C heyenne warf einen Blick auf ihr Handy, als sie den Flur entlang zu ihrer Wohnung ging. Erst halb elf. Eine produktive Nacht. Sie zog ihren Schlüsselbund aus der Tasche ihrer schwarzen Leinenjacke und steckte den Schlüssel ins Schloss. Als sie die Tür öffnete, sprang sie fast wieder auf den Flur hinaus.
Die kupferne Drow-Rätselbox hatte sich aus ihrem Rucksack befreit und lag direkt vor ihr auf dem Teppich. Nicht da, wo ich dich gelassen habe.
Sie schloss schnell die Tür und stieß die Kiste mit dem Fuß an. Sie glitt über den Boden und blieb dann wieder direkt neben Cheyennes Rucksack liegen. Corian will, dass ich das Ding durch die ganze Stadt schleppe. Das mach ich nicht, wenn ein Haufen O’gúleesh-Loyalisten mich jagt.
Seufzend zog sie ihre schwarzen Vans aus und ging zurück in den Flur. Sie hob beide Arme hoch über ihren Kopf, gähnte herzhaft und schlurfte dann in ihr Schlafzimmer. »Als ob ein Nachtpirscher irgendetwas über das Erbe der Drow wüsste.«
Die Halbdrow kratzte sich an der rechten Schulter und blieb stehen. Mit einem Schnauben zog sie ihr Shirt so weit runter, dass sie die Mullbinde abreißen konnte, die sie den ganzen Tag wie eine Idiotin getragen hatte. Die Mullbinde und das zusätzliche Klebeband landeten auf dem Boden, dann zog Cheyenne sich aus und kletterte ins Bett, stellte den Wecker auf ihrem Handy und legte es dann auf den Nachttisch. Sie warf noch einen Blick auf ihre Schulter und rieb mit einem Lächeln über die glatte, verheilte Haut. Das Beste, was dieser Drowbastard je für mich getan hat. Wahrscheinlich wird er das nicht mehr übertreffen.
Cheyenne verdrängte ihre Gedanken über L’zar Verdys, kroch unter die Bettdecke, auf der in der Mitte ein riesiger Schädel war und kuschelte sich ein. Endlich eine gute Nachtruhe. Sie gähnte erneut und vergrub ihren Kopf im Kissen.
* * *
In dieser Nacht hatte Cheyenne einen weiteren verrückten Traum, aber sie wusste von Anfang an, dass es sich nur um einen Traum handelte. Das machte ihn aber nicht weniger lebendig oder erschreckend.
In diesem Traum ging sie einen kalten, dunklen Korridor aus schwarzem Stein entlang. Dieser Gang war ganz anders als die feuchten Wände des Kerkers im Chateau D’rahl. Der Stein war mit viel Geschick behauen und verlegt worden und war von der Zeit abgenutzt. Der Gang schien sich ewig zu erstrecken, bis sie plötzlich an seinem Ende stand und in einen riesigen, runden Raum aus demselben schwarzen Stein mit hohen, gewölbten Decken blickte. Hier war es noch kälter.
Überall, wo sie hinschaute, waren die schwarzen Wände mit Blut bespritzt. Alle paar Meter hingen lange, dünne, ausgefranste Banner von den Wänden zum Boden hinunter. Sie flatterten in dem eisigen Luftzug, der aus allen Richtungen kam. Dann bemerkte die Halbdrow den Boden.
Er war übersät mit Leichen aller Größen, die in den Positionen lagen, in denen sie gestanden hatten, als sie niedergeschlagen worden waren. Sie erkannte die Kleidung nicht – lockere, weite Sachen, die wie die Banner ausgefranst und in Blut getränkt waren. Im Licht der Fackeln, die im Raum brannten, glitzerte das Blut auf der Kleidung. Alle, die auf dem Boden lagen, hatten die dunkle, violett-graue Haut und das knochenweiße Haar der Drow.
In der Mitte der Leichen kniete eine zusammengekauerte Gestalt, die in schwarze Gewänder gehüllt war. Noch ein Drow, nach den weißen Haaren, die um den gebeugten Kopf fielen und den dunklen Ohren, die hervorlugten, zu urteilen. Als der Drow den Kopf hob und ihren Blick erwiderte, schnürte sich Cheyennes Kehle zu. L’zar.
