Die wochenlang über den Himmel jagenden Wolken hatten sich verflogen. Mit der Sonne wurden die Schatten stärker. Und einer dieser Schemen packte Plim am Hals und drückte zu — Bastardo!
— Der Schatzmeister hat unsere Mäuse.
— Geht mich das was an? Elias röchelte.
— Wenn du uns nicht hilfst, verraten wir, dass du Moslem bist.
— Den Schatzmeister bestehlen? Plim spürte, wie ihm Hitze zu Gesicht stieg. Hernández de Biedma ist ein Hüne, ein buchhalterischer Rübezahl. Der sieht nicht aus, als würde er sich gern beklauen lassen.
— Lass das unsere Sorge sein. Bastardos Züge hatten nichts von ihrer Verschlagenheit eingebüßt.
Vor Elias’ Augen tanzten dunkle Flecken, er war nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren. Den Schatzmeister bestehlen? Etwas Dümmeres kann einem nicht einfallen. Wenn man erwischt wird, ist man tot. Bastardo lockerte den Griff, und Plim war, als hätte jemand eine ungerupfte Gans durch seine Kehle gepresst.
— Wozu braucht ihr das Geld? Jetzt, da wir bald im Goldland sind.
— Hier geht es ums Prinzip. Gino tätschelte Plims Gesicht.
— Und wann?
— Erfährst du früh genug.
Anfang März verließ die Expedition das Winterquartier. Die Zeltwände wurden getrocknet, die Lafetten der Kanonen gesäubert. Angeführt von Pedro, ging es Richtung Cutifachiqui, jenem Goldland, von dem der Indianer gesprochen hatte.
Pedro vom Stamm der Creek trug einen blechernen Morion und eine gestreifte Bluse mit Puffärmeln, darunter war er nackt. Ein Wichtigtuer, wie es immer welche gibt, wenn eine Besatzungsmacht ein Land einnimmt. Durch sein offenes Gesicht machte sich der Bursche, er mochte fünfzehn oder sechzehn sein, schnell beliebt.
Überall erregte der Zug Staunen — die Rüstungen der Dragoner, ihre funkelnden Schwerter und Fahnen. Die Indianer kannten weder Pferde noch Schweine. Auch die Doggen hatten nichts gemeinsam mit ihren putzigen Hunden, die von Frauen gesäugt wurden, neben Kleinkindern schliefen und früher oder später im Kochtopf landeten.
Ein Teil der Männer war in Mexiko und Peru gewesen, andere waren mit der Armee Karls des Fünften kreuz und quer durch Europa gezogen. Manche hatten auf dem Balkan gegen Türken gefochten, wider Mauren in Tunis oder gegen Bauern in Deutschland. Aber wo auch immer, es hatte einen Feind gegeben, eine Schlachtordnung und einen Plan. Hier gab es nur ein zielloses Herumziehen unter der Führung eines wichtigtuerischen Kollaborateurs. Pedros Vertrauenswürdigkeit war durch nichts begründet. Er brabbelte von vertrauten Wegen. Aber je länger er quatschte, desto mehr kam der Verdacht auf, er sei ein Bluffer. Cutifachiqui? Goldland? Alles, worauf man stieß, waren armselige, meist verlassene Dörfer.
Entschlossen verteidigten die Indianer ihre hässlichen Mädchen und hängebrüstigen Weiber, ihre Hühner, Ziegen, Affen. Die meisten kannten nur eine Strategie — sich verstecken. Und irgendwann waren auch ihre Vorratskammern leer. Die Appalachen hatten dazugelernt, alles vor den Spaniern in Sicherheit gebracht.
Das wenige Kleinwild, das man fing, konnte das Heer nicht ernähren. Jeder vernünftige Führer hätte es für nötig gehalten, die Mannschaft auf halbe Ration zu setzen. Der große Eroberer aber machte das Gegenteil, ließ die Portionen verdoppeln.
— Er wird verrückt. Stummel schüttelte den Kopf. Die Eifersucht bringt ihn um den Verstand.
