Zurück im Goldenen Palast, bin ich in Gedanken immer noch in Fairscape bei Jas.
Sebastian begleitet mich in mein Zimmer, und als ich an der Tür stehen bleibe und mich zu ihm umdrehe, betrachtet er mich aufmerksam. »Ich bringe dich bald wieder zu ihr«, sagt er.
»Danke, Sebastian.«
»Das ist doch selbstverständlich.«
»Nein, danke für … alles. Dafür, dass du mir beigestanden hast, wenn mich alle anderen weggeschickt hätten.« Ich schließe die Augen. »Dafür, dass du mir vergeben hast, dass ich das Buch gestohlen habe, und dafür … dass du die Entscheidungen verstehst, die ich treffen musste.«
Ich fühle seine Fingerspitzen an meinem Kinn, sie gleiten über meinen Kiefer und in mein Haar, und als ich meine Augen öffne, stehen seine voller Qual. »Ich liebe dich, Abriella. Für mich zählt nur, dass du jetzt hier bei mir bist. Alles andere finden wir heraus. Zusammen.«
Ich betrachte seine schönen Augen, seine kräftigen, aber feinen Gesichtszüge. »Ich möchte den Bund mit dir eingehen.«
Sebastian schluckt und seine Augen weiten sich. »Bist du sicher?«
Ich nicke. Ich kann nicht aufhören, an die Banshee zu denken – den Tod auf meiner Brust. An die Krone, die auf meinem Kopf sitzt, und den falschen König und den Unseelie-Prinzen, die versucht haben, sie mir zu stehlen. Den Prinzen, der bereit war, mich sterben zu lassen, um seinen Thron zu besteigen. »Mordeus hatte in einer Sache recht. Solange diese Krone auf meinem Kopf ist, wird mein Leben nicht mir gehören. Wenn es nicht Finn ist, der mir die Krone nehmen will, dann irgendein anderer Unseelie. Bis wir herausfinden, wie wir sie gefahrlos loswerden können, brauche ich den Bund, damit du mich beschützen kannst.«
»Ich dachte, du wärst dagegen, dass sich Menschen an Fae binden.« Ich nehme seine Hände in meine. »Ich vertraue dir.«
Sebastian führt meine Hände an seine Lippen und küsst beide zweimal. »Ich gelobe, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um dir ein gutes Leben zu ermöglichen. Um dich glücklich zu machen und dich zu beschützen.«
***
Die Bindungszeremonie soll in der Abenddämmerung auf dem Balkon vor Sebastians Gemächern stattfinden, und meine Zofen sind vor Entzücken außer sich, als sie mich auf diesen Anlass vorbereiten. Sie frisieren meine kurzen Locken so gut wie möglich und verwenden besondere Sorgfalt auf mein Make-up.
Als sie mein Kleid herausbringen, stockt mir der Atem. »Seine Hoheit hat uns das Musselin-Modell Eurer Schwester gegeben, und wir haben damit unser Bestes getan. Ist es so, wie Ihr es Euch vorgestellt habt?«
»Ja.« Ich betrachte den dünnen, smaragdgrünen Samtstoff mit von Tränen getrübtem Blick. Nur Sebastian wäre auf die Idee gekommen, mich an diesem besonderen Abend etwas von meiner Schwester Entworfenes tragen zu lassen. Das Kleid ist eigentlich überhaupt kein Kleid, sondern das Outfit, das Jas für meinen geplanten Ausflug nach Faerie entworfen hat. Das Outfit, das sie nicht fertig nähen konnte, weil Madame V sie verkauft hat.
»Jetzt nicht weinen«, sagt Tess und wischt sich über die Augen. »Sonst fange ich auch noch an.«
Ich steige in die weit geschnittene Hose, und der Samt fühlt sich auf meiner Haut geradezu dekadent an. Emmaline hilft mir in das taillierte Top mit tiefem V-Ausschnitt.
