D er nächste knisternde, silberne Angriff des Nachtpirschers sauste auf Cheyenne zu, bevor die letzten beiden, die er losgeschickt hatte, vollständig an ihr vorbeigeflogen waren. Sie versuchte, sich zu ducken und ihre Kugel aus schwarzer Energie in Corians Gesicht zu schleudern, aber sie war nicht schnell genug. Der Blitz traf sie diesmal an der linken Schulter und sie wirbelte herum, bevor sie vor Schmerz und Frustration aufschrie, während ihre Knie auf das kalte, feuchte Gras trafen. Die beiden silbernen Angriffe, denen sie ausgewichen war, zischten hinter ihr in den Wald und das leise Lachen des Nachtpirschers ertönte erneut.
Sie riss ihren Kopf hoch, um ihn anzustarren und rieb sich die brennende Schulter. Corians scharfe Zähne glitzerten im Mondlicht, als er kichernd vor ihr hin und her lief. Mit seinem gesenkten Kopf und den pelzigen Ohren, die über den silbernen Augen zuckten, sah er weniger wie ein Mensch und viel mehr wie ein wildes Tier aus. Als ob er mich fressen wollte .
Mit einem Ächzen stemmte Cheyenne sich auf die Beine. »Das ist nicht fair.«
»Wer kämpft schon fair, Cheyenne?« Seine Stimme schallte über die Wiese, als er seine Hände ausbreitete. »So lernst du. So ergreifst du deine …«
Sie schleuderte eine weitere schwarze Kugel aus aufgewühlter Magie in Richtung seines Kopfes, gefolgt von einer zweiten. Der Nachtpirscher zuckte mit dem Kopf zur Seite und wich der ersten Kugel vollständig aus. Die zweite fing er mit seiner Magie in der ausgestreckten Hand auf. Violettes und schwarzes Licht erleuchtete sein Gesicht und das Fell auf seinen Wangen und Schläfen kräuselte sich im Wind. Dann drückte er seine andere Hand gegen ihren Zauber und ließ die lila-schwarze Kugel schrumpfen, bis sie zwischen seinen verschränkten Handflächen verschwand.
»Du hörst nicht zu und bleibst nicht bei der Sache.« Er warf ihr einen kleinen Gegenstand zu, der unter den Sternen glitzerte, bevor sie ihn aus der Luft schnappte.
Cheyenne blickte finster auf den vierzackigen Metallstern und warf ihn dann ins Gras. Nachtpirscher verarschen einen anscheinend gerne. Nicht nur Mattie.
»Ich habe dir gesagt, du sollst dich auf deinen Schild konzentrieren. Zieh ihn hoch, wenn dir nichts mehr einfällt, sonst schleppe ich am Ende noch eine frittierte Halbdrow durch das Portal zurück, wenn wir fertig sind.«
Cheyenne knurrte, ging in die Verteidigungshaltung und ballte die Fäuste. »Gut.«
»Gut.« Corian lächelte breit und warf einen weiteren silbernen Blitz direkt auf sie.
Sie sprang in Drowgeschwindigkeit aus dem Weg und bereitete sich darauf vor, dass er ihr die Bewegung gleich tat. Die schwarzen Ranken schossen aus ihrer ausgestreckten Hand und schlugen nach dem Gesicht des Nachtpirschers, bevor sie sich um sein Handgelenk und seinen Unterarm wickelten. Sie hatte keine Chance, seine Hand zur Seite zu reißen. Er kam ihr zuvor und drehte sich von ihr weg, zerrte mit seinem Unterarm an ihren Drowpeitschen und riss sie durch den Schwung der erhöhten Geschwindigkeit von den Füßen.
