L ’zar Verdys saß auf einem billigen Metallklappstuhl auf seiner Seite des Eisengitters und betrachtete seine Halbdrow-Tochter mit einem überglücklichen Lächeln. »Ich denke, ich bin es dir schuldig, dir das Wort zu geben. Also. Gibt es etwas, das du mich fragen willst?«
»Ja. Warum hast du sie in jener Nacht einfach ohne ein Wort verlassen?« Cheyennes Wut brannte noch stärker in ihr, raste ihre Wirbelsäule hinauf und über ihre Schultern und trieb sie an. Aber sie war bereits in ihrer Drowgestalt – violett-graue Haut und knochenweißes Haar, spitze Ohren und leuchtende, goldene Augen wie die ihres Vaters – also gab es wirklich nichts mehr, was sie zurückhalten konnte.
L’zar stieß ein leises Kichern aus, das wie ein tiefes Schnurren klang. »Du gehst mir direkt an die Gurgel, wie ich sehe.«
»Sag mir nicht, dass du einfach nur höflichen Smalltalk erwartet hast.«
»Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel erwartet.« L’zar streckte die Beine vor sich aus, schlug in seiner grauen Gefängnis-Jogginghose ein Bein über das andere und kratzte sich am Kinn. »Bis jetzt bin ich nur angenehm überrascht.«
»Wirst du meine Frage beantworten oder nicht?« Cheyenne musterte den nachdenklichen Blick des Drowgefangenen und das heimliche Lächeln auf seinen dunklen Lippen. Er sieht wirklich entspannt hinter diesen Gittern aus. Als ob es ihm egal wäre, wo er ist.
»Es gibt für alles eine kurze und eine lange Antwort«, erwiderte er. »Im Moment musst du nur wissen, dass ich so gegangen bin, wie ich es getan habe, weil ich es musste.«
»Blödsinn.«
L’zar zuckte mit den Schultern. »Du kannst glauben, was du willst, aber du bekommst deine Antworten jetzt direkt von der Quelle. Ich bin ohne ein Wort gegangen, weil ich deiner Mutter nicht sagen konnte, wer ich wirklich bin. Ich konnte auch nicht riskieren, dass du es erfährst, bis du bereit warst, mich zu finden. Das bist du jetzt offenbar.«
Cheyenne schüttelte den Kopf. »Du bist in der Nacht aus dem Chateau D’rahl geflohen, ganz allein. Warum bist du zurückgekommen, um dich zu stellen?«
»Weil ich es musste. Damit du mich finden konntest, wenn du bereit warst.«
»Wird das deine Antwort auf alles sein?«
L’zar legte den Kopf schief. »Nur auf die Fragen, die du gerade stellst. Sonst noch etwas?«
Er will mir nichts sagen. Die Halbdrow presste die Lippen zusammen und starrte den Drow an, der ihr all ihre Macht gegeben und sie dann allein gelassen hatte.
»Nun, während du darüber nachdenkst, bleibe ich einfach am Ball.« Er strich sich die losen, weißen Haarsträhnen aus den Augen. »Wie läuft es in der Uni?«
Sie blinzelte. »Das ist ein Scherz.«
»Das überrascht mich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass deine Professoren dir kaum noch etwas beibringen können, nach allem, was du bisher allein geschafft hast. Das Darknet scheint ein bemerkenswert passender Ort für eine Dunkelelfe zu sein, selbst für eine Halbdrow.«
Woher zum Teufel weiß er davon?
