S ie entschied sich, von ihrer Wohnung aus, zu laufen. Diese lag am südöstlichen Ende des VCU-Campus und die Bewegung gab ihr mehr als genug Zeit, um sich darauf vorzubereiten, einem Ork in den Hintern zu treten. Außerdem half ihr die frische Luft in dieser späten Septembernacht, ihre Energie zu bündeln. Es wird viel schwieriger, mich hiernach zu finden, wenn mich niemand aus meinem Auto aussteigen sieht.
Die East Clay Street war wie immer überfüllt, sogar an einem Sonntagabend. Die Bars waren belebt, die Musik so laut, dass sie fünf verschiedene Lieder gleichzeitig hörte und niemand beachtete die Gothic-Tussi, die auf einer Mission durch Jackson Ward schlich. Dann fand sie sich auf demselben Weg wieder, den Ember vor zwei Wochen von der Bar zum Skatepark genommen hatte. Als sie die Straße neben dem Park hinunterlief und einen Blick auf den Skatepark am anderen Ende erhaschte, durchfuhr sie ein neuer Wutanfall. Die Stadt hatte den Maschendrahtzaun repariert, den sie mit ihrer Magie zerrissen hatte, nachdem sie das erste Mal vor allen Leuten zum Berserker geworden war.
Ich frage mich, ob sie das Blut schon weggeputzt haben.
Cheyenne ging um den Park herum und steuerte an diesem Abend stattdessen die nordwestliche Seite an. Durgs Haus lag in der Nähe des Parks.
Zehn Minuten später befand sie sich in Durgs Straße, genau dort, wo sie sein sollte. Die Straßenlaternen waren eingeschaltet und warfen ein schwaches Licht auf den Asphalt und die Bürgersteige um sie herum. Zumindest schwach genug, um eine Halbdrow nicht ins Rampenlicht zu stellen.
Sie holte ihr Handy heraus und überprüfte mit dem GPS, wo sie sich befand. Das Haus, das sie suchte, war noch einen Block weiter. Die Halbdrow machte sich auf den Weg dorthin und zwang sich, sich nicht zu verwandeln, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war. Keine versehentliche Magie heute Abend. Keine Fehlschläge.
Als sie vor dem Nachbarhaus von Durg anhielt, musste sie fast lachen. Nicht, dass sie eine verrottende, bröckelnde Hütte wie die von Q’orr erwartet hatte, aber dieses Haus sah genauso aus wie jedes andere zweistöckige Einfamilienhaus in der Straße. Nur die Stelle, an der die Bäume gepflanzt worden waren, war bei jedem Grundstück anders und auch die Länge des Grases in den Gärten variierte. Durgs Haus war blassblau, aber im Schein der Straßenlaternen fast grün.
Mit einem letzten Blick die Straße hinauf und hinunter ließ Cheyenne ihre Drowmagie auf sich wirken. Sie blühte an der Basis ihrer Wirbelsäule auf, wanderte nach oben und erfüllte sie von Kopf bis Fuß, während sie sich innerhalb einer Sekunde verwandelte. Dann schlich sie sich den Bürgersteig hinunter, vorbei an einem weiteren Haus und ging leise die Treppe hinauf. Jetzt ist der Moment . Aber geh auf Nummer sicher.
Cheyenne drückte ihre Hand gegen die blassblaue Hauswand neben der Eingangstür und schloss die Augen. Das Bild des Innenbereichs von Durgs Haus schimmerte vor ihrem geistigen Auge – der Flur, die Küche, die Treppe im hinteren Bereich und die drei Schlafzimmer im Obergeschoss. Im vorderen Wohnzimmer war der grün leuchtende Umriss einer orkischen Gestalt zu sehen, die auf der verdammten Couch saß und die Füße auf einem niedrigen Tisch abstützte.
Die Halbdrow nahm ihre Hand weg und zwang sich, nicht gegen die Tür zu schlagen, als sie klopfte. Von drinnen ertönte ein lautes Grunzen, gefolgt von den schwerfälligen Schritten eines magischen Wesens, das nicht ahnte, was gerade auf ihn zukam. Das Schloss drehte sich im Türknauf, dann schob sich ein Riegel zur Seite und die Tür öffnete sich.
»Was zum …?«
Sie schlug mit der Faust gegen die Tür und ließ sie mit einem Knall gegen die Wand zurückschwingen. An ihren Fingerspitzen züngelten violette Funken, die sie Durg gegen die Schulter schleuderte, um deutlich zu machen, dass sie es ernst meinte.
Der Rahmen der Tür zersplitterte, als sie sie hinter sich zuschlug. Der Ork taumelte rückwärts, umklammerte seine verbrannte Schulter und knurrte: »Du!«
»Wenigstens erkennst du mich.« Eine schwarze Kugel aus knisternder Energie wirbelte in ihrer Handfläche und sie ging durch den Flur auf ihn zu. »Was ist mit dem Mädchen, das du angeschossen und zum Sterben zurückgelassen hast? Erinnerst du dich auch an sie?«
»Bist du verrückt?« Spucke flog aus Durgs Mund, als er seitwärts aus dem Flur ins Wohnzimmer stolperte. »Das ist mein verdammtes Haus! Du kannst nicht einfach reinplatzen und …«
»Hey, du hast die Tür geöffnet. Und jetzt wirst du meine Fragen beantworten.« Cheyenne schleuderte den Energieball über seine Schulter und verfehlte ihn dabei absichtlich. Ihre Magie prallte gegen die hintere Wand des Wohnzimmers und riss ein Regal mit metallenem Schnickschnack und Büchern um. Ich werde das gut machen.
