II_Kapitel_5.tif

Als sein Erzieher, Epistemon mit Namen, dies sah, brachte er ihn von dort weg und führte ihn nach Valence in der Dauphiné. Pantagruel sah, dass dort nicht viel los war und dass die Ganoven der Stadt die Studenten verprügelten, was ihn sehr verärgerte. So geschah es, dass eines Tages, es war Sonntag, als sich alle Welt beim Tanze vergnügte, ein Student mittanzen wollte, was die erwähnten Ganoven aber nicht zulassen wollten. Als Pantagruel [275] dies sah, jagte er sie bis zum Ufer der Rhône und wollte sie dort alle ersäufen. Aber sie versteckten sich gut eine halbe Meile unter der Rhône wie die Maulwürfe in der Erde. Das Loch (durch das sie verschwanden) ist immer noch vorhanden.

Daraufhin verließ er den Ort, und in drei Schritten und mit einem Satz war er in Angers, wo es ihm sehr gut gefiel, und er wäre dort auch noch etwas geblieben, wenn die Pest sie nicht von dort verjagt hätte.

So kam er nach Bourges, wo er recht lange studierte und große Fortschritte an der Fakultät für Rechtswissenschaften machte. Er sagte häufiger, dass ihm die Rechtsbücher vorkämen wie ein schönes Goldkleid, über alle Maßen prächtig und kostbar, aber mit Scheiße gesäumt: »Denn«, so sagte er, »es gibt keine schöneren Bücher, keine, die schöner ausgeschmückt und ausgeführt sind als die Texte der Pandekten, aber ihr Saum, die Glossa des Accursius, der ist so unflätig, so abscheulich und so verdreckt, dass er nur Schmutz und Unrat ist.«

Pantagruel verließ Bourges und kam nach Orléans, wo er jede Menge handfester Studenten antraf, die ihm bei seiner Ankunft ein fröhliches Gelage bereiteten, und in kurzer Zeit lernte er mit ihnen das Ballspiel so gut, dass er darin ein Meister wurde. Die Studenten in Orléans betreiben dieses Spiel mit großem Eifer. Sie nahmen ihn einige Male mit auf die Inseln, um sich beim Stoßballspiel zu vergnügen.

Was das Zermartern des Hirns beim Studieren anging, so ließ er das schön bleiben, aus Angst, er könne davon schlechte Augen bekommen, zumal einer seiner Lehrer in den Vorlesungen häufig sagte, dass nichts schlimmer für die Augen sei als eine Augenkrankheit.

[276] Als nun eines Tages ein Student aus seinem Bekanntenkreis, der über ein sehr überschaubares Wissen verfügte, dafür aber sehr gut tanzen und Ball spielen konnte, als Lizentiat der Rechte angenommen wurde, verfasste er das Hausgedicht und den Sinnspruch der Lizentiaten dieser Universität:

Ein runder Ball im Hosenlatz,

Die Hand am Schläger auf dem Platz,

Im Kopf vom Recht ein einz’ger Satz,

Ein Kontertanz in beiden Hacken,

Ihr seid zum Doctor Jur gebacken!

Sechstes Kapitel

Wie Pantagruel einem Limousiner begegnete, der die französische Sprache nachäffte

Eines Tages, ich weiß nicht mehr genau wann, ging Pantagruel nach dem Abendessen mit seinen Kumpanen auf dem Weg spazieren, der durch das Tor nach Paris führt. Dort traf er auf einen sehr nett aussehenden Studenten, und er fragte ihn, nachdem sie sich begrüßt hatten:

»Mein Freund, woher kommst du zu dieser Tageszeit?«

Der Student antwortete:

»Von der salutären, illustren und exzellenten Akademie, so man Lutetia nominiert.«

»Was soll das denn heißen?« fragte Pantagruel einen seiner Leute.

