Obwohl sich die Creek im Streit mit den Bewohnern des Perlenlandes befanden, stellte Potofo den Spaniern fünfhundert Träger zur Verfügung. Per Erlass durfte er festlegen, sie mit Bohnen, Mais und Trockenfrüchten zu beladen. Zum Abschied bekamen die Spanier Mangos, Brotfrüchte und Papayas, bei deren Nennung alle kicherten.
— Papp-Eier? Ist das so lustig?
— Ihr Name bedeutet das, was Frauen zwischen ihren Beinen haben, erklärte Pedro, der in seinem Dorf bleiben wollte, per einstweiliger Verfügung aber gezwungen wurde, die Expedition ins Perlenland zu führen. Dem kleinen Wichtigtuer gefror das Lachen im Gesicht.
Als sie zum Aufbruch rüsteten, war der Grenzstein geschmückt, kleine mit Mais gefüllte Körbe standen davor, Frauen küssten ihn … Für sie war dieser Stein mit dem aufgemalten Wappen ein Gott. Juan griff sich an den Kopf. Diese Heiden lernen es wohl nie.
Potofo bekam zwei Schweine — mit der Auflage, niemals aus ihrer Haut Pergament zu machen und Erlässe darauf zu schreiben, was aber bei einem Analphabeten wie ihm überflüssig war. Dafür erhielt Desoto einen Mantel aus Marderfell.
Eine Kanone wurde dagelassen, deren Funktionsweise fachmännisch demonstriert wurde.
— Erst das Rohr säubern, so, dann den Pulversack hinein, stopfen, nicht zu fest und nicht zu locker, damit das Pulver Feuer fangen kann, die Kugel Schwung bekommt. Nun schneidet man den Pulversack, seht ihr, zündet die Lunte an — und Feuer! Man schoss auf einen Baum, der dermaßen zerfetzt wurde, dass er aussah, als hätten alle Biber Floridas daran genagt. Trotzdem blieb er stehen. Erst ein zweiter Schuss — nachdem der Kanonenlauf mit einem feuchten Lappen durchgewischt und neu geladen worden war — fällte ihn. Die Indianer waren aus dem Häuschen, luden die Kanone selbst, vergaßen das Durchwischen, der Pulverrest entzündete sich, und eine Stichflamme versengte dem Kanonier die Hand.
— Idiot. Das kommt davon, wenn man nicht aufpasst. Moskito prügelte auf den verbrannten Indianer ein, und Desoto musste den Quartiermeister bremsen, um die Abreise nicht weiter zu verzögern.
Die Männer waren bereit, doch was war mit den Trägern? Die standen in einer langen Schlage, an deren Anfang ihr … ja, gibt es das? … Gepäck kontrolliert wurde. Es stellte sich heraus, Potofo hatte eine Verfügung zu den Ausmaßen des Gepäcks erlassen. Für Übergröße musste man bezahlen, Muschelgeld. Außerdem gab es eine Art Schleuse, die sicherstellte, dass niemand schmuggelte. Da mussten die Träger Schuhe ausziehen, Gürtel ablegen und sich einer Leibesvisitation unterziehen. Der Häuptling strahlte.
Desoto konnte es nicht fassen. Gepäckkontrolle? Hört sofort damit auf. Schluss!
Kaum hatten sie diese falschen Griechen und ihren bürokratieversessenen Häuptling verlassen, kamen sie in dichte Wälder, wo der Weg mit Äxten und Macheten freizuschlagen war. Die Männer an der Spitze bewegten sich wie Trockenschwimmer, ruderten mit den Händen, um nicht ständig in Spinnweben zu laufen — riesige geometrische Konstrukte, in deren Mitte dickbauchige arachnoide Architekten auf Beute lauerten.
Das Fortkommen war mühsam. Im aufgeweichten Boden versanken die Füße, Pferdehufe verfingen sich in Wurzeln. Überall ein Gewirr von herabhängenden Ästen und Baumflechten. Dazu getarnte Tiere, die die Männer erschreckten, in Bäumen riesige Termitennester.
Ob man die essen kann? So wie die dickarschigen Ameisen in Darién, die dort als Spezialität gelten?