Als sie durch die Luft taumelte, streckte Cheyenne ihre Hand aus. Zieh den verdammten Schild hoch! Nichts geschah und ein weiterer Nachtpirscher-Blitz traf ihre rechte Hüfte und die frisch verheilte Schusswunde. Ihr Schrei wurde unterbrochen, als sie stürzte und über das Gras rutschte, aber sie drehte sich um und beschwor eine weitere schwarze Zauberkugel, die sie Corian an den Kopf warf. Er riss sie wieder an sich, wobei sich ihre peitschenden, schwarzen Ranken immer noch um seinen Unterarm schlangen. Der Zauber der Halbdrow kam vom Weg ab, stieg in den Nachthimmel auf und bevor sie ihre Hand wieder heben konnte, schlug ein weiterer silberner Blitz in ihre Brust ein.
Es raubte ihr den Atem. Die schwarzen Ranken verwelkten und fielen von dem Arm des Nachtpirschers, bevor sie sich in ihre Fingerspitzen zurückzogen. Ihr nächster Atemzug brannte in ihrer Lunge und sie hustete und rang nach Luft.
»Steh auf«, knurrte Corian. »Stell dich nicht so an.«
Er konnte das natürlich leicht sagen.
Mit einem Knurren drückte sich Cheyenne auf die Beine und ihre Brust hob sich. Sie umkreisten sich auf dem Gras, das vom Tau nass war, während die silbernen Augen auf die goldenen gerichtet waren. Als Corian einen weiteren silbernen Blitz ausstieß, hob die Halbdrow ihre Hand schnell genug und hielt sich an etwas fest – ein weiterer Hitzeschub überkam sie und die Luft wurde dichter. Schimmerndes, dunkles Licht erblühte vor ihr. Der Schild war zwar nur halb geformt, aber groß genug, um die silbernen Blitze abzuwehren, die gegen ihn prallten und es klang wie ein Gong, der über einem Radio voller Störgeräusche angeschlagen wurde.
Dann leuchtete der Boden unter ihren Füßen auf und Cheyennes Augen weiteten sich.
Silbernes Licht schlängelte sich schneller auf sie zu, als sie reagieren konnte. In weniger als einer Sekunde traf sie die Magie des Nachtpirschers, die über den Boden knisterte. Sie schoss Cheyennes Füße und Waden hoch und schleuderte sie dann rückwärts durch die Luft. Ein Schild!
Die Halbdrow knallte mit dem Rücken auf den Boden. Mit einem Stöhnen rutschte sie über das Gras, dann richtete sie sich auf und versuchte, den elektrischen Schock abzuschütteln. »Okay …«
Sie drehte sich um, hob eine Hand in Richtung ihres neuen Nachtpirscher-Mentors und schüttelte den Kopf.
»Okay, ich brauche nur eine Sekunde.«
»Das wird auf dem Schlachtfeld nicht funktionieren.« Corian pirschte sich an sie heran. »Nicht, wenn der Geruch des Todes in der Luft liegt und dein Blut in dir kocht.«
»Komm schon, lass mich einfach …«
Er traf sie mit einem weiteren silbernen Zauber knapp unterhalb des Schlüsselbeins.
»Au! Verdammt, Corian. Gib mir zwei …« Sie taumelte nach hinten, aber sein nächster Angriff traf sie am Oberschenkel. Sie stolperte und schaffte es, ihr Gleichgewicht wiederzufinden, während sie eine Hand ausstreckte und versuchte, erneut einen verdammten Schild entstehen zu lassen.
Der Nachtpirscher rückte unerbittlich näher und Cheyenne konnte vielleicht zwei Zentimeter ihres Schildes hochziehen, bevor er einen weiteren blendenden, silbernen Angriff auf ihre Schulter schickte.
