wand und kneift Pretha im Vorbeigehen in den Hintern.

Pretha schlägt die Hand weg und ruft: »Ich bin am Arbeiten.«

Der Mann, der mich trägt, kichert. »Vielleicht solltest du dir Zeit dafür nehmen, Pretha«, bemerkt er. »Wenn du es nicht tust, dann vielleicht ich. Du weißt doch, was man über Feuer-Fae sagt.«

»Du bist so ein Schwein, Kane«, brüllt Pretha.

Sie geht ihm durchs Gedränge der Tänzer voraus, biegt dann unversehens zur Seite und bemerkt, dass ich sie unter Kanes Arm hindurch beobachte. »Ach, da ist unser Mädchen ja wieder.« Ja, sie sieht genauso aus wie die Frau, die mir ihre Freundschaft angeboten hat, aber ihre Ohren sind nicht das Einzige, das sich verändert hat. Jetzt ist ein silbernes Netz quer über ihre Stirn tätowiert, das an einen gesprungenen Spiegel erinnert.

Da ich nichts mehr vortäuschen muss, winde ich mich im Griff des Mannes. »Lass mich runter.«

Pretha zwinkert mir zu, schiebt sich an zwei Wachleuten vorbei und weiter durch eine schwere Holztür in ein spärlich möbliertes Büro, das nur von Straßenlaternen draußen vor den Fenstern erleuchtet wird.

Man stellt mich auf die Füße. Während sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, bekomme ich nun auch den Mann zu sehen, der mich getragen hat. Alles an ihm ist schreckenerregend. Er ist riesig, mit breiten, muskulösen Schultern und muskelbepackten Armen. Er muss annähernd zwei Meter zwanzig groß sein – die nach hinten eingerollten Hörner auf dem Kopf noch nicht mitgezählt. Seine Augen sind schwarz, wo sie eigentlich weiß sein müssten, mit feuerroten Pupillen. Sein langes Haar und der gestutzte Bart sind rot, und in einem seiner spitzen Ohren hat er einen Ring.

»Ich glaube, sie mag dich, Kane«, sagt Pretha. »Entweder das, oder du bist so hässlich, dass es ihr die Sprache verschlagen hat.«

»Ihr habt sie gefunden!«, höre ich eine tiefe melodische Stimme hinter mir sagen.

Entgeistert wirbele ich zum Urheber dieser Stimme herum und kann mir ein Ächzen nur knapp verkneifen, als ich den Fae vor mir erkenne. Er lümmelt auf einem Sessel, das eine Bein ausgestreckt, das andere gebeugt. Seine dunklen Locken sind wie in meinem Traum nach hinten gebunden, und er hält ein Buch in seinen großen Händen. Obwohl das Büro geräumig ist, scheint er es mit seinen durchdringenden Silberaugen und seiner Gegenwart ganz auszufüllen.

Mein Entführer stößt mich nach vorn. Ich stolpere und falle zum zweiten Mal an ebenso vielen Tagen vor einem bedrohlichen Unseelie auf die Knie.

Ich hasse diesen Ort.

»Sie ist aus dem Schloss abgehauen«, erklärt Pretha.

Ich sehe sie böse an. »Du.«

Sie rafft ihr Kleid und macht einen Knicks. »Abriella, ich sagte doch, dass wir uns wiedersehen werden.«

»Was willst du von mir?«

»Ich will –« Sie schnaubt und blickt sich um. »Warum ist es hier so dunkel?« Sie schnippt mit den Fingern, worauf die Kerzenhalter an den Wänden aufflackern. »Besser.« Mit zufriedenem Lächeln wendet sie sich wieder mir zu. »Ich will dir helfen. Was das betrifft, hat sich seit gestern nichts geändert.«

»Du hast mich glauben lassen, dass du ein Mensch bist«, fauche ich wütender, als ich sollte. Pretha war ja praktisch eine Fremde, aber ihr Vergehen ist dasselbe wie bei Sebastian, und es fühlt sich gut an, ein Ziel zu haben für den Schmerz, der an mir nagt. »Du bist eine gemeine Lügnerin.«

Der Mann auf dem Sessel lacht. »Das ist kühn für ein Menschenmädchen, das behauptet, es wäre Aryas Magd.«

Mit zusammengekniffenen Augen sehe ich ihn an. Mir gefällt es nicht, dass dieser seltsame Fae schon wieder auftaucht, und noch weniger gefällt mir, dass ich von ihm geträumt habe.

