Vierzehn Tage nach der Ausfahrt erreichte man La Gomera. Es war der 20. April 1538, genau ein Jahr, nachdem Desoto den Auftrag erhalten hatte, Florida zu erobern. Ostersamstag. Ostern so spät? Ja, weil man im Julianischen Kalender lebte. Die gregorianische Kalenderreform sollte erst vierundvierzig Jahre später die Zeitrechnungen erfassen — zuerst in katholischen, später in protestantischen Ländern, was zwischendurch absurde Komödien ermöglichte, weil oft ganze Heere zehn Tage zu spät zu einer Schlacht kamen oder Minister Friedenskonferenzen versäumten.
Die Reise verlief ereignislos, wenn man von Isabella absieht, die sich heftig übergeben musste. Stundenlag hing sie bebend an der Reling, wies Tröstungen von sich und keifte Ferdinand an:
— Verschwinde. Kümmere dich um Alfonsito.
Ferdinand reichte der Anblick des Greises, der unverständliches Kauderwelsch von sich gab. Hinzu kam das Gezeter eines Dominikaners, der lamentierte, dass jenseits des Meeres die Unendlichkeit läge, man bald an seine Grenzen stoße, weil die Erde flach sei wie ein Brett und nicht rund wie eine Orange.
— Spinner, dachte Cord. Der glaubt wahrscheinlich auch an ein Himmelreich mit fetten Engeln.
Vierzehn Tage, in denen sie meist an Deck standen, in die Weite des Meeres blickten, den anderen Schiffen winkten oder den Matrosen zusahen. Da hingen welche in den Rahen, rollten das Segeltuch ein oder ließen es fallen, bevor andere Taue spannten, flink auf das Gebrüll des Bootsmanns reagierten. Wenn man nicht aufpasste, traf einen ein Holzpflock oder wurde man von einem Seil gepeitscht. Zweimal täglich gab es aufgeweichten Stockfisch, trocken und salzig, Schiffszwieback und Wein. Um sich zu erleichtern, musste man auf die balkonartige Brüstung am Bug des Schiffes klettern oder mit dem Nachttopf einen ruhigen Ort finden und hoffen, dass der Kahn nicht gerade im ungünstigsten Moment Schlagseite bekam. Die Nächte in den Hängematten waren kurz und unbequem, und wenn man es schaffte, in den Schlaf zu fallen, wurde man von Hundegebell, Pferdewiehern oder scharfen Kommandos geweckt.
— Wo hast du unsere Ersparnisse versteckt? Bastardo hockte im Zwischendeck, kaute Zwieback, formte kleine Kügelchen und warf sie auf Cinquecento.
— An einem sicheren Ort, erwiderte Gino, der Aal.
— Wo? Im Bett von einem Schreiling? Unter der Haut von einem Regenwurm?
— Dort, wo ein rechtschaffener Mensch seine Notgroschen hingibt, in der Glocke.
— Was?
— Im Unterdeck ist eine große Glocke, ihr Name ist Griselda. Als ich die Batzen versteckte, war sie aufgebockt, um ihr den Klöppel zu justieren … und ebendaran, an diesem Klöppel, hängen unsere Kröten.
— Das ist ein Scherz? Bastardo verschluckte sich.
— Sicherer geht es nicht. Griselda ist jetzt mit Brettern eingerüstet, außerdem ist sie so schwer, dass es sechs Leute braucht, um sie anzuheben. Wir müssen nur warten, bis man sie auf einem Kirchturm montiert.
— Du dreimal unmöglicher Idiot. Bastardo griff sich an den Kopf.
— Ist das nicht genial? Auf Kuba wird man sie …
— Du Saufgurgel! Die Glocke ist für Florida bestimmt.
— Das ist nicht wahr.
— Wir werden Kuba erreichen, aber die Glocke mit unseren Mäusen wird an Bord bleiben. Erst in Florida wird man sie an Land bringen. Die Kuttenbrunzer werden eine Bethütte bauen ….
— Und wie kommen wir an unseren Zaster?
— Frag ich mich auch, du Hornbock, dreimal depperter.
— He! Was ist mit euch? Ein Matrose erschien und klatschte. Land ist in Sicht. Interessiert euch das nicht?