— Erobern lanangweilt mich. Ruben wischte sich Rotz in den Ärmel. Elias schwieg, er spürte ein Jucken am Unterarm und fühlte Müdigkeit. Zwei Stunden später war der Arm geschwollen, aber nicht nur der. Plim sah aus, als hätte man ihn aufgepumpt.
— Da hilft nur ein Aderlass, konstatierte Fenk. Humoralpathologie! Auch wenn Theophrast Bombast von Hohenheim … Paracelsus, Erfinder des künstlichen Darmausgangs, etwas anderes behauptet … Er schnitt den Jungen, ließ Blut heraus und verband die Wunde. Jetzt fühlte sich Elias noch schwächer, wie mit Watte ausgestopft. Nur mit Rubens Hilfe kam er vorwärts. Auch die Nacht brachte keine Linderung, im Gegenteil, der aufgequollene Arm hatte sich verdoppelt, das Gesicht war zum Ballon geworden. Wie damals bei Manolo, dem Gesellen meines Vaters. Da hat der Arzt auch gesagt, wir müssen uns keine Sorgen machen. Zwei Tage später war er tot.
— Vielleicht hilft Knoblauch.
— Ich werde sterben, jammerte Elias, Sevilla niemals wiedersehen. Es ist vorbei. Ich werde hier krepieren.
— Sumsum-Krankheit, sagte ein Indianer. Medizin: Teebaumöl. Der Träger stellte seine Last ab, holte eine Kalabasse hervor und begann, Elias mit einer öligen Substanz einzureiben. Wenig später war der Junge wiederhergestellt.
Fenk schüttelte den Kopf und sprach von Humbug.
Moskito stieg vom Pferd, krümmte mehrmals seinen Zeigefinger … »komm her« … Richtung Elias, der eine Alkoholfahne wahrnahm. Der Quartiermeister schlug ihm ins Gesicht.
— Diese Indianermedizin ist Teufelszeug. Davon wird das Kraut fett. Dann ließ er den Träger kommen und verdoppelte seine Last.
— Aber er hat mir das Leben gerettet, widersprach Elias.
— Pst, sagte Ruben. Halt dein Maul, Monsieur.
— So, brummte Moskito. Du zweifelst am Urteil des stellvertretenden Expeditionsleiters?
— Ich sage nur, was ich gesehen habe. Der Indianer hat … Ohne ihn wäre ich abgekratzt.
— Noch ein Wort, und er bekommt noch mehr aufgepackt.
Elias wollte widersprechen, doch Ruben hielt ihn zurück.
— Mach keinen Wind.
Elias schwieg und schämte sich, als er sah, wie sich sein Lebensretter plagen musste, dem Indianer aber schien das gar nichts auszumachen.
Langsam krochen die Tage dahin. Bald schon waren sie zwei, drei Wochen unterwegs, hatten den Widrigkeiten und Gefahren der Natur getrotzt, aber von der sagenhaften Perlenkönigin noch immer nichts gesehen. Immer nur Bäume, Bäume, Bäume … Bäume … Viele der Männer waren des Entdeckens leid, sie hatten genug von kriegerischen Indianern und ihrem ungastlichen Land. Die Vorräte gingen zu Ende, jetzt kam es zu Kürzungen der Rationen, die Stimmung kippte, Mutlosigkeit machte sich breit.
Was war aus den überirdisch großen Essensportionen geworden, von denen man ihnen erzählt hatte? Wo blieben die kolossalen Fleischberge mit fingerdicken Speckscheiben und Kübeln voller Soßen? Wo waren die eisgekühlten Getränke, die einem das Hirn gefrieren ließen? Alles, was sie sahen, war der Wald mit seinen gespenstischen Moosflechten. Bäume, Bäume, Bäume.
Doch Ameisen essen? Viele hielten den Griechen für unfähig, weil sie glaubten, im Kreis zu gehen. Pedro ließ sich nichts anmerken, redete und lächelte, aber in seinen Augen stand Angst.
Ruben träumte von Schweinsfüßen in Aspik, von Spritzgebäck mit Feigenmarmelade, und Elias halluzinierte völlig anachronistisch, es würden Blasmusikkapellen durch den Wald marschieren, Lieder wie »When the Saints Go Marchin’ In« spielen und sich musikalische Gefechte liefern — da setzten Trommeln ein, gab es Tuba-Soli, rasten duzende Trompeten aufeinander zu … Nein, alles Einbildung. Es war die Gleichförmigkeit des Gehens, der ewige Trott, der ihm den Marsch blies. Bäume, Bäume, Bäume.
