Monte San Savino, Juni 2001

Kapitel 1

In halsbrecherischem Tempo setzte Oda zu einem Überholmanöver an, denn sie wollte nicht zu spät kommen! Sandros Anruf hatte sie vollkommen aus der Bahn geworfen. Nella Gambetti war schwer gestürzt und lag im Krankenhaus. Soweit sie Sandro verstanden hatte, hatten die Ärzte Nella kurzzeitig in ein künstliches Koma versetzt, um sie zu stabilisieren.

Allein durch den Wald zu spazieren und einen Abhang hinunterzustürzen, passte nicht zu Nella! Dahinter steckte doch mehr! Die Autobahn von Florenz nach Arezzo war gut ausgebaut, so dass sie in einer halben Stunde dort sein konnte.

Oda hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie Max schon wieder allein ließ. Doch er war verständnisvoll und hatte sie förmlich zur Abreise gedrängt. Inzwischen konnte er schon einige Stunden pro Tag im Laden sein. Zusätzliche Hilfe war von Eike in Form einer Freundin gekommen, die sich an mehreren Tagen in der Woche um Max kümmern konnte. Oda drückte auf die Hupe. Es war doch verboten, dass Lastwagen sich gegenseitig überholten! Aber denen machte es sogar noch Spaß, die Fahrbahn zu blockieren.

Nach einer endlos erscheinenden Fahrt hätte sie die Abzweigung nach Arezzo zu guter Letzt beinahe übersehen. Gerade noch rechtzeitig konnte sie den Blinker setzen und sich auf die Suche nach dem Krankenhaus San Donato machen. Als sie auf dem Parkplatz vor San Donato ausstieg, klebte die Bluse an ihrem Körper. Sie trank den Rest aus iher Wasserflasche und griff nach ihrem Telefon.

»Ciao, Sandro. Es hat alles geklappt und ich bin hier.«

Sandro klang müde und gereizt. »Das ist großartig. Ich freue mich so, dass du kommen konntest, vor allem für Nonna. Sie redet wirr, erwähnt dauernd deinen Namen. Moment.« Er nahm das Telefon zur Seite und sprach kurz mit jemand anderem. »Ja, Dottore, machen Sie das. So, hier bin ich wieder, Oda. Ich kann nicht kommen. Die Hälfte der Tiere ist krank. Wir wissen noch nicht, was es ist, aber ich kann auf keinen Fall weg. Emilia ist auf dem Weg zu euch. Am besten, du gehst gleich zu Nonna.« Jemand rief Sandros Namen. »Tut mir leid, lass uns später reden. Du kommst doch danach zu uns?«

»Ich, ja, aber was ist …«

»Danke, Oda. Bis dann!« Er legte auf.

Oda schaute auf die Uhr. Wenn Emilia gerade losgefahren war, blieb ungefähr eine halbe Stunde bis zu deren Eintreffen. Sie musste sich beeilen, wenn sie Nella allein sehen wollte. Am Empfang des Krankenhauses erklärte man ihr freundlich den Weg zu Nellas Station. Sie hoffte, dass man sie zu Nella lassen würde, auch wenn sie keine Angehörige war. Die Schwestern bereiteten gerade die Essensausgabe vor. Ein Patient ging in Begleitung seiner Familie über den Gang und Oda tat so als wären sie bekannt, grüßte und entdeckte die Nummer von Nellas Zimmer.

Nach kurzem Anklopfen trat sie ein und schloss leise die Tür hinter sich. Die Gardinen waren halb vorgezogen, so dass nur wenige Lichtstrahlen auf das Bett vor dem Fenster fielen. Der schmale Frauenkörper darin war vollkommen regungslos. Nellas Profil hob sich gegen das Licht ab. Leise trat sie näher und setzte sich auf den Stuhl am Bett. Nellas Hand lag auf der Decke, an ihren Kopf waren zahlreiche Elektroden angeschlossen, verschiedene Monitore blinkten und auf der anderen Seite des Bettes hing eine Infusionslösung.

