Kapitel 20

A ls sie aufwachte, war das Erste, was sie sah, helle, weiße Lichter, die ihr direkt ins Gesicht leuchteten. Nicht schon wieder.

Sie richtete sich auf, ihre Magie flammte an der Basis ihrer Wirbelsäule auf und violette Funken sprühten aus den Fingerspitzen beider Hände.

Blinzelnd beendete sie den Zauber und legte eine Hand auf ihren pochenden Kopf. Habe ich mir den irgendwo angehauen?

Dann bemerkte sie, dass ihre Handgelenke dieses Mal nicht ans Bett gekettet waren. Cheyenne schob ihren Fuß ruckartig über das Krankenhausbett und auch er bewegte sich frei. Ein Blick auf ihren Oberkörper zeigte nichts weiter als ihre normale, schwarze Kleidung, die mit Sägespänen und braunem Schmutz bedeckt war. Wie rücksichtsvoll.

Sie sah sich in dem Zimmer um. Der einzige Unterschied zwischen dem ersten Mal und jetzt war das Fehlen von Dämpfungsmanschetten und Monitoren neben dem Bett. Stöhnend schwang die Halbdrow ihre Beine auf den Boden und schob sich langsam auf die Beine. Sie streckte ihre Arme aus, als sie ins Schwanken kam. »Woah. Reiß dich zusammen.«

Mit jedem Schritt zur Tür auf der anderen Seite des Raumes wurde ihr Kopf ein bisschen ruhiger. Das Einzige, was auf dem niedrigen Edelstahltisch an der Wand lag, war ein weiterer dieser Energieriegel für magische Wesen in der silbernen Zellophanverpackung. Cheyenne schnappte ihn sich vom Tisch, öffnete ruckartig die Tür und trat auf den Flur hinaus.

Die Verpackung riss sie mit ihren Zähnen auf, dann biss sie ein großes Stück ab und verzog angeekelt das Gesicht.

Eine kleine Koboldfrau mit dicken, gelben Haaren, die unter einer schwarzen Baseballmütze hervorlugten, schob einen silbernen Karren den Flur entlang auf sie zu. »Schmeckt wie Scheiße, was?«

»Ja.« Cheyenne kaute weiter.

»Das Ende des medizinischen Flügels ist da hinten.«

»Danke.«

Die Räder des Karrens quietschten, als die Koboldin ihn weiter den Flur hinunterschob. Die Halbdrow bog nach links ab und ging an einer Reihe von Zimmern vorbei, die mit ihrem identisch waren. Ihre schwarzen Vans bewegten sich schnell und leise über den Linoleumboden und an der nächsten Ecke schaute sie in beide Richtungen, bevor sie wieder nach links abbog. Ja, jetzt fällt es mir wieder ein.

Es war schon schwer genug, den ekligen, übermäßig zerkauten Energieriegel zu schlucken, durch den ihr Kiefer schmerzte. Sie rollte die Schultern zurück und ging ein bisschen aufrechter, beschleunigte das Tempo und biss ein weiteres Stück ab. Je mehr sie aß, desto schneller lief sie.

Schließlich erreichte sie den kurzen Flur, der in den Gemeinschaftsraum führte und hielt inne. Zwei der runden Tische waren zusammengeschoben worden und mindestens ein Dutzend FRoE-Mitarbeiter saßen um sie herum und sprachen leise miteinander. Mit Ausnahme von Sir.

»Es ist mir scheißegal, was sie sagen. Die Informationen waren schon nicht mehr aktuell, bevor ich meinen Morgenschiss gemacht habe und ich will wissen, warum.«

Cheyenne trat langsam in den Gemeinschaftsraum, der bis auf die Versammlung, die gerade in der Mitte des Raumes stattfand, leer war. Die Verpackung knisterte in ihrer Hand, als sie den letzten Bissen des Energieriegels in ihren Mund steckte. Das Gespräch verstummte und alle an den Tischen sahen auf oder drehten sich um, um die Halbdrow zu sehen, die mit einem angeekelten Gesichtsausdruck vor sich hinmampfte.