Sie legt mir eine passende Smaragdkette um den Hals. »Auch vom Prinzen«, sagt sie.
Ich schließe meine Augen. Hat er die ganze Zeit das Musselin-Modell dieses Kleides aufbewahrt? Nur für diesen Anlass?
»Warum seid Ihr so traurig?«, fragt Emmaline. »Ihr seht umwerfend aus.«
»Ich bin nicht traurig.« Tief und entschlossen hole ich Luft. »Ich bin bereit.«
***
Der Blick auf den Sonnenuntergang von Sebastians Balkon aus ist atemberaubend, aber nichts im Vergleich zu dem Fae, der davor steht.
In seiner weißen Tunika und der Hose aus feinstem Leinen sieht er strahlend schön aus. Heute Nacht hat er keine Waffen bei sich, er hält nur eine einzige Taglilie in der Hand. Seine Augen sind voller Zärtlichkeit, als er mir die Blume hinters Ohr steckt. »Du bist so schön.«
Ich ziehe meinen Kopf ein, fühle mich auf einmal unerklärlich schüchtern und sehe ihn durch meine Wimpern hindurch an. »Danke für das Kleid. Und die Halskette.«
Er bietet mir ein Glas Wein von einem Tisch in der Nähe an, und ich nehme es, dankbar dafür, etwas zu haben, um meine Nerven zu beruhigen.
»Ich ließ das Personal eine Flasche Sonnenwendwein aufbewahren. Normalerweise wird er nur an Litha serviert, aber da er dir so gut geschmeckt hat …« Er hebt sein Glas und wir stoßen an. »Auf dich, Abriella. Nicht mal in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir vorstellen können, mit einer so unglaublichen Frau den Bund schließen zu dürfen.«
Mir schießen schon wieder Tränen in die Augen. »Und auf dich«, flüstere ich. »Auf einen Neuanfang für uns beide.«
Wir leeren beide unsere Gläser, aber meine Hände zittern immer noch, als wir sie wieder auf den Tisch stellen.
Sebastian beschwört einen Haufen Runensteine in seine offene Handfläche und reicht sie mir.
Ich zögere, bevor ich mir einen aussuche, da ich mir nur allzu gut bewusst bin, wie groß das ist, was wir gleich tun werden. Ich bin bereit für diese lebenslange Bindung, und doch –
Nein. Keine Zweifel und keine Geheimnisse mehr. Ich vertraue Sebastian, und ich muss ihm diese Verbindung erlauben, damit er mich bei allem, was als Nächstes kommt, beschützen kann.
Bevor ich es mir anders überlegen kann, greife ich nach einem länglichen Alabasterstein. In dem Moment, in dem meine Finger ihn berühren, verschwinden die restlichen Steine. Ich drehe ihn in meiner Handfläche, um das Symbol zu studieren. Eine lange, dicke Linie erstreckt sich von oben nach unten auf der längsten Seite des Steins, eine weitere Linie biegt nach rechts davon ab, und ein Wirbel kreuzt die Mitte.
»Er ist wunderschön«, flüstere ich und streiche mit meinem Daumen über die Gravur. Ich lasse meinen Blick an Sebastian hochwandern. Seine Augen sind auf den Stein gerichtet und seine Miene ist düster. »Was ist los?«
Er schluckt und schüttelt den Kopf. »Gar nichts. Das ist gut.« »Was bedeutet diese Rune?«
»Sie kann Trauer und Verlust bedeuten.« Seine Hand legt sich auf meine und drückt den Stein fest zwischen unsere Handflächen. »Aber sie bedeutet auch die Wiedergeburt danach. Einen Neuanfang, wie du gesagt hast.« Er neigt seinen Kopf und küsst mich, während er unsere Hände umeinander schließt. »Bist du bereit?«
Ich betrachte sein Gesicht. Ich finde es wunderbar, dass er die Sache nicht überstürzt, dass er versteht, was es für mich bedeutet. »Ich bin bereit.«
»Abriella Kincaid, ich binde mein Leben an deines. Ich werde deine Freude spüren und deinen Schmerz kennen. Ob nah oder fern, wir werden immer im Herzen vereint und im Geist verbunden sein.«
»Prinz Ronan Sebastian«, wiederhole ich das Gelübde, wie es mir aufgetragen wurde. »Ich binde mein Leben an deines. Ich werde deine Freude spüren und deinen Schmerz kennen. Ob nah oder fern, wir werden immer im Herzen vereint und im Geist verbunden sein.«
Sebastian senkt den Kopf und wir besiegeln unser Gelübde mit einem Kuss. Er hält meine Hand immer noch fest, fast so, als hätte er Angst, dass ich mich zurückziehen könnte.
