[253] Erstes Kapitel

Über die Herkunft und das alte Geschlecht des großen Pantagruel

Da wir Zeit und Ruhe haben, ist es weder unnütz noch müßig, euch die ursprüngliche Abstammung und Herkunft unseres guten Pantagruel in Erinnerung zu rufen; denn ich sehe, dass alle guten Geschichtsschreiber in ihrer Chronik so verfahren sind, nicht nur die Araber, Barbaren und Lateiner, sondern auch die alten Griechen, diese Heiden, die auch maßlose Säufer waren.

Ihr solltet also zur Kenntnis nehmen, dass zu Anbeginn der Welt (ich rede über lang vergangene Zeiten, und nach Rechnungsart der alten Druiden ist es mehr als vierzig mal vierzig Nächte her), kurz nachdem Abel von seinem Bruder Kain getötet worden war, als die Erde getränkt war mit dem Blut des Gerechten, genau das Jahr war, in dem sie überreichlich vielerlei Früchte hervorbrachte, besonders aber Mispeln, so dass man seit Menschengedenken jenes Jahr das Jahr der großen Mispeln nannte, denn drei von ihnen machten schon einen Scheffel aus.

In jenem Jahr wurden die Kalenden in den Brevieren der Griechen festgelegt. Der März fiel nicht in die Fastenzeit, und Mitte August fand im Mai statt. Im Monat Oktober oder auch September (wenn ich mich nicht irre, denn davor möchte ich mich hüten) war die Woche, die in den Annalen als besondere Woche der drei Donnerstage genannt wird: denn es gab ihrer drei wegen der unregelmäßigen Schalttage, da die Sonne sich etwas nach links krümmte und der Mond mehr als fünf Klafter von seiner Bahn abwich. Man konnte deutlich die Erschütterung am äußeren Firmament, Aplanes genannt, beobachten, wobei der mittlere Stern des [254] Siebengestirns seine Sternbegleiter verließ und zum Äquator abschwenkte. Der Stern Spica wand sich von der Jungfrau ab und begab sich zur Waage. Dies sind so ungeheuerliche Vorfälle, und so verzwickte und schwierige Vorgänge, dass die Astrologen nicht mehr durchblicken; sie müssten schon einen kosmischen Durchblick haben, um dahinterzusteigen.

Ihr könnt euch vorstellen, dass die Leute mit größter Vorliebe von jenen Mispeln aßen, weil sie prächtig aussahen und herrlich schmeckten. Aber ganz so wie Noah, der heilige Mann (dem wir sehr verbunden und dankbar dafür sind, dass er uns die Weinrebe angebaut hat, der wir das nektarische, köstliche, kostbare, himmlische, erheiternde und göttliche Getränk verdanken, das wir Rebensaft nennen), getäuscht wurde, als er ihn trank – denn seine großen Kräfte und Wirkungen waren ihm unbekannt –, aßen die Männer und Frauen jener Zeit ebenso mit großem Vergnügen die schöne und dicke Frucht.

Ihnen widerfuhren indessen unterschiedliche, höchst eigentümliche Dinge: alle befiel eine grausliche Schwellung, aber jeden an einer anderen Stelle. Einigen schwoll der Bauch, und er wurde so rund wie eine große Tonne, daher der Ausdruck: Ventrem potentem; es waren durchweg brave Leute und gute Spaßvögel, und von ihnen stammt der heilige Schmerbauch und Karneval ab.

Anderen schwollen die Schultern an und sie bekamen solche Buckel, dass man sie »montiferes«, das heißt Bergträger, nannte. Man trifft sie immer noch auf dieser Welt an, und zwar beiderlei Geschlechts und unterschiedlichen Standes, und von ihnen stammt Äsop ab, dessen rühmliche Taten und Aussprüche schriftlich vorliegen.

[255] Wieder anderen schwoll der Länge nach das Glied an, das man den Ackersmann der menschlichen Natur nennt, so dass es ihnen außerordentlich lang geriet, groß, dick, massig, rüstig, aufgerichtet nach modischem Vorbild der Antike, so dass sie es als Gürtel benutzten und es fünf- bis sechsmal um den Körper legten; wenn es aber gerade im Anstand war und guten Wind hatte, hätte man bei ihrem Anblick gesagt, es handele sich um Leute, die ihre Lanze einlegten, um am Quintanrennen teilzunehmen. Aber dieses Geschlecht ist untergegangen, so wie die Frauen sagen, denn sie beklagen sich fortwährend: »Von diesen dicken gibt es keine mehr« usw., ihr kennt ja den Rest des Liedes.