Durg duckte sich trotzdem und wirbelte herum, um den Schaden zu begutachten, bevor er zurück ins Wohnzimmer taumelte. »Was willst du?«
»Ich habe es dir schon gesagt«, entgegnete sie. »Ich spreche von Ember. In der Gruppe von magischen Wesen, die du mit deinen miesen Freunden vor zwei Wochen im Skatepark getroffen hast. Du hast sie angeschossen und bist sofort abgehauen, als es brenzlig wurde. Erinnerst du dich ?«
»Ja, ich erinnere mich verdammt gut. Der verdammte Mensch, der mit Halbwesen herumläuft. Blondes Haar. Ich erinnere mich!« Er stolperte über die Kante des Teppichs unter seinem Couchtisch und schaffte es knapp, nicht auf ihn zu fallen. »Warum interessiert dich dieses Stück Erdlingsscheiße so sehr?«
»Sie ist kein Mensch, Durg. Selbst wenn sie einer wäre, müsstest du aufgehalten werden.«
Die leuchtend gelben Augen des Orks wurden groß, dann stürzte er sich auf den Beistelltisch neben der Couch. Seine Finger fummelten an der Schublade herum, bevor er eine Handwaffe herauszog und sie auf sie richtete.
Mit einem lauten, wütenden Schrei schoss Cheyenne schwarze, magische Ranken aus ihren Fingerspitzen und schlug ihm die Waffe aus den dicken, fleischigen, grünen Händen. Sie klapperte außerhalb seiner Reichweite auf den Boden und Durg trat gegen die Couch zurück. »Was zum Teufel machst du mit einer Pistole? Willst du die magischen Platzpatronen kompensieren?«
Durg knurrte erneut und beschwor einen Ball aus grüner Magie in seiner Hand. »Wenigstens kann ich das, worauf ich ziele, aus der Nähe treffen.«
»Oh, nein, ich habe auf dein Bücherregal gezielt.« Sie beschwor eine weitere schwarze Kugel, als Durg seinen Zauber quer durch das Wohnzimmer schleuderte. Die Halbdrow wich zur Seite und der grüne Zauber verlangsamte sich in der Luft und segelte Zentimeter für Zentimeter durch den Raum. Sie stürmte durch das Wohnzimmer, bis sie direkt vor der ausgestreckten Hand des Orks stand, dessen Augen weit aufgerissen waren und dessen Zunge zwischen zwei fleckigen Hauern hervorlugte, während er böse knurrte. Sie schlug seinen Arm beiseite, holte mit der Faust aus und verpasste ihm einen harten rechten Haken in seinen kräftigen Kiefer.
Die Welt beschleunigte sich wieder, als sie ihre übernatürliche Drowgeschwindigkeit verließ. Grünes Feuer sauste durch das Haus. Durg flog mit einem Aufschrei rückwärts über die Couchlehne. Neben seinem überraschten, schmerzerfüllten Schrei konnte Cheyenne auch das Knirschen seiner Schulter hören, die sie ihm ausgekugelt hatte, als sie ihn mit erhöhter Geschwindigkeit ein wenig angestupst hatte.
Der Ork rappelte sich auf und kletterte zurück auf die Couch, wobei sein linker Arm an seiner Seite baumelte, bevor er ihn gegen seinen Bauch presste und erneut wütend brüllte. »Du hattest nichts damit zu tun«, schrie er. »Ich weiß nicht, wer du bist und ich wollte es nach dieser Nacht auch nicht herausfinden, aber jetzt werde ich dich jagen wie ein verdammtes Tier.«
Cheyenne verzog das Gesicht und ging hinter ihm her, als er sich von der Couch abstieß, wobei ihm die Spucke zwischen seinen riesigen Stoßzähnen herausflog. »Du bist einfach nicht ganz richtig im Kopf, Durg. Ich bin dir zuvorgekommen.«
In einem letzten Versuch, sie abzuwehren, hob der Ork seine andere Hand und erleuchtete das Wohnzimmer mit knisternden Splittern aus dunklem, orangefarbenem Licht. Die Halbdrow schlug mit schwarzen Ranken aus beiden Händen zu. Die Hälfte von ihnen drückten Durgs Arme an die Seiten, was ihn vor Schmerz aufheulen ließ, als die Ranken an seiner ausgekugelten Schulter rüttelten. Die andere Hälfte peitschte über sein Gesicht, bevor sie sich um seinen dicken Hals wickelten und festzogen. Es kostete sie alles, was sie hatte, um nicht ihre Faust zu ballen, sodass die Peitschen ihrer Magie noch fester zuzogen und ihm das Genick brachen.
