NETT? Nett? Man hatte Pete Bennett schon so einiges vorgeworfen, besonders die Frauen, die ebenso schnell kamen, wie sie wieder gingen, aber nett war noch nicht dabei gewesen. Es hörte sich irgendwie nicht nach einem Kompliment an. Na ja, er konnte schon gelegentlich nett sein. Daran war ja auch nichts auszusetzen. Aber irgendwie klang nett zu sehr nach ernsten Absichten. Und die hatte er keinesfalls.
Nein. Er musste dieser anbetungswürdigen Frau unbedingt jegliche Illusion nehmen, dass er nett sei. Er lockerte die Schultern, um sich von dem Zauber zu befreien, in den sie ihn versetzt hatte und der ihm noch immer die Sinne vernebelte, und folgte ihr in die Küche.
Die Küche bestand aus Kühlschrank, Spüle, einer Regalwand voll frischer Lebensmittel und einem kleinen Tisch. Schlicht, gemütlich und – wie Serena fand – ganz dem Essen gewidmet. Sie hatte vorhin ein großzügig mit Knoblauch und Oregano gewürztes Hühnchen in den Ofen geschoben, sowie ein halbes Dutzend Kartoffeln mit Salzkruste. Ein knuspriges Brot und ein Salat standen auf dem Tisch bereit. Serena stammte aus einer Familie von Köchen, Gastronomen und Feinschmeckern. Kochen war zwar nicht ihre Leidenschaft, aber in ihrer Familie galt es als unentschuldbar, wenn jemand nicht gut kochen konnte.
Pete war ihr in die Küche gefolgt und lehnte im Türrahmen. Nach dem gefährlichen Glitzern in seinen Augen zu urteilen, hatte er seine Nettigkeiten für heute aufgebraucht. Und das war Serena nur recht. Nett war sicher ein Pluspunkt, aber sexy, amüsant und kurzweilig reichten ihr völlig.
„Vielleicht finden Sie mich neugierig“, sagte er, „aber wenn Sie keine Lust haben, Vespas zu vermieten, warum tun Sie es dann?“
„Für die Familie“, murmelte sie, nahm ein Stück Feta aus dem Kühlschrank und legte es neben ein höllisch scharf aussehendes Küchenmesser auf den Tisch. „Alle Enkelkinder absolvieren hier eine sechsmonatige Schicht. Jetzt bin ich eben dran.“
„Was passiert, wenn alle Enkelkinder durch sind? Geht es dann wieder von vorn los?“
„Rein theoretisch sind dann die Urenkel an der Reihe. Bedauerlicherweise ist der älteste derzeit sechs, und Nico und ich sind die letzten Enkelkinder. Ich glaube, alle haben gehofft, dass wenigsten einer von uns sich in die Lebensart hier verlieben und für immer bleiben würde. Vielleicht ja Nico“, sagte sie nachdenklich.
„Sie nicht?“
„Nein. Noch ein Monat, dann bin ich weg.“
„Wohin?“
„Nun ja, das richtet sich nach den Jobs.“ Und ihren Chancen, diese zu ergattern. „Ich bin Fotografin. Studiert habe ich aber Sprachen und im Nebenfach Politik.“
Er schien nicht überrascht. Wegen ihres hübschen Gesichts glaubte man leicht, sie stehe auf der anderen Seite der Kamera. Und so mancher fand, bei ihrem Körper sei Köpfchen überflüssig. „Im Moment arbeite ich an einer Postkarten-Serie für die griechische Tourismusbehörde, aber wenn ich meine Pflicht hier getan habe, würde ich gern als Fotojournalistin für eine Nachrichtenagentur arbeiten.“
„Sie werden Ihre Sache sicher gut machen“, sagte er.
„Ach ja?“ Sie konnte ihre Verwunderung nur schwer verbergen. Üblicherweise reagierten die Menschen anders auf ihre Pläne.