Anderen schwollen die Säcke so gewaltig an, dass drei von ihnen wohl einen Mud ausmachten. Von ihnen stammen die lothringischen Säcke ab, die nie im Hosenlatz bleiben: sie sacken tief in den Hosenboden.

Bei anderen wieder ging der Wuchs in die Beine, und wenn ihr sie gesehen hättet, dann hättet ihr gesagt, es handelte sich um Kraniche oder Flamingos, oder aber um Leute, die auf Stelzen liefen, und die kleinen Pennäler nannten sie im Grammatikunterricht Jambus.

Wieder anderen wuchs die Nase derart, dass sie aussah wie die Retorte eines Destillierkolbens, aber ganz bunt, übersät mit kleinen Pusteln, überall wuchernd, purpurrot und hervorstehend, Pickel in allen Farben und in wappenmäßigem Rot, ganz so wie ihr den Kanonikus Panzoult erlebt habt und auch Piedeboys, den Arzt aus Angers; von ihnen stammen nur wenige ab, die Arzneitränke liebten, aber alle waren große Freunde vom Septembertraubenmus. Naso und Ovid stammen von ihnen ab, und alle diejenigen, von denen geschrieben steht: »Ne reminiscaris«.

[256] Anderen wiederum wuchsen die Ohren, die ihnen so groß wurden, dass sie eines als Wams benutzten, als Beinkleider oder Mantel, und sich mit dem anderen bedeckten wie mit einem spanischen Kappenmantel. Man erzählt sich, dass im Bourbonnais dieses Geschlecht immer noch fortlebt, weshalb man auch immer noch von Bourboneser Ohren spricht.

Die anderen schließlich wuchsen mit ihrem ganzen Körper. Von diesen stammen die Riesen ab und von ihnen Pantagruel;

und der erste war Chalbroth,

der zeugte Sarabroth,

der zeugte Faribroth,

der zeugte Hurtaly, der ein großer Brotschnittenesser war und zur Zeit der Sintflut herrschte,

der zeugte Nembroth,

der zeugte Atlas, der auf seinen Schultern den Himmel davor bewahrte, herabzustürzen,

der zeugte Goliath,

der zeugte Eryx, den Erfinder des Taschenspielertricks mit den Bechern,

der zeugte Tityus,

der zeugte Eryon,

der zeugte Polyphem,

der zeugte Cacus,

der zeugte Aethion, der als erster an Syphilis erkrankte, weil er während der Sommerzeit keine frischen Getränke zu sich genommen hatte, wie Bartachim bezeugt,

der zeugte Enceladus,

der zeugte Coeus,

der zeugte Typhon

[257] der zeugte Aloeus,

der zeugte Othus,

der zeugte Aegaeon,

der zeugte Briareus,

der zeugte Porphyrion,

der zeugte Adamastor,

der zeugte Antaeus,

der zeugte Agathon,

der zeugte Porus, der gegen Alexander den Großen kämpfte,

der zeugte Aranthas,

der zeugte Gabbara, der das Zuprosten erfunden hat,

der zeugte Goliath von Secundilla,

der zeugte Offotus, der eine so schrecklich schöne Nase hatte, wegen des vielen Saufens am Fass,

der zeugte Artacheies,

der zeugte Oromedon,

der zeugte Gemmagog, der der Erfinder der Schnabelschuhe war,

der zeugte Sisyphus,

der zeugte die Titanen, von denen Herkules abstammt,

der zeugte Enak, der sehr geschickt darin war, die Krätzmilben von den Händen zu entfernen,

der zeugte Fierabras, der von Olivier besiegt wurde, dem Paladin Karls des Großen und Waffengefährten Rolands,

der zeugte Morgante, der als erster dieser Welt Würfel mit seiner Brille spielte,

der zeugte Fracassus, über den Merlin Cocai geschrieben hat,

von ihm stammt Ferragus ab,

der zeugte Happe mousche, der das Räuchern von [258] Ochsenzungen im Rauchfang erfand, denn zuvor salzte man sie nur so ein wie die Schinken,

