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Dieser Meinung stimmte man allseits zu. Gargantua ließ sein ganzes Heer im offenen Feld aufmarschieren und die Hilfstruppen auf der Seite der Anhöhe sich aufstellen. Der Mönch nahm sechs Kompanien Fußvolk mit sich und zweihundert Schwerbewaffnete und durchquerte in größter Eile die Sümpfe; er erreichte den großen Weg von Loudun oberhalb von Le Puy.

Währenddessen lief der Angriff weiter. Die Leute von Pikrocholos wussten nun nicht, ob es besser sei, einen Ausfall zu wagen und dem Feind entgegenzutreten, oder aber die Stadt [205] zu schützen, ohne sich fortzubewegen. Wutentbrannt stürzte Pikrocholos mit einem Haufen seiner Haustruppen nach draußen, wo er mit einem Hagel von Kanonenkugeln gebührend empfangen wurde, die auf die Hügel prasselten, von denen sich Gargantuas Leute talwärts zurückzogen, um der Artillerie freies Feld zu lassen.

Die in der Stadt verteidigten sich, so gut sie konnten, aber ihre Schüsse gingen über die Köpfe hinweg, ohne jemanden zu treffen. Einige von dem Haufen, die dem Geschützfeuer entgangen waren, griffen mutig unsere Leute an, aber es nutzte ihnen wenig, denn alle wurden umzingelt und auf der Stelle überwältigt. Als die anderen dies sahen, wollten sie den Rückzug antreten; diesen Weg aber hatte in der Zwischenzeit der Mönch besetzt, so dass sie sich in heillosem Durcheinander zur Flucht wandten. Einige wollten ihnen nachsetzen, aber der Mönch hielt sie zurück, weil er befürchtete, dass, wenn sie die Flüchtigen verfolgten, sie in ihren eigenen Reihen Verwirrung stifteten, und dass dann diejenigen aus der Stadt die Gelegenheit nutzten, über sie herzufallen.

Dann wartete er ein Weilchen, und da sich kein Feind blicken ließ, schickte er den Herzog Phrontistes zu Gargantua, um diesen zu bewegen, die Anhöhen zur Linken zu besetzen, um den Rückzug des Pikrocholos zu dieser Seite zu verhindern. Dies tat Gargantua dann auch in aller Eile und kommandierte vier Legionen von der Truppe von Sebastos dorthin; aber sie hatten die Anhöhe noch nicht erreicht, da prallten sie auf Pikrocholos und seine versprengten Leute. Sie gingen sofort zum harten Angriff über, wurden aber von den Schüssen und der Artillerie derer arg dezimiert, die sich auf den Mauern befanden. Als Gargantua dies sah, eilte er ihnen mit einer großen Streitmacht zu Hilfe und ließ seine [206] Artillerie diesen Teil der Stadtmauern so befeuern, dass die gesamte Besatzung der Stadt an genau der Stelle zusammengezogen wurde.

Als der Mönch nun sah, dass die Seite, die er belagerte, von Kriegsvolk und Wachen völlig entblößt war, rückte er mutig gegen die Festung vor und erklomm mit einigen seiner Leute die Mauern. Er war überzeugt, dass diejenigen mehr Angst und Schrecken verbreiten, die überraschend in einen Kampf eingreifen, als diejenigen, die bereits tapfer dabei sind zu kämpfen. Nichtsdestotrotz vermied er jedweden Lärm, bis alle seine Leute auf den Mauern waren, ausgenommen die zweihundert Schwerbewaffneten, die er für alle Fälle draußen postiert hielt. Dann ließ er einen grauenvollen Schrei los, und die Seinen ebenso, und ohne dass ihnen Widerstand entgegengesetzt wurde, töteten sie die Wachen dieses Tores und öffneten es den Schwerbewaffneten draußen. Dann stürmten sie alle gemeinsam zum Osttor, dort wo der Kampf drunter und drüber ging, und überrannten die gesamte Streitmacht von hinten. Als die Belagerten sahen, dass sie eingekesselt waren und dass die Leute Gargantuas die Stadt erobert hatten, ergaben sie sich bedingungslos dem Mönch. Der ließ sie ihre Waffen und Rüstungen abliefern und sie in die Kirchen einsperren, aus denen er zuvor die Kreuzstöcke hatte entfernen lassen. Dann stellte er Wachen vor die Türen, damit diese niemanden hinausließen, öffnete anschließend das Osttor und zog Gargantua zu Hilfe. Pikrocholos aber glaubte, dass diese Hilfe aus der Stadt ihm gelte. In seinem Übermut wagte er sich weiter nach vorne, bis Gargantua plötzlich ausrief: »Bruder Johannes, mein Freund, Bruder Johann, seid mir willkommen!« Da nun erkannten Pikrocholos und seine Leute, dass die Lage verzweifelt war, [207] und stoben in wilder Flucht davon. Gargantua verfolgte sie bis in die Nähe von Vaugaudry, wobei er viele von ihnen tötete und niedermetzelte, und ließ dann zum Rückzug blasen.

Neunundvierzigstes Kapitel

Wie Pikrocholos auf der Flucht das Unglück ereilte, und was Gargantua nach der Schlacht tat

Verzweifelt, wie er war, floh Pikrocholos nach Île-Bouchard, und auf dem Weg, der nach Rivière führt, strauchelte sein Pferd und stürzte zu Boden. Das brachte ihn so sehr in Rage, dass er es in seiner Wut mit dem Schwert tötete. Da er niemanden fand, der ihm zu einem neuen Reitpferd verhalf, wollte er sich aus einer Mühle, die in der Nähe lag, einen Esel nehmen; aber die Müllersleute verpassten ihm eine gehörige Tracht Prügel, rissen ihm die Montur vom Leib und überließen ihm einen abgewetzten Kittel, den er überziehen konnte.

So zog nun der arme Zornwütige davon. Als er bei Port-Huault über den Fluss setzte und dort von seinem Unglück erzählte, verkündete ihm eine alte Hexe, dass er sein Königreich wiederbekommen werde, wenn die Hahnenstorchkraniche kämen. Von diesem Zeitpunkt an weiß man nicht, was aus ihm geworden ist. Man hat mir jedoch erzählt, dass er zurzeit als armer Tagelöhner in Lyon lebe, genauso jähzornig wie früher, und immer noch alle Fremden nach der Ankunft der Hahnenstorchkraniche befrage, weil er gemäß der Prophezeiung der Alten zweifellos hofft, bei deren Eintreffen wieder in sein Königreich eingesetzt zu werden.