Nun, da sie La Gomera erreichten, besserte sich die Stimmung. Kaum war die Insel zu sehen, entspannten sich alle. Sofort nahmen sämtliche Passagiere Aufstellung beim Fallreep, als ob sie gleich das Schiff verlassen könnten. Dabei dauerte das Beidrehen, Ankern und Fieren der Beiboote eine Ewigkeit. Die Leute standen geduldig da wie Kühe vor dem Melken, warteten und wollten den Seeleuten Informationen abpressen. Wie lange dauert das denn noch?
Auf der Insel erklangen Salutschüsse, und die Expedition wurde mit großem Zeremoniell empfangen. Schon von den Beibooten aus sahen sie die Gesichter der Inselbewohner. Manche hielten Zitronen, Fische oder bemalte Muscheln in die Höhe und riefen ihnen Zahlen zu. Die Unsitte, Touristen Nippes und überteuerte Lebensmittel anzudrehen, war schon damals gang und gäbe. Mit Maultierkarren brachte man die Ankömmlinge in ihre Unterkünfte: Steinhäuser und Ställe. Die Landschaft war karg, von schroffen baumlosen Hügeln eingefasst. Das dunkle Grün der Zypressen wirkte abweisend, die Wacholder- und Feigenbäume sahen melancholisch aus, und selbst die Palmen und Rhododendren waren schief gewachsen, als ob sie sich gegen Neuankömmlinge stemmten.
Der Gouverneur, ein fetter und phlegmatischer Potentat, hatte seinen schönsten Ornat angelegt, weiß von den Schuhen bis zum Hut, sah er aus wie Windgebäck. Enrico de Bobadilla war ein Verwandter Isabellas. Ein windiger Charakter, das war Desoto sofort klar, ein Wendehals, der sich wie eine Fahne im Wind drehte. Oder war er wie ein Krankenhauspatient, der sich anders benahm, sobald die Verwandtschaft zu Besuch erschien? Jedenfalls hatte dieser Windbeutel einen weichen, knochenlosen Händedruck und überschlug sich geradezu vor lauter Verbeugungen.
— Ich bin geehrt, mich in Eurer Gegenwart sonnen zu dürfen, Euer Gnaden, grinste der Gouverneur, und darum habe ich auch eine Überraschung vorbereitet.
— Passt schon. Desoto, dem Formalitäten auf die Nerven gingen, winkte ab.
Trotzdem gab es bereits am ersten Abend ein Festbankett. Kalbsköpfe, gebratene Ferkel und haufenweise Fische. War das die Überraschung?
— Natürlich nicht. Der Windige achtete darauf, dass die Gläser seiner Gäste immer gut gefüllt waren, pfiff seinen Lakaien und sagte bei jedem zweiten Schluck:
— Man darf dem Wein nicht die Gelegenheit geben zu verdunsten.
— Aber man darf den Wein auch nicht vor dem Branntwein loben, entfuhr es Nero. Der Ägypterkönig bellte.
— Und was ist mit diesen Leuten da? Isabella blickte naserümpfend zur Galerie, wo sich verschmuddelte Gesichter drängten, die heruntergafften.
— Haben Eintritt bezahlt, damit sie uns beim Essen zusehen dürfen. Der Gouverneur nahm eine Schweinshaxe, tat, als werfe er sie hoch, biss selbst hinein und grinste.
Alle langten tüchtig zu. Desoto gefiel es, seine Leute mit so tüchtigem Appetit essen zu sehen. Isabella, sie saß so gerade, dass man ihren Rücken als Senkbleischnur hätte verwenden können, irritierten die Schaulustigen auf der Galerie. Sie spürte, diese einfachen Leute empfanden nicht nur das Gelage, sondern auch ihren, Isabellas Anblick als appetitlich. Sie sah neidische Gesichter und hörte, dass geflüstert wurde.