Cheyenne rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Als der Typ, der Bianca Summerlin geschwängert und sie – und mich – verlassen hat, scheinst du zu glauben, dass du weißt, wer ich bin.«
»Ich bin mir sicher, dass du unter der Oberfläche noch viel mehr zu bieten hast.« L’zar kicherte wieder und seine goldenen Augen blitzten in den schummrigen, gelben Lichtern, die von den Lampen kamen, die an den Steinwänden des Kerkers befestigt waren. »Ich bin wirklich begierig darauf, tiefer zu graben. Ich weiß, dass es vieles gibt, das du dem Rest der Welt nicht zeigst.«
»Du weißt nichts über mich. Was auch immer du für einen Drow-Spionagetrick abziehen willst, ich kaufe ihn dir nicht ab.«
»Ich verlange nicht, dass du mir etwas abkaufst, Cheyenne.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als würde er es sich richtig bequem machen wollen. »Erzähl mir von deiner Freundin im Krankenhaus.«
»Was?«
»Diejenige, die auf der Erde geboren wurde und nicht nutzen kann, was ihr vererbt wurde. Ich hoffe, sie erholt sich gut.«
Er sagt nicht offen, was Ember ist, wenn Sir und der Wachmann zuhören. Was ist das für ein beschissenes Spiel?
»Das geht dich nichts an«, murmelte sie. »Außerdem bin ich nicht gekommen, um über jemand anderen zu reden.«
»Nein, natürlich nicht.« L’zar leckte sich über die Lippen und das nächste Lächeln, das er ihr schenkte, sah fast sanft aus. »Du bist hergekommen, um deinen Drowvater mit eigenen Augen zu sehen. Du wolltest den Mann, der dich zu dem gemacht hat, was du bist, mit eigenen Augen sehen und wissen, ob er genauso aussieht, wie du ihn dir vorgestellt hast. Und? Warst du nah dran?«
Ihre Nasenflügel blähten sich, als er seine Arme ausbreitete und wieder kicherte. Für ihn ist das nur ein Spiel.
»Hast du keine Fragen zu ihr ?«
L’zar schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Du bist viel interessanter, Cheyenne. Du würdest mir nichts über deine Mutter erzählen, selbst wenn ich es wissen wollte. Lassen wir den Quatsch, ja? Du und ich sind in dieser Hinsicht gleich. Wir können nicht gut mit Täuschungen umgehen.«
»Gut. Warum hast du die Kiste bei ihr gelassen?«, fragte Cheyenne forsch.
»Für dich. Stell keine Fragen, auf die du die Antwort schon kennst. Das ist langweilig und passt nicht zu dir.«
»Dann sag mir, wofür sie ist. Wie funktioniert sie?«
L’zar schüttelte den Kopf. »Das musst du schon selbst herausfinden. Ich freue mich schon sehr auf den Tag, an dem du diesen Punkt erreichst. Ich hoffe, du kommst her und erzählst mir alles darüber.«
Sie wurde immer wütender. Er muss mir irgendetwas geben.
»Okay. Da du denkst, dass du so viel über mein Leben weißt und worauf ich mich einlasse, erzähl mir von dem Stierkopf.«
Zum ersten Mal reagierte L’zar auf ihre Worte mit etwas anderem als blasierter Belustigung. Seine Augen weiteten sich und er zog seine Beine wieder in Richtung Stuhl, bevor er sich nach vorne lehnte. »Was ist damit?«
Ich kann nicht zu viel verraten, wenn unser FRoE-Publikum in der Kabine ist. »Ich sehe es in letzter Zeit oft bei magischen Wesen, die auch denken, dass sie etwas über mich wissen. Was bedeutet das?«
Der Drow auf der anderen Seite der Gitterstäbe biss die Zähne zusammen und zischte. »Das ist eine Angelegenheit, die in Ambar’ogúl bleiben sollte, wo sie hingehört.«
»Ja, nun, da ist sie aber nicht geblieben. Und sie stellt jetzt ein Problem für mich dar.« Cheyenne beugte sich zu seinem Gesicht, das ihrem eigenen so ähnlich war. »Jetzt ist deine Chance, dass sich dieses kleine Treffen für mich lohnt. Was bedeutet das?«
Er schüttelte den Kopf. »Darüber werden wir nicht reden.«
»Dann habe ich nichts mehr zu sagen. Osterhase.«
Ein hohes Quietschen ertönte im Kerker für eine Sekunde, bevor die Eisenstäbe der Zelle mit knisternder, grüner Fellenergie aufleuchteten und zwischen Vater und Tochter Funken sprühten. Die schwachen Lichter an den Wänden flackerten von einem matten Gelb zu einem unheimlichen Rot und alle fünf Sekunden ertönte ein schriller Alarm in der Höhle. L’zar warf einen schnellen Blick zur Decke und zu der Fellenergie, die an den Eisenstäben seines Besuchskäfigs knisterte. Mit einer schnellen Bewegung stand er vom Stuhl auf und trat von den Gitterstäben weg. Seine weißen Zähne funkelten in den roten Alarmlichtern, als er sie anlächelte und ihr langsam zunickte.
