Kapitel 8

C heyenne, nimm noch etwas Borsni .« Yadje zeigte auf die Gemüseschüssel und den blauen Haufen, den die Halbdrow gemieden hatte.

»Nein, danke. Ich glaube, ich habe es glühen sehen.«

»Da ist der ganze Geschmack drin.« Bryl schnappte sich ein Stück des blauen Gemüses, das wie eine biolumineszente Rübe aussah und nahm einen großen Bissen. Ein helles Licht blitzte in ihrem Mund auf und Cheyenne schüttelte den Kopf.

»Ihr habt von eurer Stadt gesprochen.« Die Halbdrow nickte dem Trollpaar zu und riss sich ein weiteres Stück Brot ab, das ein wenig nach Erdbeeren schmeckte. »Ich will mehr darüber hören.«

»Es war ein schöner Ort«, antwortete R’mahr und nickte schnell. »So ein schöner Ort im Oronti-Tal. So viele Radan mit ihren hellen Mänteln. Das haben wir früher für die Bemalungen unserer Häuser genutzt, weißt du. Wir haben die Radanfelle in Flusswasser eingeweicht und dann hat man die Pigmente für alles, was man will. Ich glaube, hier kauft man sie einfach in Dosen.«

»Farbe?«

»Ja, genau.«

»Wir waren dort sehr glücklich«, fügte Yadje hinzu. »Der beste Ort, um eine Familie zu gründen.«

Cheyenne löffelte eine weitere Handvoll Reisnudeln – die Trolle hatten ihr dreimal versichern müssen, dass da nichts Lebendiges drin war, als die Nudeln anfingen, sich von selbst zu bewegen – und stopfte sich alles in den Mund. »Warum seid ihr dann gegangen?«

R’mahr hielt mit der Hand auf halbem Weg zu seinem Mund inne, dann schob er sich den nächsten Bissen zwischen die Lippen und wich der Frage aus, indem er kaute.

Yadje tauschte einen Blick mit ihrem Mann und neigte den Kopf. »Es war nicht mehr sicher.«

»Was ist passiert?«

R’mahr schluckte heftig und seufzte. »Du weißt, dass die Krone andere Vorstellungen von den Orten hat, über die sie herrscht, Cheyenne. Ich bezweifle, dass auch nur ein einziger von ihnen es nach Opéle geschafft hat, um unsere Heimat mit eigenen Augen zu sehen, aber sie wollten sie trotzdem übernehmen.«

»Tut mir leid.« Die Halbdrow leckte sich die stark gewürzte Soße von den Lippen. »Ich weiß nicht, was das ist.«

»Dann bist du eine sehr glückliche phér móre .« Yadje warf ihr einen ernsten Blick zu und griff dann nach mehr Essen. »Wir sind gegangen, bevor es zu schwierig wurde. Ich bin mir nicht sicher, ob viele der anderen auch bereit waren, das Nötige zu tun.«

»Du meinst, die Grenze zu überqueren.« Cheyenne schaute zwischen R’mahr und Yadje hin und her, die beide nicht zu ihr aufschauten, weil sie weiterkauten. Das ist ein klares Ja.

»Ich finde, es hat Spaß gemacht.« Bryl strich sich die kürzeren scharlachroten Haare aus der Stirn, aber sie fielen immer wieder an ihren Platz zurück. »Ein Abenteuer. Genau wie Dahi gesagt hat.«

»Du warst eine ausgezeichnete Abenteurerin, Bryl.« R’mahr zwinkerte seiner Tochter zu, aber das Lächeln war nur zur Schau.

»Wir sind tagelang durch den Wald gelaufen, um zum Portal zu gelangen.« Bryl stützte beide Ellbogen auf den Tisch und schaute Cheyenne mit großen, roten Augen an. »Wir haben jede Nacht Unterschlüpfe gebaut. Es war nicht immer Wasser in der Nähe, aber wenn wir den Fluss fanden, gab es genug zu trinken.«

»Wirklich?« Die Halbdrow hob die Augenbrauen und wartete darauf, mehr zu hören.

»Ja und das war der einfache Teil.« Das Kind lächelte breit und hob beide Hände, um ihrer Geschichte noch mehr Ausdruck zu verschaffen. »Die Grenze ist wie eine eigene Welt. Wir mussten den Zauberspruch auf einer Seite sagen. Ich habe es erst vergessen, aber Dahi hat mich daran erinnert. Wenn du dann die Grenze passierst, ist alles dunkel, wohin du auch schaust. Da sind diese Dinge , die aus dem …«

»Das ist genug, Bryl.« Yadje warf ihrer Tochter einen warnenden Blick zu.