Die Gespräche am Tisch drehten sich um Navigationsprobleme, Politik und das sich ständig verschlechternde Wetter. Auch das politische Klima, meinte Bobadilla, werde unerträglich — und zwar in ganz Europa. Die verfeindeten Stadtstaaten Italiens, das vom Geist der Reformation gespaltene Deutschland, gar nicht zu reden vom Engländer mit seinem promiskuitiven König, vom Franzosen. Diese Uneinigkeit nützt dem Türken, der sich ins Fäustchen lacht — oder in die Hand Fatimas. Man hat Konstantinopel in Istanbul umbenannt, aus der Hagia Sophia eine Moschee gemacht … und was geschieht? Der Papst vergnügt sich mit Nutten, und der Kaiser erobert Tunis, statt einen Kreuzzug zu initiieren. Schlimm wird das alles enden, schlimm.
Man erzählte Soldatenwitze und Anekdoten vom königlichen Hofstaat, wo es in der Damenwelt gerade Mode war, sich das Haar mit Lauge und Zitronensaft zu waschen.
— Friss nicht so viel, Dicker, feixte Rodrigo, sonst gehst du auf wie Teig. Nero blickte den Zwerg grinsend an, biss in seine Hammelkeule und nahm ihn zärtlich in den Schwitzkasten.
— Hättest du auch machen sollen, kleiner Mann, dann wärst du groß und stark geworden. Kleine Fleischfasern spritzten aus Neros Mund, während Ramses der Zweite den Zwerg in die Wade biss.
— Au! Dein Wurstl verwechselt mich mit einer Schweinshaxe.
— Du sollst nicht Wurstl zu ihm sagen.
— Was willst du mit dem Vieh? Solche Hündchen sind etwas für feine Damen mit Blähungen, damit sie eine Ausrede haben, wenn ihnen eine Flatulenz auskommt.
Wenn ich davon in Spanien erzähle, dachte Añasco, wird mich das vulgäre Volk so beneiden wie hier der Pöbel auf der Galerie. Moskito war derart betrunken, dass er nicht mehr gerade sitzen konnte, aber immer noch Dinge sagte wie »Lassen wir die Küche im Dorf«, und Nuño hatte seine Augen unablässig auf den leeren Platz neben Isabella gerichtet, die jetzt verbissen auf die Tischplatte stierte, als ob es dort eine komplizierte Schachstellung zu lösen gälte.
— Na? Desoto tätschelte den Kopf des Schönlings, strich ihm durchs lange blonde Haar, woran denkst du?
— Dass die Kopu-, die Kopu-, Kopulation eine ekelige Sache ist, sagte Nuño unvermittelt. Dieser Säfteaustausch ist e-ekelig. Eine Beleidigung.
— Sie Schlingel. Dem Gouverneur war ein butteriges Lächeln ins Gesicht geschmiert. Dann ist für ihn die Tischdekoration ganz umsonst. Der Windige nahm eine mit Goldregen gefüllte Vase, roch an den gelben Blüten und verdrehte die Augen.
— Himmlisch.
Die Dinge laufen gut, sagte sich der große Eroberer. Das wird die erfolgreichste Expedition aller Zeiten. Selbst Isabella machte ihm ausnahmsweise keine Vorwürfe, schwieg, starrte auf den Tisch oder tuschelte mit Julius Cäsar.
— Ha-habt ihr das Relief über dem Tor gesehen, sinnierte Nuño. Eine do-doppelschwänzige Meerjungfrau! Sie so-sollte do-doppelzüngig sein. Gottverdammt! Frauen bringen Verderben.
— Jedem sein Chaube. Nero rülpste.
— Chaube? Was’n das?
— Ein bitteres Getränk aus Bohnen, das ein Engel dem Propheten Mohammed geschickt hat. Die Mauren sind verrückt danach, wollen sogar Mekka in Mokka, wie der Trank auch heißt, umbenennen. Verrückt, oder? Das wird sich bei uns nie durchsetzen. Chaube? Nicht einmal der Ägypterkönig wäre mit dieser schwarzen Brühe glücklich. Die Chinesen, sagt man, trinken heißes Wasser, in dem sie Blätter ziehen lassen, aber da kann man gleich Pferdepisse gurgeln.
Der Sitz des Gouverneurs der Kanarischen Inseln war nichts weiter als ein besseres Bauernhaus. Türme mit feuchten Mauern, in denen Stille und Dunkelheit herrschten. Kandelaber hingen wie kleine Sonnen von der Decke. Alles atmete Bescheidenheit. Ein Außenposten der Zivilisation, der aber bewacht wurde, als ob es darum ginge, das christliche Abendland vor einer Invasion maritimer Ungeheuer zu bewahren. Wächter liefen wie Automaten auf und ab — militärischer Formalismus in seiner banalsten Form.