»Tut mir leid.« Sie schluckte und stopfte die Verpackung in ihre Vordertasche. »Jemand muss wirklich den Geschmack dieser Dinger verbessern. Er ist fast so schlimm, dass ich keine haben will.«

»Da ist sie.« Sir klopfte auf den Tisch und stieß sich von seinem Stuhl ab. »Im Nullkommanichts wieder auf den Beinen.«

Die anderen Agenten am Tisch brachen in Beifall aus. Jemand pfiff. Ein paar standen auf, nickten, klatschten und schenkten ihr ein respektvolles, anerkennendes Lächeln.

Cheyenne schaute langsam über ihre Schulter hinter sich. Nö. Das ist für mich.

»Beweg deinen Arsch hierher, Halbblut.« Sir winkte sie nach vorne und ein Ork, den sie noch nicht kannte, erhob sich von seinem Stuhl und bedeutete ihr, dass sie sich setzen sollte, bevor er sich gegen die Lehne der Couch lehnte und die Arme verschränkte.

Stirnrunzelnd ging Cheyenne langsam auf den Tisch zu. Der Beifall verebbte, aber Bhandi nickte ihr mit einem kleinen Lächeln zu. »Gute Arbeit.«

»Äh, danke.«

»So kümmern wir uns um die Unsrigen«, tönte ein Mann mit blondem, fast weißem Haar, der neben dem jetzt freien Stuhl saß.

Gegenüber dem Doppeltisch verschränkte Yurik seine Arme und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich wusste, ich hätte eine Wette abschließen sollen, bevor wir losgefahren sind. Ich hätte es auch mit dir fifty-fifty geteilt.«

»Echt jetzt?« Cheyenne ließ sich in den Stuhl sinken und schob sich an den Tisch. »Du glaubst, eine Tippgemeinschaft zu gründen und dass ich deinen Arsch rette, ist das Gleiche?«

Überraschtes Gelächter erhob sich an den Tischen und Yurik grinste nur.

»In Ordnung, Leute.« Sir setzte sich wieder hin und rückte an den Tisch heran. »Wir sind uns alle einig, dass die Halbdrow eine ganze Kiste voll Medaillen bekommen würde, wenn wir für diesen Mist überhaupt Medaillen vergeben würden.«

»Medaillen?« Neben Sir lehnte sich ein Ork mit einem Riss entlang eines Stoßzahns von seinem Vorgesetzten weg und schnaubte. »Wir brauchen keine stinkenden Medaillen.«

Jemand anderes klopfte auf den Tisch.

Sirs Mundwinkel zuckten und er blickte sich am Tisch um, während er mit der Hand vor seinem Gesicht herumfuchtelte. »Mein Gott, Bozni. Hat jemand ein Pfefferminzbonbon? Nein? Dann ist die Party vorbei.«

Auf der anderen Seite von ihm fing Rhynehart Cheyennes Blick auf und nickte ihr kurz zu. Sie zog nur die Augenbrauen hoch und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Jemand sollte mir besser sagen, was hier los ist.

Sir stieß seinen Ellbogen auf den Tisch und zeigte auf sie. »Die Halbdrow hat uns allen heute Morgen einen gottverdammten Dienst erwiesen. Ihr Wichser von der Operation wisst, wovon ich rede. Dank ihr werden Jamal, Payton und Zynd’r das Gleiche sagen, wenn sie aufwachen.«

Cheyenne beugte sich vor. »Wo sind sie?«

»Krankenstation.« Rhyneharts Augenbrauen zuckten zusammen.

»So schlimm, hm?«

Sir legte den Kopf schief und zuckte halbherzig mit den Schultern. »Es hat sie schlimmer erwischt als dich auf Res 38, Halbdrow.«

Als er ihre Schulterwunde erwähnte, ballte sie die Fäuste in ihrem Schoß, aber Sir schien es nicht zu bemerken. Rhyneharts Augen weiteten sich und er senkte seinen Blick auf den Tisch.