[277] »Das heißt«, antwortete der, »dass er aus Paris kommt.«

»Du kommst also aus Paris«, sagte Pantagruel. »Und wie, meine Herren Studenten, verbringt ihr so eure Zeit in diesem Paris?«

Der Student anwortete: »Wir traversieren die Sequana im diliculum und im crepusculum, wir deambulieren auf den compiten und quadrivien der urbanen Besiedlung, wir verbrausen die latinische Verbozination, und als wahre amatores kaptieren wir die Benevolenz des allrichtenden, allgestaltigen und allartigen femininen Geschlechts. Hin und wieder invisieren wir die lupanares, und in liebestoller Extase inkulkieren wir unsere partes viriles in die innersten Tiefen der pudenda jener sich wohl verdient gemacht habenden Freundinnen. Dann verspachteln wir in den geldscheffelnden Schänken wie der Pomme de Pin, dem Castel, der Madeleine und der Mule vervicale spatulae, mit Petersilie perforaminiert, und wenn, mangels fortuna, pecunia in unseren marsupien knapp ist oder hoch vonnöten und die letzten eisenhaltigen Metallmünzen verschwunden sind, so dimittieren wir unsere codices und unsere oppignerierten Wamse und warten auf die Tabellarien unserer väterlichen Penaten und Laren.«

Darauf hin sagte Pantagruel:

»Was zum Teufel ist das denn für eine Sprache? Bei Gott, du musst irgendein Ketzer sein!«

»Nein, Signore«, sagte der Student, »sobald der erste kleine Strahl des Tages illuesziert, demigriere ich libenter in eins dieser wohl architekturierten Münster und benetze mich mit diesem herrlichen lustralen Wasser, brubbele eine Scheibe Messgebet unserer Sacrificulen, murmele meine Stundenpreculien und abluiere und absterge meine Seele von den nächtlichen Inquinamenten. Ich verehre die Bewohner des Olympos, ich liebe ehrfurchtsvoll [278] den obersten Astripotenten, ich liebe meine Nächsten über alles, ich befolge die dekalogischen Vorschriften und weiche keinen Fingerbreit nach meiner schwachen Kräfte Maß von ihnen ab. Es entspricht allerdings der Wahrheit, dass ich, in Anbetracht dessen, dass mammona in meinen loculi keinen Tropfen zu viel von sich gibt, nur selten und sehr zögerlich Almosen an jene Mangel Leidenden expendiere, die um ein Scherflein an der Haustüre bitten.«

»Ja, Scheiße, Scheiße aber auch!« sagte Pantagruel, »was will dieser Verrückte uns denn sagen? Ich glaube, der brezelt da irgendeine teuflische Sprache und will uns mit seinen Zaubersprüchen verhexen.«

Daraufhin sagte einer seiner Leute: »Ich bin mir sicher, dass dieser Schlaumeier die Sprache der Pariser nachäffen will, aber er macht nichts anderes, als das Lateinische zu verhunzen, meint aber, er spräche im gehobenen Stil. Er kommt sich vor wie ein großer Redner in französischer Sprache, weil der den allgemeinen Sprachgebrauch verschmäht.«

Worauf Pantagruel sagte: »Ist das wahr?«

Der Student antwortete: »Signor Missayre, meinem ingenium ist von Natur her nicht zu eigen, ganz im Gegensatz zu dem, was dieser ehrenrührige Windbeutel sagt, die cuticula unserer gallischen Sprache zu martern; ganz im Gegenteil, ich verwende allen Eifer darauf, mit allem, was ich kann, alles zu geben, um unsere Sprache mit latinicomer Überfülle zu bereichern.«

»Bei Gott«, sagte Pantagruel, »ich werde euch reden lehren; aber vorher sag mir doch, woher kommst du?«

Worauf der Student antwortete: »Der jüngste Ursprung meiner Vorväter und Ahnen befindet sich in den Landstrichen der [279] Lemovices, wo der Körper des Allerheiligsten Martialis in Frieden ruht.«

»Ich versteh schon«, sagte Pantagruel, »du bist ein Limousiner und sonst gar nichts, und du willst hier den Pariser spielen. Komm schon, du kriegst ein paar auf die Ohren!«