Cheyenne stand von ihrem Stuhl auf und wollte ihn zur Seite schieben. Stattdessen flog das Ding seitwärts durch die Höhle und prallte gegen die Steinwand. Schnelle, eilige Schritte hallten hinter ihr wider, dann legte sich ein warnender Arm auf ihren Ellbogen.
»Lassen Sie uns gehen«, sagte der Wachmann über den Alarm hinweg.
Die Halbdrow riss ihren Ellbogen weg und blickte L’zar an. Der Drowgefangene lachte nur. Das Geräusch schallte durch den Kerker zwischen den schrillen Tönen des Alarms, der Cheyennes Kopf zu spalten schien.
»Komm wieder, wenn du gelernt hast, die Fragen zu stellen, die wirklich wichtig sind«, sagte er durch sein Lachen. »Dann werden diese kleinen Gespräche für uns beide viel einfacher sein.«
Cheyenne zwang sich, ihre Magie nicht gegen die Gitterstäbe zu schleudern und die ganze Zelle zu zerreißen, um an ihn heranzukommen, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte zurück zur Kabine. Sir stand direkt neben der offenen Tür, die Arme verschränkt, sein Gesicht ausdruckslos. L’zars Lachen folgte ihr in Richtung Kabine und sie machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, um zu sehen, was mit ihm als Nächstes passieren würde.
Ich hätte wissen müssen, dass der echte L’zar viel enttäuschender sein würde, als ich dachte .
Sie schaute Sir nicht an, als sie in die Kabine trat, die sich quer durch die Höhle zog. Er trat hinter ihr ein, der Gefängniswärter dicht hinter ihnen, dann schloss sich die Tür mit einem lauten Klicken und einem metallischen Echo. Der Wärter schlug mit der Hand auf die Schalttafel und der unerträglich schrille Alarm verstummte vollständig, zumindest in der Kabine. Die roten Lichter erhellten immer noch den Kerker und L’zars übergroße Zelle. Die Fellenergie zischte immer noch an den dicken Eisenstäben entlang und erzeugte einen schlammigen Glanz aus grünem und rotem Licht um sie herum.
»Das war viel kürzer, als ich erwartet hatte«, murmelte Sir.
»Warum beschweren Sie sich?«, entgegnete Cheyenne. »Jetzt haben Sie genug Zeit, um rechtzeitig zum Mittagessen zurückzukommen.«
Sir fand das nicht sehr lustig und verschränkte wieder die Arme, als sie gegen die Tür auf der anderen Seite der Kabine drückte.
Sie warf einen Blick auf den Wachmann und breitete die Arme aus. »Machen Sie das Ding jetzt auf oder was?«
Der Mann zog die Augenbrauen hoch und drückte einen weiteren Knopf auf dem Bedienfeld. Als die Tür surrte, stieß Cheyenne ihre Hände dagegen und stürmte auf der anderen Seite der Kabine hinaus. Wahrscheinlich sollte der Alarm jetzt leise sein, aber ihr Drowgehör nahm ihn trotzdem von der anderen Seite der Kabine wahr. Und L’zars Gelächter ging weiter.
Die Aufzugtüren waren geschlossen, als sie sie erreichte. Wo ist der verdammte Knopf?
Sie suchte die Steinwände ab, konnte aber nichts finden, um den blöden Aufzug wieder nach unten zu rufen.
»Er ist auf dem Weg«, teilte Sir ihr von hinten mit.
»Wie auch immer.« Cheyenne ballte die Fäuste an ihren Seiten und starrte auf die geschlossenen Türen in der Steinmauer. Dafür bin ich so früh aufgestanden.