Die Sache mit dem Glück beschäftigte Albert bereits als Kind, besonders was das weibliche Geschlecht betraf, zerbrach er sich den Kopf darüber. Im Alter von sieben Jahren erlebte er mit, wie ein Kind zur Welt kam, und die Angelegenheit erschreckte ihn zutiefst. Wochenlang fragte er sich, warum die Frauen beim Gebären derart leiden mussten, und kam zu keinem richtigen Schluss. Er wusste nur eines: Großes Glück hatte ein Mann allein schon deshalb, weil er als Mann geboren worden war, zusätzlich konnte er dann noch sein Glück machen, indem er tüchtig war und es zu etwas brachte. Wohingegen eine Frau nur von Glück reden konnte, wenn sie bei einer Geburt nicht elendig starb. Er war froh, als Bub zur Welt gekommen zu sein.

Sein Vater Anton war derjenige, der die Hebamme holte, da ihn der werdende Vater darum bat. Dieser war Knecht beim Schmied und wohnte mit seiner Frau bei seiner Mutter auf einem kleinen Hof mit nur einem Feld und zwei Kühen, nicht weit entfernt von der Hofmühle. Er stand um die Mittagszeit in der Tür und knetete seinen Hut in den Händen, während er mit hochrotem Kopf seine Bitte vortrug. Er selbst besaß nicht einmal ein langsames Ochsenfuhrwerk und wusste von der Stute, die der Hofmüller vor einem Jahr gekauft hatte. Die Hebamme hatte er in ihrem Haus nicht angetroffen, von ihrem Gatten wusste er, dass sie sich bei einer Wöchnerin im Nachbarort aufhielt. Dorthin würde er zu Fuß länger als eine Stunde brauchen.

»Meine Frau liegt schon seit gestern Abend in den Wehen, und mir scheint, es stimmt was nicht«, sagte der Mann verlegen. »Ich würd dich sonst nicht fragen, Hofmüller.«

Während ihm Anton noch ungläubig ins Gesicht schaute — er wunderte sich, warum der Mann nicht schon früher die Hebamme holen gegangen war und auch warum er mit seiner Bitte nicht zu seinem Arbeitgeber ging —, scheuchte Rosa bereits Albert in den Stall.

»Leg der Mari das Geschirr und das Zaumzeug an«, sagte sie zu ihm, während sie in den Mantel schlüpfte. Zu ihrem Bruder gewandt sagte sie: »Ich hab seiner Frau Hilfe angeboten.«

Anton seufzte und schüttelte den Kopf. Seitdem seine Schwester aus Wien zurückgekommen war, konnte sie es nicht lassen, sich bei den Armen im Dorf als große Retterin in der Not aufzuspielen, obwohl er sie immer wieder gebeten hatte, in der Hinsicht etwas zurückhaltender zu sein. Güte wurde ausgenutzt, war seine Meinung, oder anders ausgedrückt: Gibt man dem Teufel den kleinen Finger, so greift er nach der ganzen Hand.

Albert begleitete seinen Vater, durfte ab und zu die Zügel halten. Auf dem Rückweg saß die Hebamme vorne am Bock, sie trieb Anton zur Eile an, er redete kein Wort mit ihr. Albert spürte, dass seinem Vater die Situation nicht behagte: Er musste die teuer erstandene Stute, die er wie seinen Augapfel hütete, für etwas schinden, das ihm keinerlei Nutzen brachte. Er tat einem Mann, den er nicht ausstehen konnte, einen Gefallen, indem er eine Frau im Nachbarort abholte, die er ebenfalls nicht sonderlich leiden konnte. Schließlich jagte er das Pferd im Galopp bis zum Hof des Mannes, er wollte keine schlechte Nachrede im Ort haben. Die Frau bedankte sich, kletterte vom Wagen und verschwand im Haus, der Vater stieg ebenfalls ab und tätschelte sorgenvoll Maris schweißnassen Hals und Bauch.