»Aber das ist das Beste daran, Maji

»Deine Mutter hat gesagt, dass es reicht, nin mel .« Jetzt warf R’mahr dem jungen Mädchen denselben Blick zu und eine dunkelviolette Farbe breitete sich auf Bryls Wangen aus. »Cheyenne will nichts von unserer Durchreise hören.«

Seine dunkelroten Augen sahen zur Halbdrow, bevor er den Blick abwenden musste.

Rhynehart hat gesagt, die Überfahrt sei hart. Sie haben es mit ihrem Kind geschafft .

Bryl senkte den Kopf, ließ die Hände in den Schoß fallen und biss sich auf die Lippe, um nicht noch mehr zu sagen. Es herrschte wieder eine angespannte, peinliche Stille, aber diesmal nicht in Erwartung des Beginns des Essens.

Yadje holte scharf Luft. »Was hältst du von der Aesdur , Cheyenne?«

»Äh, was genau war das?«

R’mahr kicherte ein wenig, als seine Frau auf einen kleineren Teller mit etwas zeigte, das wie eine Suppe aussah. Die Halbdrow hatte bereits herausgefunden, dass das Zeug, wenn sie es berührte, hart wurde und sich in kleine, runde Kugeln verwandelte, die wie Hühnchen in Schokolade schmeckten.

»Ah, klar. Ja, es war mal etwas Anderes.«

»Ich weiß.« Die Trollfrau seufzte und zuckte mit den Schultern. »Ich versuche immer, die besten Zutaten zu finden, um die gleichen Gerichte wie zu Hause zu kochen. Peridosh hat so viele wunderbare Dinge, aber sie sind mehr darauf bedacht, Grog, Fellwein und Zutaten für Zaubersprüche herzubringen als frische O’gúleesh-Speisen.«

Cheyenne konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Hast du Fellwein gesagt?«

R’mahrs Hand senkte sich auf den Tisch, wodurch das ganze Ding gefährlich auf seinen dünnen Beinen wackelte. Der kurze Blick seiner Frau mahnte ihn, sich zu beherrschen. Er ignorierte sie. »Du hast noch nie Fellwein getrunken?«

»Nein, ich kann nicht sagen, dass ich das habe.«

»Yadje, hast du das gehört? Sie hat noch nie Fellwein getrunken!«

»Ich habe sie schon das erste Mal verstanden.« Yadje sah die Halbdrow an und zog erwartungsvoll eine Augenbraue nach oben.

»Wir können sie nicht gehen lassen, ohne ihn vorher probiert zu haben.« Der Troll schüttelte den Kopf und wölbte die Brust. »Ich habe dir doch gesagt, dass wir in Peridosh einen Krug hätten kaufen sollen.«

»Das sagst du jedes Mal und wir haben wichtigere Dinge, für die wir unser Geld ausgeben können. Du bist so schon hirnverbrannt genug.«

R’mahr lachte laut und klatschte in die Hände. »Das werden wir ändern müssen, Cheyenne.«

Die Halbdrow zuckte mit den Schultern und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Klingt nach Spaß.«

»Nicht für dich und die Leute um dich herum am nächsten Morgen«, fügte Yadje hinzu. »Warst du schon mal in Peridosh?«

»Nein.« Sie müssen denken, dass ich hinter dem Mond lebe. »Ich wusste gar nicht, dass es das gibt.«

»Richmonds ganz eigener O’gúl-Markt.« Yadje leckte die Soße von ihren Fingern. »Wir versuchen, einmal in der Woche dorthin zu gehen.«

»Ein Ort, an dem es nur Magie gibt.« R’mahr wackelte mit den Augenbrauen. »Einer der wenigen Orte, an die wir heutzutage kommen können, an dem wir nicht alles verstecken müssen, was wir sind. In Peridosh ist alles offen, genau wie zu Hause.«

Plötzlich fühlte sie sich viel satter, als sie gedacht hatte. Cheyenne lehnte sich langsam in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Das ist gut, wenn man es in der Nähe hat. Wie halten sie den Ort versteckt?«

»Ha!« R’mahr zeigte auf die Halbdrow, die auf der anderen Seite des Tisches saß und grinste seine Frau an. »Sie weiß es nicht.«

»Dann ist das ja geklärt.« Yadje nickte Cheyenne zu und lächelte. »Du solltest das nächste Mal mitkommen, wenn wir dorthin gehen.«

»Mittwoch!« R’mahr blinzelte, dann drehte er sich zu seiner Frau um und beugte sich vor. »Da gehen wir, nicht wahr?«

»Ja, R’mahr. Wir gehen mittwochs.«

»Mittwoch!« Der Troll schnappte sich eine große Handvoll des übrig gebliebenen, blauen Borsni , schaufelte es in seinen Mund und kaute mit überschwänglicher Begeisterung. »Du kommst mit uns, Cheyenne und wir zeigen dir das Beste, was Peridosh zu bieten hat.«

Yadje betrachtete die glühenden, blauen Gemüsestückchen, die aus dem Mund ihres Mannes quollen und schüttelte den Kopf. »Er hat seine Manieren mit allem anderen in Ambar’ogúl zurückgelassen.«

Cheyenne lachte, als R’mahr die Beleidigung abwinkte.