Eines Nachts fuhr ein Heulen durch das Lager, das den ganzen Kummer der Welt zum Ausdruck brachte. Ein Höllenlärm, der die von Dienstplänen und Patrouillen geregelte, bisher allenfalls von Wasserlassern gestörte Nachtruhe aufwirbelte. Ein Gebrüll, dass die Milch im Euter sauer wurde. Der Grieche! Er schrie wie die Gefährten des Odysseus, als sie der Zyklop verspeiste, so markerschütternd, dass einem glühend heiße Drähte durch die Knochen fuhren, alle aus dem Schlaf gerissen wurden.
— Der Teufel persönlich … Wendigo! Wendigo! Pedro zitterte und sagte, der Dämon habe sich auf ihn gestürzt und begonnen, ihn zu verspeisen, weil er die Spanier ins Perlenland führe. Eine schreckliche Gestalt mit Hörnern, Fell und Zungen, die ihn mit Tentakeln gepackt und fast zerquetscht hätte. Ein Gesicht aus Schädelknochen! Der Grieche zeigte blaue Flecken, atmete in kurzen Stößen und tippte allen auf die Brust.
— Dich und dich und dich … Alle wird er holen! Alle!
Deutete man sein Kauderwelsch richtig, sprach er von einem Pferdefuß und davon, dass sich Wendigo »Meister Rückenmarkaussauger« nannte und jedem, der das Perlenland suche, die Knochen einzeln auseinanderdividiere. Abgesehen von Cord Fenk glaubten ihm alle, weil sie auch Hexen und Zauberei für real hielten.
Seltsam war der Geruch nach Schwefel — alle hatten den Gestank fauler Eier in der Nase. Ferdinand, aufgeschreckt aus Isabella-Träumen, befahl, den Griechen zu exorzieren. Damit Ruhe ist. Dabei hätte er selbst eine Teufelsaustreibung notwendig gehabt, die ihn vom Dämon der Eifersucht befreite.
Die Missionare wedelten mit Weihrauchkesseln, brachten Bibeln, Kruzifixe, brabbelten Gebete. Juan besprengte den Besessenen mit Weihwasser, schlug Kreuze — und tatsächlich, Pedro beruhigte sich. Sobald er klare Sätze formen konnte, sagte er, Wendigo hätte seine Erinnerung an den Weg nach Cofitachequi ausgelöscht.
— Taufen, schrie er. Bitte taufen!
Juan träufelte ihm Weihwasser über den Scheitel und sprach die Taufformel. Alle glaubten ihm, nur Rodrigo meinte, der falsche Grieche hätte sich das ausgedacht, um nicht eingestehen zu müssen, sich verirrt zu haben.
— In meiner Preisklasse muss man Schritte mit Bedacht setzen, und der Knabe ist wie Odysseus, aber ich habe keine Lust auf zwanzig Jahre Irrfahrt.
Die Expedition war nun führerlos, immer wieder musste jemand auf Baumwipfel klettern, um am Stand der Sonne die Himmelsrichtung festzustellen. Reiter stiegen von den Pferden, um die Tiere zu schonen, Träger brachen zusammen, und Offiziere weigerten sich, diesen Marsch ins Ungewisse fortzuführen. Stummel zweifelte an Desotos Führungsqualitäten, aber der große Eroberer war wie in Trance, erteilte verrückte Befehle, um sich seiner Macht zu versichern. Tagtäglich wurde die Lage hoffnungsloser und die Stimmung aggressiver.
— Wir werden alle sterben, jammerte Jonas. Alle. Ich habe genug. Für sowas bin ich nicht hergekommen. Sterben werden wir …
— Ach was. Elias lächelte gezwungen. Hör, wie schön die Vögel singen. Alles wird gut.
— Glaubst du? Das Stockmännchen sah zerbrechlich aus. Lange war es ihm gelungen, seine Gefühle zu verbergen, aber nun brach es aus ihm heraus, er war knapp davor zu weinen.