»Diese Glückspilze heilen so gut sie können unter Doktor Minkerts pflegender Hand«, fuhr Sir fort. Jemand anderes am Tisch schnaubte. »Und wenn sie wieder bei Bewusstsein sind, müssen sie vielleicht ein bisschen intensiver in den Spiegel schauen, um ihr Spiegelbild zu erkennen. In Jamals Fall könnte das eine Verbesserung sein. Aber sie atmen noch und das ist das Wichtigste.«

»Und dass auch alle anderen das Gebäude lebend verlassen haben«, fügte jemand anderes hinzu.

»Das Halbblut ist die einzige Person, die dafür Lob verdient hat.« Sir deutete wieder auf Cheyenne und die Runde jubelte erneut. »Jetzt, wo wir alle unsere Schuhe und Socken angezogen haben und uns wie erwachsene Menschen benehmen, lasst uns wieder zur Sache kommen. Wie haben wir das verbockt?«

Der Oger, der an der Rückenlehne der Couch lehnte, grunzte. »War wahrscheinlich ein schlechter Tipp.«

»Das war kein schlechter Tipp.« Rhynehart schüttelte den Kopf und starrte mit verschränkten Armen auf den Tisch.

»Bist du dir da sicher?«

Der Teamleiter schaute kurz zu Sir. »Zu Einhundert Prozent. Sie haben das Gebäude mit Schmuggelware beladen und waren lange genug drinnen, um es sich gemütlich zu machen.«

»Wie gemütlich?«

Bhandi beugte sich über den Tisch zu Sir. »Gemütlich genug, um eine Bombe an einem Stolperdraht in einer dieser Kisten anzubringen und mindestens ein Dutzend weitere im ganzen Gebäude.«

»Dann sollte mich besser jemand aufklären.« Sir faltete erzwungen ruhig die Hände auf dem Tisch und sprach einfach weiter. »Ich verstehe nämlich nicht, warum ihr den ganzen Weg dorthin gegangen seid, nur um euch in die Luft jagen zu lassen und von einer Halbdrow, die so grün hinter den Ohren ist wie Bozni, aus dem Feuer gezogen zu werden.«

Der Ork neben ihm verdrehte die Augen.

»Ich warte auf eine verdammte Antwort. Zieht sie euch von mir aus aus dem Arsch. Aber jemand sollte besser anfangen, zu reden.«

»Hat unser Informant irgendwelche Freunde? Vielleicht ist jemand auf beiden Seiten aktiv?«

»Wenn jemand gepetzt hat, ist das ein Insiderjob von seiner Seite. Es ist nicht unsere Aufgabe, ihre Ratten auszuräuchern.«

»Nein, unsere Aufgabe ist es, die schwarze Magie von der Straße zu holen und sie von weiteren Kindern fernzuhalten.«

»Ich wette, deine Eltern haben dich nie aus ihrem Medizinschrank ausgesperrt, was, Franklin?«

Das Gespräch geriet in den Hintergrund, als die Agenten zwischen dem Brainstorming Beleidigungen hin und her warfen. Cheyenne blendete alles aus und starrte Rhynehart an, der nicht vom Tisch aufblickte und sich nicht mehr bewegte, seit er die Arme verschränkt hatte. Er weiß es. Warum will er es nicht sagen?

»Sie entführen jetzt Kinder.«

Der Gemeinschaftsraum wurde still und alle sahen Cheyenne an. Sir lachte trocken. »Genau. Sie haben genügend Zeit und Energie, um einen Haufen magischer Teenager zusammenzutrommeln und mit ihnen einen Ausflug zu machen. Denk noch mal weiter nach, Halbdrow.«

»Ich meine es ernst.« Cheyenne sah Rhynehart mit großen Augen an, aber er war nicht hilfreich. »Die Gruppe, die wir in der Kirche festgenommen haben, hatte auch ein Kind dabei. Sie haben ihm ein Gewand angezogen und es für ein Ritual geopfert.«

Sir blinzelte sie an. »Da hat wohl jemand zu viel Netflix geguckt.«

»Ich schaue kein Netflix. Oder Fernsehen.«

»Und ich kann nicht gut mit dummen Ideen umgehen.«

Die Halbdrow schnappte sich den leeren Plastikwasserbecher vor dem Agenten neben ihr und warf ihn nach Rhynehart. »Sag es ihnen!«

Sir lehnte sich von dem Agenten weg und sah Cheyenne finster an. »Hey, wer hat dir in die Cornflakes geschissen?«

»Rhynehart hat es auch gesehen. Der riesige Kleiderstapel auf der anderen Seite des Gebäudes. Kinderkleidung. Schuhe. Rucksäcke.« Sie wollte sich vom Tisch erheben, aber Sir schnippte mit den Fingern und zeigte auf sie.