»Ich zeige dir das Zelt der Zaubertränke«, rief Bryl und griff vor Aufregung nach der Tischkante. »Du wirst es lieben. Sie haben alles, was du dir vorstellen kannst. Zum Beispiel das, was du dem Arschloch-Ork beim letzten Mal an den Kopf geworfen hast …«

»Bryl!«, schnauzte ihre Mutter und fügte dann hinzu: »Pass auf, was du sagst.«

»Was? Der Zaubertrankmeister sagt das ständig!«

»Du bist nicht der Zaubertrankmeister, oder?« R’mahr hob eine Augenbraue und ihre Tochter verzog das Gesicht, bevor sie ihren Blick wieder auf den Tisch richtete.

»Das zeige ich dir, wenn wir gehen«, murmelte Bryl und warf Cheyenne einen Blick von der Seite zu.

»Ich kann es kaum erwarten.« Das Lächeln der Halbdrow war angespannt, während sie versuchte, ihre seltsamen magischen Gastgeber nicht zu beunruhigen. Zaubertränke und Kinder waren in letzter Zeit keine gute Mischung.

»Ja, ja.« R’mahr nickte einfach weiter, ohne weiter auf das Fluchen seiner Tochter zu achten. »Wir werden dir alles zeigen. Du wirst im Handumdrehen O’gúleesh-Mahlzeiten kochen können.«

Seine Frau schnaubte. »Das ist kein Versprechen, Cheyenne. Er geht jede Woche mit mir und weiß immer noch nicht, wie man einen Damahs-dur kocht.«

»Nun, das liegt daran, dass ich dich habe«, sagte R’mahr und lächelte seine Frau an. Er lehnte sich wieder zu ihr. »Und du machst das so gut.«

Sie winkte ab und verdrehte die Augen, obwohl sie ein kleines Lächeln bei dem spielerischen Geplänkel nicht verstecken konnte.

Cheyenne warf einen Blick über ihre Schulter in die Küche auf die Uhr über dem Herd. Schon nach neun? Ich schätze, ich habe mich gut amüsiert.

»Also, danke fürs Essen.« Sie griff nach dem Tisch, um sich aufzurichten, überlegte es sich aber anders, als er wackelte. Stattdessen schob sie ihren Stuhl zurück. »Es war sättigend.«

»Ja, es liegt ordentlich im Magen, was?« Kichernd erhob sich R’mahr vom Tisch und nickte. »Lass mich dich zur Tür begleiten.«

Die Halbdrow hob die Hand in Richtung Bryl, um ihr ein High five zu geben und das Mädchen zögerte nicht, laut einzuklatschen.

Yadje keuchte. »Bryl!«

»Oh, nein. Das ist okay.« Cheyenne mimte wieder ein High five, diesmal mit sich selbst. »Es ist nur ein High five. Das ist hier was Gutes.«

Die Trollfrau presste die Lippen zusammen und brummte zur Antwort, dann zwang sie sich zu einem Lächeln, das auf ihren Gast gerichtet war. »Danke, dass du heute Abend gekommen bist, Cheyenne. Unsere Tür ist immer offen für dich.«

»Danke. Ihr wisst auch, dass ihr jederzeit bei mir anklopfen könnt.«

»Ja, ja.« R’mahr umrundete den Tisch und schaute durch das Wohnzimmer. »Ich bringe dich gleich zurück zur Tür.«

»Äh, das musst du nicht. Ich bin gleich den Flur runter.«

»Ich habe nicht alle meine Manieren auf der anderen Seite der Grenze gelassen, Cheyenne. Auch, wenn meine Frau das anders sieht.« Er zwinkerte Yadje noch einmal zu und lachte, als sie das letzte Stück Brot nach ihm warf. Dann öffnete er die Tür und bedeutete der Halbdrow, in den Flur zu treten.

»Vergiss Mittwoch nicht«, rief Bryl ihnen hinterher.

