Kapitel 18

W eniger als eine halbe Stunde später hielten sie in einem Baugebiet außerhalb von Richmond, ein paar Kilometer von den nächsten Country Clubs entfernt. Die FRoE-Fahrzeuge fuhren holprig die unbefestigte Auffahrt zur Baustelle hinunter, die von einem Ring aus Bäumen umschlossen war, ohne dass andere Seitenstraßen sie durchschnitten.

Rhynehart parkte am Ende der Schlange gegenüber dem halbfertigen Geschäftskomplex und griff auf den Rücksitz.

»Es ist irgendwie seltsam, dass niemand an diesem Ort arbeitet, findest du nicht?«

»Nö. Die Arbeit ist wegen eines Finanzierungsproblems ins Stocken geraten, schätze ich. Diese Drecksäcke dachten, es wäre ein guter Ort, um sich hier einzurichten. Hier. Ich weiß, dass du keine Handschuhe oder einen Helm trägst, aber du solltest das anziehen.«

Eine schwere, schwarze, magiedämpfende Weste fiel in ihren Schoß und Cheyenne starrte sie an.

»Tu es, Neuling. Die hat im Reservat dafür gesorgt, dass dir nicht auch noch Löcher durch die Brust gebrannt wurden, so wie die in deiner Schulter …«

»Wir reden nicht über meine Schulter.«

Er musterte sie, als ob er einen Blick auf ihre nicht mehr vorhandene Wunde unter dem T-Shirt werfen wollte. Er muss wissen, was L’zar getan hat.

»Okay. Wir müssen nicht darüber reden. Zieh sie einfach an.«

Er stieg aus dem Jeep aus und ließ die Tür offen. Seufzend stieg die Halbdrow hinter ihm aus und hielt lange genug inne, um sich die Weste über den Kopf zu stülpen. Sie schlug die Autotür mit der Faust zu, wobei die silbernen Ketten um ihr Handgelenk klirrten und ging dann in Richtung der anderen Fahrzeuge, um die herum ziemlich viel los war.

Die FRoE-Agenten hatten alles im Griff. Sie stiegen lautlos aus den Autos und zogen dämpfende Handschuhe, Helme und Fellwaffen aus den Koffern. Ihre Ausrüstung gab ein dumpfes Klicken von sich, als Pistolen in Halfter gesteckt und Gewehrriemen über Schultern gehängt wurden. Cheyenne entdeckte drei verschiedene Größen von Sturmgewehren, die alle sperrig waren und schwer und tödlich aussahen.

Mit einem angestrengten Grunzen hievte Jamal eine massive Fellkanone auf eine Schulter. Yurik hob eine zweite auf und hängte sie der anderen Schulter des Ogers um, bevor er Jamal mit einer behandschuhten Hand auf den Rücken klopfte und an seinem schwarzen Helm zerrte.

»Warum darf er Rambo sein?«, murmelte die Halbdrow.

»Sei nicht nachtragend, Neuling. Jamal hat seinen Job gemacht, genau wie wir anderen auch.« Rhynehart lachte leise. »Außerdem hatte O’Malley ein paar Probleme mit der letzten Fellkanone. Weißt du noch? Die, die nicht losging, bevor dir in die Hüfte geschossen wurde?«

»Wird er die Dinger benutzen können, wenn er sie so hält?«

»Er kommt klar. Das ist alles, was du wissen musst. Es zahlt sich aus, einen Oger auf unserer Seite zu haben. Komm mit.«

Das FRoE-Team bewegte sich schnell über die aufgewühlte Erde und ging lautlos auf die offene Baustelle zu. Rhynehart zog sich seinen Helm über den Kopf und nun war die Halbdrow die Einzige unter ihnen, deren Gesicht für alle sichtbar war. Die Hälfte der Zeit werden sie mich sowieso nicht erkennen.

Sie hielten an einer dicken Plastikplane inne, die über den unfertigen Eingang genagelt war. Der Agent an der Spitze zog sie beiseite und machte wilde Gesten mit seinen Händen. Die Agenten teilten sich in zwei Gruppen auf, die eine ging links, die andere rechts hinein. Cheyenne warf einen Blick zurück auf die geparkten Fahrzeuge und die offenen Türen, dann sah sie eine blau-rote Jacke mit Reißverschluss, die auf einen Haufen Dreck vor dem Gebäude geworfen worden war. Seltsam, so etwas zurückzulassen.