— Wahnsinn. Añasco rümpfte die Nase.
— Jedenfalls hebt es die Stimmung. Moskito hielt das für einen guten Einfall.
— Verhungern werden wir, sagte Nero, und Ramses bellte.
— Bald essen wir Luftsuppe mit Windklößen.
Der Zug schleppte sich vorwärts, und die Appalachen blieben lästig. Jeder, der sich zu weit von der Truppe entfernte, verschwand und tauchte später übel zugerichtet wieder auf. Diese Angewohnheit der Wilden, ihren Opfern das Haupthaar vom Kopf zu schneiden, war ziemlich ungustiös. Die Toten sahen aus wie Mönche, deren Tonsur von einem Mähdrescher geschnitten worden war.
Niemand gab sich Mühe zu zählen, aber von den achthundert Expeditionsteilnehmern waren bestimmt schon hundert nicht mehr am Leben.
— Was isst du da? Elias sah, wie Ruben Pulver aus einem Beutel naschte.
— Heilige Makrele! Was geht dich das an? Der Rothaarige machte eine abfällige Geste.
— Erde, entfuhr es Jonas. Das Stockmännchen humpelte neben ihnen her.
— Du kannst mir in die Heckluke kriechen.
— Erde?
— Heimaterde, brummte Ruben. Gegen Heimweh.
— Träumt man da nicht schlecht?
— Entsetzlich. Aber wenn man beschossen wird, verändert sich das Hirn, daher brauche ich ein Gegengift. Jawohl, Monsieur.
Nach wochenlangem Marsch kamen sie in eine öde Steppe. Dahinter, verkündete Pedro, liege das Gebiet der Creek. Das Griechenland Westindiens! Von dort ist das Goldland Cutifachiqui nicht mehr weit.
Die Appalachen hatten die Verfolgung eingestellt, veranstalteten Freudentänze und ließen ihren verfetteten Häuptling, ihren großen Führer Kaspasi, hochleben. Die Creek waren freundlicher, ohne Kriegsbemalung. Eine Hochkultur wie die alten Griechen? Ein Volk, das eine Akropolis baute und Staatsformen wie die Tyrannei oder die Oligarchie ersann? Nein, in Lumpen gekleidete Wilde, die in erbärmlichen Hütten hausten. Kein Amphitheater, keine Tempel oder Badehäuser. Aber sie behandelten die Expedition wie eine Delegation des Himmels, kamen mit Früchten, Fleisch und Halsketten, näherten sich zögerlich und zupften an den Hosen und Strümpfen der Spanier, als wollten sie sich überzeugen, ob die Fremden wirklich existierten. Bereitwillig teilten sie ihre Vorräte und zeigten, wie man mit spitzen Steinen die Rinden von Bäumen kratzte, im Holz verästelte Tunnel freilegte, gelbliche Würmer herauszog und sie genüsslich verspeiste.
Der Oberhäuptling hieß Potofo. Er empfing Desoto, dem die stumme Indianerin wie ein Schatten folgte, mit großem Tamtam, überreichte dem Statthalter einen Pfeil … das bedeutet Freundschaft, erklärte Pedro gerade rechtzeitig, ehe der große Eroberer ihn zerbrechen konnte … und lud ihn zum schwarzen Trank.
— Saft aus der Stecheiche. Wir trinken ihn zur Reinigung.
Keine Mumien, sondern Männer jeden Alters. Pedro nannte ihre Namen: Zehnzwölf Bären, Fettes Gras, Stummer Hungerwolf … Potofo selbst trug einen pompösen Federschmuck, hat wohl einen Adlerhorst geplündert, und eine Art Brustpanzer aus Hühnerknochen und Fischgräten. Sein Herrenausstatter scheint eine Vorliebe für Küchenabfälle zu haben. Schwer zu sagen, wie alt er war. Das Gesicht, faltig wie ein Elefantenrüssel, saß auf einem gedrungenen, aber muskulösen Körper.
