11. KAPITEL

Das Flugzeug aus Athen, mit Zwischenstopp in Paris und Singapur, landete am frühen Samstagmorgen in Sydney, keine Woche nach Serenas Telefongespräch mit Tomas. Der Job bei der Zeitung war okay gewesen, doch schließlich hatte sie das Angebot höflich abgelehnt. Sie suchte etwas, das näher an ihrer Heimat war, näher bei dem Mann, dem ihr Herz gehörte. Auf dem Weg vom Terminal zu den wartenden Taxis blickte Serena in den klaren, strahlend blauen Himmel. Sie bat den Fahrer, sie in ein Hotel in der Stadt zu bringen.

Sie brauchte einen Plan, ehe sie sich auf die Suche nach Pete Bennett machte. Sie musste genau wissen, was sie sagen sollte und was sie von ihm wollte. Und was sie tun würde, wenn er sie abwies.

Sie musste alles dafür tun, dass das nicht geschah.

Sie brauchte Accessoires.

Pete Bennett war froh, wieder zu Hause zu sein. Er hatte seinen alten Job wieder aufgenommen, als sei er nie fort gewesen. Er war wieder da, er war bereit, und er hatte eine neue Philosophie, mit Missionen umzugehen, die anders verliefen, als er es sich wünschte. Ob diese Philosophie auch ohne Serena funktionierte, würde sich zeigen.

Er hatte überlegt, sie anzurufen, bevor er Griechenland endgültig den Rücken kehrte. Er hätte sie fragen können, wie der Job lief, ihr erzählen können, dass er nach Hause fuhr. Aber dann hatte er sich dagegen entschieden. Er hatte alles gesagt, hatte ihr seine Welt zu Füßen gelegt. Doch sie hatte es vorgezogen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Es gab nichts mehr zu sagen.

Jetzt war er also wieder in Sydney, und die Nähe zu seiner Familie gab ihm Kraft. Alle seine Brüder waren in der Stadt. Jake war aus Gründen, die Pete schleierhaft waren, aus Singapur eingeflogen. Luke hatte Urlaub. Und Tristan wohnte derzeit in Sydney. Es geschah nicht oft, dass sie alle am selben Ort waren, es war ein Anlass, der gefeiert werden musste.

Jake und Tristan waren sich zunächst nicht einig, wo die Feier stattfinden sollte, aber dann beschlossen sie, eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen und den Sonntagnachmittag in einem kleinen Hotel am Strand zu verbringen. Genau wie früher fingen Luke und Tristan an, sich über die jeweiligen Verdienste verschiedener Vollzugsbehörden zu streiten, und Jake besorgte sich Pfeile vom Barmann und nahm die Dartscheibe in Beschlag. Wieder daheim. Genau der richtige Ort, um seinen Herzschmerz zu kurieren. Genau die richtige Gesellschaft.

Er würde schon über sie hinwegkommen. Irgendwann.

In fünfzig, sechzig Jahren vielleicht.

Sie teilten sich für das Dartspiel auf, er und Jake gegen Tristan und Luke. Pete spielte gern Darts. Aber er hätte seine Brüder ohrfeigen können für ihre ständigen Fragen nach Griechenland und der schönen Frau.

„Was macht sie?“, fragte Luke, als Pete gerade werfen wollte.

„Wer?“

„Die Frau, die du zurückgelassen hast. Die dir das Herz gebrochen hat.“

„Was sie will“, murmelte Pete und verfehlte sein Ziel um gut drei Zentimeter.

„Eine eigensinnige Frau“, sagte Tristan. „Ich mag sie jetzt schon. Warum hast du sie nicht mitgenommen?“

„Hast du sie gefragt?“, fragte Luke neugierig.

Pete starrte die beiden an. „Was soll das werden? Ein Verhör?“

„Wir sind nur neugierig“, meinte Luke entschuldigend. „Was wirst du ihretwegen tun?“

„Nichts. Sie hatte ein besseres Angebot. Das hat sie angenommen. Ende der Geschichte.“

„Was für ein Angebot?“ Luke sah ihn fragend an. „Ein Angebot von einem anderen Mann? Hast du das nicht kommen sehen?“

„Ein Jobangebot“, erklärte Pete kurz angebunden. „Und ich habe es sehr wohl kommen sehen.“

„Eine eigensinnige Karrierefrau“, befand Tristan. „Jetzt bin ich wirklich beeindruckt. Was hast du ihr angeboten?“

„Alles“, murmelte er.