Die Drow drehte sich um, um ihm wieder gegenüberzustehen und brüllte: »Ich habe ›Stopp‹ gesagt !«
Der Boden brach vor ihr auf und beförderte Grasbüschel und Erde in alle Richtungen, während dicke, spitze Steine aus dem Boden aufstiegen und sich auf Corian richteten. Die bebende Erde spaltete sich in einem netzartigen Muster und die Risse im Boden verteilten sich von Cheyenne aus in alle Richtungen. Der Nachtpirscher stolperte rückwärts und wurde von den Füßen gerissen, als eine zweite und dann eine dritte Steinwelle in die Luft schoss. Bäume knarzten und brachen hinter ihr, sodass sie sich gegenseitig wie Dominosteine umschmissen, weil die zersplitterte Erde sie bereits entwurzelt und den Großteil der Arbeit erledigt hatte.
Cheyenne ließ ihre Hände keuchend auf ihre Oberschenkel fallen und starrte auf die Zerstörung, die ihre neueste Drowfähigkeit verursacht hatte. Das chaotische Grollen unter der Erde verklang, Bäume raschelten gegeneinander und knackten gelegentlich. Dann wurde es wieder still.
Überraschungszauber. Heilige Scheiße!
Corian räusperte und zwang sich auf die Knie, um den Schmutz und das Gras von seiner Kleidung zu klopfen. Er begutachtete noch einmal kurz, was sie gerade getan hatte und runzelte die Stirn. »Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.«
Sie deutete auf die aufgewühlte Erde. »Sieht für mich nach einer Verbesserung aus.«
»Nicht, wenn du eigentlich einen Schild beschwören solltest.«
Hinter ihm hob sich die kupferne Puzzleschachtel langsam in die Luft, wobei das goldene Licht durch die geätzten Runen hindurchschimmerte. Dann drehten sich die einzelnen Teile wild in alle Richtungen und gaben ein leises Surren und Summen von sich. Corian drehte sich um und betrachtete die Box, die Cheyennes Vermächtnis war.
Cheyenne stemmte die Hände in die Hüften. »Ja, das passiert in letzter Zeit öfters.«
Mit einem Seufzer wandte sich der Nachtpirscher von ihr ab und stürmte über das Gras auf die schwebende Kupferkiste zu. »Du hättest mit dem Training dafür anfangen sollen, sobald du Magie anwenden konntest.«
Die Halbdrow lief ihm nach. »Als ich acht war?«
»Irgendwann muss man ja mal anfangen, oder?« Corian blieb neben der schwebenden Kiste stehen und legte den Kopf schief. »Du konzentrierst dich nicht genug darauf, warum du deine Magie beherrschen willst, Cheyenne.«
»Alles klar, als ob du eine Ahnung hättest, was ich will.«
»Ich muss nicht wissen, was du willst. Ich muss nur wissen, dass du noch nicht weißt, was es ist und warum deine Magie zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht so weit entwickelt ist.« Er zog eine Augenbraue hoch und zeigte auf die Kiste. »Das ist es, was das bedeutet.«
Die Halbdrow rieb sich die schmerzende, vom Blitz des Nachtpirschers getroffene Schulter und blieb auf der anderen Seite ihres schwebenden Vermächtnisses stehen, wobei der goldene Schein ihr Drowgesicht erhellte. »Ich weiß, was ich will.«
»Oh, sicher. Die Halbdrow, die keine Ahnung hatte, was das alles ist und die noch nie von einem Nimlothar gehört hat, weiß plötzlich mehr über die uralte Magie, die durch ihre Adern fließt und die Vermächtnisprozesse, die jeder Drow seit Jahrhunderten meistert, als man sich vorstellen kann.« Der Nachtpirscher sah sie spöttisch an. »Das ergibt natürlich …«
Ein scharfer Knall hallte über die dunkle Wiese hinter ihnen, auf halbem Weg zwischen der nächsten Baumreihe und der Stelle, an der sie neben der schwebenden Kiste standen. Beide magischen Wesen drehten sich um und sahen einen dunklen, schimmernden Kreis aus schwarzem Licht, der sich in der Luft öffnete.