Seine goldenen Augen leuchteten in der Dunkelheit, viel heller als die Fackeln, die Schatten auf den schwarzen Stein warfen. Doch das sorglose Lächeln, das sie von ihm kannte, war verschwunden und wurde durch einen gequälten, hilflosen Blick ausgetauscht, der nicht zu ihrem Vater passte. L’zar starrte sie durch den Vorhang seines weißen Haares an, ein stummer Schrei lag auf seinen geöffneten Lippen.
»Ich dachte, ich könnte es aufhalten.« Seine Stimme hallte durch den riesigen, steinernen Raum und die Fackeln flackerten bei jedem widerhallenden Wort. »Aber ich war nicht stark genug. Jetzt bist du dran.«
* * *
Cheyenne schreckte mit einem Keuchen aus dem Schlaf auf und krabbelte über ihr Bett, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Die kupferne Puzzleschachtel schwebte neben ihr und strahlte goldenes Licht aus. Das Ding klickte und wirbelte herum und jedes Teil dieser durchgedrehten Box drehte sich wild vor ihr.
Die Halbdrow reagierte, ohne nachzudenken. Eine Hitzewelle überkam sie und ihre lila-graue Hand streckte sich, um die Kiste aus der Luft zu reißen. »Lass mich in Ruhe!«
Eine Kugel aus schwarzer Energie flammte in ihrer anderen Hand auf und sie umklammerte damit die Rätselkiste, die in ihrer Handfläche wie wild vibrierte. Das goldene Licht, das ihr Schlafzimmer erhellte, wurde durch ein Aufblitzen von Schwarz und Violett zwischen ihren Händen gedämpft, dann wurde die Schachtel still.
Schwer atmend, knurrte Cheyenne und ließ die Kiste auf das Bett fallen. Sie rutschte ein wenig zur Seite und blieb dann an einer Stelle liegen. Auf einmal drehte sich langsam eine Reihe der in das Metall geätzten Runen. Das Ding gab ein leises Klicken von sich und die äußere Schicht der Symbole, die sich gedreht hatte, blitzte ein letztes Mal auf.
»Was zum Teufel?« Die Halbdrow wandte ihren Blick von der kupfernen Kiste ab und starrte auf ihre dunklen Drowhände. Hat meine Magie das Ding gerade verwandelt?
Ihre Augen weiteten sich und sie kletterte über das Bett, um die Schachtel zu greifen und es erneut zu versuchen. Sie machte alles genauso – sie beschwor eine schwarze, magische Kugel und violette Funken sprühten aus ihren Fingern, bevor sie die Schachtel erneut mit ihrem Zauber berührte. Es gab einen dumpfen Schlag und einige der violetten Funken flogen quer durch den Raum, aber das war’s.
»Okay.« Cheyenne warf die Schachtel zurück auf ihre Bettdecke. Wir haben beide ein Limit. Dann schnappte sie sich ihr Handy vom Nachttisch, weil ihr Wecker klingelte. Sie seufzte erschöpft. »Genau pünktlich.«
* * *
Nachdem sie geduscht, ihr jetzt wieder schwarzes Haar geföhnt, etwas schwarzes Make-up aufgesetzt und ihr Outfit angezogen hatte, das aus schwarzen und noch mehr schwarzen Kleidungsstücken bestand, ging Cheyenne ins Wohnzimmer. In der Tür zu ihrem Schlafzimmer blieb sie stehen, weil sie erneut ein Kribbeln in ihrem Nacken spürte und blickte über ihre Schulter auf die Drow-Puzzlebox auf ihrem Bett. Beweg dich nicht.
Die Dusche hatte sie wacher gemacht, aber sie gähnte immer noch, als sie sich neben der halbhohen Küchenwand bückte, um ihren Rucksack zu nehmen und ihn sich über die Schulter zu werfen. Noch mehr verrückte Träume. Kein Wunder, dass L’zar eingesperrt wurde.
Das Bild ihres Drowvaters, der in der Mitte dieser Drowkörper kniete, ließ sich nur schwer aus ihrem Kopf vertreiben. Da könnte etwas Wahres dran sein. Das Raugorakel meinte schon, dass jeder, der die Kiste berührt hat, tot ist. Aber nicht diese Halbdrow.
Sie schlüpfte in ihre Vans und zögerte, bevor sie nach dem Türknauf griff, aber dieses Mal blitzte nichts aus ihrem Traum auf und sie war allzu glücklich, aus ihrer Wohnung und von der Box wegzukommen. Bevor sie die Tür schloss, warf sie noch einmal einen Blick in ihre Wohnung und schüttelte dann den Kopf. Vergiss es.