Nichts in Faerie geschieht zufällig.

»Ich glaube nicht, dass sie ihre Kraft unter Kontrolle hat«, sagt Pretha, kommt anmutig näher und streicht mir sanft das Haar hinter die Ohren.

Ich rucke den Kopf zurück. »Rühr mich nicht an.«

»Ebenso wenig wie ihre Gefühle.« Sie reißt ihren missbilligenden Blick von mir los und sieht dem Mann im Sessel in die Augen. »Ich glaube, sie ist tatsächlich in den Goldenen Prinzen verliebt.«

Meine Wangen werden heiß. Ich hasse es, wie diese Fae über mich reden und über meine Gefühle spekulieren. »Ihr wisst überhaupt nichts über mich.«

Der Mann im Sessel gibt ein beschwichtigendes Tss von sich und meint: »Lass sie in Ruhe, Pretha. Ich übernehme jetzt.«

»Finn!«, sagt Pretha gereizt.

Finn. Endlich ein Name für den rätselhaften silberäugigen Fae.

»Lass uns allein.« Er sagt das leiser als zuvor, aber seine Worte sind voller Autorität und lassen keinen Zweifel daran, wer in diesem kleinen Trio das Sagen hat.

Pretha spannt sich an. Offensichtlich will sie nicht gehorchen, aber dann nickt sie knapp und verlässt das Büro. Der gehörnte Grobian trottet ihr hinterher.

Ich beobachte ihren Abgang.

»Schwierige Nacht?«, fragt mich Finn. So eine zwanglose Frage, als würden wir beim Tee plaudern – dabei haben mich seine Leute bewusstlos geschlagen, um mich hierherzuschleppen.

Ich sehe ihn finster an. »Wer bist du – außer einem Unseelie-Entführer? Dir ist doch hoffentlich klar, dass niemand ein Lösegeld für mich bezahlen wird.«

Er schiebt eine Augenbraue in die Stirn. »Ach? Anscheinend weißt du mehr über mich, als du verrätst. Was weißt du denn noch?«

Gefährlich. Dieser Mann ist gefährlich und ich muss aufhören, mit ihm zu streiten und mich darauf konzentrieren, hier herauszukommen. »Nichts. Ich weiß nichts.«

Er hebt sein Kinn. »Ich bin neugierig. Warum bist du dir sicher, dass ich ein Unseelie bin?«

»Deine Augen.«

»Was ist mit ihnen?«

»Jeder weiß, dass die Unseelie silberne Augen haben. Verträge nicht taugen mit Silberaugen«, zitiere ich den alten Kinderreim. Und es ist mir doch wunderbar gelungen, diese uralte Weisheit zu beherzigen.

Er brummt: »Das ist das Lächerlichste, was ich je gehört habe. Man hat dir beigebracht, alle im Reich des Mondes hätten Augen wie ich?«

»Etwa nicht?«

»Nein. Nur sehr wenige.« Und noch während er das sagt, erinnere ich mich an die Wachen im Schloss von Mordeus. Hatten sie silberne Augen? Ich weiß es nicht mehr. Und ist Pretha eine Unseelie? Ihre Augen sind braun. Und die von Kane sind schwarz und rot.

»Darf ich jetzt gehen?«

Mit gespielter Unschuld reißt er die Augen auf. »Und wo wirst du hingehen? Du bist dir doch gar nicht sicher, ob du zu deinem Freund zurückkehren willst, obwohl du dir wünschst, du wärst nicht so hastig von ihm weggelaufen.«

Ich presse die Lippen aufeinander und recke das Kinn vor. »Kannst du meine Gedanken lesen?«

Er lacht finster. »Nein. Ich brauche deine Gedanken nicht zu lesen, um deine Sorgen zu kennen, obwohl das eine nützliche Fähigkeit wäre. Deine Gefühle stehen dir ins Gesicht geschrieben. Du bist dir nicht sicher, ob du die Rolle spielen kannst, die Mordeus von dir verlangt.«