„Natürlich. Mit Ihrer Schönheit fallen Sie auf, mit Ihrer Klugheit erkennen Sie eine gute Story und mit Ihrer Menschenkenntnis werden Sie die Informationen aus den Leuten herauskitzeln. Eine gute Wahl für jemanden mit Ihren besonderen Fähigkeiten.“
Serena schnitt das Brot, den Käse und reichte ihm beides mit einem Lächeln. „Damit haben Sie sich auf jeden Fall eine Vorspeise verdient. Vielleicht sogar einen Nachtisch.“
Er lächelte. „Die Konkurrenz ist groß. Sie werden eine gehörige Portion Ehrgeiz brauchen. Wollen Sie diesen Job wirklich machen, Serena?“
So sehr, dass sie seit fünf Monaten jeden Monat die Stellenanzeigen der internationalen Zeitungen nach freien Stellen studierte. „Glauben Sie mir, am Ehrgeiz hapert es nicht. In der Vergangenheit haben mich familiäre Verpflichtungen zurückgehalten, aber damit ist es vorbei. Diesmal ziehe ich es durch.“
„Sobald Sie diese Insel verlassen haben“, folgerte er.
„Ganz genau.“
„Dann sind Sie diesen Monat also noch ein freier Mensch, mal abgesehen von den Vespas, den Postkartenfotos und Ihren Großeltern.“
„So ist es.“ Er war wirklich bezaubernd. „Und meine Großeltern sind gerade zu Besuch bei der Familie auf dem Festland. Sie sind heute Morgen abgereist und kommen erst in zwei Monaten zurück. Und Sie?“
„Ich werde Tomas vertreten, bis er wieder auf die Beine kommt. So sechs bis acht Wochen. Vielleicht auch länger.“
„Und dann?“
Er zuckte die Schultern. „Ein australisches Bergbauunternehmen will, dass ich in Papua Neu-Guinea einen Charterflugbetrieb übernehme. Sie haben mir ein gutes Angebot gemacht.“
„Sie tingeln also durch die Welt“, erwiderte sie trocken. „Von einem Job zum nächsten.“
„Wer weiß, wozu es gut ist“, sagte er leise.
„Haben Sie je daran gedacht, sesshaft zu werden?“
„Meinen Sie, mich irgendwo niederzulassen oder eine Familie zu gründen?“
„Beides.“
„Nein.“
Serena schloss die Augen und betete still. Dieser Mann war perfekt für eine kurze Affäre.
„Haben Sie gerade geseufzt?“, fragte er und betrachtete sie forschend. „Ich könnte schwören, dass ich etwas gehört habe.“
„Nicht von mir.“ Von wegen. „Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten? Wasser? Wein?“ Sie deutete auf das Glas Weißwein, das bereits auf dem Tisch stand. „Ich habe mir schon etwas eingeschenkt.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, öffnete sie den Kühlschrank. Sie musste sich ablenken, um das Seufzen auf ein Minimum zu beschränken. Wasser, Wein, sie nahm beides und stellte es vor ihm auf den Tisch. „Bedienen Sie sich.“
Er nahm zwei Gläser aus dem Regal und füllte beide mit Wasser. Er nahm sich ein weiteres Glas, ein Weinglas diesmal. Als er sich Wein einschenkte, bemerkte sie seine langen, schlanken Finger um den Flaschenhals … Finger, die aussahen, als könnten sie einer Frau jede erdenkliche Lust verschaffen, von einem federleichten Streicheln bis zum gekonnten festen Druck an genau den richtigen Stellen.
„Da war das Geräusch schon wieder“, sagte er.
„Vielleicht war es die Katze.“
Pete betrachtete die Katze, die sich in der Küchenecke eingerollt hatte und tief und fest schlief. „Meinen Sie diese Katze?“
„Ja“, antwortete Serena mit vollkommen ernsthafter Miene, und Petes Bewunderung für sie stieg ins Unermessliche. „Genau die.“
Sie aßen am Picknicktisch im Hof, hinter sich das in die Hügel eingebettete Häuschen, vor ihnen das weite Meer, blau wie die Hoffnung.
„Wie viele Brüder haben Sie eigentlich?“, fragte Pete zwischen zwei Bissen des köstlichen Brathähnchens. Bei so einem leckeren Essen konnten einem schon Zweifel kommen, ob es sich nicht doch lohnte, eine Frau zu haben, die einen jeden Abend zu Hause erwartete.