Desoto dachte Tag und Nacht an Isabella, schwieg. Die Eifersucht saß ihm wie Rost am Eisen, er fühlte den Schmerz aller Schmerzen, das Ungeliebtsein.
— Wir sind in einem Labyrinth ohne Ausweg, konstatierte Añasco. Wir haben uns in diesem Wald verirrt wie Minotaurus im Irrgarten, andere würden verhungern, aufgeben, aber wir sind Spanier.
— Keinen Schritt gehe ich weiter. Jonas verlor die Nerven, setzte sich auf den Boden, stopfte Moos in sich hinein und sprach von Kaldaunen mit Petersilie, Schmalzgebackenem.
— Dem Stockmännchen sein Mais ist nicht richtig geröstet. Ruben verschränkte die Arme und schenkte dem Jungen einen herablassenden Blick. Elias half Jonas hoch und drängte zum Weitermarsch.
— Bald haben wir es geschafft, du wirst sehen. Komm schon. Aber auch Elias’ Stimme klang resigniert. Er spürte die Gefahr und blieb trotzdem positiv. Penelope kam ihm in den Sinn. Ob er sie wiedersehen würde? Er hörte von Gespenstern sprechen, vom Dämon Wendigo, der sie hergelockt habe.
— Wir haben uns verirrt! Jonas’ Stimme drohte, ins Hysterische zu rutschen. Es ist aus!
— Keine Panik, verkündete Ortiz. Er ging zu den Hauptleuten, sein Schritt war so selbstsicher, als hätte er Tennisbälle statt Testikel in der Hose. Wozu habe ich zwölf Jahre bei den Indianern gelebt? Ich bin ein unfehlbarer Fährtenleser. Er betrachtete die Büsche, lauschte am Boden, hielt den befeuchteten Finger in die Höhe und verkündete:
— Diese Richtung! Die Hauptleute vertrauten ihm.
Nachdem man sich zwei Tage lang weitergekämpft hatte, wiederholte sich die Prozedur. Wieder begutachtete Ortiz die Sträucher, wieder studierte er die Moosflechten an den Bäumen, wieder untersuchte er den Boden und verlautbarte dann:
— Hier sind vor drei Tagen zehn Creek durchgekommen. Wenn wir ihnen folgen, finden wir aus diesem Wald. Weiter ging es durch Gebüsch und dichte Wälder, über steile Anhöhen, felsiges Gelände. Einen Tag lang folgte man einem Fluss, dann wandte man sich einer Hügelkette zu, überquerte einen Berg und landete schließlich genau dort, wo Ortiz die Führung übernommen hatte. »Los« war in die Rinde eines Baumes geritzt. Der Fährtenleser hatte Tränen in den Augen, die Tennisbälle waren zu Smarties geschrumpft, und die Hauptleute, allen voran Añasco, wollten ihn vierteilen.
Desoto litt wie alle Perfektionisten, denen die Ordnung abhandengekommen war. Zuerst der Kontrollverlust durch die Eifersucht und jetzt das.
— Jemand, der sich seiner sicher ist, braucht keine Bestätigung. Stummel hob die Achseln, lächelte.
Der große Eroberer sah die abgekämpften Gesichter seiner Männer. Sie waren wie Kinder, verstanden nicht, wozu sie tagelang im Kreis gegangen waren. Hatte sie tatsächlich ein Dämon hergeführt? Waren sie in einem Irrgarten? Während die Männer das Lager aufschlugen, ritt Ferdinand zu einer kleinen Waldlichtung und lauschte der Stille. Stille? Als würden Steine schweben und Bäume anfangen zu sprechen. Sie spotteten: Ihr habt euch verlaufen, dummer weißer Mann. Ihr werdet Spinnen und Schnecken essen, Moos von Bäumen kratzen, bevor ihr jämmerlich zugrunde geht.
— Bist du das, Dämon Wendigo? Was willst du?
Keine Antwort.
Zurück bei der Truppe, fürchtete er eine Meuterei und befahl die Ausgabe von Schweinefleisch. Als die Männer noch mit ihrer Verdauung kämpften, machte der große Eroberer etwas Unverständliches: Er entließ die Träger, schickte sie zu ihrem Stamm zurück. Soll Potofo einen Erlass erfinden.
— Ohne Träger sind wir verloren.
— Warum folgen wir ihnen nicht?