Was hat er mit Mordeus zu schaffen? Arbeitet er für ihn? »Was weißt du?«

»Genug.« Mit einem tiefen Seufzer erhebt er sich aus dem Sessel und geht zu einer kleinen Bar in der anderen Büroecke hinüber. Während er mir den Rücken zukehrt, nutze ich die Gelegenheit, um ihn zu mustern. Seine Gegenwart nimmt den ganzen Raum ein. Das liegt aber nicht nur an seiner Größe oder an seinem muskulösen Körper. Finn besitzt die Aura eines Anführers, der die unbedingte Aufmerksamkeit aller in seiner Umgebung hat. Ich frage mich, über welche Macht er verfügt, dass er sich als Unseelie hier am Hof der Sonne aufhalten kann.

Er entkorkt eine Flasche und schenkt zwei Gläser ein. Die blassgelbe Flüssigkeit perlt, als sie das Glas berührt. Mir läuft bei dem fruchtigen Duft das Wasser im Mund zusammen, aber als er sich herumdreht und mir ein Glas hinstreckt, schüttle ich den Kopf. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich Wein von einem Mann annehmen würde, den ich eben erst kennengelernt habe – Hallo, gefährlicher Fremder – , aber Fae-Wein? Er muss mich für eine komplette Idiotin halten.

Achselzuckend stellt er mein Glas auf einem langen Tisch am Fenster ab. Er trinkt einen Schluck, dann schließt er die Augen. »Ich verstehe, dass dein lieber Goldener Prinz mit seiner Täuschung deine Gefühle verletzt hat, aber wenn du wirklich deine Schwester retten willst, musst du tun, was Mordeus verlangt.«

Dasselbe hat er auch in meinem Traum gesagt. »Du bist ein Unseelie«, erwidere ich. »Da willst du natürlich, dass ich deinem König helfe.«

»Er ist nicht mein König«, faucht er zurück, dass es nur so von den Wänden hallt. »Niemals wird er mein König sein«, setzt er nach, nun weicher im Ton.

»Aber warum bist du dann hier? Ich dachte, Unseelie wären nicht willkommen auf Seelie-Gebiet.«

»Ich schlage dir einen Handel vor. Ich beantworte deine Frage, wenn du meine beantwortest.«

Das Wort Handel löst bei mir sofort Abwehrmechanismen aus, aber ich bin zu müde und durcheinander, um noch allen Möglichkeiten nachzuspüren, wie ich durch einen Handel mit einem Fae manipuliert werden könnte. »Also, was willst du wissen?«

»Was weißt du über den Fae, der dir deine Magie verliehen hat?«

Verwundert frage ich: »Welche Magie?«

Er trinkt noch einen Schluck Wein und mustert mich mit seinen quecksilbrigen Augen. »Zugegeben, es ist viele Jahre her, seit ich mich ins Menschenreich gewagt habe, aber willst du mir etwa weismachen, dass Menschen jetzt durch Wände gehen und sich in Schatten verwandeln können?«

Ich schüttle den Kopf. »Das ist doch nur eine seltsame Reaktion darauf, an einem magischen Ort zu sein.«

Finn neigt den Kopf zur Seite. »Ich weiß nicht, was ich interessanter finde: die Lüge, oder dass du das tatsächlich glauben willst.« Seine Lippen kräuseln sich, aber da ist kein Vergnügen in seinem Lächeln. Nur Abscheu. »Aber du weißt es schon. Du weißt, dass du die Kraft, über die du in meinem Reich verfügst, schon länger hast. Immerhin benutzt du sie seit Jahren.«

Aus mir bricht ein trockenes Lachen heraus. »Wenn du das sagst.«

»Du bist eine Diebin. Und eine gute dazu.«

Warum wissen diese Schatten-Fae nur so viel über mich? »Wenn ich magische Kräfte habe – und ich sage nicht, dass ich das tue –, warum nimmst du an, dass sie mir jemand verliehen hat?«

Er kneift die Augen zusammen und senkt die Stimme. »Weil Menschen keine Magie haben – es sei denn, sie wird ihnen von einer magischen Kreatur verliehen, die dazu mächtig genug ist.«