Serena hielt zwei Finger hoch, und er lächelte. Zwei Brüder und ein überbesorgter Cousin, das ging ja noch.
„Das Lächeln habe ich genau gesehen“, sagte sie finster. „Und wenn Sie glauben, mit denen fertig zu werden, täuschen Sie sich. Es sind immerhin Halbgriechen. Und schließlich sind wir eine Großfamilie: Ich habe außerdem zwei Schwager, einen Vater, drei Onkel und ein halbes Dutzend Cousins in meinem Alter oder älter. Nico ist von denen noch der toleranteste.“
„Aha.“ Das war eine lange Liste an Beschützern. Zweifellos hatte sie die Armen in ihrer Jugend wahnsinnig gemacht. „War bestimmt nicht leicht für Ihren ersten Freund.“
„Sie machen sich keine Vorstellung“, murmelte sie. „Ich dachte, er kommt damit klar. Er hatte ein sehr cooles Auto und einen Ruf als Bad Boy. Und ein Lächeln, das den Himmel auf Erden versprach … Sie warteten im Vorgarten auf ihn, als er mich abholen wollte. Mein Vater und mein Onkel.“ Sie schien gleichermaßen belustigt und verärgert. „Als er kam, nahmen sie gerade den Fisch aus, den sie am Morgen gefangen hatten. Mit fünfundzwanzig Zentimeter langen Ausbeinmessern.“
„Klingt plausibel“, sagte Pete. „Obwohl ich verstehe, wenn Sie die Messer etwas melodramatisch finden.“
„Es war ein zwei Meter großer Hai.“
„Oh.“ Sein Lächeln wurde breiter.
„Wagen Sie ja nicht zu lachen!“
„Zu Befehl, Ma’am. Aber ich bin beeindruckt.“
„Wir haben es nicht mal bis ins Kino geschafft. Der arme Junge ist mit mir zu einem Burger-Drive-Through gefahren, hat mir Pommes und einen Milchshake spendiert und mich nach einer halben Stunde wieder zu Hause abgeliefert. Er ist wahrscheinlich noch immer auf der Flucht.“
„Also, ich hätte Ihnen auch einen Burger spendiert.“ Er füllte ihr Wein nach und nahm sich noch eine Scheibe von dem frisch gebackenen Brot. „Ich habe drei Brüder, einen Vater und eine Schwester. Hallie ist die jüngste.“
„Keine Mutter?“
„Nein. Sie starb, als ich klein war. Mein Vater hat es nicht verkraftet und sich vollkommen zurückgezogen. Meine Brüder und ich haben Hallie groß gezogen. Sie würde Ihnen bestimmt gefallen. Sie könnten Geschichten mit ihr austauschen. Mein jüngster Bruder war sehr kreativ, wenn es darum ging, ihre hartnäckigen Verehrer zu vergraulen. Inzwischen arbeitet er bei Interpol. Der Hai hätte ihm auch gefallen.“
„Sind Sie sicher, dass Sie keine griechischen Vorfahren haben?“
„Keinen einzigen.“
„Und was halten Sie von Vertrauen und Ehre?“
„Sie meinen Nicos Vertrauen, dass ich Sie nicht verführe?“
Sie nickte.
„Es bringt mich beinahe um.“
Ihr Blick ging ihm durch und durch. „Aber Sie halten sich daran.“
„Nur mit Mühe.“ Das Essen hatte Petes kulinarischen Appetit mehr als gestillt. Die Dämmerung brach herein, und schwerer Jasminduft lag in der Luft. Er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass seine Ehre keine Drachme wert war, wenn er sich nicht bald verabschiedete. „Schließen Sie die Augen“, sagte er. „Versuchen Sie sich an den Bad Boy mit eigenem Auto und sein viel versprechendes Lächeln zu erinnern.“
„Warum?“ Doch sie tat, worum er sie bat. Sie saß mit dem Rücken zum Tisch, hatte die Ellbogen hinter sich aufgestützt und lehnte den Kopf zurück, als sonne sie sich im Mondlicht.
