KAPITEL

26

Leicht schwankend bleibe ich stehen. »Magie schmeckt wie ein Regenbogen«, seufze ich. »Oh Götter«, murmelt Pretha.

Auf dem Boden liegt ein Teppich und in den Wandleuchtern brennen Kerzen. Ein wunderbarer Platz, um in einem Buch zu schmökern, aber heute Nacht will ich nicht lesen. Heute Nacht will ich fühlen .

Ich packe Pretha am Arm. »Ist das euer neues Haus? Es tut mir so leid, dass ihr wegen mir umziehen musstet. Es tut mir leid, dass er wegen mir eine andere Frau küsst.« Kopfschüttelnd wendet Pretha sich ab. Zu schade. Sie hat wieder ihre eigene Gestalt angenommen, und sie ist so hübsch, aber dann sehe ich, wen sie anschaut, und ich verstehe.

»Finn.« Ich stolpere auf ihn zu. »Du bist auch schön. So schön, dass du mich immer ablenkst, wenn du in der Nähe bist. Habe ich dir das schon mal gesagt? Sebastian wäre so sauer, wenn er das wüsste.« Ich kichere. »Vielleicht sollten wir es ihm gleich sagen. Würde ihm recht geschehen.«

»Man hat sie unter Drogen gesetzt«, sagt Pretha.

»Eindeutig«, sagt Finn. Seine schönen Silberaugen funkeln amüsiert. »Bring sie nach oben.«

Finn geht vor uns eine breite Treppe hinauf, gestützt von Pretha folge ich ihm bis zum oberen Treppenabsatz und in ein großes Schlafzimmer. Ich nehme alle Details in mich auf – die großen, alten Teppiche, das Kerzenlicht, das riesige Bett. Mein Blick bleibt am Bett hängen und verharrt dort, bis mein Gehirn anfängt, sich auszumalen, wie Finn dort liegt, seitlich auf einen Ellbogen gestützt. Er würde auf mich herunterlächeln und ich würde die kühlen, weißen Laken auf meiner nackten Haut spüren, ein aufregender Kontrast zu der Wärme seiner Fingerspitzen, die genau so über meinen Bauch streicheln wie in der Nacht, als wir uns in der hintersten Ecke der Kerkerzelle versteckt haben.

Meine Augenlider schließen sich, und ich lasse mich in die Fantasie hineinfallen.

Vage wird mir bewusst, dass ich zu Boden sinke.

Wärme an meiner Seite, als jemand mich in den Armen auffängt. Es sind Finns Arme, er hat mich vom Boden aufgehoben, und seinen Duft so aus nächster Nähe zu riechen, legt einen Schalter in mir um. Das dumpf schmerzende Lustgefühl in meinem Inneren erwacht zum Leben und wird immer intensiver, bis ich vor Verlangen zittere. Ich schlinge ihm die Arme um den Hals und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust.

Er erstarrt und murmelt dann ein heiseres »Danke«.

Habe ich etwas gesagt? Vielleicht darüber, wie gut er riecht und dass ich manchmal an seine großen Hände denke und mich frage, wie seine hypnotischen Augen wohl vor Erregung geweitet aussehen könnten – nein, das sicher nicht. Dafür würde er sich bestimmt nicht bei mir bedanken.

»Was hast du getrunken? Und wie viel?«

Der Klang seiner Stimme lässt mich die Augen aufreißen – wann habe ich sie denn zugemacht? Sein Gesicht ist mir so nah, wenn er mich auf diese Art trägt. Diese Lippen schweben ganz dicht über meinen. »Nur ein Glas, zwei, drei Gläser«, sage ich. »Ich möchte noch mehr, bitte.«

»Davon bin ich überzeugt«, grummelt er und löst seinen Blick von meinem. Das macht mich traurig. Ich will, dass er nur mich ansieht. »Es ist schon zu spät für das Elixier.«

»Liege ich im Sterben?« Ich muss in Todesgefahr schweben, denn Finn hält mich in den Armen, und er berührt mich so zärtlich. Eine seiner Hände hat er auf meinen unteren Rücken gelegt, die andere streichelt mir über den Hals.

»Du liegst nicht im Sterben. Du bist nur berauscht .« Aber er schaut mich nicht einmal an. »Der Prinz war nirgends zu sehen«, sagt Pretha. »Und die Königin ist seit Litha nicht mehr im Palast gewesen, obwohl wir immer noch keine Hinweise darauf haben, dass sie weiß, wer Abriella ist.«

»Wer war es dann?« Seine Stimme klingt bedrohlich, und ich weiß, dass mir das Angst machen sollte – dass er mir Angst machen sollte –, stattdessen verstärkt der Klang das Pulsieren zwischen meinen Beinen nur noch mehr.