* * *
Cheyenne saß in einer Vorlesung und musste sich wieder einmal zusammenreißen, um sich nicht die Haare auszureißen und sich vor Langeweile die Augen auszukratzen. Genau wie jeden Montag und eigentlich auch an jedem anderen Tag unter der Woche. Offenbar ersparte ihr pünktliches Erscheinen in jeder Vorlesung die abfälligen Bemerkungen und zweifelnden Blicke ihrer Dozierenden. Das erste Gespräch, das sie an diesem Tag führte, war erst nach der letzten Vorlesung, als sie über den Hof in Richtung des Informatikgebäudes ging.
Sie warf einen skeptischen Blick auf das Schwarze Brett und die Bank, die auf der anderen Seite des Rasens war. Eine Gruppe anderer Studierender hatte sich dort versammelt, um sich die neuen Flugblätter anzusehen, die ausgehängt waren. Ein Typ in einem Button-Down-Hemd, mit einer Umhängetasche über der Schulter und braunen Haaren, die ihm über die Augen hingen, sah sie an und dachte, sie sei interessiert.
»Hey.« Er ging auf sie zu, auch als sie schneller wurde. »Wir suchen noch mehr Leute für den Schachclub. Bist du interessiert?«
Die Halbdrow blickte auf das Flugblatt, mit dem er ihr zuwinkte und blieb stehen. Sie blinzelte ihn an, deutete auf ihre schwarze Kleidung, die silbernen Reißverschlüsse und die Sicherheitsnadeln, die ihr Hemd zierten und breitete dann die Arme aus. »Wirklich?«
Der Typ strich sich sein struppiges Haar aus den Augen und schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Hey, man sollte ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen, oder?«
»Wäre bei diesem Buch wahrscheinlich eine gute Idee.« Cheyenne lief weiter den Weg entlang und Mister Schachclub lachte hinter ihr.
»Okay. Die Flyer sind da, falls du deine Meinung änderst. Schönen Tag noch!«
Dies war eine normale Uni. Sie hätte sich in der Zeit, in der sie den magischen Abschaum gejagt hatte, lieber auf Onlinekurse konzentrieren sollen.
Sie erreichte das Gebäude der Computerwissenschaften ohne weitere Unterbrechungen und fand die Bürotür von Mattie Bergmann wie üblich weit geöffnet. Mit einem schnellen Klopfen betrat Cheyenne das Büro ihrer Professorin und sah sie an. »Schönen Montag?«
Mattie schaute von der Arbeit auf ihrem Schreibtisch auf und lächelte breit. »Du sagst das eine, aber dein Gesicht sagt das komplette Gegenteil.«
»Gut zu wissen, dass ich ein offenes Buch bin.« Die Halbdrow legte den Kopf schief. »Das zweite Mal, dass ich heute mit einem Buch verglichen werde.«
»Nun, mach dich bereit für ein weiteres. Ein Buch, meine ich. Eigentlich«, sagte die Professorin und kicherte, »ist es weniger ein Buch als ein riesiger Stapel Papiere. Ich habe Kopien gemacht. Ich hoffe, du hast nichts Ausgefallenes erwartet.«
Die Frau zog die unterste Schublade ihres Schreibtisches auf, holte einen großen Stapel Papier heraus und knallte ihn auf den Schreibtisch. »Genau wie ich es versprochen habe.«
»Woah.« Cheyenne nahm ihren Rucksack ab, ging auf den Schreibtisch zu und betrachtete die Worte, die auf dem obersten Blatt standen. »Cheyenne S., hm? So kann man es auch geheim halten.«
»Weißt du was? Nur so weiß ich, was ich mit so einem Monsterstapel anfangen soll. Sonst bekäme ich einen Herzinfarkt, weil ich denken würde, dass es ein Haufen Klausuren ist, die ich vergessen habe zu benoten und ich würde sie wahrscheinlich in den Müll werfen.« Mattie sah zu der Studentin auf und lachte. »Das ist besser als ›Sammlung von Zaubersprüchen und heilender Magie ‹.«
»Na gut.« Die Halbdrow nahm die Papiere vom Tisch und hielt sie in einem Arm, während sie sie schnell durchblätterte. Die meisten waren in einer Sprache beschriftet, die sie nicht kannte, aber alle hatten Zeichnungen von Händen, die mit den Fingern verschiedene Dinge taten. »Hast du das von der anderen Seite mitgebracht?«
Mattie lachte und schüttelte den Kopf. »Definitiv nicht. Glaub mir, die Bücher da drüben sind viel schwieriger zu lesen und noch unmöglicher zu verstehen, ohne dass dir jemand bei jedem Schritt die Hand hält. Vielleicht buchstäblich. Ich habe es vereinfacht.«