„Autsch“, sagte Luke. „Bist du bald fertig mit den Darts?“

Pete warf seinen letzten Dartpfeil, ging zur Zielscheibe, um alle drei Pfeile abzunehmen, und schrieb sein Ergebnis auf die Tafel. „Willst du versuchen, die Zielscheibe zu treffen, Junior, oder soll ich uns allen Zeit ersparen und gleich null Punkte für dich eintragen?“, konterte er scharf. Wenn Luke Streit suchte, den konnte er haben. Doch Luke war seltsam still. Der ganze Raum fühlte sich an, als hielte er die Luft an.

Suchend blickte Pete sich nach dem Grund für die plötzliche Stille um und erstarrte.

Serena trug ein himmelblaues Kleid, das man als sittsam hätte bezeichnen können, wäre nicht der perfekte Körper darunter zu erahnen gewesen. Sie schien ganz aus köstlichen Kurven und anmutiger Sinnlichkeit zu bestehen, und als ihr Blick durch den Raum streifte, wurde so mancher Bauch eingezogen. Doch vergebens.

Ihr Blick ruhte auf ihm. Ihre braunen Augen waren nachdenklich, doch dann lächelte sie: ein keckes, herausforderndes Lächeln, das einen Mann um den Verstand bringen konnte. Jemand neben ihm sog scharf die Luft ein. Er meinte, es wäre Luke.

Langsam ging sie auf ihn zu, und Pete richtete sich auf. Alle Männer im Raum richteten sich auf.

„Glaubst du, das ist sie?“, fragte Tristan leise.

„Er hat sich gerade selbst mit den Dartpfeilen gestochen“, sagte Jake. „Sie ist es.“

Die Bar war alles andere als schick – ein bisschen heruntergekommen, ein bisschen zu dunkel. Serena wusste plötzlich nicht mehr, was sie sich dabei gedacht hatte, in diesem Aufzug in so eine Bar zu marschieren, doch sie warf den Kopf zurück und ging weiter, ihr Ziel fest im Blick. Sie hatte die Bennetts im Telefonbuch durchtelefoniert und schließlich Glück gehabt. Jake, der Bruder, der normalerweise in Singapur lebte, bewohnte zurzeit das Elternhaus in Sydney. Von ihm hatte sie Petes Telefonnummer erfahren, und auch wo sie ihn finden könnte. Und wann.

Doch er hatte versäumt zu erwähnen, wer noch alles dort sein würde.

Serena hatte ihr Kleid mit Bedacht gewählt. Ein blaues Seidenkleid, blau wie der Sommerhimmel, das ihre Hüften umschmeichelte und kurz über dem Knie endete. Die schmalen Träger zeigten mehr Haut, als sie bedeckten, die drei Knöpfe in der Mitte waren ein meisterhaftes Detail, das jedem Mann die Finger jucken ließ. Ihr Haar fiel in sanften Wellen bis zur Taille, und dank eines sehr teuren Lippenstiftes glänzte ihr Mund eine Nuance dunkler als sonst. Das Outfit war elegant und raffiniert, doch nach der Reaktion der Anwesenden zu urteilen auch verdammt sexy. Halb so wild. Wer diesen Mann halten wollte, durfte nicht schüchtern sein.

Zum Glück war sie das nicht.

„Hey Flieger“, begrüßte sie ihn kühl.

„Serena.“ Pete nickte ihr lässig zu.

Sie warf einen Blick auf die Männer neben ihm, drei insgesamt, die alle gefährlich genug aussahen, um eine Frau stolz zu machen und die vorsichtigen Blicke der anderen Gäste in der Bar auf sich zu richten. „Willst du mich nicht deinen Freunden vorstellen?“

„Nein.“

„Dann bekomme ich wohl auch nichts zu trinken?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.