— Weil wir das Land der Perlenkönigin suchen, das dritte große Reich.
— Er ist komplett verrückt. Er führt uns ins Verderben. Stummel murmelte, und viele nickten.
Desoto überhörte es, griff sich die Unzufriedensten heraus und stattete sie mit erfundenen Ämtern aus. Einer wurde zum allerkatholischsten Naturschutzbeauftragten für den Froschbestand Floridas ernannt, ein anderer zum obersten Baumverweser, und ein Portugiese erhielt den Titel Sonderbeauftragter für interkulturelle Beziehungen mit den Eingeborenen. Alle Ämter waren genauso lächerlich wie Neros Krönung zum Dichterfürsten, aber niemand war mehr imstande zu lachen.
Sobald die Zeremonie vorüber war, bestimmte Ferdinand vier Gruppen, die jeweils in eine andere Himmelsrichtung aufbrechen sollten, um nach dem Ende dieses Waldes zu suchen.
— Wenn wir keinen Ausgang finden, müssen wir die Schweine schlachten und nach Griechenland zurück.
— Wir sind verloren. Wendigo hat uns hierhergelockt, um uns alle zu vernichten. Der böse Dämon der Indianer soll kein Gesicht haben, aber Eberzähne, die er seinen Opfern in den Kopf rammt …
— Lasst uns beten. Lasst uns Gott bitten, er möge den Wald teilen wie damals das Meer für sein auserwähltes Volk. Er hat uns genug auf die Probe gestellt, jetzt wird es für ihn Zeit zu helfen. Hörst du, Gott? Wofür haben wir die ganze Zeit gebetet? Hier ist dein treuer Diener Juan Desoto, ausgezogen, um Seelen zu retten. Du darfst uns nicht im Stich lassen, nicht jetzt …
Der große Eroberer setzte ein mildes Lächeln auf und ging mit der Stummen in sein Zelt.
Bastardo und Cinquecento verlangten von Elias, ihnen seine Tortillas zu überlassen. Die beiden hamsterten. Immer noch war ihr Diebstahl unentdeckt geblieben, jetzt planten sie die Flucht. Zurück zu Potofo, zur Pferdebucht, ein Schiff bauen und dann nach Kuba …
— Nehmt ihr mich mit? Auch Elias wollte heim. Seine Füße waren geschwollen, und er hatte Sehnsucht nach einem Bett, wollte unter eine Decke kriechen und sich zusammenkauern wie ein Kind. Und dann war da noch Penelope …
— Warum?
— Weil ihr mir etwas schuldet?
— Wir? Was denn?
— Wisst ihr nicht mehr? Sevilla, Diamantenring. Ihr habt mich nach Triana gelockt, zum Händler, dann in das Flamencolokal, wo der Scharfrichter seine Gesellenprüfung feierte … Ich mache euch keine Vorwürfe. Was geschehen ist, ist geschehen, aber wegen euch bin ich hier, jetzt ist es nur fair, wenn ihr mich mitnehmt.
— Schau einer an. Bastardo kniff die Augen zusammen und schien sich zu erinnern. Damals warst du fetter.
— Das Geld, das ihr gestohlen habt, stammt von meinem Ring!
— Dein Ring war eine Fälschung.
— Nein! Der Diamant?
— War Glas. Ich schwöre bei Lazarena.
— Gefälscht? Elias’ Füßen war der Boden entzogen.
— Glaubst du, sonst wären wir hier?
— Ein plumpes Imitat, nicht einmal das Gold war echt.
— Das … Sollte sein Vater ihm einen wertlosen Ring gegeben haben? War sein alter Herr einem Betrüger aufgesessen? Plims Bein begann konvulsivisch zu zucken, auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Eine Fälschung? Dann wäre er grundlos auf den Kauffahrer gestiegen … Wie im Delirium zog sein Leben an ihm vorbei: Algier, Mustafa Müller, Tag der Haken, Anisa Anis, Piraten …
— Damit haben wir uns schön blamiert. Du solltest dich entschuldigen. Dein Ring hat die Ehre rechtschaffener Menschen verletzt. Cinquecento blickte beleidigt.
— Nehmt mich mit. Ich will nachhause.
— Damit dein Freund uns nervt?
— Monsieur Plim hier, Monsieur Plim da, Bastardo imitierte Ruben.