»War es das?«, frage ich. Ich dachte, ich würde mich jetzt irgendwie anders fühlen, aber das tue ich nicht.
»Es dauert einen Moment«, sagt Sebastian. Er verteilt zarte Küsse auf meinem Hals und zieht mich enger an sich. Vergnügen und Vorfreude durchströmen mich. Wir küssen uns wieder und wieder, bis die Abendluft uns umhüllt wie ein Band, das uns zusammenhält.
Und dann spüre ich etwas – eine Verbindung zwischen uns, knisternd und aufgeladen, eine Kraft, die in einer Endlosschleife von mir zu ihm und wieder zu mir zurückfließt.
»Sebastian«, flüstere ich. Der Runenstein liegt nicht mehr zwischen unseren Handflächen. »Wo ist er hin?«
Er schiebt den grünen Samt an meinem Dekolleté zur Seite und lächelt. Dort, in meine Haut gezeichnet, ist die Rune, die aus unseren gefalteten Händen verschwunden ist.
Der Anblick erinnert mich an all die Runen, die ich auf Finns Brust gesehen habe. Repräsentieren sie all die Menschen, mit denen er den Bund geschlossen und deren Leben er gestohlen hat?
Ich verdränge den Gedanken aus meinem Kopf. Heute Abend geht es nur um Sebastian und mich. Um uns. »Hast du auch eins?«
Er schluckt, nickt und dreht unsere gefalteten Hände, um mir das Symbol auf der Innenseite seines Handgelenks zu zeigen. »Wir sind verbunden.«
Plötzlich werden mir die Knie weich und die Welt verschwimmt vor meinen Augen. »Ich glaube, ich muss mich setzen.«
Sebastians Gesicht wird blass, aber er nimmt meinen Arm und führt mich zu einem Stuhl in seinen Gemächern. »Du musst das hier trinken«, sagt er und zieht ein Fläschchen aus einem Beutel an seiner Seite.
Schmerz schießt durch meine Brust, und meine Lunge verkrampft sich. »Sebastian …« Ich schnappe nach Luft und ziehe die Knie an meine Brust, als mich der Schmerz erneut durchfährt. »Ich glaube, jemand hat den Wein vergiftet.«
»Du musst trinken.« Er hat mir seine Hand auf den Arm gelegt. Als ich meine Augen wieder öffnen kann, beobachtet er mich, sein schönes Gesicht ist besorgt. »Ich bin hier, Abriella. Ich bin bei dir.«
»Was passiert mit mir?«
»Das ist eine Reaktion auf den Bund. Und jetzt trink.«
Schmerz durchzuckt mich. Sebastians Lippen bewegen sich, aber seine Worte sind kaum mehr als die Musik zu meiner Folter. Ich versuche zuzuhören, versuche, mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf diesen entsetzlichen Schmerz, der mich in Stücke reißt, aber ich kann nicht. Ich möchte nur schlafen, bis die Schmerzen verschwunden sind.
Die Welt blitzt auf – hell vom Sonnenuntergang, der vom Balkon ins Zimmer leuchtet, dann die beruhigende Dunkelheit der Bewusstlosigkeit. Hell, dunkel, hell, dunkel. Es ist, als würde man mich vor eine Wahl stellen – Leben und Schmerz oder Erleichterung und Nichts.