„Konzentrieren Sie sich“, murmelte er. „Sie waren im Kino und sind auf dem Weg nach Hause. Im Radio läuft Musik, die Fenster sind offen, der Wind spielt in Ihrem Haar, und Ihr junger Verehrer denkt nicht mehr an die Tranchierkünste Ihres Vaters. Er ist jung und leichtsinnig, genau wie Sie.“
Sie schürzte die Lippen. „Und dann?“
„Er hält vor Ihrem Haus.“
„Macht er den Motor aus?“
„Nein. Er ist ja nicht verrückt. Er will sich notfalls schnell aus dem Staub machen können.“
Ihre Augen waren noch immer geschlossen. „Wo ist der Hai?“
„Ihr Vater und Ihr Onkel verstauen den Rest gerade im Gefrierschrank. Das Timing ist perfekt.“
„Wofür?“, flüsterte sie.
„Dafür.“ Mit seinen Lippen streifte er ganz sanft ihren Mund, eine flüchtige Berührung, mehr nicht. Eigentlich wollte er es dabei belassen, sich verabschieden, schnell fort vom Ort der Versuchung, doch ihre Augen blieben geschlossen, und ehe er zum Nachdenken kam, waren seine Lippen wieder auf den ihren, fragend, fordernd, denn diesmal, diesmal wollte er eine Reaktion.
Die bekam er.
Serena spielte mit, weil sie selbst es so wollte. Weil sie neugierig darauf war, was dieser Mann mit dem Schlafzimmerblick und dem gefährlichen Lächeln an so einem Abend, in so einem Moment, bei so einem Kuss zu bieten hatte.
Eine Menge.
Sein wilder, köstlicher Geschmack jagte ihr Schauer über den Rücken. Sein Kuss war so fest und selbstverständlich, dass sie ihn instinktiv erwiderte und ihm mit Lippen und Zunge folgte wie bei einem Tanz, der so alt war wie die Menschheit selbst. Sie wollte mehr, berührte mit der Hand seine Wange, seinen Nacken, tauchte tief in seinen Kuss ein, als wollte sie den verwegenen Abenteurer, den Gefahrensucher in ihm ergründen. Und sie fand, was sie suchte.
Der Kuss wurde immer leidenschaftlicher.
Er murmelte etwas, das klang wie Protest, fühlte sich an wie eine Kapitulation, und überwältigte sie.
Als der Kuss vorbei war, waren ihre Sinne vernebelt. Während ihr Puls noch raste, löste sie ihre Hand scheinbar träge von seinem Hals. Sie lehnte sich zurück, stützte die Ellbogen auf den Tisch und beobachtete, wie er, genau wie sie, nach dem Kuss erst langsam wieder zur Besinnung kam. Er gab sich keine Mühe zu verbergen, wie schwer es ihm fiel.
Das gefiel ihr an ihm. Es gefiel ihr sogar sehr.
„Er wird einige Herzen brechen, wenn er so küsst“, murmelte sie.
„Du auch.“ Sie seufzte behaglich. „Sag ihm, er soll mich noch einmal küssen.“
„Nein. Sonst ist er verloren. Außerdem ist das Licht auf der Veranda gerade angegangen, und es ist höchste Zeit für mich.“
„Kommt er wieder?“
„Den wirst du so schnell nicht los. Für dich ist es der erste Kuss, für ihn vielleicht der dritte, aber von diesem Moment an ein Teil von ihm immer dir gehören.“
Sie lächelte geschmeichelt.
„Danke für das Essen“, sagte er leise. „Serena?“
„Was?“
„Heute Abend werde ich Nicos Vertrauen nicht missbrauchen, aber nächstes Mal wenn wir uns sehen, lade ich dich zum Essen ein. Und am Ende des Abends gehörst du mir. Ich werde in den nächsten Wochen viel von deiner Zeit beanspruchen.“
Seine Arroganz gefiel ihr. Gefiel ihr sehr.
„Und noch etwas, Serena.“ Er stand vor ihr und blickte auf sie herab wie ein dunkler Engel, der soeben vom Himmel gefallen war. „Mir ist es schnuppe, wie groß der Hai ist.“