»Hexen verfügen über Magie. Und Magier.«

»Nein. Hexen und Magier benutzen Magie. Symbole, Zaubersprüche und Tränke. Auch manche Menschen können Magie benutzen, aber sie haben keine. Ganz anders als du. Du bist ein Mensch, der Dunkelheit beherrschen kann. Du kannst ein Schatten werden und durch Wände gehen – ohne Zauberspruch oder Zaubertrank, ohne Ritual. Die Magie ist Teil von dir, und das ist nur möglich, wenn sie dir ein Fae verliehen hat.«

»Ich weiß nicht, wo sie herkam«, räume ich ein. Denn er hat recht. Eigentlich habe ich, schon lange bevor ich nach Faerie kam, gewusst, dass meine Macht über Nacht und Schatten nicht normal ist – dass sie etwas Besonderes ist. Ich öffne den Mund und will ihm schon mehr erzählen, klappe ihn aber wieder zu. Sein Volk hat bewiesen, dass ihm nicht zu trauen ist. »Jetzt bist du an der Reihe.«

Er betrachtet seinen Wein so lange, dass ich glaube, dass er nicht mehr antworten wird. »Mordeus ist mein Onkel.«

In diesem Moment findet sein Name bei mir an der richtigen Stelle seinen Platz. Bakken hat mir erzählt, Prinz Finnian sei der rechtmäßige Erbe des Schattenthrons – und er hier ist Finn? »Du bist der Prinz.« Ich frage nicht einmal. Das erklärt alles. Wie er sich bewegt, wie sich seine Freunde ihm fügen, wie er sich immer wie die wichtigste Person im Raum anfühlt, ob ich das nun glauben will oder nicht. Ja, alles an Finn verströmt Königswürde. Macht.

Er hebt den Blick und sieht mir in die Augen. »Vielleicht hast du die Ähnlichkeit bemerkt.«

Die Silberaugen. Nicht alle Schatten-Fae haben diese silbernen Augen. Nur die königliche Familie.

»Ich halte mich nicht an meinem eigenen Hof auf, weil mich der gute alte Onkel Mord am liebsten tot sehen will. Herzerwärmend, nicht wahr?«

»Was hast du getan?«

Er schnaubt, als wäre mein Unwissen unterhaltsam. »Ich wurde geboren, und das genügte, seinen Anspruch auf die Macht zu bedrohen, nach der er sich gesehnt hat, seit sein eigener Vater die Krone meinem Vater überlassen hat. Und was meinen Aufenthalt im Reich der Seelie betrifft … ich bin vorübergehend hier, und das« – er schmunzelt – »insgeheim. Ich ziehe das Land der Wilden Fae dem Herrschaftsgebiet der Goldenen Königin vor, aber einige Angelegenheiten hier erfordern meine Aufmerksamkeit.«

Hundert Fragen gehen mir durch den Kopf, aber eine schafft es immer wieder ganz nach oben. »Warum erzählst du mir das? Was willst du von mir?«

»Ich weiß, dass Mordeus deine Schwester hat, und ich weiß, was er im Tausch gegen sie von dir fordert.« Er nippt an seinem Wein. »Ich möchte dich lehren, wie du deine Fähigkeiten benutzen kannst, um dich in diesem Land zu schützen. Ich möchte dir helfen.«

Genau das hat er in meinem Traum gesagt. Ich werde dir helfen, sie zurückzubekommen. Komm und suche mich.

»Du sagst das immer wieder, aber warum sollte ich dir glauben?« Ich schiebe mich rückwärts in Richtung Tür. »Deine Leute haben mich entführt und gegen meinen Willen hierhergebracht, und da soll ich dir vertrauen? «

In seinen silbernen Augen blitzt es auf, und sein Mund zieht sich zu einer feinen Linie zusammen. »Stattdessen hast du entschieden, Mordeus zu vertrauen, und in seinen Handel eingewilligt.«

»Ich habe keine Wahl. Wenigstens verstehe ich, was Mordeus von mir will, und warum. Soll ich vielleicht glauben, dass du einem Menschenmädchen nur aus reiner Herzensgüte helfen willst?«