Sacht nahm Oda ihre Hand. »Ich bin es, Oda. Was machst du für Sachen, Nella? Das passt so gar nicht zu dir, einen Abhang hinunter zu fallen. Was hast du nur da oben allein gewollt? Bitte, lass mich dir doch helfen! Manchmal kommt man allein nicht weiter. Ohne dich wüsste ich nichts über meinen Großvater. Weißt du, Nella, ich habe meine Großmutter nach ihm gefragt und sie weigert sich noch immer, mir mehr über Victor und sein Verschwinden zu erzählen. Das ist es, was mich nicht los lässt. Er ist einfach verschwunden und das glaube ich nicht. Nach dem, was du mir über ihn erzählt hast …«

Nellas Finger bewegten sich, doch ihre Lider blieben geschlossen und sie atmete weiterhin gleichmäßig.

»Vielleicht sollte ich Sandro von Dante erzählen. Wir müssen doch etwas tun! Wenn es da jemanden gibt, der dir Böses will …«

Erneut bewegten sich Nellas Finger und schienen nach etwas greifen zu wollen. »Du willst das nicht? Ich soll niemandem von Dante erzählen?«

Kaum spürbar drückte sie Odas Hand. Sie war also bei Bewusstsein, konnte die Augen aber nicht öffnen und nicht sprechen. »Nella, wenn es nun kein Unfall war …«

Die Finger in Odas Hand bewegten sich erneut. »Jemand hat dich gestoßen?«

Jetzt drückten die Finger sich deutlich in ihre Handfläche. Was sollte sie nur tun? Den Commissario informieren? »Nella, und was ist, wenn ich mit Dante …«

Der Satz blieb unbeendet, weil die Tür von Emilia Gambetti aufgestoßen wurde.

»Was suchen Sie denn hier? Verschwinden Sie auf der Stelle!« Emilia stolzierte herein, zog sich einen Seidenschal von den Schultern und ließ ihn auf den Tisch gleiten. »Mamma!«

Sofort räumte Oda den Platz an Nellas Bett. Emilia beugte sich über ihre Mutter und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, doch Nella Gambetti zeigte keinerlei Reaktion. »Sie sind ja immer noch hier! Wer hat Sie gerufen, Sandro oder meine feine Tochter? Ah, die ist gar nicht hier. Vergnügt sich in Florenz mit einem Kerl, der fast so alt ist wie ich!«

»Sandro war so freundlich …«

Emilia verzog herablassend den Mund. »Tun Sie bloß nicht so förmlich. Sie sind doch auch nicht besser als diese ausländischen Flittchen, die sich unseren Männern scharenweise an den Hals werfen. So freundlich, dass ich nicht lache …«

»Meine Mutter war Italienerin und mein Vater hat mir ein Haus in Casole d’Elsa vererbt. Ich habe durchaus andere Gründe …«, verteidigte Oda sich.

Voller Ablehnung sah Emilia sie an. »Ja, schöne andere Gründe haben Sie! Ganz verrückt gemacht haben Sie meine Mutter mit Ihrem Gerede von der Familie. Um was geht es überhaupt?« Wütend gestikulierte sie mit den Armen. »Um den verfluchten Krieg, die Partisanen? Das hat uns allen immer nur Unglück gebracht! Sie haben überhaupt keine Ahnung! Verschwinden Sie, lassen Sie uns in Frieden! Schwester!«, rief sie aufgebracht.

Oda riss ihre Tasche an sich und lief aus dem Zimmer. Auf dem Gang traf sie zwei Ärzte. »Entschuldigung, behandeln Sie Signora Gambetti?«

»Sind Sie mit der Signora verwandt?«, fragte der Ältere.

»Nein, befreundet. Wie geht es ihr? Sie wird doch wieder gesund?«

»Tut mir leid, aber wir dürfen Ihnen keine Auskunft erteilen«, war die knappe Antwort und die Herren verschwanden mit wehenden Kitteln im Nachbarzimmer.

Eine junge Schwester afrikanischer Herkunft hatte die Szene beobachtet und schob ihren Essenswagen bis auf Odas Höhe. »Ich habe Sie drinnen gehört, Signorina.« Sie verdrehte vielsagend die Augen. »Mich hat die Signora auch schon so angefahren. Also, von mir haben Sie es nicht, aber ich habe gehört, wie der Dottore über die alte Signora gesprochen hat. Sie hat eine gebrochene Rippe und ein Gerinnsel im Kopf, aber nichts Lebensbedrohliches. Sonst läge sie nicht hier.«

»Faustina, auf der drei warten sie auf dich«, rief eine andere Schwester vom Tresen in der Mitte der Station.