High. Betrunken. Unter Drogen gesetzt. Was auch immer mir widerfahren ist, ich bin dafür dankbar, weil ich endlich anders bin als sonst. Diese Brie hat keine Angst. Diese Brie muss sich nicht mit einem gebrochenen Herzen und dummen Schuldgefühlen herumplagen. Sie darf sagen und machen, was immer sie will, und jetzt will sie Finns Haar zwischen ihren Fingern spüren.

»Deine Locken sind weich.« Ich zwirbele eine um meinen Finger.

Finn flucht. »Sie ist völlig überhitzt.«

Ich drehe mich in seinen Armen und lasse meine Hand von seinem Haar zu seinem Nacken gleiten. Dann lege ich den Mund an sein Ohr. »Ich muss dir ein Geheimnis verraten.«

»Wird sie es überstehen?«, fragt Pretha.

Finn atmet tief ein. Ich bin so fest an ihn gepresst, dass ich mich im Rhythmus seines Atems bewege.

»Ich kümmere mich um sie. Versucht, so viel herauszufinden wie möglich.«

Meine Haut sehnt sich nach seiner Berührung, und ich reibe meine Nase an seinem Hals.

»Brie.« Seine Stimme ist tief und leise. Das heisere Timbre kribbelt über meine sensiblen Nervenenden, aber dennoch registriert ein ferner Teil meines Verstandes seinen warnenden Tonfall.

»Ich habe euch gesehen.«

»Wovon redest du?« Er trägt mich irgendwohin. Weg vom Bett, wie ich enttäuscht feststelle, aber da er mich immer noch in den Armen hält, protestiere ich nicht.

»Sie war mit dir in der Bibliothek. Du hast sie geküsst, das habe ich gesehen.«

»Wer? Kyla?«

»Ist das ihr Name? Was ist mit ihr passiert?«

Behutsam stellt er mich auf die Füße. »Du bist ganz schön neugierig, Prinzessin.«

»Ich habe nach Antworten gesucht. Hat aber nicht funktioniert.« Ich kichere und stolpere dann über die Ecke eines Teppichs. Im letzten Moment fängt er mich auf, dabei streifen seine Daumen die Unterseite meiner Brüste. Ich lehne mich in die Berührung und schaue ihm in die Augen – heute Nacht sind sie eher grau als silbern. Mit dem Zeigefinger fahre ich die Konturen seiner Lippen nach. »Du bist schön. Ich glaube, ich möchte dich küssen. Nur ein einziges Mal.«

Finns Gesichtsausdruck verändert sich, und einen Augenblick lang glaube ich, etwas gesehen zu haben. Begehren? Aber dann ist es schon wieder verschwunden. »Du stehst unter Drogen und bist nicht du selbst.«

»Das stimmt. Ich bin nicht ich selbst. Abriella ist verantwortungsvoll. Stark. Und langweilig .« Ich schließe die Augen, lege meine Hand um seine und führe sie über meinen Bauch. »Und einsam«, flüstere ich.

»Wir müssen dich abkühlen.«

Ich liebe den Klang seiner Stimme. Wie eine sanfte Massage prickelt er auf meiner Haut. Er redet weiter – langweiligen Nonsens über Körpertemperatur und Wasser und blablabla –, doch ich schmiege mich enger an ihn und halte seine Hand auf meinem Bauch fest.

»Brie! Abriella!«

Ich reiße die Augen auf. Wir stehen in einem riesigen Badezimmer. Wie sind wir hier reingekommen? Und wann? Finn dreht an den Reglern in der Dusche und nickt dann. »Steig rein.«

Ich schaue ihn an, während ich mein Kleid aufschnüre. Dann lasse ich es an mir herabgleiten, bis es wie ein Satintümpel um meine Füße liegt und ich beinahe nackt bin. Er hält den Blick stur auf mein Gesicht gerichtet. »Sei doch nicht so langweilig«, necke ich ihn und gehe einmal um ihn herum. »Was hat Kyla, das ich nicht habe? Was hat Sebastians Mädchen, das ich nicht habe?«

Ein Muskel in seiner Wange zuckt. »Geh unter die Dusche.«

Leicht schwankend mache ich gehorsam einen Schritt auf die Dusche zu. Ich trage immer noch meine Unterwäsche, die zarte, spitzenbesetzte, die Emmaline und Tess mir immer aufdrängen, aber ich will sie nicht ausziehen. Ich will, dass er sie mir auszieht. Ich will ihn dort drin bei mir haben, das heiße Wasser auf unserer Haut und seine Hände auf meinem Körper spüren. Sebastian ist nicht der Einzige, der sich anderweitig amüsieren kann.