— Ich werde ihm nichts erzählen.
— Wir können dich nicht brauchen. Neben dir bekomme ich Kopfschmerzen.
— Meine Eltern sind vermögend, hört ihr. Meinem Vater gehören vierzehn Mühlen und sieben Bäckereien im Umland von Sevilla, die Schiffszwieback für die Flotten produzieren.
— Ich dachte, er wäre Totengräber.
— Das habe ich erfunden, um nicht gegen Lösegeld verkauft zu werden. Aber ihr … Wenn ihr mich heimbringt, wird euch meine Familie fürstlich entlohnen.
— Hmm. Der Aal machte ein nachdenkliches Gesicht. Also ein gestopfter Binkl?
— Gut, wir starten in drei Nächten.
Nachdem vier Kundschaftertrupps aufgebrochen waren, wurden für die verbliebenen fünfhundert Mann täglich zwei Schweine geschlachtet — erbärmliche hundertfünfzig Gramm für jeden. Die letzten Indianer zogen aus, um Wurzeln, Kräuter und Pilze zu sammeln, manche brachten auch Vögel, Opossums oder Waschbären mit. Es gab Heuschrecken- und Käfersuppe. Francisca, die unter der Knappheit am meisten litt, erfand ein Gericht aus zerriebener Baumrinde und Blättern, welches bitter schmeckte und nicht sättigte. Der Hunger begann, ihr den Verstand zu rauben.
Wie halten die Männer es bloß aus, Schweine, Hunde und Pferde zu sehen und nicht zum Messer zu greifen? Jetzt war sie bereit, sich hinzugeben, wenn es dafür was zu essen gab. Sie stieß Hinestrosa weg und bot sich an, doch niemand zeigte Interesse.
Der Wald war voller Geräusche — knarrendes Holz, Blätterrauschen, Vogelstimmen, aneinanderschlagende Äste … Und immer wieder Schreie, die weder tierisch noch menschlich klangen. Vorzeichen eines Unglücks? Die Stumme zuckte jedes Mal zusammen, rannte zu Desoto, murmelte »Wendigo« und wollte Trost. Kein Mensch kann klar denken, wenn ihn Hunger quält.
Der große Eroberer beruhigte sie. Man konnte über ihn vieles sagen, er war egoistisch, ehrgeizig, eifersüchtig und manchmal nahe am Wahnsinn, aber er besaß eine Mischung aus Güte und Härte, mit der er alle bei der Stange hielt — streng zu den Faulen, aber väterlich zu denen, die es verdienten. Liebevoll strich er über die Köpfe seiner hungernden Soldaten, sprach ihnen Mut zu, unterhielt sie mit Scherzen. So schaffte er es, die Woche bis zur Rückkehr der Expeditionen zu überbrücken.
Der Reihe nach kamen sie, aber mit schlechten Nachrichten. Der Wald schien endlos. Im Westen war man umgekehrt, da der Irrgarten kein Ende nahm. Im Osten dasselbe: immenser Wald. Bäume, Bäume, Bäume. Im Süden lag das Land Potofos. Wie schon so oft wollten manche die Überbringer schlechter Nachrichten aufhängen. Desoto hielt sie davon ab. Als Letzter kam Añasco und mit ihm die Rettung. Lang lebe Spanien! Er hatte im Norden nicht bloß das Ende des Waldes erreicht, sondern war dort Menschen von Cofitachequi begegnet. Das Perlenland — es lag im Norden! Endlich sah die Welt wieder rosig aus.
— Santiago! Desoto umarmte die Stumme und gab Rodrigo einen Klaps. Na also! Obwohl es in Strömen regnete, ließ er zum Aufbruch rüsten. Der große Eroberer wollte so schnell wie möglich in das Land der Perlen, vergaß den Hunger und die Müdigkeit. Jetzt war es bald vorbei mit diesem Wald.
In den nächsten Tagen gab es achtzehn Körner Mais für jeden, aber die Aussicht auf Reichtum ließ sie alles andere verdrängen.