»Danke!«, sagte Oda zu der hilfsbereiten Krankenschwester und eilte davon.

Bevor sie sich in weitere Spekulationen über Nellas Unfall verstieg, musste sie mit Sandro sprechen. Gemeinsam mit Basilio hatte er seine Großmutter gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Basilio, der schweigsame Mitarbeiter der Gambettis, der Mann für alles, der mit seiner Frau seit Jahren auf dem Hof arbeitete. Die beiden kannten jedes Familienmitglied und wahrscheinlich auch deren Geheimnisse. In der Halle vom Ospedale San Donato suchte sie eine Toilette auf und wusch sich notdürftig. Im Auto zog sie sich ein frisches T-Shirt über.

Die Dämmerung setzte ein, als Oda die Autobahn verließ und in gemächlichem Tempo durch die Hügel des Chianatales fuhr. Das weiche Licht tauchte die malerische Landschaft in ein Meer aus Orangetönen. Sie genoss den Anblick der Zypressen und fühlte ihren Puls ruhiger werden. Die Sorge um Nella blieb, aber es war gut, wieder hier zu sein.

Ciggiano kam in Sichtweite. Es gab viele Dinge, die sie noch klären musste, überlegte Oda. In der Eile hatte sie vergessen, Signore Matani zu sagen, dass sie nach Casole kam. Nun, im Zweifelsfall musste sie einfach die Blumentöpfe vor der Haustür durchsuchen. Das Rattern der Räder auf dem Weiderost lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Straße vor sich. Als sie um die Kurve bog, sah sie einen Jeep auf der Weide und im Hof einen Geländewagen mit Anhänger neben Sandros staubigem Gefährt. Das konnte nur Komplikationen mit den Tieren bedeuten.

Brunos begrüßte sie freudig bellend, während Rosa wenig erfreut aus dem offenen Küchenfenster schaute. Vielleicht in Erinnerung an Odas Einsatz bei ihrem verwundeten Ehemann rang sich die Haushälterin ein Lächeln ab.

»Signorina Bergemann, kommen Sie doch herein!«

»Rosa, wie schön, Sie zu sehen. Bitte, nennen Sie mich Oda.«

Die Haushälterin wischte ihre Hände in einem Handtuch ab und umarmte sie flüchtig. Rosas graues Haar wirkte ungepflegt und ihre Augen waren rot und verweint. Hinter ihr dampfte es aus zwei Töpfen auf dem Herd und aus dem Ofen zog Bratenduft. »Signorina, setzen Sie sich. Möchten Sie etwas zu trinken?«

Fahrig griff sie nach einem Glas, das ihr aus der Hand rutschte und auf dem Boden zerbrach. »Ach, alles geht schief …!«, schluchzte Rosa und wollte sich nach den Scherben bücken, doch Oda kam ihr zuvor.

»Lassen Sie, ich mache das schon. Was kochen Sie denn? Es duftet einfach himmlisch!« In einer Ecke neben der Speisekammer fand Oda Handbesen und Schaufel und machte sich ans Auffegen. »Ich bin wegen Ihres guten Essens gekommen, Rosa.«

Die Haushälterin schniefte, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und musterte sie skeptisch. »Sie kommen immer dann, wenn etwas Furchtbares passiert.«

»Ja, leider. Ich wünschte, es wäre nicht so. Aber ich bin nicht verflucht, falls Sie das meinen …« Sie grinste, doch Rosa rümpfte unwillig die Nase.

»Ich bin abergläubisch, aber nicht dumm. Die Signora hatte einen Unfall, da waren Sie nicht hier und die Tiere sind auch vorher krank geworden«, stellte sie schlicht fest.

»Puh, dann bin ich also von der Liste der Verdächtigen gestrichen.«

Rosa holte ein neues Glas aus dem Schrank, füllte es mit Leitungswasser und stellte es auf den Tisch. »Mit dem Essen dauert es noch. Bevor Signore Sandro draußen nicht fertig ist, wird nicht gegessen.«

»Was ist denn mit den Tieren? Geht hier die Maul- und Klauenseuche um?« Das war die einzige Rinderkrankheit, die Oda einfiel. Sie leerte das Glas in einem Zug und nahm sich eine Orange aus dem Obstkorb in der Tischmitte.

