Die Toskana ist ein Sehnsuchtsland, damals wie heute. Seine landschaftliche Schönheit und kulturellen Schätze begeistern die Menschen seit Jahrhunderten. Für die Recherche zu einem historischen Roman quartierte ich mich vor einigen Jahren in Casole d’Elsa ein. Einige Monate lebte ich in einem umgebauten ehemaligen Kloster und genoss jeden Morgen den Blick über die Hügel bis San Gimignano.
Casole d’Elsa liegt malerisch auf einem Hügel und wurde liebevoll restauriert. Innerhalb der alten Stadtmauer erheben sich fast ausschließlich historische Häuser rund um die Piazza an der Kirche Santa Maria Assunta. Ganz in der Nähe liegt auch das Verrocchio Art Centre des englischen Bildhauers Nigel Konstam.
Die Menschen in Casole waren sehr herzlich und gastfreundlich und bildeten eine interessante Mischung aus Einheimischen, Zugewanderten und temporären Besuchern, wie mir. Italiener, Engländer und Amerikaner waren draunter, aber vor allem von einem örtlichen Architekten erfuhr ich viel über die Geschichte der Toskana. Ich fuhr nach Civitella, Inbegriff für die Greueltaten der Nazis während des Zweiten Weltkrieges.
Die Geschichte des Nationalsozialismus hat mich zeit meines Lebens beschäftigt. Und obwohl ich eigentlich an einem historischen Roman arbeitete, wuchs die Idee für einen zeitgenössischen Plot. In Civitella errichtete das faschistische Regime 1940 in der Villa Oliveto ein Internierungslager (campo di concentramento). Heute befindet sich in der Villa ein Dokumentationszentrum (Centro di documentazione sui campo di concentramento).
Der Ort liegt im Val di Chiana. Nachdem ich wusste, welches Grauen sich während des Krieges hier ereignet hatte, sah ich die Landschaft mit anderen Augen. Ich stellte mir vor, wie am 29. Juni 1944 die Division »Hermann Göring« mordend durch das Val di Chiana gezogen ist. Wie die Soldaten über 250 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, wahllos brutal ermordeten. Es handelte sich um eine sogenannte Sühnemaßnahme, wie die Deutschen die Vergeltungsaktionen für Partisanenanschläge nannten. In diesem Fall waren elf Tage zuvor in einer Gastwirtschaft in Montaltuzzo drei Wehrmachtssoldaten von Partisanen erschossen worden.
Ich begann, mich eingehend mit der Geschichte der Resistenza in Italien zu beschäftigen. Die italienische Bevölkerung hatte zuerst unter den Faschisten zu leiden, dann unter den nationalsozialistishcen Besatzern und schließlich unter einem Bürgerkrieg, der zusätzlich Tote forderte. Einen hervorragenden Beitrag zu diesem Thema liefert Friedrich Andrae: Auch gegen Frauen und Kinder, Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943-1945, Piper 1995.
Frauen leisteten in der Resistenza Unglaubliches, wie die Zeitzeuginnen Anita Malavasi, Giacomina Castagnetti, Laura Polizzi oder Liana Millu beweisen. Das European Resistance Archive bietet viel Material. Iris Origo (1902 – 1988), die englische Frau eines toskanischen Landbesitzers schrieb ihr Toskanisches Tagebuch 1943744, Kriegsjahre im Val d’Orcia, C.H.Beck 1991. Für mich ist dieses Tagebuch in seiner sachlichen Sprache und detaillierten, intelligenten Beobachtung der Geschehnisse eines der berührendsten Dokumente.
Auf dem Gut La Foce, das Iris Origo mit ihrem Mann Antonio Origo seit 1924 bewirtschaftete, wird noch immer Olivenöl produziert. Die Villa stammt aus dem 15. Jahrhundert und der herrliche Garten, den Cecil Pinsent für Iris Origo entwarf, ist für Besucher und Hotelgäste offen.
In der folgenden Zeit sammelte ich weiter Informationen über Hamburg und das KZ Neuengamme. (Sekundärlitertur Katalog: In den Tod geschickt. Die Deportation von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 140 bis 1945, Metropol 2009.)
Mit den zwei starken Frauenfiguren Nella und Dorle begann mein Roman. Die Geschichte um zwei Frauen, die gegensätzlicher nicht sein könnten und deren Schicksal durch die Liebe und den Krieg auf dramatische Weise miteinander verwoben wird.
»Trotzdem bin ich voller Zuversicht für unsere Zukunft. Der Wirbelsturm ist abgezogen, und wenn er auch große Verwüstungen hinterlassen hat, so können wir doch anfangen, neu aufzubauen.«
Iris Origo: Toskanisches Tagebuch 1943/44, Kriegsjahre im Val d’Orcia.