Dann packte er ihn am Hals und sagte: »Du verhunzt das Latein, beim heiligen Johannes, ich werde dir den Magen auf halb acht drehen und dich beim lebendigen Leibe verhunzen.«

Da rief der arme Limousiner laut: »He, Krautjunker! Ho, heiliger Martialis, steht mir bei! He, he, lass mich los, in Gottes Namen, pack mich nicht mehr an!«

Daraufhin sagte Pantagruel: »Du kannst ja auf einmal ganz normal reden!«

Und so ließ er ihn los, denn der arme Limousiner schiss seine Hosen komplett zu, da sie hinten einen Schwalbenschwanz hatten und der Hosenboden nicht rund vernäht war. Da meinte Pantagruel: »Heiliger Alipentin, welch ein Wohlgeruch! Zum Teufel mit dem Rübenfresser, der stinkt ja erbärmlich!«

Dann ließ er ihn laufen. Aber der Limousiner konnte das Erlebnis sein Leben lang nicht verarbeiten, und er war so durstig, dass er häufig sagte, Pantagruel hielte ihn beim Halse, und nach einigen Jahren starb er durch göttliche Rache den Rolandstod. Es war aber auch ein Beleg dafür, was uns der Philosoph und Aulus Gellius sagten, dass wir uns nämlich der landläufigen Sprache bedienen sollen, und wie Octavian Augustus sagte, soll man die Wörter, die zu keiner Sprache gehören, mit der gleichen Sorgfalt vermeiden wie der Steuermann eines Schiffes die Klippe.

[280] Siebtes Kapitel

Wie Pantagruel nach Paris kam, und über die schönen Bücher in der Bibliothek von Saint-Victor

Nachdem Pantagruel höchst erfolgreich in Aurelianum studiert hatte, beschloss er, die große Universität von Paris aufzusuchen. Aber bevor er aufbrach, berichtete man ihm, dass sich in Saint-Aignan im genannten Aurelianum seit 214 Jahren eine gewaltig große Glocke in der Erde befinden sollte. Sie war so groß, dass man sie mit keinem Verfahren aus der Erde hatte herausholen können, obwohl man alle Mittel angewendet hatte, die man bei Vitruvius in De architectura, bei Albertus in De re aedificatoria, bei Euklid, bei Theon, bei Archimedes und bei Heron in De ingeniis vorfand, aber alles half nichts. Nun, Pantagruel wollte der ergebenen Bitte der Bürger und Bewohner der erwähnten Stadt nachkommen und beschloss, die Glocke zu dem für sie bestimmten Glockenturm zu bringen.

Er ging also zu der Stelle, an der sich die Glocke befand, und hob sie mit dem kleinen Finger so leicht hoch, wie ihr es mit einem Sperberglöckchen tätet. Bevor er sie nun zum Glockenturm brachte, wollte Pantagruel der Stadt noch ein kleines Morgenständchen bringen, trug die Glocke durch alle Straßen der Stadt und läutete sie mit der Hand, worüber sich alle Leute freuten. Aber dies hatte sehr üble Folgen; denn während er sie läutend durch die Straßen trug, kippte der gesamte gute Wein von Orléans und ward schlecht. Das aber stellten die Leute erst in der darauffolgenden Nacht fest, als sie durstig von dem schlecht gewordenen Wein, den sie getrunken hatten, nur noch weißes Zeug ausrotzten, das aussah wie Baumwolle aus Malta, und sie [282] sagten: »Wir haben den Pantagruel: unsere Kehlen sind total versalzen!«

Daraufhin ging er mit seinen Leuten nach Paris. Bei seiner Ankunft strömten alle Menschen auf die Straße, um ihn in Augenschein zu nehmen, denn wie ihr ja wisst, ist das Volk von Paris durch und durch dämlich. Sie stierten ihn mit großen Augen an und hatten nicht wenig Angst, er würde ihnen das Palais in irgendein gottverlassenes Land schleppen, so wie sein Vater die Glocken von Notre-Dame weggeschleppt hatte, um sie seiner Stute um den Hals zu hängen.