Die ausgehungerten Doggen ernährten sich von Fröschen, Raupen, Schnecken. Aber die Menschen? Manche waren so abgemagert, dass man ihre Brustkörbe als Waschbretter hätte verwenden können. Francisca deckte ihren dürren Mann mit Flüchen ein. Hinestrosa schwieg. Alle hatten sich in ihre kleine, hungrige Welt zurückgezogen. Beim Gehen kamen ihnen die Füße entgegen. Selbst das Sprechen war anstrengend. Sie kannten nur noch ein Gefühl, nur einen Gedanken: Hunger.
— Ich habe Marzipan, erklärte Quigley. Als ihn einige verächtlich ansahen, holte er staubtrockene Tortillas hervor und tauschte sie gegen Stiefel und ein neues Hemd.
— Wo ist Elias? Habt ihr Monsieur Plim gesehen? Den Jungen mit den Locken? Es ist ein böses Vorzeichen, wenn die Schiffsglocke von allein läutet. Schiffsglocke? Ruben Christian war verwirrt, verzweifelt, ausgezehrt. Sein Freund war verschwunden. Hatte er ihn zu grob angefasst? Sollten ihn Tiere oder Indianer erwischt haben? Elias! Monsieur Plim, wo bist du?, hallte es durch den Wald.
Der nun wieder siegesgewisse Statthalter trieb die erschöpften Nachzügler mit gezogenem Degen vor sich her, riss Gestrauchelte hoch, beschwor sie durchzuhalten.
— Bald sind wir reich! Bald ist es geschafft! Und dann geht es heim zu Isabella, wird sich zeigen, von wem sie ihr Feld beackern lässt.
Die Stumme imitierte ihn, schob ebenfalls Soldaten an, trat ihnen in den Hintern, klatschte in die Hände.
Als sie das Ende des Waldes erreichten, halluzinierten sie vor Hunger. Manche sahen prunkvolle Schlösser, andere eine Hühnergrillstation. Auf einem Baum stand »Wendigo«, und niemand wusste, woher diese Beschriftung stammte. Den meisten war es auch egal. Sie stürzten sich auf Flechten, kratzten Moos von Steinen, stopften alles in sich rein. Der Hunger machte alle schwachköpfig. Nur Stummel kletterte auf einen Baum und schrie:
— Das ist unzumutbar.
Währenddessen irrten Bastardo, Cinquecento und Elias durch den Wald. Sie hatten sich verlaufen. Ihre Vorräte waren aufgebraucht, das Moos ungenießbar und die Vögel nicht zu erwischen. Kein Taschenspielertrick nützte etwas, auch die Gebete an Lazarena blieben ohne Antwort. Jetzt hatten sie nur noch das gestohlene Geld. Sie waren reich, aber am Verhungern. Die Flucht hatte ihnen zugesetzt. Überall Abschürfungen und Krusten, die wie Florentinerkekse aussahen. Hin und wieder gelang es, Schlangen oder Käfer zu fangen, die sie roh verzehrten. Nahrhaft war das nicht.
— Was nützt uns jetzt das Geld? Der Gedanke, vermögend zu sein und trotzdem zu verhungern, demütigte sie zutiefst.
— Es hat geheißen, hier wäre das Schlaraffenland, wo sich Berge aus Käse erheben, Wein in Strömen fließt und der größte Faulenzer König ist … Alles Betrug! Während Cinquecento und Elias schweigsam dahinstapften, quasselte Bastardo in einer Tour:
— Man baut sich etwas auf, ist fleißig, spart ein Leben lang, und dann ist alles wertlos. Diese Wahrheiten, die man uns verkauft hat, sind Lügen. Was haben wir jetzt von dem Geld? Hilft es gegen den Frost im Magen?
— Schon beim Elefantendiebstahl hätten wir merken müssen, wie blöd wir sind, warf Cinquecento ein.
— Die Leute waren ganz verrückt, diesen Dickhäuter zu sehen.
— Aber stehlen? Einen Elefanten! Ein rechtschaffener Mensch stiehlt keinen Rüssling. Gino verdrehte die Augen. Da siehst du es, mein Kompagnon ist verrückt.
— Wegen der Gelegenheit!
— Gelegenheit … Du würdest dem Kaiser die Scheiße aus dem Arsch stehlen, wenn du die Gelegenheit dazu hättest. Ich war beim Elefantenklau nur dabei, um dem Papst eins auszuwischen … dem und seiner Inquisition, die nicht will, dass wir wissen, was wir wissen.