Die geteilten Reihen der FRoE-Agenten gingen hinein und dann bewegte sich Rhynehart, der direkt vor ihr war und sie folgte ihm. Als er nach rechts ging, blieb sie hinter ihm. Beide Teams bewegten sich zügig über das ungeschliffene Sperrholz und die Kanthölzer, mit denen die verschiedenen Räume eingefasst waren. Cheyenne warf einen Blick durch den provisorischen Flur und sah, wie sich die andere Hälfte des Teams ebenso schnell bewegte. Ihre schwarzen Gestalten huschten zwischen den freiliegenden Balken und den ummantelten Kabeln, die aus dem zweiten Stock baumelten.

Ein silberner Schlüsselanhänger, der an einem Rucksack hing, blitzte im Sonnenlicht auf und die Halbdrow hielt inne und sah mit zusammengekniffenen Augen über das unfertige Gebäude. Wer nimmt einen Rucksack mit zur Arbeit?

Sie ging Rhynehart und den anderen weiter hinterher und schaute sich um, um zu sehen, ob sich etwas bewegte. Eine Plastikplane blies sich im Wind auf, aber das war’s. Es ist zu still.

Die Grundgerüste der späteren Büros öffneten sich zu einem viel größeren Raum in der Mitte des Gebäudes. Das FRoE-Team strömte hinein und umstellte den offenen Bereich. Gewehre und Pistolen zielten in alle Richtungen, während sie nach den magischen Kriminellen suchten, die hier sein sollten.

»Was zum Teufel?« Ein Agent steckte seine Pistole zurück in das Holster und riss seinen Helm ab. »Es ist niemand hier.«

»Jemand will dich verarschen, Rhynehart.«

Rhynehart nahm ebenfalls seinen Helm ab und blickte finster auf die Tische, die den Raum säumten. »Hey, unsere Quellen sind zuverlässig, okay? Nein, sie waren hier. Sie haben diese Tische und all diese Kisten hergebracht. Scheiße.«

Er drehte sich um und überblickte seine Umgebung.

»Sieht aus, als hätten sie ein paar Dinge vergessen.« Yurik legte seinen Helm auf einem der Tische ab und blickte in eine offene Kiste. »Hier ist alles Mögliche an gruseligem Zeug drin.«

»Warum sollten sie das alles zurücklassen?«, fragte eine andere Agentin und steckte ihre Waffe ein.

»Woher soll ich das wissen?« Rhynehart kratzte sich am Hinterkopf. »Das Problem liegt nicht bei uns. Wir haben den richtigen Zeitpunkt abgepasst.«

Jamal brummte und ging in die Hocke, bevor er die beiden schweren Fellkanonen auf den teilweise aufgebauten Boden fallen ließ.

»Hey.« Ein Agent sah auf den Oger und legte den Kopf schief. »Sei vorsichtig mit denen, Bigfoot.«

»Verpiss dich.«

»Ziel wenigstens nicht auf den Rest von uns, hm?«

Yurik ging die Reihe der Tische entlang und schaute in jede der offenen Kisten. Er murrte angewidert und trat einen Schritt zurück. »Hier ist viel zu viel Mist drin. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Kisten aufzuheben und wegzutragen, wenn sie uns hätten kommen sehen.«

Rhynehart gesellte sich zu dem großen Kobold und warf einen Blick in die erste Kiste, bevor er wieder wegging und sich am Kinn kratzte. »Ja, sie würden das nicht alles hier lassen, damit wir es finden. Nicht, wenn ihr Lieferant hinter Gittern sitzt.«

Cheyenne suchte den offenen Raum um sie herum ab. Das Sonnenlicht fiel durch die Holzrahmen und warf flackernde Schatten auf den Sperrholzboden. Ein leises, warnendes Kribbeln kroch über ihre Schultern. »Irgendetwas stimmt nicht.«

»Kein Scheiß, Sherlock.« Der Troll, der an ihrem ersten Tag auf dem FRoE-Gelände geholfen hatte, sie gefangenzuhalten, zeigte auf die Halbdrow und drehte sich zu Rhynehart um. »Ich hoffe, sie ist etwas nützlicher als das.«