— Ist das nicht übertrieben?
— Keineswegs! Der Türke kann von überall kommen, Euer Gnaden. Oder der Chinese. Bobadilla machte ein besorgtes Gesicht.
— Oder der Ju-Jude, ergänzte Nuño. Wem gehört die Welt? Den Ju-Juden. Warum hat Heinrich der Achte sich mit dem Papst zerkriegt?
— Wegen Frauen?
— Weil die Ju-Juden selbst Münzen prägen wo-wollen. Warum wurde Machiavelli umgebracht?
— Der Florentiner ist tot?
— Ermordet. Gottverdammt! Weil er gegen die Ju-Juden geschrieben hat. Warum sind wir hier? Weil Kaiser Karl Schu-Schu-Schulden hat. Bei wem?
— Es geht also wieder einmal nur ums Geld.
— Aber jetzt zu etwas Erfreulichem. Frauen! Der Windbeutel strahlte.
— Go-Gottes Werkzeug, um Männer zu bestrafen, entfuhr es dem antisemitischen Weiberhasser.
Der Gouverneur pfiff in dieser seltsamen Sprache, die es nur auf La Gomera gab, woraufhin ein Mädchen erschien. Sie war so hübsch, dass manche von einem Stupor befallen wurden, andere Geräusche wie sich reibendes Styropor im Kopf hatten, während ihnen der Platz unter dem Hosenbund zu eng wurde. Eine Schönheit, die einem die Kehle zuschnürte.
»Oh, là, là« und Zungenschnalzen waren zu hören. Das schüchterne Mädchen, eine Mischung aus Ornella Muti und Grace Kelly, blickte zu Boden.
— Darf ich vorstellen: Leonora, meine Tochter zur linken Hand, aber anerkannt und adoptiert. Die Stimme des Gouverneurs war so selbstsicher, dass man darauf Bratheringe aufspießen hätte können. Euer Gnaden hier, Euer Gnaden da. Ich würde sie gerne Donna Isabella, der zukünftigen Gouverneurin von Kuba, als Gesellschafterin mitgeben. Isabella blickte auf und sah etwas, das sie nicht für möglich gehalten hatte, ist was?, dieses Mädchen war noch hübscher als sie, Krassigkeit, tss, doch Desotos Frau verbeugte sich und erklärte, Ornella-Muti-Grace-Kelly-Leonora wie ihre eigene Tochter behandeln zu wollen.
— Auch das, um Ihre Frage vorwegzunehmen, ist nicht die Überraschung. Der Gouverneur war süß und pickig wie ein frisches Baiser, außerdem stank er nach Parfüm. Ferdinand erhob sich und sprach von Bedeutung, welthistorischer Größe und Wahrhaftigkeit, sah, dass ihm Isabella etwas zeigen wollte, überging es, redete weiter voller Pathos von Bestimmung, Schicksal, blickte wieder zu seiner Frau, die auf ihr Handgelenk deutete.
— Was ist denn?
— Du hast ein Stück Käse an den Manschettenknöpfen.
Tatsächlich klebte da ein weißer Patzen. Desoto spürte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg.
— Erstens sind das keine Manschetten und zweitens, egal. Die hat ein Talent, einen lächerlich zu machen.
Am nächsten Tag fand die Ostermesse statt, kein Spektakel wie in Sevilla, nur eine kleine Prozession, bei der Kreuze, Fahnen und Monstranzen durch die Stadt getragen wurden. Leute sangen tranige Lieder, und Weihrauchbehälter, die wie große Teeeier aussahen, wurden heftig geschwenkt.
Eine ganze Woche dauerte es, bis die Pferde aus ihrer strampelhosenartigen Verschnürung im Zwischendeck befreit, in die Beiboote gehievt, vertaut und an Land gerudert waren, um dort etwas Auslauf zu genießen. Die Mannschaft begeisterte sich an frischem Fleisch, Brot und Ziegenkäse. Außerdem trug sie dazu bei, den Jahresumsatz der leichten Mädchen von La Gomera zu verdoppeln.
