Kapitel 32

C heyenne fuhr auf den Parkplatz des roten Retro-Diners an der Autobahn und schaute auf die Uhr auf ihrem Armaturenbrett. Zehn Minuten zu früh. Ich schätze, das zählt als pünktlich sein.

Auf dem Parkplatz standen nur wenige Autos, sodass sie keine Probleme hatte, Rhyneharts schwarzen Jeep oder Sirs blöden, orangefarbenen Kia Rio auszumachen. Sie steckte ihre Hände in die flachen Taschen ihrer Jacke und schlenderte über den Parkplatz zur Eingangstür des Diners.

Die kleine Glocke bimmelte, als sie eintrat und der Duft von gebratenen Zwiebeln, Fett und Pfannkuchen stieg ihr in die Nase. Kopfschüttelnd ließ sie ihren Blick über die Reihen der roten Vinyl-Sitzbänke schweifen und sah Rhynehart sofort. Er schaute sie an und zog die Augenbrauen hoch, sagte aber kein Wort.

Sir saß seinem Stellvertreter gegenüber und neben Rhynehart saß eine große, breitschultrige Frau mit gebräunter Haut und einem kurzen, blonden Bob. Cheyenne knirschte mit den Zähnen, als sie sich dem Tisch näherte.

Als sie an der Kante stehen blieb, sahen alle drei FRoE-Mitglieder zu ihr auf, aber keiner von ihnen lächelte. Sir blinzelte und sein Schnurrbart zuckte, als er die Halbdrow musterte. »Na, wer ist denn da pünktlich? Sag mir nicht, dass du dich nur für dieses Treffen in Schale geworfen hast.«

»Ich hatte ein Problem mit dem Waschen«, murmelte Cheyenne und beobachtete, wie Sirs Blick auf den Anhänger mit dem Herz der Mitternacht fiel, der immer noch sichtbar war.

»Es ist mir egal, ob du jedes Mal die gleiche verdammte Kleidung trägst, wenn ich dich sehe. Vielleicht tust du das ja auch. Ich könnte es nicht sagen.« Sir rutschte rüber und setzte sich der massigen Frau gegenüber, die Cheyenne mit den Händen im Schoß teilnahmslos ansah. »Setz dich hin, Halbdrow.«

Cheyenne versuchte, ihre Wut zu verbergen, als sie sich auf die Bank fallen ließ und sich so nah wie möglich an den Rand setzte.

Sir beobachtete, wie sie sich von ihm weg lehnte, dann lachte er trocken und schüttelte den Kopf. »Interessante Sachen, die du gestern Abend per E-Mail geschickt hast. Kannst du uns sagen, wo du sie gefunden hast?«

Sie starrte Rhynehart an, der sich nur zurücklehnte und die Arme verschränkte. Wenigstens hat er die Liste nicht geheim gehalten. »Wurde ich zu einem Verhör eingeladen?«

Sir griff nach seiner Tasse mit schwarzem Kaffee und nahm einen langen, schlürfenden Schluck. »Schmeichle dir nicht selbst, Mädel. Wir wissen bereits alles, was wir über dich wissen wollen oder müssen. Wir sitzen hier in diesem herrlichen Drecksloch mit dem besten Kaffee, den ich je getrunken habe, um über diese Kinder zu reden, nicht über dich.«

»Gut. Endlich hat jemand angefangen, mir zuzuhören.«

»Wo hast du die Liste gefunden?«

Cheyenne sah die große, blonde Frau, die neben Rhynehart saß, an und drehte sich dann so weit um, dass sie Sir ansehen konnte. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Warum zum Teufel nicht?«

»Weil es nicht etwas ist, das nur ich gefunden habe und die Liste gehört nicht mir. Sie ist geliehen.«