der zeugte Bolivorax,

der zeugte Longys,

der zeugte Gayoffe, der Pappelholzeier und einen Ebereschenschwanz hatte,

der zeugte Maschefain,

der zeugte Bruslefer,

der zeugte Engolevent,

der zeugte Galehault,

der zeugte Mirelangault,

der zeugte Galaffre,

der zeugte Falourdin,

der zeugte Roboastre,

der zeugte Sortibrant de Conimbres,

der zeugte Brushant de Mommiere,

der zeugte Bruyer, der von Ogier dem Dänen, einem Paladin Karls des Großen, besiegt wurde,

der zeugte Mabrun,

der zeugte Foutasnon,

der zeugte Hacquelebac,

der zeugte Vitdegrain,

der zeugte Grandgousier,

der zeugte Gargantua,

der zeugte den edlen Pantagruel, meinen Herrn und Meister.

Ich verstehe sehr wohl, wenn ihr rechten Zweifel hegt, lest ihr diese Passage hier: ihr fragt, wie es denn möglich sei, dass zur Zeit der Sintflut, als alle Welt unterging außer Noah und sieben Personen, die in der Arche waren, der oben genannte Hurtaly sich gar [259] nicht unter ihnen befand? Die Frage ist gut gestellt und einleuchtend: aber die Antwort wird euch zweifelsohne zufriedenstellen, oder mein Hirn ist nicht mehr ganz dicht. Und da ich zu der Zeit nicht dabei war, um euch so darüber zu berichten, wie ich es gerne möchte, berufe ich mich auf die Autorität der Massoreten, brave Armleuchter und feine Dudelsackpfeifer, die bestätigen, dass der genannte Hurtaly sich in der Tat nicht in der Arche Noahs befand: er hätte sie auch nicht einmal betreten können, denn er war einfach zu groß. Er saß rittlings obendrauf, ein Bein hier, ein Bein dort, ganz so wie die kleinen Kinder auf ihren Holzpferden oder wie der gewaltige Stierhornbläser von Bern, der bei Marignan getötet wurde, auf seiner großen Steinschleuder; das ist zweifelsohne ein Reittier mit einem schönen und gepflegten Passgang. Auf diese Art und Weise rettete er – nach Gott natürlich – die Arche vor dem Untergang, denn er gab ihr seine Hilfen mit den Beinen, und mit dem Fuß drehte er sie, wohin er wollte, ganz so, wie man es mit dem Ruder eines Schiffes tut. Diejenigen, die in der Arche waren, ließen ihm in Anerkennung seiner guten Taten reichlich Lebensmittel durch einen Kaminzug zukommen. Hin und wieder diskutierten sie miteinander so, wie es nach dem Bericht Lukians Ikaromenippus mit Jupiter tat.

Habt ihr alles gut verstanden? Dann trinkt einen guten Schluck Wein, aber ohne Wasser. Wenn ihr es nicht glaubt, dann glaube ich es auch nicht oder so ähnlich.

[260] Zweites Kapitel

Über die Geburt des hochverehrten Pantagruel

Im Alter von fünfhundertvierundzwanzig Jahren zeugte Gargantua mit seiner Frau Badebec, der Tochter des Königs der Amauroten in Utopia, seinen Sohn Pantagruel. Sie starb bei seiner Geburt, denn er war so außerordentlich groß und schwer, dass er nicht auf die Welt kommen konnte, ohne seine Mutter zu ersticken.

Um nun den wahren Grund und den Anlass für seinen Taufnamen zu verstehen, müsst ihr wissen, dass eine gewaltige Trockenheit in ganz Afrika herrschte, die sechsunddreißig Monate, drei Wochen, vier Tage, dreizehn Stunden und ein wenig mehr andauerte, ohne dass es auch nur einen Tropfen Regen gab, aber eine solche Sonnenglut, dass die ganze Erde ausgetrocknet war. Selbst zur Zeit von Elia war es auf der Erde nicht heißer, und es gab keinen Baum, der Blatt oder Blüte gehabt hätte. Die Gräser waren alle vergilbt, die Flüsse ausgetrocknet und die Quellen versiegt; die armen Fische, die ihres ureigenen Elements beraubt waren, zappelten grauenhaft schreiend auf der Erde; die Vögel fielen vom Himmel herab, da ihnen aller Tau fehlte; die Wölfe, Füchse, Hirsche, Wildschweine, Rehe, Hasen, Karnickel, Wiesel, Marder, Dachse und andere Tiere lagen tot, mit offenem Maul, auf den Feldern.