„Besorg ihr etwas zu trinken“, sagte der Mann zu Petes rechter Seite, der Ähnlichkeit nach zu urteilen einer von Petes Brüdern.

„Besorg ihr einen Stuhl“, sagte ein anderer.

„Besorg mir ihre Telefonnummer“, sagte der Dritte und stöhnte kurz auf, als Pete ihm die Pfeile mit den Spitzen nach unten in die Hand drückte.

„Was machst du hier?“, fragte der einzige Mann, dessen Worte zählten.

„Du bist fortgegangen, ohne dich zu verabschieden“, war Serenas leise Antwort.

„Normalerweise hat er bessere Manieren“, ließ einer von ihnen verlauten.

„Vielleicht hat er den Verstand verloren“, sagte ein anderer. „Ich bin Tristan. Das ist Jake“, erklärte er, auf den Mann deutend, den sie zuvor als Bruder ausgemacht hatte. „Der mit den Löchern in der Hand ist Luke.“

Großartig. Sie waren alle Brüder. Es ging doch nichts über ein Familientreffen. „Meine Herren.“ Serena schenkte ihnen ein Lächeln. Wenn sie sich nicht irrte, wollten sie ihrem Bruder Gelegenheit geben, sich zu sammeln. Oder sie wollten ihn ärgern. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden. Zorn war ihr allemal lieber als Gleichgültigkeit.

„Sie wollten gerade gehen“, sagte Pete. „Genauer gesagt, jetzt.“

„Und das hier verpassen?“, fragte Tristan und zwinkerte seinen Brüdern übermütig zu. „Das kann nicht dein Ernst sein. Ich liebe Wiedersehen.“

„Dann gehen wir.“ Pete nahm ihre Hand und zog Serena zur Tür, ehe sie protestieren konnte. Nicht dass sie protestieren wollte. Wahrscheinlich würde sie sich total blamieren. Und da war ein Publikum, das aus mehr als einer Person bestand, schon ziemlich lästig.

Draußen dirigierte er sie mit großen Schritten in Richtung Strand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sein Schweigen war bedrückend. Im Sand angekommen, wartete er kurz, damit sie sich ihre Sandaletten ausziehen konnte, dann ging er weiter, Richtung Meer. Erst dort ließ er sie los, watete ein Stück ins Wasser, schob beide Hände in die Taschen und wandte sich dann zu ihr um.

„Warum bist du hier?“

„Du hast mir damals eine Frage gestellt. Du hast mich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet. Ich wusste nicht, wie ich antworten sollte.“

Pete verzog den Mund. „Zwei Tage später bist du nach Athen abgereist, Serena. Ich fand die Antwort alles in allem recht eindeutig.“

„Dann möchte ich dir gern auch eine Frage stellen“, fuhr sie langsam fort. „Wenn ich dich gebeten hätte, mit mir nach Athen zu kommen … dort ein gemeinsames Leben aufzubauen … hättest du Ja gesagt?“

Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Wartete so lange, dass es Serena vorkam wie eine Ewigkeit. „Ja“, sagte er dann knapp. „Aber du hast mich nie gefragt.“

„Weil ich wusste, dass du hierher gehörst!“, erwiderte sie und fröstelte unter der Kälte in seinem Blick.

„Ich brauchte dich. Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt, Serena. Ich liebe dich. Ich habe alles getan, um mit dir zusammen zu sein. Der einzige Grund, warum ich dich gehen ließ, war, dass ich glaubte, du willst mich nicht. Dass du lieber frei sein willst.“ Pete wandte sich von ihr ab und blickte auf das Meer. „Als meine Mutter starb, nahm mein Vater alle Bilder, die es von ihr gab, von der Wand und verstaute sie in einem Karton auf dem Dachboden. Ich habe nie verstanden, warum er das tat, aber jetzt verstehe ich es. Gott, es tut weh, dich anzusehen.“

Drei besorgte Zuschauer standen auf der Dachterrasse des nahe gelegenen Hotels.

„Er vermasselt es“, sagte Luke.

„Hab ein wenig Vertrauen“, sagte Tristan.