Der schwarze Trank wurde in Schneckengehäusen serviert und schmeckte so entsetzlich, dass sich Desoto und seine Hauptleute sofort übergaben. Auch Potofo, Zehnzwölf Bären, Fettes Gras und die anderen kotzten. Dann richteten sie sich auf, lachten und umarmten die Spanier.
Man reichte ihnen Spuckebier und führte sie durchs Dorf. Strohgedeckte Hütten um einen hölzernen Palast mit geschnitzten Krokodilköpfen, Sonnensymbole und Kreaturen in unzüchtigen Stellungen.
— Früher war die Sonne ein Mann. Wenn er seine Achsel hob, wurde es Tag, wenn er sie senkte, Nacht. Pedro wies auf klobige Steinstatuen.
Wieder wollten die Missionare alles zerschlagen. Diesmal hielt sie Desoto rechtzeitig zurück. Die Ordensmänner begnügten sich damit, Kreuze aufzustellen und den Indianern von Jesus zu erzählen.
— Das ist unser Erlöser! Gott!
— Dieser kleine Kerl soll mächtiger sein als unser großer Geist? Mächtiger als Wendigo?
— Er kann übers Wasser gehen, Blinde sehend machen und Fische wie Brot vermehren. Die Missionare wussten, nur mit Wundern konnten sie die Wilden ködern. An Seelenrettung, ewigem Leben oder einem Paradies waren die nicht interessiert, aber mit einer Verwandlung von Wasser in Bier … Wein kannten sie nicht … ließ sich ein Konfessionswechsel schmackhaft machen.
Cord war von den Lehmöfen beeindruckt, in denen die Indianer Brot buken. Außerdem gab es eine Hütte mit luftdurchlässigem Boden. Der Arzt vermutete, dass man hier Tote mumifizierte, aber die falschen Griechen zeigten ihm den wahren Zweck. Sie begannen in Streifen geschnittenes Fleisch auszubreiten und entzündeten ein glimmendes Feuer. Ein Räucherhaus! Ursprung aller Grillfeste, familiärer Bierbesäufnisse — des Barbecues. Ein halbes Jahrtausend später sollte das BBQ die Religion der Südstaaten sein, würde es konfessionelle Dispute über die Länge der Garzeit, die Zutaten der Marinade und das richtige Holz geben. Eiche oder Mesquite? Man würde darüber streiten, welche Art Musik man dem schmorenden Fleisch vorspielen darf. Blue Grass oder Honky Tonk, Nashville Sound oder Western Swing? BBQ würde eine Religion sein — mit Messen, Priestern, Gläubigen.
Als der Wurstmachersohn überlegte, wie sich die Räucherei für seinen Vater nutzen ließe, riss ihm einer der Wilden die Brille vom Gesicht. Die bügellosen Gläser gingen von Nase zu Nase und reizten die Eingeborenen zu Lachstürmen.
— Nicht kaputtmachen! Glas! Zerbrechlich!
Die meisten Griechen rauchten. Manche Spanier kannten den Tabak aus Kuba. Hier, in der Einsamkeit der Wildnis, war den Männern jede Berauschung recht. Die Europäer hatten den Indianern Grippe, Pocken, Cholera und andere Geschenke gebracht. Die Gegenleistungen dieser Transaktion waren Tabak und Syphilis. Verbotstafeln, Raucherreservate, Aschenbecher … All das verdankt die Welt den Indianern.
Pedro zeigte stolz sein Creek-Land. Keine ionischen Säulen und keine Stadien, kein Orakel von Delphi und keine Philosophen, aber man hatte Schmieden mit knisternden Essen. Gold? Nicht so viel wie die in Cofitachequi, aber ja. Mit geschwellter Brust führte Pedro die Hauptmänner zu einer Hütte, wo alles glitzerte und funkelte: Kessel, Schmuck, Figuren. Der Indianer strahlte.
— Zu viel versprochen? Gold! Mehr, als ihr tragen könnt.