Er macht einen bedrohlichen Schritt auf mich zu, und jeder Linie in seinem schönen Gesicht ist die Wut anzusehen. »Ich will dir helfen, weil es meinem Hof hilft. Jeder Angehörige meines Reiches ist schwächer, solange wir unsere magischen Gegenstände nicht zurückhaben. Solange die Goldene Königin …« Seine Nasenflügel beben und er keucht mehrmals, als verspüre er einen plötzlichen unsichtbaren Schmerz. »Sie sind verletzlich, solange die Macht der Höfe aus dem Gleichgewicht ist.«

»Und das soll ich dir glauben? Hier stehst du in deiner feinen Kleidung und trinkst teuren Wein in einer Schenke im Reich der Seelie. Der arme Prinz im Exil. Du scheinst wirklich sehr hart dafür zu kämpfen, Mordeus vom Thron zu stoßen.«

Das Weinglas zerspringt in seiner Hand zu Staub, und ich erstarre vor Angst, als mir klar wird, wie gefährlich er ist. In aller Ruhe reibt er die Hände aneinander und lässt die Reste von Wein und Glasstaub zu Boden tropfen. »Nimm meine Hilfe an, Sterbliche.«

»Ich brauche dich nicht.«

Kurz huscht sein Blick über mich, und ich schrecke zurück, denn aus meinen Händen fließt plötzlich Dunkelheit, wie Tinte, die in einen Teich strömt. »Hast du die Verbindung mit irgendjemandem geteilt?«, fragt er.

Als würde ich mich je einer Verbindung mit einem Fae unterwerfen. Als würde ich irgendjemandem eine solche Kontrolle über meinen Willen und mein Leben geben. Niemals.

»Vielleicht jemand zu Hause«, sagt er. »Ein Freund oder Geliebter, irgendwer? «

Mir liegt auf der Zunge, ihm unter die Nase zu reiben, dass Menschen solche absurden Rituale nicht ausüben. Ich weiß nicht einmal, wie und ob so etwas zwischen Menschen überhaupt funktionieren würde, aber ich verkneife mir, es abzustreiten. Eigentlich weiß ich über Fae-Verbindungen nur, dass es dabei auch irgendwie um Schutz geht. Wenn Finn glaubt, jemand sei mit mir verbunden, riskiert er vielleicht nicht, mich hier festzuhalten.

Er starrt mich lange an. »Das ist eine einfache Frage.«

Ich zucke mit den Achseln. »Und ich habe einfach entschieden, sie nicht zu beantworten.«

Er murmelt etwas Unverständliches. Ich sehe die Wut in seinen Augen, den Versuch, sein Temperament unter Kontrolle zu halten. »Du solltest wissen, dass Verbindungen auch Konsequenzen haben und nicht so leicht zu lösen sind, wie du vielleicht glaubst.«

Will mir dieser selbstgerechte Arsch jetzt eine ganze Vorlesung darüber halten? Ich verschränke die Arme. »Wenn ich jetzt gehe, schickst du mir dann deine Freunde hinterher?«

»Hast du vor, zum Sohn der Königin zurückzukehren?«

Die Worte treffen mich wie eine geballte Faust in den Magen. Königin Aryas Sohn. Prinz Ronan.

Sebastian.

Ich muss die Augen schließen, so sehr schmerzt es. Sein Verrat. Ich darf jetzt gar nicht über ihn nachdenken.

Als ich sie wieder aufschlage, starre ich auf die tintenartige Schwärze um meine Hände. Es ist genau die Erinnerung, die ich brauche. Ich habe Macht. Ich bin hier nicht gefangen.

Finn tritt nahe an mich heran und mustert mich, als wäre ich ein ziemlich interessantes Insekt. Seine Lippen verziehen sich zu einem Schmunzeln.

Ich trete in die Schatten zwischen den Wandleuchtern und wünsche mir, dort zu verschwinden, als die Bürotür aufgeht.

»Neuigkeiten aus dem Schloss«, sagt Pretha und lässt die Tür hinter sich zuschwingen. »Prinz Ronan hat seine Auswahl auf morgen verschoben. Wir müssen rasch einen Plan fassen und sie dorthin zurückschaffen.«

Finn verschränkt die Arme. »Ich bin mir nicht sicher, ob das Mädchen überhaupt mit uns zusammenarbeiten will. « Es klingt wie eine Herausforderung – als wäre ich ein Kind, bei dem er es mit umgekehrter Psychologie versucht.