Genervt seufzend zuckte Sir mit den Schultern und schaute über den Tisch. »Es spielt nicht wirklich eine Rolle. Tatsache ist, dass wir uns diese Namen ansehen können und jetzt die Bestätigung haben, dass jeder einzelne von ihnen zu einem Kind gehört, das seit gestern vor achthundert Stunden nicht mehr gesehen wurde. Sheila hat jeden einzelnen von ihnen persönlich überprüft.«

Die blonde Frau neigte den Kopf zu Cheyenne und legte dann ihre Unterarme auf den Tisch des Diners. Rhynehart warf einen Blick auf Sheilas Ellenbogen, der offensichtlich in seinen persönlichen Bereich eindrang, sagte aber nichts. Um den Mittelfinger von Sheilas rechter Hand befand sich ein dicker, schwarzer Ring.

Ein weiterer FRoE-Zauber. Sie ist also wahrscheinlich auch ohne den Ring massig.

Stille senkte sich über den Tisch und als sich niemand zu Wort meldete, zuckte Cheyenne mit den Schultern. »Man hätte mir auch einfach eine SMS schicken können.«

»Oh, sicher.« Sir zog seine Kaffeetasse näher an sich. »Aber ich hasse SMS. Und Handys, wenn ich ehrlich bin. Es ist schwer, ein Gespräch zu führen, wenn wir alle wie ein Haufen mürrischer Teenager ohne Freunde auf den Bildschirm starren.«

»Ja, ich würde das hier wirklich ungern verpassen.« Die Halbdrow faltete ihre Hände auf dem Tisch und sah Sir mit großen Augen an.

Er ignorierte ihren Sarkasmus und neigte den Kopf zu seiner Tasse. »Die Sache ist die. Wir haben die Namen und das Alter der Kinder. Wir wissen, dass sie vermisst werden. Wir haben ein Auge auf die Familien der magischen Wesen geworfen, die gemeldet haben, dass gestern ein Kind entführt wurde und … nun, ich sage es ganz offen.«

Cheyenne blinzelte. Das wird interessant.

»Wir haben keine Spuren, keine Theorien und keine verdammte Ahnung, wie wir diese Hurensöhne finden sollen, die mit registrierten Grenzgängern Rattenfänger spielen.« Als könnte er nicht glauben, dass er das gerade laut gesagt hatte, hob der Mann seine Tasse schnell an die Lippen und nahm einen langen Schluck des dampfenden Getränks. Als er die Tasse fast zurück auf den Tisch gestellt hatte, fielen dicke Kaffeetropfen von seinem Schnurrbart und verschwanden in seinem Schoß.

»Hm.« Die Halbdrow starrte auf den letzten kleinen, glitzernden Tropfen über seiner Lippe. »Deshalb wollten Sie mein Gehirn.«

»Nun werd mal nicht übermütig«, murmelte Sir schnell. »Gib uns einfach ein paar verdammte Ideen.«

Sie ließ das eine Minute lang auf sich wirken. Sie denken, dass ich etwas weiß. Cheyenne schaute wieder zu Rhynehart, der sich dafür entschieden hatte, ihren Blick zu erwidern. Sir starrte jetzt entschlossen auf den Tisch. Sheila hob eine Augenbraue. »Ich will diesen Besuch. Jetzt.«

Rhynehart biss die Zähne zusammen und rieb sich den Nacken. Sir verschluckte sich an seinem nächsten Schluck Kaffee, sodass er zurück in die Tasse und auf sein Gesicht spritzte. Er wischte ihn schnell mit einer Hand weg. »Was?«

»Und dann helfe ich Ihnen, die Entführer zu finden und die ganze Sache zu Fall zu bringen.« Die Halbdrow riss die Augen auf und wartete darauf, dass Sir ihren Blick erwiderte. Er weiß also, dass ich es ernst meine. Das Blatt hat sich gewendet, Arschloch.