— Gold! Wir sind reich. Nero hob Ramses hoch und jubelte. Gold! Añasco machte einen Luftsprung, und Nuño umarmte Stummel. Gold! Go-gottverdammt! Nur Desoto betrachtete die Gegenstände und fühlte sich wie ein Kind, das zu Weihnachten leer ausging. Enttäuscht sagte er:
— Das ist … jetzt sahen es auch die anderen … Plunder. Stummel schüttelte den Kopf, und Añasco sprach von einem Wunder … an Einfalt.
— Was ist? Pedro wusste die Ernüchterung nicht zu deuten.
— Das ist kein Gold. Du hirnloser Idiot. Nur Kupfer von ungewöhnlich heller Farbe.
— Betrüger! Ich mache Bett-Bettbezug aus dir. Añasco fauchte.
— Gold? Kupfer? Wo ist der Unterschied? Das sind nur Wörter. Pedro zuckte mit den Achseln, sein strahlendes Lachen schrumpfte zu einem dünnen Strich.
— Nur Wörter? Der große Eroberer sah aus, als hätte sich soeben ein Goldschatz in Erdklumpen verwandelt. Das eine ist wertvoll, das andere nicht.
— Wertvoll? Pedro verstand nicht.
— Für Gold kann man alles kaufen, Schlösser, Gestüte, Mühlen … Freiheit! Der Adelantado merkte, dass der Indianer damit wenig anzufangen wusste.
Die Soldaten schäumten vor Wut, sobald sich diese Verwechslung zu ihnen durchgesprochen hatte. Besonders Bastardo und Cinquecento verfluchten ihr Schicksal.
— Wir bringen es nie zu was. Alles wegen unserer Herkunft, du als Bastard, ich als Sohn eines Schnürsenklers und eines Fischweibs …
Andere kühlten ihre Füße in einem kalten Bächlein. Manche rasierten sich, und selbst Ruben ließ sich die rotblonden Locken stutzen. Elias saß abseits und lächelte versonnen. Er war einer der wenigen, die Gold nicht interessierte, lieber dachte er an zuhause. Ob er seine Eltern jemals wiedersehen würde? Spanien mit seinen stolzen Bürgern … ein größenwahnsinniges Völkchen mit eingebildeten Leuten. Da kam eine alte Indianerin, zeigte ihm eine Schüssel mit grüner Paste und gestikulierte. Eine Nymphe? Hure? Die Alte griff ihm an die Schulter und gab überraschte Töne von sich. Was denn? In Elias’ Augen standen Fragezeichen. Sie drückte ihn auf einen Schemel, setzte sich davor, nahm seinen Fuß und begann ihn zu massieren. Als sie ihre Fingerknöchel in die Fußsohle drückte, schrie er auf vor Schmerz. Das ist wie eine Bastonade in Algerien. Was folgte, war ein Kneten und Drücken, ein Hämmern auf die Waden, Trommeln an den Oberschenkeln und Schlagen seines Rückens, der gleich darauf mit der Paste, Kaktusmark, eingerieben wurde. Elias war, als wringe diese Alte alle Knoten und Verspannungen aus ihm heraus, alle Erinnerung — Mustafa Müller, Sklavenmarkt, Penelope, den Kapitän mit dem unaussprechlichen Namen, Sevilla, Diamantenring … Als sie fertig war, kam er sich vor wie durch einen Fleischwolf gedreht und wieder neu zusammengesetzt. Herrlich. Er schenkte der Masseuse eine Glasperle, die die stolze Alte allen zeigte. Sofort entpuppte sich das Dorf als heimlicher Massagesalon. Überall tauchten Frauen mit Kaktusmark auf, die Körper der Spanier durchzukneten.
Quigley war der Erste, der seinen schwabbelbrüstigen Körper präsentierte, aber auch Müggenpflug hatte keine Scheu, sein knochiges schwäbisches Gestell in Knethände zu legen.