Ich presse meinen Rücken gegen die Wand und wünsche mir verzweifelt, durch sie hindurchzugehen, zu entkommen. Aber es geschieht nichts. Wie habe ich denn zuvor meine Kraft benutzt?

Pretha kommt durchs Zimmer zu mir. »Du schaffst das nicht alleine«, sagt sie.

Ich schüttle den Kopf. »Du irrst dich.« Schon mein ganzes Leben lang arbeite ich alleine. Kein Grund, jetzt etwas daran zu ändern. Wie die Umkehrung einer flackernden Lampe verblasse ich erst zu Schatten, bevor ich wieder körperlich werde.

Entsetzt dreht sich Pretha zu Finn um. »Was macht sie da?«

Schatten. Verwandle dich in Schatten. Meine Hand verschwindet und erscheint wieder, aber die Wand hinter mir bleibt fest.

»Finn!« Pretha hat die Augen weit aufgerissen. »Sie entkommt!«

Schatten. Diesmal verschwindet meine Hand, und dann auch der Rest von meinem Arm. Ich verschmelze mit der Wand und stolpere hindurch. Mein Kleid verhakt sich an einem Rosenstrauch draußen vor der Schenke und es erweist sich einmal mehr, dass Hosen bei der Kleidung die klügere Wahl sind. Ich rappele mich auf, Dornen zerreißen meinen Rock und zerkratzen mir die Beine.

Ich kann Finn und Pretha durch das gesprungene Fenster zanken hören, aber ihre aufgebrachten Worte werden gedämpft, bis Finn am Ende wütend bellt: »Lass sie gehen!«

Ich raffe meinen Rock hoch und laufe los, aber ich weiß nicht, wo ich bin, und der Nebel ist so dicht, dass ich das Schloss in der Ferne nicht sehen kann.

Ich weiß, dass der Wald vor mir lag, als ich vor Sebastian weglief, aber jetzt liegt er links von mir. Ich kehre um und lasse den Wald im Rücken, aber in dieser Richtung kommt mir nichts vertraut vor.

Der Wald. Dort kann ich mich verstecken – ich kann mich in einen Schatten – in nichts – verwandeln, bis ich den Weg zum Schloss finde. Denn ich muss zum Schloss zurückkommen.

Wenn Sebastian die Wahl aufgeschoben hat, kann das vielleicht immer noch funktionieren. Es gibt immer noch eine Möglichkeit, Jas zu retten.

Der Wald hier ist dunkler als die Wälder in Fairscape – das Blätterdach ist dicht und die Lichter der Häuser längst nicht so hell wie in der dicht besiedelten Menschenwelt. Ein entsetzlicher Schrei hallt durch die Nacht, gefolgt von triumphierendem Geheul. Ich hatte nie Angst im Dunkeln, aber ich weiß genug, um mich in dieser Dunkelheit zu fürchten. Eigentlich habe ich keine Ahnung, was sich hier zwischen den Bäumen herumtreibt. Meine Schatten können mich vielleicht verbergen, aber können sie mich auch schützen?

Die Sommerhitze ist mit der Sonne verschwunden; ich schlinge die Arme um mich und mustere den Wald, während sich meine Augen an die Finsternis gewöhnen.

Wieder ein Heulen, näher diesmal, der Schreck lässt meine Muskeln zittern. Du weißt, dass du die Kraft, über die du in meinem Reich verfügst, schon länger hast. Immerhin benutzt du sie seit Jahren.

Normale Menschen können im Dunkeln nicht sehen, nicht so. Eigentlich wusste ich das schon immer, oder? Ich wollte es mir nur nicht eingestehen, nicht zugeben, dass ich etwas Magisches an mir habe.

Aber um eine Fähigkeit zu wissen, und sie nutzen zu können, sind zweierlei Dinge. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Keine Ahnung, wo es zum Schloss geht. Und keine Ahnung, wie ich meine Fähigkeit nutzen soll, um mich vor dem, was hier im Wald haust, zu schützen.

Zwanzig Meter hinter mir höre ich tiefes Knurren. Ich wirbele herum und erstarre vor Schreck. Aus dem Dunkel blitzen mich leuchtend blaue, mit Gold gesprenkelte Augen an, und dann schleicht sich ein schwarzer Wolf mit gebleckten Zähnen an mich heran.