»Sie ist nicht das Problem, Bhandi«, sagte Rhynehart und fuhr sich mit einer Hand über den Kopf. »Nicht, wenn wir hier alle mit unseren Schwänzen in der Hand stehen.«

»Ich meine etwas anderes.« Cheyenne drehte sich langsam im Kreis und beäugte den Boden, die Kisten auf den Tischen und die offenen Gerüste der Räume über ihnen im zweiten Stockwerk. »Irgendetwas ist noch hier.«

»Ja, eine fette Ladung von null Arschlöchern, die wir festnehmen wollten.«

Die Halbdrow ignorierte die gereizte Bemerkung des anderen Agenten und biss sich auf die Unterlippe, weil das Kribbeln an ihren Schultern schnell zu einem schmerzhaften Jucken wurde. Dann entdeckte sie einen Stapel bunter Kleidung auf der anderen Seite des offenen Raums und machte sich auf den Weg dorthin. »Warte einen Moment.«

»Wenn du nicht gerade eine Falltür zu einem Haufen Tunnel gefunden hast, Neuling, glaube ich nicht, dass es hier etwas gibt, das unsere Zeit wert ist.«

Sie sah über ihre Schulter und zeigte auf den Kleiderstapel. »Ich würde sagen, es lohnt sich, herauszufinden, warum derjenige, der zuletzt hier war, alle seine Sachen ausgezogen und hier abgeladen hat.«

»Was?«

»Ja, sieh dir das an.« Als sie den Stapel erreichte, war er viel größer, als er von der anderen Seite des Raums aus aussah. Was zum Teufel ist hier passiert?

Es gab tonnenweise Kleidung – Hosen, T-Shirts, Sweatshirts, Jacken. In dem Kleidungshaufen lagen zerstreut Socken und dann entdeckte Cheyenne auch Schuhe. Turnschuhe, Stiefel, ein Paar dunkelbraune UGGs. Cheyenne warf einen Blick auf ihre schwarzen Vans. Sie haben ungefähr die gleiche Größe wie ich. Aber ich habe kleine Füße.

Ein leuchtend grüner Rucksackriemen lugte unten aus dem Haufen hervor und sie griff danach, um ihn herauszuziehen. Als sie den Rucksack umdrehte, starrte sie auf den Unglaublichen Hulk , der mit einer Faust auf ein zerquetschtes Auto einschlug. »Irgendwas stinkt hier ganz gewaltig.«

»Muss jemand unserer Freundin hier sagen, dass wir nicht zum Schaufensterbummel hierhergekommen sind?«, rief ein anderer Agent.

»Komm schon, Neuling.«

»Wartet nur eine Sekunde.« Cheyenne drehte sich um und hielt dem Team den Rucksack vor die Nase. »Findet es noch jemand seltsam, dass diese Typen, die mit schwarzer Magie handeln, mit Cartoon-Rucksäcken herumlaufen?«

Jamal zuckte mit den Schultern. »Ich mag Hulk.«

»Das ist ein verdammter Rucksack«, rief Rhynehart durch den Raum. »Wir haben im Moment irgendwie größere Probleme.«

Die Halbdrow verdrehte die Augen, ließ den Rucksack fallen und schluckte. Sie rieb sich die Lippen und starrte auf den Stapel. Was übersehe ich gerade?

Sie machte einen Schritt um den Stapel herum und etwas Hartes knirschte zwischen dem Sperrholz und der Unterseite ihres Schuhs. Sie hob ihren Fuß, schaute nach unten und spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. Nein!

Ein Teil der schwarzen und silbernen Farbe war abgeplatzt, aber der riesige Metallschädel war noch genau derselbe. Ebenso wie das schwarze Satinband, das durch den oberen Teil des Anhängers gezogen war.