Und was die Menschen anging, welch ein Jammer! Ihnen hing die Zunge aus dem Hals wie bei den Windhunden, die sechs Stunden gelaufen sind; viele stürzten sich in die Brunnen; andere verkrochen sich in den Bauch einer Kuh, um im Schatten zu sein: Homer nennt sie Alibantes. Das ganze Land war wie gelähmt. Es war erbarmungswürdig anzusehen, wie die Menschen sich mühten, [261] dem schrecklichen Durst zu entgehen. In den Kirchen hatte man alle Hände voll zu tun, um das Weihwasser zu schützen, damit es nicht ausging. Auf Rat der Herren Kardinäle und des Heiligen Vaters erfolgte die Anweisung, dass niemand mehr als ein Mal davon nehmen dürfe. Nun, wenn jemand in die Kirche hineinkam, hättet ihr zig arme Verdurstende mit offenem Maul hinter dem, der austeilte, herlaufen sehen, um ein paar Tropfen abzubekommen, so wie der Reiche, auf dass nichts davon verlorenging. Glücklich der, der in jenem Jahr einen kühlen und gut gefüllten Keller hatte!

Der Philosoph, der sich mit der Frage beschäftigte, warum das Meerwasser salzig ist, berichtet, dass zu der Zeit, als Phoebus seinem Sohn Phaeton die Lenkung seines Sonnenwagens anvertraute, dieser, da er unerfahren war und nicht der Ekliptik zwischen den beiden Wendekreisen der Sonnensphäre zu folgen wusste, vom Weg abkam und sich so sehr der Erde näherte, dass er alles unter ihm liegende Land verdorren ließ. Er verbrannte dabei einen großen Teil des Himmels, den die Philosophen die Via lactea nennen, und die Einfaltspinsel nennen ihn den Jakobsweg, obwohl die bedeutendsten Dichter sagen, dass dies die Stelle sei, an der die Milch herabgetropft sei, als Juno Herkules stillte. Nun, die Erde war so aufgeheizt, dass sie gewaltig zu schwitzen begann, und aus diesen Schweißtropfen entstand das Meer, das deshalb auch so salzig ist, da aller Schweiß salzig ist. Ihr könnt das überprüfen, wenn ihr mal an eurem eigenen schmeckt, oder ist euch vielleicht der der Syphilitiker lieber, wenn man sie ordentlich zum Schwitzen bringt? Mir soll es egal sein.

In jenem Jahr ereignete sich fast das gleiche; denn an einem Freitag, als sich alle Welt der Andacht zuwandte und sich mit gewaltigen Litaneien und schönen Gesängen zu einer herrlichen [262] Prozession aufmachte und Gott, den Allmächtigen, darum bat, sie eines barmherzigen Blickes in ihrem Missgeschick zu würdigen, sah man deutlich dicke Wassertropfen aus der Erde hervorquellen, ganz so, als würde jemand tüchtig schwitzen. Und das arme Volk fing an, sich zu freuen, so als hätte es ihnen zum Vorteil gereichen können. Einige sagten, es sei überhaupt keine Feuchtigkeit in der Luft, von der man Regen hätte erwarten können, und die Erde würde jetzt dem Mangel abhelfen. Andere kluge Leute sagten, es handele sich um den Regen der Antipoden, so wie es Seneca im IV. Buch der Questionum naturalium berichtet, wo er vom Ursprung und der Quelle des Nil spricht. Aber sie wurden getäuscht. Denn, als die Prozession vorüber war und ein jeder den Tau schöpfen und von ihm trinken wollte, stellten sie fest, dass es nichts anderes war als Salzlake, stärker und salziger als jedes Meerwasser.

Und da genau an diesem Tag Pantagruel geboren wurde, gab ihm sein Vater diesen Namen. Denn »panta« bedeutet in der griechischen Sprache so viel wie »alles«, und »gruel« bedeutet in hagarenischer Sprache so viel wie »durstig«. Damit wollte er andeuten, dass sein Sohn zu einer Stunde geboren wurde, in der die ganze Welt völlig verdurstet war, und mit prophetischem Geist sah er voraus, dass er eines Tages der Herrscher aller Durstigen sein würde, was ihm zur selben Stunde durch ein weiteres offensichtliches Zeichen bestätigt wurde.