Rosa schüttelte den Kopf und schaute in einen der Töpfe. »Das wäre das Ende der Zucht. Wenn Sie schon mal erlebt hätten, wie das ist, wenn eine Herde an der Seuche krepiert, dann würden Sie keinen Scherz darüber machen.«

»Und was ist es dann?«

»Basilio meint, es ist eine Grippe. Das kommt vor, wenn die Tiere Angst haben, wenn Unruhe in der Herde ist. Und das war ja in diesem Sommer öfters so.«

»Wie geht es Ihrem Mann?« Hungrig steckte sich Oda ein großes Stück Orangenfleisch in den Mund.

»Soll sich noch schonen, sagen die Ärzte, aber die kennen meinen Basilio nicht. Der ist stark und zäh wie ein alter Olivenbaum.«

»Eine Grippe. Aber daran sterben die Rinder nicht, oder?«

»Fragen Sie den Dottore, der ist noch draußen bei den Männern. Ein Kalb ist schon gestorben.« Rosa rührte langsam mit einem Holzlöffel in einem Topf, aus dem es nach Risotto roch. Das Gespräch schien für sie beendet.

Oda warf die Orangenschale in den Mülleimer, spülte sich die Hände ab und ging hinaus, um Sandro zu suchen. Die warme Abendluft streichelte ihre Haut. Automatisch sah sie zum Fasanengehege, wo jedoch kein Vogel zu sehen oder zu hören war. »Hey, Bruno«, sagte sie leise zu dem weißen Zotteltier, das ihr gähnend zum Stall folgte.

Oda grub ihre Hand in Brunos weiches Fell, als er sie streifte. Die Stalltore waren offen, nur zwei Hühner, die sich noch nicht zur Ruhe begeben hatten, scharrten im Stroh herum. Als Oda zwischen Heuballen und Traktor hindurch auf die Weide zuging, schaute sie bedrückt zum Waldrand hinüber, so als könne jeden Moment ein Schuss fallen. Was sich zwischen ihr und Nella im Krankenhaus abgespielt hatte, trug nicht unbedingt zu ihrer Beruhigung bei.

Bruno hob die Nase, wedelte mit dem Schwanz und bellte verhalten. Erwartungsvoll sah er Oda an. Gegen das Abendrot, das über den Baumwipfeln glühte und die Weide noch hinreichend erhellte, zeichneten sich die Umrisse von Männern und Rindern ab. Sie erkannte Sandro an seiner Haltung und ihr Herz machte einen Satz. Sie zog das Gatter auf und achtete nicht auf Bruno, der sich an ihr vorbei drängte.

»Wer hat den Hund hereingelassen? Bruno, ab!«

»Bruno, komm her«, rief sie freundlich und hoffte, dass der Hund sich von ihr hinausbringen lassen würde.

Als die nasse Schnauze ihre Hand berührte seufzte sie. »Guter Junge.«

Oda schob den Hund durch das Gatter und ging diesmal allein über die Weide. Es musste lange nicht geregnet haben, denn der Boden war hart und trocken. Je näher sie den Männern kam, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Ein Kalb lag auf dem Boden und eine Gruppe Mutterkühe stand mit ihren Kälbern in der Nähe. Ängstlich beäugten die Tiere das Geschehen. Basilio hockte neben dem Kälbchen und hielt einen Infusionsbeutel in die Höhe. Sandro stand mit sorgenvoller Miene neben einem breitschultrigen Mann von etwa fünfzig Jahren. Es musste sich um den Tierarzt handeln, denn er zog eine Spritze auf und trug eine Weste, deren Taschen mit Scheren und Klemmen gespickt waren.

»Oda!«, sagte Sandro matt.