»Oh, ja. Das sieht ganz einfach aus.« Cheyenne seufzte und schüttelte den Kopf. »Du hättest wenigstens einen ganzen Haufen herausziehen und das Ganze mit einem Stück Schnur zusammenbinden können.«
»Bitte, Cheyenne. Du kannst mich mit deinen Programmierkenntnissen schwindelig machen und erwartest von mir, dass ich glaube, dass du nicht weißt, wie man ein Bündel loses Papier zusammenhält?«
Die Halbdrow ignorierte die Bemerkung und legte den Stapel wieder auf den Tisch, um ihn noch einmal durchzublättern und genauer zu betrachten. »Ernsthaft, wie soll das die vereinfachte Version sein? Das sind so viele Zeichnungen und Diagramme und was noch? Etwa hundert Zaubersprüche?«
»Mehr. Die Rezepte für sämtliche Heilsalben und Ähnliches sind hinten drin.«
Lachend betrachtete Cheyenne die kopierten Seiten und merkte erst jetzt, wie die Schrift auf das Papier gekommen war. »Hast du das alles selbst geschrieben? Und die Zeichnungen?«
»Das habe ich, Halbblut. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um so viel niederzuschreiben und das ist nur das Handbuch für Anfänger.« Mattie lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und strich sich die gewellten, schwarzen Haare hinters Ohr. »Deshalb bekommst du auch nur Kopien.«
»Wie viel gibt es noch?«
»Das fortgeschrittene Zeug? Oh, drei oder vier Mal so viel.« Die Frau lachte, als Cheyenne sie mit großen Augen ansah. »So viel kann ich dir sagen. Als ich hierhergekommen bin, hatte ich eine Menge Zeit zur Verfügung. In einem seltsamen, naiven Anfall von Inspiration dachte ich, es wäre eine hervorragende Idee, das alles aufzuschreiben. Ich dachte, ich könnte mir einen Lehrling suchen und auf diese Weise meinen Lebensunterhalt verdienen. Hat ziemlich gut funktioniert, oder?«
»Du weißt genug über Computerprogrammierung, um auch auf diese Weise deinen Lebensunterhalt zu verdienen.« Cheyenne hob ihren Rucksack vom Boden auf und stützte ihn auf ihr Knie, bevor sie den Reißverschluss des Hauptfachs öffnete. »Ich kann nicht glauben, dass du die Grenze mit einem Haufen Bücher über Magietraining überquert hast, nur um sie umzuschreiben.«
»Was? Das wäre doch verrückt gewesen!«, entgegnete Mattie mit einem entgeisterten Gesichtsausdruck. Sie sah mehr als nur ein wenig überwältigt aus bei dem Gedanken. »Ich hätte es nie geschafft, wenn ich das versucht hätte. Ich habe das alles von hier oben abgeschrieben.«
Als Cheyenne wieder aufblickte, tippte die Frau mit einem wissenden Lächeln an ihre Schläfe. »Erinnere mich daran, dass ich nie versuche, in deinen Kopf einzudringen.«
»Das kannst du doch sowieso nicht machen, oder?« Die Besorgnis in ihrer Frage ließ die Halbdrow innehalten. »Steht das Gedankenlesen auf der Liste der Überraschungszauber, die du erwähnt hast?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Das gibt es?
»Okay. Gut. Du kennst mich. Ich musste einfach fragen.« Mattie zuckte mit den Schultern und versuchte, darüber zu lachen, aber die Tatsache, dass sie gefragt hatte, stand zwischen ihnen.
»Wenn das jemals auftreten sollte, werde ich es dir sagen, bevor ich es bei dir einsetze.«
Die Professorin verschluckte sich fast und schlug sich mit der Faust vor die Brust, um sich zu räuspern. »So etwas würde ich nicht erwarten, Cheyenne. Bevor ich hierhergekommen bin, gab es nur wenige magische Wesen, die sich in den Kopf eines anderen hineinversetzen konnten und ich glaube nicht, dass sie seit meiner Abreise daran gearbeitet haben, diese Fähigkeit zu kultivieren.«
»Warum nicht?«
»Sagen wir einfach, es ist viel schwieriger, als es klingt. Für beide Beteiligten.«
Die Halbdrow nickte und starrte die Nachtpirscherin in ihrer menschlichen Verkleidung an. Dann schnappte sie sich wieder den Stapel mit den Zaubersprüchen und stopfte ihn so ordentlich wie möglich in ihren Rucksack. »Halte dich vom Gedankenlesen fern. Verstanden?«
Sie spürte, wie Professor Bergmanns Blicke über sie wanderten, noch, bevor die Frau den Mund öffnete.