Cord Fenk und Castro hingegen interessierten die Tortillas: Zuerst werden die Maiskörner in Kalkwasser aufgeweicht, dann entfernt man ihre Haut, kommen sie in Steinmühlen. Die Masse knetet man zu Teig, bis er die Konsistenz von Ohrläppchen hat …
Häuptling Potofo schwor, dass er weder die Trennung von Staat und Kirche noch die Entthronung Karls jemals akzeptieren und niemals an den Humbug einer heliozentristischen Welt glauben werde — und noch so allerlei, was man ihm vorsagte. Er beteuerte, niemals dem deutschen Ketzer nachzueifern, den er wie »Mutter« aussprach, bat um Verzeihung, weil er den Teufel angebetet hatte, und Desoto heftete diesem Schleimer einen Papporden an die Brust, woraufhin der Kazike eitel herumstolzierte und bereit war, dem großen weißen Vater in Spanien zu dienen.
— He, komm zurück. Wir müssen noch eine Formalität erledigen.
Potofo kniete nieder und sprach Wort für Wort die Eidesformel nach, worauf der große Eroberer ihn zu seinem Statthalter ernannte, zum Klein-Adelantado, ihn mit einer Amtskette beschenkte und ihm eine Urkunde überreichte. Der Kazike verbeugte sich und schritt würdig herum. Jetzt zeigte sich Potofos wahrer Charakter, seine Vorliebe für Verordnungen. Er verkündete stante pede die Umbenennung seines Dorfes in Neukastilien, erklärte alles Land zum Eigentum des Königs, erließ die allgemeine Wehrpflicht, verbot die Vielweiberei, beschloss die Meldepflicht von Träumen und führte Steuern auf das Fingernagelschneiden ein.
In der Mitte des Dorfes wurde ein Grenzstein gesetzt, der das Gebiet zu kaiserlichem Territorium erklärte. Außerdem wurde das Tannenzapfenessen verboten und verkündet, dass man für seinen Schatten Abgaben leisten müsse.
Ein paar Soldaten machten sich den Spaß, Indianern Strümpfe, Hosen und Leinenhemden anzuziehen, womit die Wilden wie Faschingsnarren aussahen. Man setzte ihnen Helme auf und drückte ihnen Schwerter in die Hand, doch die Indianer sahen immer noch verkleidet aus.
Nach einer kurzen Unterweisung in der Lehre Christi nahmen alle Creek die christliche Taufe an. Juan ging mit einem Eimer Weihwasser durch die Reihen und wischte einen nassen Schwamm über Gesichter. Hostien gab es nicht, dafür warf man alle geschnitzten Götter aus dem Tempel, die von Gunkel eingesammelt wurden.
— Das sind mal Vesperbrettchen.
Die mumifizierten Ahnen landeten in einer Grube, wo die klapprigen Gestelle zerfielen. Mehlsuppengraue Schädel mit makellos weißen Gebissen sahen jetzt entsetzt nach oben. Auf jede Hütte wurde getreu dem nächsten Potofo-Erlass ein Kreuz gemalt, und die Priester freuten sich, tausende Seelen gerettet zu haben. Alle sangen, tranken vergorenes Spuckebier und feierten. Ein Greis warf seine Krücken weg, und Fiebernde begannen zu tanzen. Erst als die bekehrten Heiden um Locken der Missionare baten, damit sie daraus Amulette machen konnten, kamen den Priestern Zweifel.
— Sie kennen kein Ego, sagte Cord.
— Was hat das damit zu tun?, entgegnete Juan.
— Das Christentum ist eine Religion des Egoismus. Jedem geht es zuerst um seine eigene Rettung, es gibt nur einen Gott. Wir sind so erfolgreich, weil wir eine Menge von Einzelnen sind. Die Indianer begreifen sich dagegen als Gesamtheit. Die kommen alle gemeinsam in den Himmel oder gar nicht.
— Kein Ego? Juan war schlanker und nachdenklicher geworden. Er verließ sich nicht mehr auf das, was der Papst und sein Bischof gesagt hatten, war bereit, auf der Suche nach Gott Narben und Abschürfungen in Kauf zu nehmen. Aber war er auf dem richtigen Weg? Seelen retten, taufen, das ganze proselytische Geschäft?