Langsam trat sie näher. »Buona sera, Basilio.«

Der knorrige Mann nickte abwesend, streichelte weiter das kurzatmige Kälbchen und hielt den Infusionsbeutel fest. Als der Tierarzt sich bückte, um dem Tier die Spritze zu geben, ergriff Sandro Odas Hand und zog sie zur Seite. »Danke, dass du gekommen bist.«

Sie strich über seinen Arm und registrierte tiefe Falten zwischen seinen Brauen. »Was ist los?«

Er griff sich mit beiden Händen verzweifelt an den Kopf. Sein Polohemd war schmutzig, genau wie seine Hose. »Zuerst starb ein Kalb, dann fingen zwei andere an zu husten und jetzt ist die Hälfte der Kühe krank. Ein neues Virus der Rindergrippe. Sie waren fast alle geimpft, bis auf die beiden neuen und die haben es wohl mitgebracht.«

Der Tierarzt erhob sich, drehte die Kanüle von der Spritze und verstaute beides in seiner Tasche. »Für heute sind wir durch, Signore Gambetti. Die Infusion ist gleich durchgelaufen. Es sollte dann aber wieder auf die Beine kommen. Lassen sie es zu seiner Mutter, es muss trinken.«

»Ist durch, Dottore«, meldete Basilio.

Mit geübten Handgriffen entfernte der Tierarzt die Kanüle, sprach dabei beruhigend auf das Kalb ein, das ein wenig zuckte und dann versuchte, auf die Beine zu kommen.

»Gut so. Hilf ihm«, sagte der Tierarzt zu Basilio, der das schwache Kalb umfasste und zu einem der Muttertiere führte, das schon ungeduldig schnaubte.

»Dottore Cencio.« Sandro schüttelte die Hand des Veterinärs. »Ich weiß nicht, was wir ohne Sie gemacht hätten.«

»Dafür bin ich da. Wenn wir Glück haben, bleibt es bei einem Ausfall. Aber ich komme morgen Vormittag noch einmal vorbei und natürlich sofort, falls ein Notfall eintritt.« Cencio schwitzte und seine Kleidung war mit Dreck und Blut verschmiert. Er hatte ein zerfurchtes, wettergegerbtes Gesicht mit gütigen Augen. Energisch hob der untersetzte Mann seine Tasche vom Boden auf und kontrollierte sein Handy.

»Wollen Sie mit uns essen?«, fragte Sandro.

»Leider kann ich nicht. Der nächste Patient wartet. Und ich weiß, wie gut Rosa kocht. Heben Sie mir etwas auf!« Er grinste und winkte, schon im Gehen.

Sandro atmete tief aus. »Feiner Kerl. Ohne ihn hätten wir mehr als ein Tier verloren.«

Die Sonne war beinahe hinter den Hügeln verschwunden und ein letzter glutroter Streifen schimmerte noch am Horizont. Sie hörten Cencio davon fahren. Der Weiderost klapperte unter seinem schweren Jeep, dann wurde es still. Eine Weile standen Sandro und Oda nebeneinander und lauschten den Geräuschen der Tiere. Basilio war es gelungen, das kranke Kälbchen zum Trinken am Euter der Mutterkuh zu bewegen. Ein Lächeln entspannte das zerfurchte Gesicht als er Sandro zunickte.

»Gut gemacht.«, sagte dieser, bevor er sich Oda zuwandte. »Komm, gehen wir ein Stück.«

In einträchtigem Schweigen schritten sie über die Weide. Sandro öffnete das Gatter und ließ sie hindurchtreten. Es roch nach Stroh, Tieren und den Kräutern des Abendessens. Oda drehte sich dem Sonneuntergang entgegen. Wenn der Tag sich verabschiedete, hielt das Leben inne und die Natur atmete auf. Sandro stellte sich hinter Oda, legte seine Arme um sie, und sie standen einfach nur da und beobachteten, wie die Nacht die Glut des Tages löschte.

»Nach allem …«, murmelte sie und spürte, wie Sandro sie zu sich umdrehte. Alles andere war vergessen. Ich habe dich so vermisst, dachte Oda, und schlang ihre Arme um seinen Körper. Als er sie küsste, durchströmte sie ein Gefühl von Wärme und Vertrautheit, dessen Intensität sie überraschte und ängstigte. Er hatte es selbst gesagt - keine Verpflichtungen. Doch jede seine Berührungen schien ein Versprechen und sein leidenschaftliches Lippenbekenntnis verwischte Odas Bedenken.

Er hielt inne, strich über ihre Haare und legte seine Finger unter ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. »Lass uns essen. Und dann erzählst du mir, wie es Nonna geht.«

Oda lächelte und überlegte angestrengt, wie sie ihm ihre Bedenken wegen des Erpresserbriefes beibringen konnte, ohne Nella zu verraten.