Denn als seine Mutter Badebec in den höchsten Wehen lag, und die Hebammen darauf warteten, ihn aufnehmen zu können, kamen aus ihrem Bauch zunächst achtundsechzig Maultiertreiber hervor, von denen jeder ein Maultier am Strick führte, das schwer mit Salz beladen war. Dann erschienen neun Dromedare, die mit [263] Schinken und geräucherten Ochsenzungen beladen waren, sieben Kamele, beladen mit kleinen Aalen, fünfundzwanzig Karren voll mit Porreestangen, Knoblauch, Zwiebeln und Schalotten, was die erwähnten Hebammen in Angst und Schrecken versetzte. Einige jedoch von ihnen sagten: »Das ist ja ein guter Vorrat! Denn bisher haben wir sehr zurückhaltend getrunken und nicht wie die Landsknechte. Das ist ein gutes Zeichen; das ruft geradezu nach Wein!«

Und während sie solche Belanglosigkeiten schwatzten, da kam Pantagruel hervor, ganz zottig wie ein Bär. Bei seinem Anblick sagte eine der Hebammen, von prophetischem Geist beseelt: »Er ist mit ganz viel Haaren geboren, und er wird erstaunliche Dinge vollbringen. Und wenn er am Leben bleibt, so wird er ein hohes Alter erreichen.«

Drittes Kapitel

Über die Trauer Gargantuas beim Tod seiner Frau Badebec

Wer war völlig verdutzt bei der Geburt Pantagruels? Gargantua, sein Vater. Denn auf der einen Seite lag dort seine tote Frau Badebec, und auf der anderen sein schön und groß geborener Sohn, und so wusste er weder, was er sagen, noch was er tun sollte. Und was ihn völlig durcheinanderbrachte, war die verzweifelte Frage, ob er in Trauer um seine Frau weinen oder in Freude über seinen Sohn lachen sollte. Für das eine wie für das andere hatte er stichhaltige Argumente, die ihn unschlüssig machten, und er wog sie sehr gut ab, in modo et figura, aber er kam zu keiner Schlussfolgerung, und so blieb er so regungslos wie eine Maus in der Pechfalle [264] oder wie ein Hühnergeier in der Dohne. »Soll ich jetzt weinen?« sagte er. »Ja, aber warum? Meine herzensgute Frau ist tot, sie war in jeder Hinsicht die Beste, die es auf der Welt jemals gab. Niemals werde ich sie wiedersehen und niemals werde ich ihresgleichen wieder finden; das ist für mich ein unermesslicher Verlust. O mein Gott, was habe ich Dir angetan, damit Du mich so strafst? Warum hast Du nicht mir zuerst den Tod geschickt statt ihr? Denn leben ohne sie bedeutet nur Qual für mich! Ha, Badebec, meine Süße, meine Freundin, meine kleine Möse (dabei waren drei Morgen und zwei Ruthen zu besorgen), mein Schätzchen, mein Lätzchen, meine Schlarfe, meine Puschi, niemals werde ich dich wiedersehen! Ach, mein armer Pantagruel, du hast deine liebe Mutter verloren, deine liebevolle Ernährerin, deine geliebte Herrin! Ha, elender Tod, böswillig und schmählich nimmst du mir jene, die die Unsterblichkeit zu Recht verdient hätte.«

Und während er dies sagte, flennte er wie eine Kuh; aber ganz plötzlich lachte er wie ein Blöder, als ihm Pantagruel in den Sinn kam: »Ho, mein kleiner Sohn«, sagte er, »mein Säckchen, mein Füßchen, wie hübsch du doch bist und wie dankbar bin ich Gott, dass er mir einen so schönen Sohn gegeben hat, der so fröhlich ist, so lachend, so hübsch! Ho, ho, ho, ho, wie geht es mir gut! Lasst uns trinken, ho! Lassen wir alle Trübsal fahren! Bring vom Besten, spül die Gläser, deck den Tisch, jag die Hunde hier raus, fach das Feuer an, steck das Licht an, schließ diese Tür, schneid die Brotscheiben, lass die Armen herein, gib ihnen, worum sie bitten! Halt mal meinen Rock, damit ich mein Wams anlegen kann, um die Gevatterinnen besser feiern zu können.«