»Auf keinen Fall.«

R’mahr ging neben ihr an den beiden Wohnungen vorbei, die zwischen ihnen lagen und tätschelte sich den Bauch unter einem weiteren seiner übergroßen T-Shirts. »Wir sind sehr froh, dass du gekommen bist, um mit uns zu essen, Cheyenne. Es bedeutet uns mehr, als du dir vorstellen kannst, eine phér móre in unserem Haus zu haben. Eine Freundin.«

»Ja, es hat mir Spaß gemacht.« Sie blieb neben ihrer Tür stehen und hielt inne, als sie die Klinke ergriff. Dann drehte sie sich wieder zu R’mahr um und holte tief Luft. »Also, ich würde mich nicht richtig fühlen, wenn ich nichts sagen würde.«

Die Augen des Trolls weiteten sich vor Sorge. »Was ist passiert? Du mochtest den Borsni wirklich nicht, oder?«

»Nein, nein. Der Borsni war gut. Es geht um den Peridosh-Markt.«

»Oh. Ja?«

Cheyenne ließ ihre Hand vom Türknauf gleiten. Gab es eine Möglichkeit, ihm das zu sagen, ohne dass er ausflippte?

»Bryl hat ein Zaubertrankzelt erwähnt.«

»Sie liebt Tränke. Sie kommt ganz nach meinem Vater, mögen die Ahnen über ihn wachen.«

»Okay.« Sie leckte sich über die Lippen. »Ihr solltet an diesem Ort vorsichtig sein. In Richmond ist eine Menge böses Zeug im Umlauf. Eigentlich in ganz Virginia und auch in einigen anderen Staaten.«

R’mahrs scharlachrote Augenbrauen zogen sich zusammen. »Böse?«

»Zaubertränke. Zaubersprüche. Schwarze Magie.« Als sie schluckte, blieben ihr die Worte für eine Sekunde im Hals stecken und sie verdrängte das Bild des toten Jungen in der verdammten Ritualrobe. »Um den Kerl, der sie hergestellt hat, wurde sich gekümmert, aber vieles von dem, was er hergestellt hat, ist noch im Umlauf. Das meiste davon ist für Kinder bestimmt.«

Der Mund des Trolls klappte auf. »Um …«

»Ja. Ich glaube, ihr müsst euch keine Sorgen machen. Euer Kind ist viel jünger als die, die in die Sache verwickelt waren. Behalte sie einfach im Auge. Pass auf, dass sie nichts anfasst, was du nicht auch anfassen würdest, okay?«

»Oh. Ja, natürlich.« R’mahr blinzelte wütend und errötete, wobei seine Wangen – genau wie die seiner Tochter – eine tief lilane Farbe annahmen, hob eine Faust vor die Brust und hielt Cheyennes Blick mit überraschender Intensität stand. »Danke, phér móre . Du tust immer noch so viel für uns.«

Sie ignorierte seine Weigerung, ihren Namen zu nennen. »Ich würde das für jeden tun, aber ich habe deine Tochter kennengelernt und ich mag euch beide. Sie ist ein gutes Kind. Ich möchte nicht, dass sie verletzt wird. Oder du und Yadje.«

Der Troll klopfte sich erneut auf die Brust, schloss die Augen und nickte. Cheyenne stand da und wartete darauf, dass er sich wieder bewegte, damit sie sich nicht wie ein Arsch fühlte, wenn sie ihn einfach so im Flur stehen ließ. Als er schließlich die Augen öffnete, war darin eine Entschlossenheit zu erkennen, die sie vorher nicht gesehen hatte. »Ich bin dir ewig dankbar, Cheyenne.«

»Gern geschehen.«

Dann lächelte er glücklich und zeigte auf sie. »Ich freue mich schon auf Mittwoch. Du wirst sehen, wie beeindruckend es ist, was Yadje aus den Resten machen kann, die die Verkäufer als frische O’gúl-Ernte bezeichnen.«

Mit einem Kichern öffnete Cheyenne die Tür zu ihrer Wohnung und winkte ihm zu. »Ich kann es kaum erwarten. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

»Dir auch.« R’mahr verbeugte sich und wandte sich glücklicherweise ab, um den Flur hinunterzueilen, bevor Cheyenne wieder einmal bewies, dass sie nicht wirklich wusste, wie sie antworten sollte.

Sie betrat ihre Wohnung und schloss die Tür hinter sich, bevor sie aus ihren Vans schlüpfte. Dann lehnte sie sich gegen die Tür und schloss mit einem Seufzer die Augen. Das war schwieriger als ich dachte, aber das war es wert, wenn dadurch ein weiteres Kind vor dem Tod bewahrt wird.

Nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatte, ging sie zu ihrem Schreibtisch und dem Zettel, auf den sie Durgs Adresse geschrieben hatte. Sie holte ihr Handy gerade lange genug aus der Tasche, um die Adresse in ihr GPS einzugeben, dann schnappte sie sich ihre Jacke vom Boden und zog sie an. Da ist noch ein Arschloch, das für das, was es getan hat, bezahlen muss.