»Scheiße! Rhynehart!«

»Ich helfe dir nicht mit einer neuen Garderobe, Neuling.« Der Mann deutete auf einen Stapel Holzkisten, der auf der anderen Seite des Raumes neben der Tischreihe stand. »Payton. Zynd’r. Sieh mal nach, was da drin ist. Die Deckel scheinen verriegelt zu sein. Vielleicht können wir damit arbeiten.«

Cheyenne drehte sich zu ihm um und ballte die Fäuste. »Sie haben sich nicht um die Tränke oder den anderen Mist gekümmert. Sie haben die Kinder entführt!«

Rhynehart drehte sich langsam zu ihr um und runzelte die Stirn. »Ich weiß, dass du das Frühstück heute Morgen nicht ausgelassen hast, Neuling. Wovon zum Teufel sprichst du?«

Payton und Zynd’r beugten sich über die erste Kiste und versuchten, den Deckel aufzuhebeln.

»Wie das Trollkind in der Kirche. Sie werden für irgendetwas benutzt …«

»Hey, Ogergesicht!« Zynd’r drehte seinen Kopf, während er eine Hand auf sein Knie stützte und Jamal zu sich winkte. »Du kannst mehr, als nur mit Kanonen zielen, stimmt’s?«

Jamal grunzte, knackte mit den Fingerknöcheln und ging auf sie zu.

Das brennende Jucken auf Cheyennes Schultern kroch jetzt bis in ihren Nacken. Ich übersehe immer noch etwas …

»Ich meine es ernst, Rhynehart. Das ist ein Stapel mit Kinderkleidung. Rucksäcke, Schuhe. Vor zwei Nächten habe ich ein Mädchen gesehen, das diese Halskette getragen hat. Sie haben die Kinder mitgenommen.«

»Ja.« Einer der anderen Agenten deutete in Cheyennes Richtung und auf den Haufen, dann verschränkte er die Arme. »Ein Haufen mit schwarzer Magie handelnder Schläger ist hier mit einem Haufen nackter, magischer Kinder rausgegangen und niemand hat es bemerkt.«

Rhyneharts Augen weiteten sich. »Nein. Das Trollkind in der Kirche hat ein schwarzes Gewand getragen.«

»Welches Kind?«

Der Teamleiter warf seinem Agenten einen abschätzigen Blick zu und machte sich auf den Weg zu Cheyenne. »Das Tote.«

Jamal grunzte, als er versuchte, die erste Kiste mit brachialer Kraft zu öffnen. Mit einem Brüllen ließ er schließlich das Holz los und knurrte das Ding an.

»Hey, schau mal.« Payton bückte sich und hob ein Brecheisen auf, das neben den Stapeln lag. »Hier, mein Großer.«

»Blöde Kiste.« Der Oger schnappte sich das Brecheisen und versuchte es erneut.

Rhynehart erreichte Cheyenne neben dem Kleiderstapel und seine Augen weiteten sich. Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, biss die Zähne zusammen und murmelte: »Diese Mistkerle. Das ist doch alles Kinderkram.«

»Das ist ja, was ich sage …«

Die Holzkiste knarrte wieder und die Nägel quietschten aus dem Holz, als Jamal das Brecheisen herunterdrückte.

Cheyenne wirbelte herum und starrte den Oger an, der sich viel zu sehr bemühte, etwas zu öffnen, das einfach nicht wichtig war.

Zynd’r lachte leise. »Tu dir nicht weh, Bigfoot.«

Durch das dicke Holz der Kiste sah Cheyenne zwei runde Formen, die in einem goldenen Licht heller leuchteten. Keiner der Agenten bemerkte sie, selbst als das Licht so hell wurde, dass es durch die Holzlatten hätte dringen müssen. Das ist nicht gut.

»Hey, warte mal.« Die Halbdrow bewegte sich durch den Raum und zeigte auf die Kiste und die runden, leuchtenden Formen darin. »Seht ihr das?«

»Was, du meinst einen riesigen Oger, der eine Kiste nicht öffnen kann?« Payton klopfte Jamal auf den Rücken, was ihrem Kollegen ein leises Knurren entlockte.

»Nein. In der Kiste.«

»Das versuchen sie herauszufinden.« Bhandi verschränkte die Arme, ihre scharlachroten Augen blitzten und sie runzelte die Stirn. »Niemand nennt dich Einstein, oder?«

»Ich meine es ernst. Jamal, warte mal kurz.« Die Halbdrow beschleunigte das Tempo, denn jetzt wurden die leuchtenden Formen viel deutlicher. Mist! Das ist eine Bombe.