»Brie!«
Ich reiße meine Augen auf.
Sebastian hat mir das Fläschchen an die Lippen gedrückt. »Du stirbst. Uns bleibt keine andere Wahl.«
»Ich sterbe?« Ich habe mir immer vorgestellt, der Tod würde mich packen und in die Tiefe ziehen. Nie hätte ich gedacht, dass er gezackte Krallen in meine Brust bohren und mich niederzwingen würde. Nie hätte ich gedacht, dass ich die Chance haben würde, mich gegen ihn zu wehren.
»Bitte trink. Der Trank des Lebens ist der einzige Weg, wie ich dich retten kann.« Ich höre seine Tränen, bevor ich meine Augen lange genug öffnen kann, um sie zu sehen. »Sei ein einziges Mal in deinem Leben nicht so verdammt stur.«
Der Trank des Lebens.
Der Raum dreht sich um mich. Meine Lider sind so schwer, und es ist anstrengend, wach zu bleiben, wo ich doch so gern weggleiten würde. Hell oder dunkel. Dunkel oder hell.
Das Echo von Larks Worten dringt durch den Schmerz.
Wenn sie das nächste Mal stirbt, muss es während einer Bindungszeremonie geschehen.
Ich sehe drei Wege vor dir. In jedem ist der Ruf der Banshee eindeutig.
Das Fläschchen liegt kühl an meinen Lippen. Wenn ich trinke, endet dieser Schmerz? Wenn ich nicht trinke, erwartet mich der Tod?
»Bitte.« Sebastians Stimme ist nur noch ein abgehacktes Schluchzen. »Das ist der einzige Weg.« Er leidet, und das ist noch schlimmer als die Krallen, die mich durchbohren. Um seinen Schmerz zu lindern, würde ich alles tun, also öffne ich meine Lippen. Ich trinke.
Der Trank fühlt sich seidig auf meiner Zunge an und gibt mir das Gefühl, zu schweben. Jeder Schluck löst eine weitere Klaue aus meiner Brust, befreit mich Stück für Stück von dem Schmerz.
»Braves Mädchen«, flüstert Sebastian. »Du musst alles austrinken. Das ist mein Mädchen.«
Mit meinem letzten Schluck sind die Krallen verschwunden. Wärme durchströmt meine Adern, dann Hitze, dann … »Sebastian!«
Feuer lodert in meinen Adern, und ich winde mich in seinen Armen. Bitte, Götter, nicht Feuer. Alles, nur kein Feuer.
»Was ist los mit ihr?«, fragt Sebastian.
»Das ist die Verwandlung«, antwortet ihm eine mir unbekannte Frauenstimme. »Man kann nicht ohne Schmerzen zu einer Fae werden.«
»Bring das in Ordnung«, knurrt er. »Tu etwas, um sie vor dieser Qual zu bewahren.«
»Magie hat ihren Preis«, sagt die Frau. »Und Unsterblichkeit auch. Sie muss das aushalten, sonst wirkt der Trank nicht. Wenn sie es nicht ertragen kann, verlierst du sie für immer.«
»Ich bin hier«, flüstert er. »Ich beschütze dich.«
Aber das tut er nicht. Nichts kann mich vor diesem Schmerz bewahren. Die Zeit springt vorwärts und bleibt dann stehen. Ich sehe meine Kindheit blitzschnell verstreichen, erlebe das Feuer in Zeitlupe. Die Zeit quält mich, erst vergehen die Sekunden wie im Flug, dann hält sie mich gefangen, während sie wieder langsamer wird und schließlich ganz stillsteht.
Plötzlich wird die Welt schwarz. Ich lasse mein Bewusstsein hinter mir und heiße die Dunkelheit willkommen, die mich wie eine weiche Decke einhüllt.