Potofo dekretierte Erlässe, die das Tragen von Schuhen und die Haarlänge betrafen. Den Bäumen wurde die Dicke der Rinde vorgeschrieben und Säuglingen die Schlafenszeit. Dauernd ließ sich dieser bürokratieversessene Häuptling etwas einfallen. Festgelegte Stillzeiten, Ausgangssperre, Versammlungsverbot … Arbeitspläne … Verordnungen, Dekrete, Erlässe, das war der Geist der neuen Zeit. Wenn der Wahnsinnige so weitermachte, würde er noch das Atmen besteuern.
Diese falschen Griechen hatten weder Gold noch Perlen, in ihren Nasen steckten Knochen und in ihren Brustwarzen Schilfrohr. Das waren keine Prinzen, die ihre Körper mit Honig bestreichen und dann mit Goldstaub pudern ließen — nur einfache Menschen. Was sollten die mit Potofos absurdem Gesetzeswerk anfangen? Trotzdem wurde jeder neue Erlass gefeiert wie ein Homerun beim Baseball.
Potofo zeigte auf Soldaten und meinte, deren Waffen wären wirksamer als Kreuze. Er würde einen Erlass zur Abgabe formulieren.
— Das geht nicht, fuhr ihm Añasco in die Parade.
— Nein? Nachdem der Häuptling lange vom Geist seiner Ahnen, vom Gewicht der Feder eines Kolibris und der Sonne, deren Strahlen Bärenklauen waren, gesprochen hatte, berichtete er endlich auch von der Kazikin Cofitachequi, die im Norden regierte und viele Perlen besaß. Er nannte sie die Königin der Perlen, versprach einen Erlass und sagte, dass dort die Frauen an der Macht waren und in einer Sprache redeten, in der alles weiblich war.
Desoto war misstrauisch, Añasco aber sagte:
— Perlen sind Perlen, da kann es keine Verwechslung geben. Du musst den Leuten zeigen, dass du daran glaubst. Sie müssen wissen, dass du alles im Griff hast.
Potofo musterte den großen Eroberer wie ein Hund seinen Herrn. Er hatte keine Ahnung, dass Perlen wertvoll waren, Glasperlen fand er schöner, würde aber sofort einen Gesetzesentwurf ausarbeiten lassen …
— Genug! Keine weiteren Erlässe! Nicht, solange wir hier sind.
Zwei Wochen verbrachte man in diesem falschen Griechenland. Die Männer vergnügten sich mit Hahnenkämpfen und jungen Nymphen. Potofo wäre dagegen vorgegangen, doch er durfte nicht und schmollte.
Bastardo und Cinquecento hatten den Cockfight erfunden. Sie banden Hähnen blaue oder rote Bänder um die Knöchel oberhalb der stumpf gefeilten Krallen, fetteten die Federn ein und nahmen Wetten an.
— Sobald der Kampf in vollem Gang ist, gehst du zum Schatzmeister und fragst, ob er zusehen will. Bastardos Atem roch faulig. Als er Elias so nahe kam, dass sein Gesicht zu einem einzigen Auge schmolz, kippte Plim fast um. Der Finanzminister wird seine Geldtruhe nicht aus den Augen lassen wollen, aber du wirst ihm anbieten aufzupassen.
— Ich … Elias’ Stimme stockte. Ihr werdet die Kiste nicht öffnen können.
— Das lass unsere Sorge sein. Ein rechtschaffenes Schloss weiß, wann es aufzugehen hat.
Als Plim merkte, wie seine Knie zitterten, begann der Hahnenkampf.
— Auf den Blauen, schrie Quigley. Ich wette um die Ehre meiner ungeborenen Tochter. Firteen Reales!
