PROLOG*

Als ich vor vielen Jahren Researchdirektor einer der großen Brokerfirmen an der Wall Street war, gehörte es zu meinen Pflichten, Commodity Trading Advisors (CTAs) zu beurteilen.1

Unter anderem verlangten die Regulierungsbehörden von den CTAs, dass sie den Prozentsatz ihrer Kundenkonten melden mussten, die mit Gewinn gekündigt worden waren. Ich machte die frappierende Entdeckung, dass bei so gut wie allen CTAs, die ich begutachtete, die Mehrzahl der geschlossenen Konten einen Verlust aufwies – auch bei denen, die keine Verlustjahre hatten! Da lag der Schluss nahe, dass die Anleger beim Einstieg in ihre Investments und beim Ausstieg ein derart schlechtes Timing hatten, dass die meisten von ihnen Verlust machten – selbst wenn sie sich für einen CTA entschieden hatten, der konsequent Gewinne erzielte! In diesem schlechten Timing schlägt sich die gängige Tendenz von Anlegern nieder, ein Investment zu tätigen, nachdem es gut gelaufen ist, und es zu liquidieren, nachdem es schlecht gelaufen ist. Auch wenn sich solche Anlageentscheidungen ganz natürlich und sogar instinktiv anhören mögen, so sind sie doch im Allgemeinen falsch.

Die Anleger sind wirklich selbst ihre schlimmsten Feinde. Die natürlichen Instinkte der meisten Anleger veranlassen sie, mit geradezu unheimlicher Beharrlichkeit exakt das Falsche zu tun. Dieses berühmte Zitat aus dem Comicstrip „Pogo“ von Walt Kelly könnte als passendes universelles Motto der Anleger dienen: „Wir sind dem Feind begegnet und wir sind es selbst.“

Anlagefehler sind wohl kaum die ausschließliche Domäne von Anlegerneulingen. Auch Anlageprofis begehen ihr Scherflein an Routinefehlern. Ein gängiger Fehler, der sich in vielen verschiedenen Formen äußert, ist die Neigung, aus unzureichenden oder irrelevanten Daten Schlüsse zu ziehen. Die Häuserblase Anfang der 2000er-Jahre war dafür ein klassisches Beispiel. Eine der Zutaten, die die Blase ermöglichten, war die Entwicklung ausgefeilter mathematischer Modelle für die Preisbildung komplexer hypothekenbesicherter Verbriefungen. Das Problem war, dass es keine relevanten Zahlen gab, mit denen man diese Modelle füttern konnte. Damals wurden Hypothekendarlehen an Kreditnehmer mit mangelhafter Bonität („Subprime-Kreditnehmer“) vergeben, ohne dass Anzahlungen, Beschäftigungsnachweise, Einkommensnachweise oder Vermögensnachweise verlangt wurden. Hypothekendarlehen von derart geringer Qualität hatte es noch nie gegeben und somit gab es auch keine relevanten historischen Daten. Die ausgeklügelten mathematischen Modelle versagten in katastrophaler Weise, weil Schlussfolgerungen aus Zahlen abgeleitet wurden, die für die gegenwärtigen Umstände irrelevant waren.2

Obwohl keine relevanten Zahlen vorlagen, dienten die Modelle als Rechtfertigung dafür, risikoreiche Verbriefungen von Subprime-Hypothekendarlehen hohe Ratings beizulegen. Die Anleger verloren dadurch über eine Billion Dollar.

Dass man aus unzureichenden oder ungeeigneten Daten Schlüsse zieht, ist im Bereich der Geldanlage gang und gäbe. Ein weiteres bezeichnendes Beispiel ist die Berechnung der Portfolio-Allokation. Das Standardmodell für die Portfolio-Optimierung verwendet historische Renditen, Volatilitäten und Korrelationen zwischen Wertpapieren, um daraus ein optimal zusammengesetztes Portfolio abzuleiten – also diejenige Kombination von Anlagen, die bei einem bestimmten Volatilitätsniveau die höchste Rendite bringt. Eine Frage wird dabei allerdings nicht gestellt, nämlich ob es wahrscheinlich ist, dass die für die Analyse verwendeten historischen Renditen, Volatilitäten und Korrelationen überhaupt Hinweise auf die künftigen Niveaus liefern. Sehr oft ist das nämlich nicht der Fall und das mathematische Modell liefert Ergebnisse, die zwar perfekt zu den Daten der Vergangenheit passen, die aber als Anhaltspunkte für die Zukunft wertlos oder sogar irreführend sind – und die Zukunft ist selbstverständlich das, was für die Anleger relevant ist.

Marktmodelle und Investmenttheorien beruhen häufig mehr auf mathematischer Bequemlichkeit als auf empirischen Belegen. Es wurde ein vollständiges Gebäude der Investmenttheorie auf der Annahme errichtet, dass die Marktpreise normalverteilt seien. Für Analysten ist die Normalverteilung sehr praktisch, denn sie ermöglicht präzise Wahrscheinlichkeitsannahmen. Aber alle paar Jahre erleben ein oder mehrere Märkte auf der Welt eine Preisbewegung, die laut den Behauptungen von Portfoliomanagern eigentlich nur „einmal in tausend Jahren“ oder „einmal in einer Million Jahren“ (oder noch seltener) auftreten dürfte. Doch wo kommen diese Wahrscheinlichkeiten her? Es sind die Wahrscheinlichkeiten von Preisbewegungen dieser Größenordnungen unter der Annahme, dass die Preise einer Normalverteilung folgen. Man sollte ja meinen, das wiederholte Auftreten von Ereignissen, die eigentlich Seltenheiten sein müssten, würde in die naheliegende Schlussfolgerung münden, dass das verwendete Preismodell nicht zu der wirklichen Welt der Märkte passt. Aber in einem großen Teil der etablierten Wissenschafts- und Finanzszene hat es nicht zu diesem Schluss geführt. Die Bequemlichkeit obsiegt über die Wirklichkeit.

Es ist ganz einfach so, dass viele weitverbreitete Investmentmodelle und -annahmen schlicht falsch sind – jedenfalls wenn man darauf beharrt, dass sie in der wirklichen Welt funktionieren. Zudem bringen die Anleger ihre eigenen einseitigen Tendenzen und unbegründeten Überzeugungen mit, die zu fehlgeleiteten Schlussfolgerungen und fehlerhaften Anlageentscheidungen führen. In diesem Buch werden wir die herrschende Meinung, die auf die verschiedenen Aspekte des Anlageprozesses angewendet wird, infrage stellen. Dazu zählen: Auswahl der Anlagen, Risikomanagement, Performance-Messung und Portfolio-Allokation. Häufig erweisen sich anerkannte Wahrheiten über die Geldanlage als grundlose Annahmen, wenn man sie dem grellen Licht der Fakten aussetzt.

* Ein Teil des Textes der beiden ersten Absätze wurde aus Jack D. Schwager: Managed Trading: Myths & Truths, New York, John Wiley & Sons, 1996, übernommen.

1 „Commodity Trading Advisor“ (CTA) ist die offizielle Bezeichnung für regulierte Vermögensverwalter, die an den Futures-Märkten traden.

2 Zwar verwendete das am weitesten verbreitete Modell für die Preisberechnung von hypothekenbesicherten Wertpapieren nicht die Ausfallquoten als Näherungswert für das Ausfallrisiko, sondern Credit Default Swaps (CDS) – auch als Kreditausfallversicherungen bezeichnet –, aber die CDS-Preise wurden massiv von den historischen Ausfallquoten beeinflusst, die auf irrelevanten Zahlen über ausgefallene Hypothekendarlehen basierten.