Desoto, nach außen stolz und siegessicher, musste wissen, ob die Sterne ihm gewogen waren. Er wollte eine Prophezeiung, die ihm den Erfolg seiner Unternehmung bestätigte. Dafür konnte man von der Inquisition angeklagt werden, aber es musste sein, er wollte Gewissheit.
Rodrigo hatte eine runzelige Alte aufgetrieben, welche in der Kunst der Salben bewandert war und auf Nadeln Geister erscheinen lassen konnte. Sie hatte keine Brüste, hängende Schultern und war mager wie eine Dreizehnjährige.
— Es heißt, Sie können in die Zukunft blicken.
— Ich habe ein Alter erreicht, in dem man lebensverlängernde Nahrung braucht … Ich liebe es, die Vögel zu beobachten.
— Sie hat mich nicht verstanden, murmelte der Eroberer.
— Du musst lauter sprechen, flüsterte Stummel.
— Es heißt, Sie können in die Zukunft blicken. Desoto brüllte.
— Warum schreien Sie so? In der Zukunft lesen? Ja, aber nur im Gehirn eines Toten. Ihr Kopf schaukelte wie ein Boot auf einem stillen See. Zum Glück gäbe es gerade einen Ertrunkenen, dessen Leiche unter Aufwendung finanzieller Mittel … Der große Eroberer gab ihr zehn Reales … die teuerste Weissagung seit dem Orakel von Delphi, und beobachtete, wie diese Greisin Richtung Hafen pfiff und wenig später einen Schädel, den eine Art Quasimodo gebracht hatte, aufschnitt und darin mit jungfräulichem Menstruationsblut, drei Reales extra, Eiterflechte eines Todkranken und einem Hahnenkopf hantierte. Als sie fertig war, schüttelte sie den Kopf. Ferdinand machte ein neugieriges Gesicht, aber die Alte starrte ihn bloß an und sagte:
— Dreh um, in Florida erwartet dich der Tod. Auf euch alle wartet er.
— Lüge! Betrügerin, ich glaube dir kein Wort. Rodrigo trat ihr erbost gegen das Bein, was die Alte mit einem verächtlichen Blick quittierte.
— Das ist nicht wahr! Ferdinand schrie so laut, dass man es bis China hören konnte. Er gab der Alten eine Ohrfeige, senkte aber dann, als er die flennende Gestalt sah, schuldbewusst den Blick und schlich schweigend davon.
Der Tod? Das kann ich niemandem erzählen. Moskito würde sich betrinken, Plattnase sagen, er hätte das bereits gewusst. Glaubst du diesen Unsinn? Wieso nicht? Ist nicht idiotischer als Jungferngeburten und Marienerscheinungen … Nein! Man will mich prüfen. Das Goldland, das ich Desotonien nennen werde, Desotoland, Desotopotanien … Ferdinand überlegte, was davon zu halten war, als Rodrigo angelaufen kam. Der Zwerg war über ein Bienennest gestolpert, dessen Schwarm ihn nun verfolgte. Seltsamerweise sausten sowohl der Kleinwüchsige als auch der Bienenstaat an ihm vorbei.
Ferdinand dachte an den Tod. Wenn er dich gewollt hätte, hätte er dich längst geholt. Vielleicht in Peru. Wie war es möglich, mit hundertachtundsechzig Mann das Reich der Inka zu erobern? Weil Atahualpas Land zerstritten war? Auch die einfachsten Männer sind damals reich geworden. Wie hat Pizarro, dieser Bastard einer Magd, das gemacht? Mit der einzigen Strategie, die Spanier immer angewandt haben, mit Verschlagenheit und Lüge. Als wir in Catamarca eintrafen, wo Atahualpa mit achtzigtausend Kriegern auf uns wartete, wurden wir nicht ernst genommen. Es gab diese Verabredung. Der Dominikanerpater ging zu dem Inka-Häuptling, drückte ihm eine Bibel in die Hand und sagte: »Höre das Wort Gottes.« Atahualpa hielt sich das Heilige Buch ans Ohr, und da er nichts vernahm, warf er es beleidigt auf die Erde, was für Pizarro das Zeichen zum Angriff war. Hundertachtundsechzig Männer eroberten ein Reich mit Millionen Indianern. Wie? Weil Gott auf unserer Seite stand und wir die Unterstützung feindlicher Stämme hatten? Nein, weil man keine Scheu vor der gemeinsten aller Waffen hatte, der Hinterlist! Atahualpa schenkte uns alles Gold, ließ sich taufen, schwor dem Kaiser ewige Treue. Ich habe ihm Spanisch beigebracht und Schach. Der Wilde hatte es nie zu mehr als einem Remis gebracht, und auch das nur, weil ich unaufmerksam war. Trotzdem wurde er verurteilt. Angeklagt wegen Hochverrat und Polygamie. Was ging es uns an, dass Atahualpa seinen Halbbruder getötet hatte? Wie konnten wir ihn der Vielweiberei anklagen, obwohl das bei denen ganz normal war?