Aber als ich in die geflieste Duschkabine steige, trifft eiskaltes Wasser meine Haut und ich zucke zurück.

Finn versperrt mir breitbeinig und mit verschränkten Armen den Weg. »Es ist eiskalt«, bibbere ich.

»Nein. Deine Körpertemperatur ist nur viel zu hoch.«

Ich blinzele zu ihm auf, während das Wasser auf mich herabströmt, mein Haar und meine Unterwäsche durchnässt. »Lass mich sofort raus.«

»Das geht nicht.«

»Na gut.« Ich hake zwei Finger in seinen Gürtel und ziehe ihn zu mir in die Kabine.

Er schließt die Augen, und ich sehe in seinen verkrampften Gesichtszügen die Wahrheit.

Er begehrt mich. Finn begehrt mich und wehrt sich dagegen.

Unter dem nassen Stoff seines Hemdes kann ich seine Tattoos erkennen. Mit beiden Daumen fahre ich die Runen auf seinen Brustmuskeln nach. »Ich mag deine Tattoos.«

»Hör auf damit.«

Soll ich damit aufhören, ihn zu berühren, oder … »Womit?« Probeweise streiche ich über ein Tattoo in Form einer Flamme. »Soll ich damit aufhören?«

Seine Brust hebt und senkt sich so schnell, als wäre er lange gerannt. »Du sollst meine Tattoos nicht mögen«, flüstert er. »Hör auf, Dinge zu romantisieren, von denen du nichts verstehst.«

»Ah, da ist mein mürrischer Schattenprinz ja wieder.« Meine Finger gleiten über die festen mit Tattoos bedeckten Muskeln seines Unterleibs. »Magst du sie nicht?«

»Nicht besonders.«

»Warum hast du sie dir dann machen lassen?« Ich hebe sein T-Shirt an und betrachte eine Rune, die in seinem Hosenbund verschwindet. Sie sieht aus wie ein fünfzackiger Stern, der von einer geschwungenen Linie durchschnitten wird. Ich presse meinen Daumen dagegen und schaue ihm dann direkt in die Augen. »Ich will wissen, wie diese hier schmeckt.«

Seine Augen weiten sich. Mit einem unterdrückten Stöhnen packt er meine Handgelenke und drückt meine Hände gegen die Wand hinter meinem Kopf. »Brie. Beweg dich nicht.«

»Warum nicht? Finn …« Ich wispere seinen Namen wie ein Geheimnis. Weil meine Hände fixiert sind, kann ich ihn nur berühren, wenn ich meinen Rücken wölbe und so meinen Körper gegen ihn drücke, also tue ich das. »Bitte. Ich will begehrt werden. Bedingungslos und ohne Erwartungen. Ich will einen Kuss ohne Forderungen nach einem Versprechen, das ich nicht geben kann. Nur ein einziges Mal.«

Finn schaut mich stirnrunzelnd an. Mit diesem Gesichtsausdruck sieht er jünger aus, weniger ernst. Das ist doch bizarr. Wer sieht denn mit gefurchter Stirn weniger ernst aus als sonst?

»Sebastian hat das Mädchen begehrt, das er geküsst hat. Aber mich will er nicht. Jedenfalls nicht so.«

»Glaub mir, Sebastian will dich. Unbedingt.« Bei diesen Worten umspielt seine Lippen ein verächtliches Grinsen, aber als ich meine Hüften kreisen lasse und mich noch fester an ihn dränge, verschwindet es genauso schnell wieder, wie es erschienen ist. Sein Adamsapfel hüpft, als er mühsam schluckt.

»Alle wollen etwas von mir, mich selbst will niemand. Er geht jedes Mal fort, wenn ich ihn küsse. Wahrscheinlich, weil ich ihm nicht versprechen will, seine Braut zu werden. Aber von ihr wollte er nicht fortgehen. Sie wollte er weiter küssen.«

»Er ist ein Idiot«, presst Finn zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.

