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Kanarische Inseln

Saba wusste, an wen sie sich wenden musste. Über ihr Smartphone stand sie immer mit ihrer Familie, ihrem ganzen Clan, in Kontakt. Auf der Insel gab es eine Zeitarbeitsfirma, die junge Frauen ohne Arbeitserlaubnis beschäftigte, ihnen gefälschte Papiere ausstellte und sie in den großen Hotels als Putzkräfte arbeiten ließ. Die Hotelketten ließen sich die schlecht gefälschten Dokumente vorlegen und fragten – wohl wissend – nicht so genau nach, wenn es um den Aufenthaltsstatus ihrer angeheuerten Putzkräfte ging.

Das halbseidene Unternehmen achtete darauf, dass die Putzkräfte immer in unterschiedlichen Hotels eingesetzt wurden. Kontrollen der spanischen Polizei liefen ins Leere; es gab immer jemanden, der sie vorab warnte. Mehrfach musste Saba kurz vor einer Polizeikontrolle fluchtartig ihren Arbeitsplatz verlassen.

Sie wusste nie genau, wo sie heute arbeiten würde, wenn sie sich am morgendlichen Treffpunkt einfand, an dem sie ein kleiner Bus der Firma abholte. Das Unternehmen vermietete ihr ein winziges Zimmer zu einem Wucherpreis, ohne eigenes Bad und Küche; sie war völlig von ihrem Arbeitgeber abhängig.

Zehn bis zwölf Stunden am Tag schuftete sie in den Hotels, putzte die Zimmer, wusch die Wäsche. Blickte sie aus den Fenstern der Hotelzimmer, dann sah sie die wohlhabenden Europäer, wie sie sich am Pool sonnten, Cocktails schlürften, mit ihren Kindern spielten. Sie kamen aus der Welt, in die sie wollte, führten das Leben, das sie auch einmal führen wollte. Nach zwei Wochen reisten sie wieder ab, flogen aus ihrem luxuriösen Urlaubsdomizil zurück in ihre reichen Heimatländer: Großbritannien, Schweden, Deutschland, Frankreich.

Sabas Lohn war jämmerlich, noch niedriger als bei den legalen Putzkräften, die auch für einen Hungerlohn schufteten, sich aber zumindest gewerkschaftlich organisieren und für ihre Rechte kämpfen konnten. Ein Recht, das Saba – wie so vieles – verwehrt blieb.

***

Es gab aber auch glückliche Momente in ihrem Leben auf den Kanaren. Obwohl der größte Teil ihres Verdienstes für Miete und Lebensmittel draufging, erfüllte es sie mit größter Freude, als sie ihre erste Zahlung an ihre Eltern in der Heimat schicken konnte. Ihr Leben war hart, doch war sie es, die nun einen wesentlichen Teil zur finanziellen Sicherheit ihrer Eltern beitrug – das machte sie unendlich stolz.

Mehrere Jahre verbrachte sie auf den Kanaren, bis sie auch für sich selbst genug Geld zur Seite gelegt hatte, um ihr großes Ziel in Angriff zu nehmen – Paris. Als die Machenschaften ihres sogenannten Arbeitgebers aufflogen und die Behörden ihm seine Lizenz entzogen, verlor auch Saba ihre Existenzgrundlage auf den Kanaren. Sie hatte hier keine Zukunft mehr, und die Gefahr, von den Behörden aufgegriffen und zurückgeschickt zu werden, wuchs mit jedem Tag. Es war an der Zeit, den nächsten Schritt zu wagen; der Laufsteg der Pariser Modewoche wartete auf sie.