»Hey, versteh mich nicht falsch. Du hast echt Mumm, so eine Bitte zu stellen …«

»Das ist keine Bitte. Bringen Sie mich zu L’zar, dann erzähle ich Ihnen alles, was ich weiß.«

Sirs wachsame Augen verengten sich. »Du weißt, dass ich hier die Befehle gebe. Rhynehart, sie weiß das, oder? Denn ich bin mir verdammt sicher, dass ich das von Anfang an klargestellt habe.«

»Sicher.« Die Halbdrow nickte langsam. »Wenn Sie alle Karten in der Hand haben. Aber Sie haben mich hierher gebracht, weil Sie keine andere Wahl haben. Das wissen wir alle.«

Die Nasenflügel des Mannes blähten sich auf, dann wischte er sich den letzten, glitzernden Tropfen Kaffee vom Mundwinkel.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder einzelne Agent auf der Baustelle in Leichensäcken zurückgekommen wäre, und zwar nicht nur die drei, die in der Krankenstation auf der Basis liegen.« Die silbernen Ketten um ihre Handgelenke klirrten, als Cheyenne ihre Arme verschränkte. »Ich verteile keine Gefallen mehr, aber nach dem gestrigen Tag sind Sie mir etwas schuldig.«

Alle drei FRoE-Mitglieder am Tisch starrten die Halbdrow an. Dann öffnete Sheila ihren Mund und stieß ein leises, tiefes Kichern aus. »Ich mag sie.«

»Ja, du kannst deine Meinung für dich behalten, du großer Haufen …« Sir bemerkte Sheilas warnenden Blick und hielt inne. »Ich bin nicht geneigt, dem zuzustimmen.«

Cheyenne zuckte mit den Schultern. »Die Uhr tickt, Sir. Ich will die Kinder genauso finden wie Sie, aber ich kann es nicht, wenn ich die zusätzlichen Tickets nicht einlöse, von denen Sie gesprochen haben.«

Sir brummte etwas in seine Kaffeetasse und stellte sie wieder ab, diesmal ohne zu trinken. »Willst du den Kerl besuchen, der mir ein Dorn im Auge ist und ihn nach den Kindern fragen?«

»Und ein paar andere Dinge, aber ja.«

»Jesus, Bugs Bunny und Marilyn Monroe.«

Während Sir sein Gesicht in der Hand vergrub, schaute Cheyenne wieder zu Rhynehart. Der Mann zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

»Wenn du einer Drow den kleinen Finger gibst, nimmt sie die ganze Hand. Na gut. Ich schätze, du hast hier das Sagen, Halbdrow.«

Cheyennes Mund verzog sich zu einem siegreichen Schmunzeln. »Nur damit das klar ist, das ist ein Ja, oder?«

»Es ist so, wie du es haben willst. Zwing mich nicht, es dir zu buchstabieren. Ich weiß, dass du lesen kannst.« Sir schob seine Tasse von sich weg und es schwappte noch ein bisschen mehr über den Rand. »Und jetzt hast du meinen verdammten Kaffee ruiniert.«

»Ich bin mir sicher, dass man Ihnen später eine neue Kanne machen wird.« Die Halbdrow schlug mit den Händen auf den Tisch, rutschte über den letzten Zentimeter am Ende der Bank und stand auf. »Lasst uns gehen.«

Sir zeigte auf Rhynehart und murrte: »Sie fährt mit dir. Ich sehe schon, wie sich mir die verdammten Drow von allen Seiten nähern.«

»Sicher.« Rhynehart nickte Sheila zu. »Mach dich bereit für alles, was wir dir schicken, ja?«

Das große, menschlich aussehende magische Wesen verschränkte ihre Arme. »Ich bin immer bereit.«

»Hey, Sheila.« Cheyenne nickte der Frau zu und ließ ihr Lächeln breiter werden. »Nette Maske.«

Sheila lachte leise. Rhynehart und Sir warfen sich verwirrte Blicke zu.

Dann drehte sich die Halbdrow um und ging zurück zum Eingang des Diners. Als die FRoE-Agenten sie nicht mehr sehen konnten, fing sie an, breit zu grinsen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir jetzt mein Spiel spielen.