»Setz dich hin! «

Sie sprang von ihrem Stuhl auf und beschwor in ihrer Hand einige lilafarbene Funken. Keiner am Tisch rührte sich. »Ich bin kein Hund, den man mit Handgesten trainieren kann.«

»Sieht so aus, als könnte ich dich gar nicht trainieren.«

Die Halbdrow ignorierte ihn, schüttelte den Kopf und löschte ihren Zauber. »Rhynehart. Hast du ihnen irgendetwas erzählt?«

Der Beamte holte tief Luft und ließ sie langsam durch die Nase wieder raus. Dann sah er endlich zu ihr auf. »Ich hatte denselben Gedanken, als wir dort waren, Neuling, aber wir haben nichts von vermissten Kindern gehört. Wir haben keine Beweise dafür, dass das, was du und ich gesehen haben, nicht von einem Wichtel stammt, der den Mülleimer eines Teenagers geplündert hat und alles in Ruhe durchwühlen wollte.«

Nennt man sie so? Sie schüttelte den Gedanken ab. »In dem Haufen war eine Halskette. Ich habe am Sonntagabend einen Ork gesehen, der genau die gleiche Kette trug. Sie war noch in der Highschool und ich wette, die Kette wurde ihr direkt abgenommen und zu den anderen Sachen auf den Haufen geworfen.«

»Ein Orkkind, Halbdrow.« Sir breitete seine Arme aus. »Das heißt nicht, dass ein ganzer Haufen Kinder entführt wurde, um sie zu Opfern zu machen. Das Kind könnte ja auch seinen Mist dort abgeladen haben und abgehauen sein.«

»Keine halbe Stunde von ihrem Wohnort entfernt.«

»Das ist nicht überzeugend genug, Neuling.« Rhynehart zuckte mit den Schultern. »Solange wir nicht hundertprozentig sicher sind, ist es nur eine Theorie.«

»Diese Kinder könnten tot sein, bevor du dir hundertprozentig sicher bist!« Cheyenne knallte ihre Handfläche auf den Tisch.

»Das ist nicht deine Entscheidung«, rief Sir zurück. »Unsere Priorität ist es, herauszufinden, wohin diese Arschlöcher mit dem restlichen Zeug gegangen sind, bevor sie alles verhökern und abhauen. Dann haben wir alle Beweise der Welt und viel mehr tote Kinder. Jetzt verschwinde, bevor ich die Medaillen zurücknehme, die ich dir nie gegeben habe.«

Es war eine dumme Drohung, aber er winkte ab und blickte finster unter seinen buschigen, grauen Augenbrauen hervor.

Cheyenne nahm ihre Hände vom Tisch und blickte ihn durchdringend direkt in die Augen. »Ihr habt die Prioritäten völlig durcheinander gebracht.«

»Eine Drow mit Vaterkomplex ist die Letzte, die meine Meinung ändern könnte. Hau ab!«

Zähneknirschend blieb die Halbdrow, wo sie war. »Was ist mit dem Einlösen meiner Punkte?«

»Nein, nein. Ich habe gesagt, nachdem wir diese Schläger zu Fall gebracht haben, Halbdrow. Du hast noch nicht einmal einen einzigen zu Fall gebracht.«

»Was

»Das war die Abmachung. Keine Sorge, er geht nirgendwo hin.«

Sie knurrte den FRoE-Mann an und stürmte vom Tisch weg. Dabei spürte sie, wie die Augen der Agenten auf ihrer Haut kribbelten. Er hat zu viel Angst, L’zars Namen zu sagen, wenn a ndere ihn hören können. Ich kann auch furchterregend sein.