Das bringt mich zum Lächeln, aber ich versuche, es zu unterdrücken. »Aber du … manchmal siehst du mich an, als würdest du mich begehren – wenn du nicht gerade aussiehst, als würdest du mich verabscheuen. Finn …« Ich atme aus, und es klingt wie ein Wimmern. »Berühre mich.«

»Ich werde nicht mit dir ins Bett gehen, weil dein Prinz deine Gefühle verletzt hat.«

Ich versuche, meine Hände zu befreien, aber er packt mich nur fester. »Kannst du nicht so tun, als ob?«, frage ich. »Einen Moment lang? Mich küssen, wie du sie geküsst hast?«

»Wen?« Seine Brust hebt und senkt sich im Rhythmus seines schweren Atmens, und sein Blick wandert immer wieder zurück zu meinem Mund.

»Das Menschenmädchen, das Kane als Tribut zu dir gebracht hat. Ich habe sie in deinen Armen gesehen und … hätte am liebsten den Platz mit ihr getauscht.«

Einen endlosen Moment lang erstarrt Finn. Nur seine Kehle zittert, als er schluckt.

Meine Haut ist so heiß. Viel zu heiß. Und das Wasser ist zu kalt. Und mein Körper fühlt sich nur an den Stellen genau richtig an, die ihn berühren. Wenn Sebastian wüsste, was ich für Finn empfinde, wenn er wüsste, dass ein Teil von mir Finn begehrt, dann würde er mir das niemals verzeihen. Aber was zählt schon eine weitere Sünde gegen ihn? Würde es einen Unterschied machen? Er hat mich heute Nacht zurückgewiesen. Warum sollte er sich für mich entscheiden, nachdem er die Wahrheit erfahren hat?

»Er würde sich immer noch für dich entscheiden«, sagt Finn stirnrunzelnd. Wie viel davon habe ich laut gesagt? Im Moment kann ich mir darüber aber beim besten Willen keine Sorgen machen, denn meine Haut kribbelt, als wäre sie dazu gemacht, berührt zu werden. Finn hat seinen Griff um meine Hände gelockert und streichelt jetzt sanft mit den Daumen über die Innenseiten meiner Handgelenke.

»Ich will dich berühren.« Ich winde mich an ihm.

Mit seinem Körpergewicht drückt Finn mich gegen die Wand, um meine Bewegungen zu stoppen, einen muskulösen Oberschenkel hat er zwischen meine Beine geschoben. Sein Mund senkt sich in meine Halsbeuge. Meine Haut ist so glühend heiß, dass sich sein Atem wie eine kühle Liebkosung anfühlt. »Be… beweg dich einfach nicht. Dieses Gefühl geht vorbei.«

Auf der Suche nach Erlösung reibe ich mich an ihm. »Es tut weh.« Mir ist vollkommen egal, wie erbärmlich ich klinge. Verzweifelt. Es zählt nur die sengende Hitze, die in meinem Leib brennt, und das Verlangen, das in meinem Blut brodelt.

»Ich weiß.« Finn hat sein Gesicht an meinem Hals vergraben und ich höre seine gemurmelten Worte durch das Rauschen in meinen Ohren kaum.

»Liegt es an mir?« Meine Stimme bricht. Es liegt an mir. Ich bin nicht genug.

»Niemals.«

»Dann beweis es.«

Als er seine Zähne in meinen Hals gräbt, schnappe ich nach Luft, aber dann schnellt seine Zunge über meine Haut und verwandelt den stechenden Schmerz in pures Vergnügen. Mein Blut pulsiert an der Stelle und fleht stumm um noch mehr Aufmerksamkeit.

Ich gebe mich ganz meinem Instinkt hin – und meinem Bedürfnis, meinen wild kreisenden Gedanken zu entkommen. Meine Hüften bewegen sich wie von selbst und reiben mein Zentrum an seinem muskulösen Schenkel, mein Körper bettelt um mehr . Aber Finn hält meine Handgelenke weiter fest umklammert und lässt nur seinen Mund und seine Zunge meinen Hals hinaufwandern, bis er sanft in mein Ohrläppchen beißt. Meine Welt schrumpft auf den Punkt zusammen, an dem unsere Körper sich berühren, und ich reite die Welle meiner Lust, bis sie sich pulsierend in mir bricht.

Finn stöhnt auf. »Brie«, flüstert er, sein Atem eine heiße, zärtliche Geste auf meiner rapide abkühlenden Haut. »Verdammt.«

Ich sacke schlaff und zitternd gegen die Wand, und Finn trägt mich zum Bett.