Jake schwieg.

So war das nicht geplant, dachte Serena zunehmend verzweifelt. In einem Atemzug sagte er ihr, dass er sie liebte, und im nächsten sah er sie nicht einmal an.

„Was ist mit deinem Job?“, fragte er plötzlich.

„Der hat schon Spaß gemacht, verstehe mich nicht falsch“, sagte sie. „Ich habe so lange von genau so einem Job geträumt, aber Träume ändern sich.“ Sein beharrliches Schweigen ließ sie zögern. „Inzwischen träume ich von dir.“

Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Taten. Sie watete ins Wasser, bis sie direkt vor ihm stand, von Angesicht zu Angesicht, die Hände in die Hüften gestemmt, das Kinn erhoben. Eine Welle durchnässte den Saum ihres Kleides, doch es war ihr egal. Es wäre ihr auch egal gewesen, wenn die nächste Welle sie von Kopf bis Fuß erfasst hätte.

„Dein Vater hat die Bilder fortgenommen, weil er es nicht ertragen konnte, zu sehen, was er verloren hatte“, sagte sie unverblümt. „Sieh mich an, Pete Bennett. Sieh mich gut an, denn ich bin nicht tot, und du hast mich ganz bestimmt nicht verloren. Ich bin hergekommen, weil ich bei dir sein will. Ich will mit dir in deinem kleinen Häuschen in den Bergen leben. Ich kann in Sydney arbeiten, wenn ich will. Denn das Wichtigste in meinem Leben ist nicht der Job … das bist du.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über seine Lippen, seine Augen, und Serena atmete mit einem Seufzen aus, bis das Lächeln in seinen Augen sich endlich in das vertraute Glitzern verwandelt.

„Liebst du mich?“, fragte er.

„Ich liebe dich“, sagte sie. „Ich bin total verrückt nach dir, falls du es noch nicht gemerkt hast.“

„Beweise es“, sagte er. „Diskret.“

„Mit der Diskretion ist es vorbei, weißt du nicht mehr? Aber für dich will ich es versuchen.“ Serena lächelte süß, als sie sich das Kleid langsam, sehr langsam über den Kopf zog.

Auf der Dachterrasse verschluckte sich Jake an dem Bier, das ergerade an die Lippen gesetzt hatte.

„Heilige Jungfrau Maria“, sagte Tristan.

„Amen“, murmelte Luke.

„Keine Panik“, sagte Jake. „Kein Grund zur Panik! Sie hat einen Bikini an. Vielleicht will sie nur schwimmen gehen, um sich abzukühlen … Jedenfalls wird man sie nicht festnehmen.“ Jake sah resigniert zu, wie sein Bruder sie an der Taille packte, sie in den Sand warf und mehr oder weniger unter sich begrub. „Noch nicht.“

„Vielleicht fällt ihm rechtzeitig ein, wo er ist“, sagte Luke.

Tristan seufzte. „Oder ihr.“

Drei Männer sahen zu, wie sich das Paar am Strand wälzte, bis Pete auf dem Rücken lag und Serena auf ihm wie in einer Szene aus einem sehr alten Film.

„Es ist ihr eingefallen“, sagte Jake trocken und verdrehte die Augen. „Jetzt landen sie wenigstens nicht im Gefängnis.“

„Ich will vier Kinder“, sagte Pete, bemüht, seine Erregung in den Griff zu bekommen.

„Die kriegst du.“ Serena schlang die Arme um seinen Hals.

„Und einen Schuppen voller Vespas.“

„Das lässt sich machen.“

„Und einen Hubschrauber am Berghang.“

„Das ist viel besser als Autofahren.“

„Preisgekrönte Fotos an den Wänden.“ „Ich gebe mein Bestes.“ Doch sie wollte mehr. Viel, viel mehr.

„Und dich.“

Eine Welle schlug an den Strand und umspülte ihre Körper.

„Vertrau mir, Pete Bennett“, murmelte sie, ehe ihre Lippen seine fanden, genüsslich und neckend, aber mit einem Hunger, der sie erzittern ließ. „Das bekommst du.“

– ENDE –