Durg stieß ein ersticktes Krächzen aus und seine dunkelgraue Zunge schob sich zwischen seinen riesigen Lippen und den hässlich aussehenden Stoßzähnen hervor.
»Nach dem, was ich gehört habe, bist du nur ein weiterer Schläger, der versucht, unschuldigen magischen Wesen, die hierhergekommen sind, Angst einzujagen. Du verprügelst sie für ›Schutzgeld‹. So hast du es doch genannt, oder?«
Der Mund des Orks öffnete und schloss sich, aber es kam nur ein würgendes Geräusch heraus.
»Weil diejenigen, die sich ein Leben auf der Erde aufbauen wollen , Verräter sind. Richtig? Sie haben Ambar’ogúl aufgegeben und du dachtest dir, du könntest ihnen hierher folgen und sie dafür bezahlen lassen. Gar nicht so schlecht, wenn man sich ein bisschen die Taschen füllt oder ein paar Wesen ins Krankenhaus bringt, oder?«
Seine Augen weiteten sich und er schaffte es, zwei Worte herauszukrächzen. »Hör auf …«
»Ich fange gerade erst an.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu und nahm sein erschrockenes Gesicht ganz in sich auf, während sich ihre Ranken um seinen Hals schlossen. »Du hättest sie fast umgebracht, Arschloch, aber das hast du nicht. Jetzt wäre ein wirklich guter Zeitpunkt, zu den O’gúl-Göttern zu beten, dass du nur halb so viel Glück hast.«
»Ich … ich kann nicht …« Das Krächzen, das aus Durgs klaffendem Mund kam, klang dieses Mal viel leiser und schwächer.
Cheyenne trat auf ihn zu und holte erneut mit der Faust aus, bereit für einen weiteren Schlag. Bevor sie nachsetzen konnte, sackte der Ork in sich zusammen und riss sie an den schwarzen Ranken, die ihre andere Hand mit seinem Hals verbanden, zu sich. Die Halbdrow stolperte mit einem Ächzen vorwärts und befreite ihn von ihrer Magie. Die Ranken zogen sich zurück und sie trat von dem Ork weg, der in einem Haufen zwischen Couchtisch und Sofa lag. Ein enttäuschtes Zischen entwich ihr und sie schüttelte ihre Hand aus, deren Finger von der geballten Faust schmerzten, die sie gebildet hatte und die sie nicht hatte benutzen können. Das Klirren der Armbänder, die gegen ihre Handgelenke schlugen, war das einzige Geräusch im Wohnzimmer, das das leise Summen von Cops im Fernsehen übertönte.
»Ich hätte nicht so fest zudrücken sollen«, murmelte sie und stieß den Ork mit der Schuhspitze an. »Scheiße.«
Die Halbdrow wandte sich von Durg ab und versuchte, ihren Atem zu beruhigen und zu entscheiden, was sie als Nächstes tun wollte. Das war zu einfach. Nicht genug.
Sie suchte das Wohnzimmer ab, wobei ihre Drowmagie mit jedem Herzschlag durch sie hindurchsummte. Die Rückenlehne der braunen Ledercouch des Orks war mit gewebten Decken bedeckt, die so aussahen, wie die, die sie auf dem magischen Markt im Q3 von Res 38 gesehen hatte. Anstelle von gerahmten Bildern an der Wand hatte der Typ lange, drapierte Wandteppiche in dunklen Rot- und Blautönen und Schwarz aufgehängt. Als sie den Wandteppich an der Wand direkt über dem Fernseher sah, erstarrte sie.
Auf einem blutroten Hintergrund mit schmutzig weißen Streifen war die Form eines schwarzen Stierkopfes zu sehen. Die Augen waren rot, alle anderen Linien, die die Gesichtszüge des Tieres definierten, waren aus schimmerndem Silberfaden. Aber die Form war unverkennbar, selbst mit den drei gezackten Dolchen, die in der Mitte des Stierkopfes steckten und den Schrägstrichen an den Ecken des Wandteppichs.
Sieht so aus, als hätte jemand anderes ein Problem mit dem, was der Stier repräsentiert. Wenigstens hat er ihn nicht an einer verdammten Kette um den Hals hängen .
Sie ging auf die gegenüberliegende Wand und den Wandteppich über dem Fernseher zu, um einen besseren Blick auf die Dolche zu bekommen. Die Klingen waren in wellenförmigen Linien gebogen, sodass es noch schmerzhafter wär, wenn man sie aus der Wunde desjenigen herausriss, in dessen Fleisch sie gegraben wurden. Cheyenne beugte sich näher heran, um festzustellen, dass es sich um echtes Blut handelte, das wie ein Schmutzfleck auf einer der Klingen getrocknet war. Nicht nur dekorativ.
»Hm.« Als sie sich wieder umdrehte, betrachtete sie den bewusstlosen Durg und fühlte sich etwas besser, als sie sah, wie sich sein Brustkorb langsam hob und senkte. Okay, ich habe ihm in den Arsch getreten. Jetzt habe ich etwas noch Besseres.