— Was wisst ihr denn? Elias’ Bewusstsein hatte sich in die hintersten Hirnregionen zurückgezogen, ließ sich nur mühsam herauslocken.
— Wir wissen, dass Maria Magdalena eine Tempelhure war … dass es egal ist, ob man zur Beichte einen Priester aufsucht oder einen Hackstock. Wir wissen, dass die Hostie nur ein Stück Teig ist. Weil alles Gott ist — die Erde, die Luft, das Wasser, einfach alles. Und Lazarena ist seine Prophetin. Aber die Priester und der Papst verkaufen uns für dumm.
— Was ist mit diesem Deutschen?
— Luther? Gino spuckte aus. Der hat dazu aufgerufen, aufständische Bauern abzuschlachten, damit nie wieder ein Untertan es wagt, die Hand gegen die Obrigkeit zu erheben. Alle diese Kuttenbrunzer wollen nur, dass wir für sie die Arbeit tun. Schau sie dir an! Krötenhaftes Doppelkinn und Bierfasswampe … Die scheren sich einen Dreck um uns. Und wenn uns die Maden aus dem Arsch kriechen, weil wir nichts zu spachteln haben, sagen sie, das ist gottgewollt. Glaubst du, die wollen, dass es uns besser geht? Leute wie wir sind für die Abschaum. Schnürsenkler, Fischweiber, Bastarde … lauter Gesindel!
— Und was habt ihr mit dem Elefanten angestellt?
— Das Tier war kurzsichtig, rannte ständig gegen Bäume. Klar, dass wir damit nicht weit gekommen sind.
— Aber es hat Spaß gemacht, so einen apostolischen Rüssling zu besitzen. Bastardo redete wie Paul Newman in einem Gangsterfilm. Weißt du noch, wie seine Verdauung polternde Geräusche machte? Ich dachte, er explodiert. Mit dem, was der geschissen hat, kannst du Städte bauen. So ein Tier wird achthundert Jahre alt und hat nur einmal im Leben Nachkommen, die aus Eiern schlüpfen. Wenn ihnen der Rüssel abfällt, wächst ein neuer nach.
— Er hatte traurige Augen, aber du wolltest ihn ausstopfen. Gino seufzte. Weißt du, wandte er sich an Elias, meinem Kumpel geht es immer nur ums Fressen. Der hat kein Bewusstsein für seine Klasse. Wenn morgen eine Revolution ausbricht, bestiehlt der Herr Bastardo die Aufständischen. Kein Gewissen!
— Leck mich … Mit dem ausgestopften Dumbo hätten wir viel Filz gemacht.
— Mit einem Elefanten durch Spanien? Den Leuten erzählen, er sei der verzauberte Papst Hannibal … Wo man uns schon für den Devotionalienschwindel an den Pranger gestellt hat.
— War es denn kein guter Einfall, Schweineblut als Blut Christi zu verkaufen? Bastardo grinste. Kreuzsplitter und Kreuznägel, die Bettwäsche der Maria Magdalena, den Schürhaken Josefs, mit dem er Jesus gezüchtigt hat … Erde, aus der Adam erschaffen wurde …
— Nur gab es in den Kirchen und Klöstern so viele Kreuzsplitter, dass man damit ein Schiff hätte füllen können. Und so viel Gottesmutter-Milch, dass nicht einmal eine Herde Milchkühe diese Menge zuwege gebracht hätte. Einen Angelhaken Petrus’, die Saliera des Judas … lauter Schwachsinn.
— Wenn wir nicht bald etwas zu beißen bekommen, werden wir verhungern, stöhnte Elias.
— Verhungern? Wir? Jetzt, da wir endlich reich sind? Bastardo nahm den Sack mit den Reales, schüttelte ihn, dass die Münzen klimperten, und leerte ihn aus. Weg mit diesen Großaugerten. Macht einen Hasen …
— Bist du verrückt? Cinquecento warf sich zu Boden, sammelte das Geld ein. Dann umarmte er Elias und flüsterte: Wir werden nicht verhungern. Wir zwei nicht, nicht Gino, der Aal. Bevor es so weit kommt, essen wir diesen Verrückten. Er blickte zu Bastardo. Elias sah ihn erschrocken an. Essen? Den da?