In einem Kreis von johlenden Soldaten ließ man das Geflügel aufeinander los, sah zu, wie die Hähne erst desinteressiert taten, gockelstolz herumstaksten, die Hälse reckten, ein Krächzen herauswürgten, sich langsam, fast beiläufig einander näherten, beschnupperten, mit Blicken taxierten, fixierten, dann eine Art Tanz vollführten, bei dem die ruckartigen Bewegungen der Köpfe vollkommen synchron verliefen — vor, zurück, seitwärts wie ein geflügeltes Ballett. Man konnte die Spannung spüren, das Knistern, bevor die Streithähne alle Contenance ablegten und sich völlig unvermittelt ins Genick hackten, aufflogen, dem Konkurrenten ohne viel Federlesens in den Flügel bissen. Jetzt hatte keiner mehr Zeit zu krähen, wurde nur noch wild gegackert und geackert. Gehackt und gehämmert.
— Volle Breitseite, murmelte Ruben. Schuss vor den Bug.
Flaumfedern wirbelten durch die Luft, die hellen Krägen färbten sich dunkel, und von den Tieren tropfte Blut, bis sich einer der Gockel geschlagen gab und zum Zeichen der Unterwerfung auf den Rücken legte. Das Spektakel erinnerte an Gladiatorenkämpfe, an eine rohe Form des Volkstheaters. Die Betrunkenen kreischten, feuerten ihre Favoriten an, verlangten ihren Wettgewinn oder schimpften auf den Verlierer, während die Indianer staunten, und Castro schon mal den Suppentopf warm machen ließ.
— Firty-free, schrie Quigley. Ich setze die Ehre meiner Kreolin.
— Treffer. Ruben klatschte. Bravo, Blauer. Versenk ihn.
Elias ging zum Schatzmeister, erzählte ihm von einem einzigartigen Spektakel und bot an, auf die Kriegskasse aufzupassen.
— Kommt nicht infrage. Hernández de Biedma blickte auf Elias mild lächelnd herunter. Bestimmt hatte man ihn nur wegen seiner Körpergröße zum Schatzmeister ernannt.
— Die Kiste bringt keiner auf … Elias stotterte.
— Zum Wegtragen zu schwer, zum Trinken zu dick. Aber Hahnenkampf? Einen Wettkampf für große Leute müsste man erfinden, etwas, wobei man Kürbisse in Körbe wirft … Der Hüne ließ sich aber überzeugen und ging zur Hahnenkampf-Arena, wo sich die Hähne blutig hackten.
Quigley verwettete inzwischen seine Vornamen, und Cord war verwundert, dass die Hauptleute nichts unternahmen, war doch die branntweingetränkte Stimmung unmittelbar davor, in eine Schlägerei zu kippen.
Inzwischen war Bastardo im Zelt des Schatzmeisters, fuhrwerkte in den Löchern der mit Eisenbeschlägen verstärkten Kiste herum und brauchte nicht lange, bis etwas einrastete und sich der schwere Deckel öffnen ließ.
— Na bitte. Gelernt ist gelernt. Er nahm das obenauf liegende Säckchen — prall gefüllt mit Münzen. Und das sind die Zinsen. Die Ratte steckte ein paar Golddukaten ein.
— Wenn das rauskommt, bin ich tot. Elias schüttelte den Kopf. Was braucht ihr hier Geld?
— Klappe. Bastardo schloss den Deckel und verschwand so schnell, wie er gekommen war.
Gleich darauf stürzte der Schatzmeister empört ins Zelt und schrie:
— Betrug! Diebstahl! Und du sitzt hier herum.
— Was? Aber der Hüne sprach nur von Wettbetrug und von der Schlägerei der Zuseher.
Ich habe den Zimmerpflanzen erzählt, was ich vorhabe. Die Justiz in ihrem eigenen Spiel schlagen, sagte Trutz Finkelstein zu seinem auf der Couch lümmelnden Sohn.
— Wie haben die Pflanzen reagiert? Levy gähnte.
— Sie reden wenig, aber ich denke, ein bisschen haben sie gegrinst.