»Du hast ein weiteres Portal geöffnet?«
Corian leckte sich über die Lippen. »Das ist nicht von mir.«
»Wenn du weißt, wem es gehört, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um es zu sagen.«
»Hol die Kiste.« Der Nachtpirscher zeigte auf ihr schwebendes Erbe und trat über das Gras zurück, weg von dem neuen Portal, das von Sekunde zu Sekunde größer wurde. »Wir machen Schluss für heute, Mädel. Ich brauche Zeit, um bessere Schutzwälle zu errichten.«
»Okay, siehst du, das ist der Teil, an dem ich weiß, dass du mir etwas Wichtiges verschweigst.«
»Schnapp dir die verdammte Kiste, Cheyenne!« Weitere Bäume knickten und ächzten hinter dem neuen Portal und bogen sich in Richtung der Dunkelheit, die sich in der Luft ausbreitete.
Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, damit sie die sich drehende Kiste aus der Luft schnappen konnte. Das Leuchten erlosch und die einzelnen Teile hörten auf, sich zu drehen. »Was ist hier los?«
»Sei still. Ich muss mich konzentrieren.« Corian schloss die Augen, holte tief Luft und hob die Hände, als ob er einen Basketball zwischen ihnen halten würde.
Ein raues, zischendes Flüstern schwebte aus dem sich öffnenden Portal und gab Worte in einer Sprache von sich, die Cheyenne nicht verstand. Es ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen und ihr ganzer Körper kribbelte. Diesmal beobachtet mich jemand anderes.
Sie warf einen Blick auf den Nachtpirscher, der nichts weiter getan hatte, als mit erhobenen Händen dazustehen. »Kannst du dein Chi nicht ein anderes Mal zentrieren?«
»Halt die Klappe«, zischte er mit zusammengebissenen Zähnen, dann bewegten sich seine Finger schnell in einer langen Reihe von Gesten mit kurzen Pausen dazwischen.
Ein kräftiger Windstoß kam auf und blies ihnen aus dem Portal entgegen, während die geflüsterten Stimmen lauter wurden. Violettes Licht knisterte und tanzte an den dunklen Rändern der Luft, die jetzt nur noch halb so groß war wie eine normale Tür. »Du solltest vielleicht … ah!«
Der Kopf der Halbdrow wurde von quälenden, stechenden Schmerzen durchbohrt. Ein Gesicht blitzte vor ihr auf und übertönte alles andere – faltige, fahle Haut, die mit Punkten und Linien aus verblassender, schwarzer Tinte übersät war; weiße, alles sehende Augen; ein Mund, dessen wenige Zähne und alles andere darin dunkel und blutrot gefärbt waren.
»Die endlose Suche nach einem Erben wird jeden von ihnen an die Schwelle des Todes bringen.«
Das Gesicht der alten Frau verschwand und wurde durch das Bild von L’zar Verdys ersetzt, der in dem kalten, schwarzen Raum kniete, umgeben von mehr als einem Dutzend Drowleichen.
»Jetzt bist du dran.«
Im Portal blitzte wieder schwarzes Licht auf. Cheyenne merkte nicht, dass sie auf die Knie gefallen war, bis Corian sie am Arm packte und grob auf die Füße zog. Irgendwie schaffte sie es, sich an der Kiste ihres Vermächtnisses festzuhalten.
»Zeit zu gehen!« Der Nachtpirscher riss sie von dem blinkenden Portal und dem Flüstern weg, das inzwischen zu einem bedrohlichen Brüllen geworden war.
Die Halbdrow stolperte hinter ihm in Richtung des neuen Portals, das er geöffnet hatte. Mein Kopf platzt gleich.
Sie erkannte den Zementboden des Kellers, kurz, bevor Corian sie hindurchzog. Hinter ihnen bebte der Boden, die Hälfte der Bäume hinter dem verrückten, schwarzen Portal brach entzwei oder wurde an den Wurzeln aus dem Boden gerissen und ein tiefes, dämonisches Lachen hallte über die Wiese.