»Cheyenne.« Mattie blinzelte, als die Halbdrow sie ansah. »Irgendetwas ist anders an dir.«
Es konnte alles sein, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war. »Was zum Beispiel?«
»Ich weiß es nicht.« Die Frau neigte ihren Kopf und runzelte die Stirn. »Einfach anders. In was bist du am Wochenende hineingeraten?«
Cheyenne schmunzelte. »Wir wissen beide, dass du nicht willst, dass ich darauf antworte.«
»Nein. Du hast recht. Ich halte den Mund.« Mattie tat so, als würde sie ihre Lippen wie ein Reißverschluss verschließen und nickte. »Was auch immer es ist, es steht dir gut, Halbdrow.«
»Danke. Denke ich.«
Die angespannte Stille am Ende eines Gesprächs, das sie nie begonnen hatten, kehrte zurück, dann klatschte Mattie in die Hände und setzte ein höfliches Lächeln auf. »Nun, ich schätze, du bist jetzt auf dich allein gestellt und lernst diese Zaubersprüche. Das sollte für den Anfang reichen, aber komm wieder, wenn du noch Fragen hast.«
»Das tue ich immer.« Auch wenn sie die Hälfte davon nicht beantwortet. Die Halbdrow warf sich ihren Rucksack wieder über die Schulter, hielt aber inne, bevor sie durch das Büro ging. »Eigentlich habe ich gerade ein paar Fragen, falls du noch Zeit für deine einzige Halbdrow in Ausbildung hast.«
Mattie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Du weißt, dass es auf die Fragen ankommt.«
»Ja, ich weiß, aber es geht hier nur um Magie. Ich verspreche es.«
»Dann schieß los. Nicht wortwörtlich.«
Schmunzelnd verlagerte Cheyenne ihr Gewicht auf das andere Bein. »Weil du ja so viel über Drow im Allgemeinen, aber besonders über Drow-Halbwesen weißt …«
»Haha.«
»Wie viel haben die Magie der Drow und die Magie der Nachtpirscher gemeinsam?«
Matties Lippen öffneten sich vor Überraschung und sie blinzelte. »Was die Zaubersprüche angeht, die ich dir gegeben habe? Sie sind für jeden zugänglich.«
»Nein, ich meine angeborene Fähigkeiten. Du weißt schon, wie meine lilafarbenen Funken oder etwas Stärkeres.«
»Oh, ja. Die süßen.«
Cheyenne schnaubte. »Sehr witzig. Ich meine, wenn du mehr über die Fähigkeiten wüsstest, die ich habe und die vielleicht noch auf der Liste der Überraschungsmagie stehen, würdest du sagen, dass sie so sind wie das, was du kannst?«
»Deine Magie ist nicht so wie die eines Orks oder eines Trolls. Vielleicht sogar einer Fae.«
»Einer Fae?«
Mattie schüttelte den Kopf und winkte abweisend. »Wenn es noch welche gibt. Wahrscheinlich nicht. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht genug über die Magie der Drow, um sagen zu können, ob sie mit etwas anderem als der Magie der Drow vergleichbar ist.«
Sehr hilfreich. Die Halbdrow holte tief Luft. »Kannst du dich superschnell bewegen? Oder Blitze über den Boden schleudern?«
Ihre Professorin hob eine Augenbraue und musterte sie von der Seite. »Wie kommst du auf diese Idee?«
»Ist nur eine Frage. Das ist alles hypothetisch.«
»Aha.« Die Frau kaute kurz auf ihrer Unterlippe und sah ihre Schülerin immer noch stirnrunzelnd an. »Für einen Nachtpirscher kommt diese Art von Kraft aus einem lebenslangen, intensiven Training und der Verfeinerung der eigenen Fähigkeiten. Das ist alles, was ich sagen kann, wenn wir über angeborene Fähigkeiten sprechen. Die meisten meiner Rasse kommen nicht so weit, bevor sie aufgeben und sich mit dem begnügen, was sie schon können.«
»Zu welcher Gruppe gehörst du?«
»Das ist eine weitere Frage, die du auf die ›Nicht mehr fragen‹-Liste setzen solltest, Cheyenne.«