»Ich muss sie trockenreiben, sonst wird sie krank. Das hätte mir noch gefehlt«, sagte er. »Steig ab. Du fragst deine Tante, ob sie etwas braucht, und kommst dann nach Hause.«

Mit flauem Magen und zittrigen Knien — er war bei der rasanten Fahrt ziemlich durchgerüttelt worden — stand Albert im Hausflur. Aus der Kammer hinter der Küche drangen furchtbare Geräusche, er konnte sich nicht erklären, wie ein Mensch in der Lage sein konnte, solche Laute von sich zu geben, ihm wurde übel. Die Tür öffnete sich, und er hörte die Hebamme mit dem Mann schimpfen: »Warum hast mich nicht früher holen lassen? Hast geglaubt, ihr kommt ohne mich aus und du kannst dir meinen Lohn sparen, du Geizkragen?«

Der Mann, er war grau im Gesicht, trat heraus. Für einen kurzen Augenblick konnte Albert in den Raum hineinspähen, er sah das vor Schmerz verzerrte Gesicht der Frau, ihre weißen, gespreizten Beine und eine dunkle, blutige, haarige Öffnung, in der die Hand der Hebamme steckte. Der Mann schlurfte an ihm vorbei in die Küche, und Albert hockte sich auf den Boden, um nicht umzufallen. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis seine Tante aus der Kammer kam, beinahe wäre sie über ihn gestolpert.

»Was tust du hier?«, fuhr sie ihn an.

»Ich soll dich fragen, ob du etwas brauchst«, stammelte er. »Hat der Vater gesagt.«

»Herrgott nochmal«, sagte sie. »Was soll ich schon brauchen?« Sie zog ihn hoch. »Ein Wunder wär nicht schlecht. Geh nach Haus, Bub, das ist nichts für dich.«

»Wird alles gutgehen?«, fragte er ängstlich.

Sie hob nur hilflos die Hände. Albert wankte ins Freie, es dämmerte bereits. So schnell er konnte lief er in die Talsenke hinunter, Licht drang aus dem kleinen Stallfenster, der Vater war also noch mit Mari oder den Schweinen beschäftigt. Albert lehnte sich an die Stallmauer und erbrach sich. In der Nacht kam seine Tante nach Hause, er stand auf und schlich in ihre Kammer.

»Ist es ein Bub oder ein Mädchen?«, fragte er sie.

»Ein Mädchen.«

»Wie geht es der Mutter?«

Seine Tante zögerte. »Es war eine schwere Geburt. Das Kind ist mit den Beinen zuerst gekommen. Wir hoffen, dass beide die Nacht überleben.«

»Kommt denn ein Kind normalerweise nicht zuerst mit den Beinen?«

Er hatte sich immer vorgestellt, dass zuerst seine Füße geboren worden waren, dass er regelrecht auf die Welt gesprungen war.

»Nein«, sagte Tante Rosa, »ein Kind kommt mit dem Kopf zuerst zur Welt.«

Am liebsten hätte er sich neben seine Tante ins Bett gelegt, um mit ihr noch ein bisschen zu reden, doch mit seinen sieben Jahren war er zu alt dafür, sein Vater hatte es ihm schon vor längerem verboten, er kroch zurück in sein Bett. Bestimmt hatte sich der Mann einen Sohn gewünscht und war enttäuscht, dachte er. Mit einem Sohn ging alles weiter, für die Tochter musste man einen guten Mann finden und ihr obendrein eine Aussteuer mitgeben, das bedeutete Sorgen und Mühsal. Albert wusste das, es war allgemein bekannt, ohne dass ständig darüber gesprochen worden wäre. Sein Vater hatte ihm erzählt, wie glücklich er über seine, Alberts, Geburt gewesen war. Seine arme Mutter war wenige Tage darauf an hohem Fieber gestorben, und manchmal hätte Albert gerne seinen Vater gefragt, ob er lieber eine vierte Tochter gehabt hätte, wenn die Mutter dafür am Leben geblieben wäre, traute sich jedoch nicht. Vor welcher Antwort er sich mehr fürchtete, hätte er nicht sagen können.

Albert wälzte sich im Bett herum, er bekam das Bild der gebärenden Frau nicht aus seinem Kopf. Er hatte schon vorher gewusst, dass die Geburt eines Kindes für die Mutter schmerzhaft war, doch was er gesehen hatte, überstieg seine Vorstellungskraft bei weitem.

»Gottes Schöpfung ist unendlich, und jede noch so winzige Kleinigkeit hat darin ihren Sinn«, hatte der Pfarrer einmal im Religionsunterricht gesagt. Wenn dem so war, hatte das Leiden der Frauen also einen Grund.