Da kam Stummel wieder, diesmal ohne Bienen.
— Die Alte war nicht echt, keuchte er. Ich habe mir einen Scherz erlaubt … war gar keine richtige Wahrsagerin … hab sie unten am Hafen aufgegabelt … Du lässt dich auch leicht ärgern. Rodrigo grinste. Ferdinand versetzte ihm einen Tritt. Aber wie gern war er bereit, die unheilvolle Prophezeiung als Unfug abzutun.
Was für eine Überraschung sich Bobadilla wohl ausgedacht hatte? Am Tag vor der Abreise war es so weit. Auf dem Dorfplatz hatte man eine Bühne errichtet — Desoto erwartete ein provinzielles Autodafé. Oder eine Vorführung der Pfeifsprache? Alle Expeditionsteilnehmer nahmen Platz und sahen wenig später, wie die Inselbewohner ein kleines Schauspiel aufführten. Eine Mischung aus »Odyssee« und Fastnachtspiel. Bunt gekleidete Mädchen tänzelten eine Art Chaconne, römische Soldaten waren zu sehen. Und dann geschah etwas Merkwürdiges: Ein Schauspieler stimmte, anstatt zu sprechen, einen derart hohen Gesang an, dass manche dachten, man hätte ihm die Kronjuwelen eingezwickt.
— Eine neue Kunstgattung, Euer Gnaden, flüsterte der Gouverneur. Man nennt sie Oper.
Setzt sich nie durch, dachte Desoto und sah vollbusige Weiber und bärtige Sänger mit dicken Bäuchen. Warum müssen die so übertreiben? Er verstand den Text nicht, langweilte sich entsetzlich und begann zu zählen. Vierzehn römische Soldaten, einundzwanzig Tänzerinnen, achtundvierzig Blumengestecke … Dann ging eine Schleuse auf, und es begann ihm zu gefallen. Plötzlich war der Gesang nur noch Gefühl, wollte er nicht, dass das jemals aufhörte. So viele Menschen, die für einen spielten und sangen und hier dem Publikum etwas von ihrem Talent schenkten. Das war Liebe. Er dachte an Isabella, die ganz ergriffen seine Hand drückte. Ob er sich zu wenig um sie kümmerte wie der Held der Oper um seine Frau? Dachte sie oft an ihren Vater? War sie noch in Trauer? Sollte er ihr sagen, wie ekelhaft Pedrarias gewesen war? Er sah sie an … ihr Gesicht, dieses unbekannte Land, das Muttermal, die Zahnritze … und fühlte Zuneigung. Ihre Augen waren geschlossen, so versonnen lauschte sie den Tönen. Nein, sie schlief. Wie war das möglich? Tatsächlich hörte er ein leises Schnarchen, nichts Despektierliches, kein empörtes Trompeten, aber doch das leise Schnaufen einer Schlummernden. Neben ihr schlief Alfonsito. Ferdinand roch einen leichten Fäkalgeruch und ahnte, woher er kam. Was dann folgte, war wirklich eine Überraschung. Er spürte eine Hand auf seinem Oberschenkel — die des Gouverneurs. Erschrocken drehte sich der Eroberer zu ihm hin, sah feine, fast kindliche Gesichtszüge, die versonnen schmunzelten. Eigentlich ein schöner Mensch. Wenn er nur nicht so nach Lavendel stinken würde. Im nächsten Moment überschlug er seine Beine und wischte die Hand wie beiläufig weg.