Das Spiel der Amerikaner, das, worin sie unschlagbar sind, ist die Form. Es hatte dunkle Momente in Finkelsteins Leben gegeben, aber die Ablehnung der Klage hatte alles übertroffen. Doch Trutz hatte sich gefangen und war nun noch mehr überzeugt, aufseiten der Gerechtigkeit zu kämpfen. Und wenn man sich im Recht wähnt, findet man auch Gründe — umgekehrt ist es schwierig. Er wusste, dass die neue Klagsschrift formvollendet sein musste, schließlich erklärte er der amerikanischen Realität den Krieg, einer Realität, die glaubte, der Läufer könne die Schildkröte überholen … einer Gesellschaft, die Schildkröten im Gemüsefach ihrer Kühlschränke überwintern ließ. Diese Wirklichkeit war etwas für Leute, die es sich bequem machten.
Finkelstein war in fiebriger Erregung … halb Euphorie, halb Wahnsinn. Er schrieb vom Requerimiento, der Aufforderung der spanischen Eroberer, sich Papst und Kaiser zu unterwerfen, erwähnte Desoto, Coronado und andere Eroberer, stellte fest, dass der Vorzug der USA, keine Vergangenheit zu haben, sich ins Gegenteil verkehrte. Nicht nur Kulturgüter müssten restituiert werden, Federkronen, Tomahawks und geschnitzte Totems, sondern das ganze Land. Alles!
Sein Stil war hypotaktisch, aber präzise, als wären die Schachtelsätze nur für ihn, Trutz Finkelstein, erfunden worden. Es war eine gefinkelte Schrift voll juristischem Raffinement, worin er über Eigentum und Besitz räsonierte, über Ausbeutung und Verjährung philosophierte. Er übertraf sich selbst. Da wurde mit Scheinangriffen operiert, mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dem Vorrecht des Völkerrechts vor dem Bundesrecht. Aber das waren Strohfeuer, Ablenkungsmanöver, um ein kleines Geschütz in Position zu bringen, eine Schildkröte voller Sprengstoff, die direkt in das Herz der Vereinigten Staaten ging. Es war ein lapidarer Satz, der Wörter wie Befugnis und Kontraktfähigkeit enthielt und alles auf den Kopf stellte, weil er so beharrlich und unausrottbar war wie Pflanzen, die Asphalt sprengen, wie eine Schildkröte, die kein Läufer überholen kann. Die Idee dazu war ihm durch Levys Computerspiel gekommen. Wer hätte gedacht, dass diese Zeitvergeudung zu etwas gut sein könnte? Ausgerechnet sein verfetteter Sohn, der noch nie von Martin Luther King oder Malcom X gehört hatte, nicht einmal Christoph Kolumbus kannte, hatte das entscheidende Stichwort geliefert.
Wie die Pflanzen reagiert hatten, wusste Trutz, sie hatten gegrinst. Aber der Supreme Court? Diese altehrwürdigen Richter — Abkömmlinge von republikanischen Rinderzüchtern oder demokratischen Fabriksbesitzern? Diese saturierten WASPs? Wie würde das zwischen Klassenjustiz und Gerechtigkeit hin und her schwankende amerikanische Rechtswesen die neue Klage aufnehmen? Trutz hob seine Faust mit einem wegstehenden Mittelfinger und reckte sie in die Luft. Es gab keinen objektiven Grund für sein Gefühl, aber er wusste, er war wieder im Geschäft.
Vielleicht würden die Richter fassungslos wie seine Eltern reagieren, als er ihnen gestanden hatte, dass das koschere Hähnchen zu Rosch ha-Schana gar nicht aus Israel stammte, sondern von einem Halal-Fleischer aus der Bronx? Oder wie er selbst, als er erfahren hatte, dass Santa Claus kein jüdischer Heiliger war und im Talmud keine Rede davon war, Kindern zu Weihnachten Zweitausend-Dollar-Geschenke zu machen?
— Egal. Sie werden die Klage annehmen, sagte er mit fester Stimme. Sie müssen sie annehmen, sonst gehe ich zu Starbucks, greife mir einen dieser durchsichtigen Plastikstäbe zum Umrühren, pule damit im Ohr und stecke ihn zurück in den Behälter … Für Finkelstein der ultimative Akt der Subversion. Aber das wird nicht notwendig sein, weil ich wieder im Geschäft bin.