Indem er dies sagte, vernahm er die Litaneien und Totengebete der Priester, die seine Frau zu Grabe trugen; er ließ sein [265] unterhaltsames Vorhaben augenblicklich fallen, und seine Gedanken zog es ganz woanders hin, und er sagte:»Herr Gott, muss ich mich immer noch grämen? Das ärgert mich; ich bin nicht mehr jung, ich werde alt, das Wetter ist ungesund, und ich könnte mir irgendein Fieber einfangen, und das schadet mir. Bei meinem Ritterwort, es ist besser, weniger zu weinen, und dafür mehr zu trinken! Meine Frau ist tot, nun denn, bei Gott (da jurandi!), mit meinen Tränen werde ich sie nicht wieder zum Leben erwecken; sie ist schon gut aufgehoben, sie ist mindestens im Paradies, wenn nicht noch an einem besseren Ort! Sie betet für uns, sie ist selig, unsere Sorgen und unseren Kummer hat sie nun nicht mehr. Dafür hängen sie uns am Bein, Gott möge den, der hierbleibt, schützen! Ich muss danach trachten, eine andere zu finden.

Aber wisst ihr, was ihr jetzt tun werdet«, sagte er zu den Hebammen, »(wo sind sie? Liebe Leute, ich kann euch nicht sehen), ihr geht jetzt zu ihrem Begräbnis, und ich halte währenddessen meinen Sohn in den Armen, denn ich fühle mich äußerst durstig und laufe Gefahr, krank zu werden; ihr aber, trinkt vorher einen guten Schluck, ihr werdet euch wohlfühlen, das könnt ihr mir glauben, bei meiner Ehre.«

Sie kamen seiner Aufforderung nach, gingen zu dem Begräbnis und den Trauerfeierlichkeiten, und der arme Gargantua blieb zu Hause. Und dort entwarf er die Grabinschrift, die eingemeißelt werden sollte, und sie lautete wie folgt:

IM KINDBETT STARB DIE EDLE BADEBEC,

MEIN HEISSGELIEBTES EHEWEIB,

IHR MONDSGESICHT WAR RUND WIE EIN REBEC,

IHR BAUCH EIN FETTER SCHWEIZER KÄSELAIB.

[266] NUN BITTET GOTT, DASS ER IHR GNÄDIG BLEIB

UND IHR VERZEIH, WENN SIE GESÜNDIGT HÄTTE,

SIE LEBTE, BIS SIE STARB, HIER RUHT IHR LEIB,

GANZ SÜNDENLOS, IN DIESER GRABESSTÄTTE.

Viertes Kapitel

Über die Kindheit des Pantagruel

Ich lese bei den alten Geschichtsschreibern und den alten Dichtern, dass es auf dieser Welt höchst sonderbare Geburten gegeben hat, über die zu berichten zu zeitraubend wäre. Wenn ihr jedoch Zeit habt, dann lest das VII. Buch des Plinius. Aber ihr habt noch nie von einer so wundersamen Kindheit wie von der des Pantagruel gehört. In kürzester Zeit nahm er in schier unglaublicher Weise an Leibesfülle und an Kraft zu. Und das, was Herkules tat, der in der Wiege zwei Schlangen tötete, ist rein gar nichts, denn die Schlangen waren klein und schwächlich; Pantagruel hingegen vollbrachte in seiner Wiege die ungeheuerlichsten Dinge.

Ich übergehe hier die Tatsache, dass er bei jedem Essen die Milch von viertausendsechshundert Kühen trank und dass man alle Kesselschmiede aus Saumur in Anjou, aus Villedieu in der Normandie und aus Bramont in Lothringen damit beschäftigte, ihm eine Kasserolle zu schmieden, in der man ihm seinen Brei zubereitete. Ich übergehe ebenso, wie man ihm seinen Brei in einem Trog reichte, der in Bourges, in der Nähe des Palastes, immer noch zu sehen ist. Pantagruels Zähne waren so gut gewachsen und so [267] stark, dass er ein großes Stück aus dem Trog herausbiss, wie man heute noch deutlich sehen kann.