Die Halbdrow hob entschuldigend die Hände und trat einen Schritt zurück. »Ich habe verstanden. Ich will dich nicht drängen. Aber sagen wir mal, du wärst mit deiner Magie auf dieser Stufe.«
»Aha.«
»Würdest du genug wissen, um jemand anderen auszubilden, damit er die gleiche Fähigkeitsstufe erreicht?«
»Wenn ich mit einem anderen Nachtpirscher zusammenarbeiten würde, Cheyenne, könnte ich nur ›vielleicht‹ sagen. Es geht nämlich um mehr als nur das Niveau meiner Kräfte. Da wir hier aber von einem ganz bestimmten Drow-Halbwesen sprechen, weiß ich es hypothetisch gesehen immer noch nicht.«
»Verstehe.« Cheyenne atmete tief ein und aus und wechselte ihren Rucksack auf die andere Schulter. Dann weiß ich immer noch nicht, ob Corian sein Versprechen einhalten kann. »Okay. Danke, dass du dieses Mal nicht vor mir wegläufst.«
Mattie lachte und legte eine Hand an ihre Stirn. »Ist das das Erste, was dir jetzt jedes Mal durch den Kopf geht, wenn du in mein Büro kommst?«
»Irgendwie schon, ja.« Mit einem Kichern wandte sich die Halbdrow wieder der Tür zu und blieb noch einmal stehen. Jetzt, wo ich sie fröhlich gestimmt erwischte … »Hey, nur so zum Spaß. Bist du schon mal einem magischen Wesen begegnet, das einen Stierkopf-Anhänger um den Hals trägt?«
»Stopp.« Der ganze Humor war aus Matties Gesicht gewichen und sie hob einen warnenden Finger, ohne ihn auf ihre Schülerin zu richten. »Geh nicht diesen Weg, Cheyenne.«
»Du weißt also, was es ist.«
»›Ich will dich nicht drängen‹. Du wolltest mich erst einmal locker machen, bevor du deine Geheimwaffe, diese Frage, rausholst, nicht wahr?« Matties grüne Augen blitzten. »Sehr schlau, Halbblut.«
»Ich versuche, die Teile zusammenzufügen …«
»Ich kann mir kein einziges Szenario vorstellen, in dem all die verschiedenen Teile, die du in meinem Büro aufführst, zum selben Puzzle gehören. Ich habe dir gesagt, dass du dich von der FRoE fernhalten sollst und du hattest offensichtlich deine eigenen Vorstellungen davon, auf mich zu hören, aber das ist eine ernste Warnung. Was auch immer du glaubst, von der Person, die du mit den Anhängern gesehen hast, erfahren zu können, tu es nicht. Das ist es nicht wert. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich, wenn ich zwischen dem Stierkopf und der FRoE wählen müsste, jeden Tag die FRoE wählen würde.«
Cheyenne presste ihre Lippen aufeinander und beobachtete, wie Matties erhobener Finger fast unmerklich zitterte, bevor die Frau ihre Hand sinken ließ. Sie meint es ernst. »Okay.«
»Nur ›okay‹? Du wirst mir nicht hinterherlaufen und versuchen, mehr Antworten aus mir herauszubekommen?«
Die Halbdrow schüttelte den Kopf. »Nein. Das reicht mir und ich glaube dir. Ich war nur neugierig und jetzt werde ich mich zurückziehen.«
Die Professorin schüttelte den Kopf. »Ich würde sagen, ich bin erleichtert, das zu hören, wenn ich denken würde, dass du es ernst meinst.«
»Du kannst denken, was du willst.« Cheyenne zuckte mit den Schultern und machte sich schließlich auf den Weg zur Tür. »Mach dir aber keine Sorgen um mich. Ganz im Ernst. Ich versuche nicht, diese Leute zur Strecke zu bringen oder so.« Es ist genau andersherum.
»Weißt du was? Wenn du weiterhin jeden Tag in mein Büro kommst, werde ich dir glauben.«
»Okay. Danke für die Kopie deines Buches.« Sie lächelte die Frau an, als sie aus der offenen Tür trat und Mattie erwiderte mit einem nicht einmal halb so begeisterten Lächeln. Die Halbdrow spürte die Augen ihrer Mentorin auf sich gerichtet, bis sie aus ihrem Blickfeld trat und den Flur hinunterging.