In der Schule nahm Albert seinen ganzen Mut zusammen und fragte den Pfarrer danach. Er wurde puterrot dabei, auch den meisten der Mädchen stieg vor Scham das Blut in den Kopf. Der Pfarrer war entsetzt darüber, dass Albert die Geschichte von Adam und Eva noch nicht kannte.

»Ich werde mit deiner Tante ein Wörtchen reden müssen«, sagte er, und es klang beinahe drohend.

Er erzählte ausschmückend und ereifernd vom ersten Menschen Adam, den Gott als Krone der Schöpfung aus Lehm geformt und ihm mit seinem Atem Leben eingehaucht hatte. Adam, der im Paradies lebte, fühlte sich einsam, und Gott erkannte, dass es gut wäre, wenn er eine Gefährtin hätte. Aus einer Rippe Adams wurde Eva geschaffen, die beiden waren glücklich im Paradies, bis sie eines Tages eine Frucht von einem Baum aßen, von dem zu essen ihnen Gott verboten hatte. Eine Schlange verführte Eva, und sie wiederum überredete Adam, ebenso von dem Baum zu essen. Daraufhin war Gott erzürnt und verjagte die zwei aus dem Paradies, sie sollten fortan hart arbeiten müssen, um ihr Leben fristen zu können. Der Frau kündigte Gott an, dass sie ihre Kinder unter Schmerzen gebären werde.

Die Mädchen saßen mit gesenkten Köpfen da, als der Pfarrer mit den Worten schloss: »Die Frau hat sich durch ihren Ungehorsam als schlechtes, verderbtes Wesen herausgestellt, und Gott bestraft sie mit den Qualen, die sie bei der Geburt ihrer Kinder erleiden muss.«

Ganz zufriedenstellend fand Albert die Erklärung des Pfarrers nicht. Seiner Meinung nach war die Strafe Gottes eindeutig zu hoch bemessen, auch er stahl immer wieder Äpfel, Birnen und Zwetschken und verleitete seine Freunde, es ihm nachzumachen. Immerhin hatte Eva den Baum, den Gott offensichtlich sehr liebte, ja nicht umgehackt, sondern lediglich einen einzigen Apfel davon genommen. Noch etwas, was der Pfarrer gesagt hatte, wollte ihm nicht aus dem Kopf. Die Frau war verderbt und schlecht? Wenn er im Geiste die Frauen in seiner Umgebung durchging, kam er zu dem Schluss, dass sie freundlicher und fürsorglicher als die Männer waren. Allein wenn er seinen Vater und seine Tante betrachtete: Der Vater war wortkarg und mitunter auch grantig, seine Tante, die zwar resolut sein konnte, war eine liebevolle Person. Er hatte von Männern gehört — und auch mit eigenen Augen gesehen —, die Kinder, Dienstboten, Vieh, Ehefrauen sehr grob behandelten, auch verprügelten, umgekehrt hatte er das nie miterlebt.

Bei der Weihnachtsbeichte platzte es im Beichtstuhl aus ihm heraus: »Ich empfinde seit Wochen Freude darüber, ein Mann zu sein! Ist das Hochmut?« Albert hörte ein leises Glucksen. Lachte der Pfarrer über ihn?

»Bist du denn schon einer?«, ertönte die Stimme hinter dem Gitter.

»Ich meine«, stotterte er, »ich bin froh, dass ich nicht als Mädchen geboren worden bin und später keine Frau, sondern ein Mann bin.«

»Gott verzeiht dir«, sagte der Pfarrer. »Die Frau ist dem Mann unterlegen, er muss sie lenken. Deshalb ist es gut, dass du mit Stolz ein Mann bist.«

Als er beim Mittagessen seinen Vater und seine Tante vor sich sah, dachte er, dass der Pfarrer Unrecht gehabt hatte: Sie lenkt ihn, und er ist ihr unterlegen, und zwar in allem. Nur was die Körperkraft betraf, war es umgekehrt, der Vater konnte einen Vierzigkilosack Mehl schleppen, die Tante nur einen Zwanzigkilosack, da sie aber mit dem leichteren Sack ein bisschen schneller war, lief es am Ende auf fast dasselbe hinaus.

Und noch etwas dachte er: Welch ein Glück haben meine Schwestern und ich gehabt, dass Tante Rosa keine Kinder bekommen hat und deshalb bei uns leben kann.