Holen wir kurz Luft und blicken in die Heimat jener Rückkehrer, die gerade über die Fischersfrauen hergefallen sind, die Extremadura, das Burgenland Spaniens … also die am wenigsten entwickelte Region — sonst wäre Kastilien das Burgenland. Extremadura? Bereits der Namen verrät, die Landschaft und die Menschen sind extrem — mutig, hart und verschlossen. Nicht von ungefähr kommen so gut wie alle Konquistadoren aus dieser Gegend. Wenn man aber nach Desoto fragt? Risotto? Wer? Ferdinand?
Menschen machen alles lächerlich, sehen nur das Böse. Also ist auch die Eroberung Amerikas für viele ein Gemetzel verrohter Abenteurer, die in lächerlich aussehenden Ballonhosen und mit federgeschmückten Helmen ganze Völker ausgerottet, Landstriche verwüstet und Kunstschätze vernichtet haben sollen. Gräuel, bei denen einem die Luft wegbleibt. Aber ist der moderne Mensch in der Lage, das zu beurteilen?
Wir sind noch am Luftholen und fragen: Darf man den Geschichtsbüchern glauben? Geschichte wird von Siegern geschrieben, von denen, die Geld und Einfluss haben. Andere Sichtweisen werden abgewürgt oder lächerlich gemacht. Warum sollte es der indigenen Bevölkerung Amerikas besser gehen? Was waren das für Leute? Marihuana rauchende, Peyote fressende und Powwows veranstaltende Wilde, die mit Federschmuck um Lagerfeuer tanzten? Leute, deren Nachfahren Casinos betreiben und auf Minderheitenrechte pochen?
Die Chance ist gering, heutzutage einen Menschen des 16. Jahrhunderts zu treffen. Es wird niemanden geben, der bei der ersten Begegnung zwischen Weißen und Indianern dabei gewesen ist. Es wird sich keiner finden, der von einem eine butterweiche Menschenleber verspeisenden Kariben berichtet, von indianischen Kochtöpfen, aus denen Kinderbeine ragen. Niemand hat die Zeremonien, Drogenexzesse und Massenhinrichtungen erlebt oder den von Frauenbrüsten träumenden Mönch gekannt, der im Delirium Amazonenstämme erfand und dem größten Strom Südamerikas den Namen gab.
Eroberer prangen an Hausfassaden, auf Münzen, Bierdosen oder Briefmarken: Francisco Pizarro, Hernán Cortés, Pedro de Alvarado, Lope de Aguirre und noch ein paar Namen, durch die ein R rollt wie eine Erntemaschine über einen Hasenbau. Spanien nennt sie Entdecker oder »freundschaftliche Völkerverständiger«, dabei waren sie Brutalos, die unter dem Vorwand der Christianisierung unfassbare Grausamkeiten begingen.
Europa hält sich für das Zentrum der Welt, dabei stammen die wichtigsten Erfindungen aus Asien: die Schrift, das Zahlensystem, der moderne Pflug, das Schießpulver, bewegliche Lettern für den Buchdruck, Steigbügel. Was haben die Europäer erfunden? Die Zeit — und in ihrer Folge Mittel, sie zu überwinden. Die Europäer sind Eroberer. Alles haben sie in Beschlag genommen, ausgebeutet, und immer wurde ihnen die Zeit knapp. Das Christentum ist eine Religion der Endzeit, ein Glaube an die Zählung. Vierzig Jahre in der Wüste, drei Tage bis zur Auferstehung, und am Sonntag, dem 23. Oktober 4004 vor Christus, wurde, wie der Bischof von Armagh anhand der biblischen Genealogie errechnet hat, die Welt erschaffen … Aber darf man, heiliger Bimbam, das Christentum für alles verantwortlich machen? Nein, sämtliche Völker werden von einem Willen zur Übernahme angetrieben. Schon der Homo sapiens hat den Neandertaler verdrängt, die Mongolen kamen bis Finnland und die Mauren bis zu den Pyrenäen.
Menschen waren meist vulgär, scheußlich und unmoralisch, haben einander bekämpft, gefoltert und getötet. Warum sollten die spanischen Konquistadoren anders gewesen sein? Ist die Geschichte des aus der Extremadura stammenden Ferdinand Desoto, der 1539 Florida erobern wollte, eine von Barbarei und Entmenschlichung? Oder war seine Expedition mitfühlend, vernünftig, human? In jedem Fall ist dieses erfolgloseste aller spanischen Unternehmen eine gute Geschichte, die Geschichte von einem Eroberer, seiner Frau und ihrem Geliebten, kein Greenaway-Film, von einem Schiffbrüchigen, einem Arzt und zwei Gaunern.
Doch bevor wir uns in die dicke Luft der Eroberer begeben, zu dem niederländischen Arzt und Wurstmachersohn Cord Fenk zurückkehren und flacher atmen müssen, wechseln wir den Schauplatz und werden im Wortsinn ins kalte Wasser dieser Geschichte geworfen, wo wir einem Luftikus begegnen.