Anton war Mitte dreißig, als er seine Frau Alberta auf einem Kirchtagsfest im Nachbardorf kennenlernte, sie war unscheinbar und bereits über dreißig, eine billige Arbeitskraft auf dem Hof ihres Bruders, die für Kost und Logis schuftete. Der Müller besuchte sie jeden Sonntag, was dem Bauern gar nicht behagte, und fragte sie bereits nach zwei Monaten, ob sie ihn nicht heiraten wolle.
Die Hochzeit wurde im engsten Familienkreis gefeiert, und es wollte keine rechte Stimmung aufkommen, gerade so, als ob sich die Verwandten des ältlichen Brautpaares schämten. Doch allen getuschelten Schmähungen zum Trotz wurde das Paar nicht nur glücklich, sondern aufgrund ihrer beider unermüdlicher Arbeit auch wirtschaftlich erfolgreich. Von Antons Erspartem und der kleinen Mitgift, welche die Frau nach langem Feilschen von ihrem Bruder bekommen hatte — der Pfarrer musste einschreiten —, wurden Wehrbach und Mühlrad saniert und ein zweiter Mahlstein angeschafft.
Drei Mädchen kamen hintereinander zur Welt, wurden ohne Komplikationen geboren, die Mutter stets wohlauf und schnell wieder bei der Arbeit, die kräftigen Säuglinge überlebten alle und entwickelten sich prächtig: Es grenzte fast an ein Wunder. Obwohl er es nicht zugegeben hätte, schmerzte ihn das blöde Gerede im Wirtshaus nach der Geburt der dritten Tochter, ob er denn nicht schon genug Weiber zu Hause habe. Tapfer lachte er mit den Männern mit. Er liebte seine kleinen Mädchen, seine stille Frau, sie war keine Schönheit, aber ihm von Herzen zugetan, von früh bis spät war sie auf den Beinen, scheute auch vor Männerarbeit nicht zurück, nie murrte sie, sie wärmte ihn gerne in den Nächten, obendrein waren ihre Kochkünste nicht zu verachten. Seitdem sie an seiner Seite war, empfand er wieder Lebensfreude, und die Tage erschienen ihm nicht mehr sinnlos. Das Einzige, was fehlte, war ein männlicher Nachkomme, und was das betraf, lief ihm die Zeit davon, er war bereits über vierzig, die Frau knapp davor.
Dann endlich, die Frau erwartete wieder ein Kind, und der heißersehnte Sohn wurde Ende August 1848 geboren. Der Vater musste notgedrungen die Arbeit in der Mühle unterbrechen und als Geburtshelfer fungieren, da die Hebamme, der er schon Stunden zuvor Bescheid gesagt hatte, nicht auftauchte. Sie war gerade bei einer Frau, die vor wenigen Tagen entbunden hatte und an hohem Fieber litt. Der winzige Kopf wurde sichtbar, trat zur Gänze hervor, ihm wurde angst und bang, er betrachtete seine großen, mehlbestaubten Hände und wusste nicht, was er tun sollte, er verfluchte innerlich die Hebamme. Vorsichtig fasste er nach dem Köpfchen, die Frau presste laut stöhnend ein letztes Mal, die Schultern kamen hervor, und schließlich hielt er den blutigen Säugling in seinen Händen. Das Erste, was er entdeckte, war das Geschlecht, und eine Welle der Freude und des Glücks durchströmte ihn. Dann fiel ihm auf, dass das Neugeborene nicht schrie, und er bemerkte die um den Hals gewickelte Nabelschnur.
»Jetzt bekomm ich endlich einen Buben, und er stirbt mir weg, weil das vermaledeite Weib nicht auftaucht!«
Im selben Augenblick stürmte die Hebamme zur Tür herein, mit geübtem Griff befreite sie das Kind von der Nabelschnur, es gab quiekende Laute von sich, welche in ein dünnes Brüllen übergingen. Erleichtert lachte der Vater auf, um gleich wieder verdutzt dreinzuschauen, die Hebamme hatte ihm eine Ohrfeige verpasst.
»Mich nennt keiner ein vermaledeites Weib«, sagte sie, »merk dir das, Müller!«
Im Dorf erzählte man sich diese Geschichte unter großem Gelächter, und Anton befand sich in einem regelrechten Freudentaumel. Zwei Tage darauf begann Alberta stark zu fiebern, sie redete im Wahn und erkannte ihren Mann und ihre Kinder nicht mehr. An Fieber starben im Dorf immer wieder Wöchnerinnen, warum es bei manchen Frauen auftrat, bei anderen wiederum nicht, konnte aber niemand sagen, geschweige denn, dass sie jemand retten hätte können. Ihr Sterben mitansehen zu müssen, war furchtbar für Anton. Die drei kleinen Mädchen waren vom Bett der Kranken nicht wegzubekommen, sie flehten die Mutter an, doch endlich wieder aufzustehen. Der Säugling brüllte vor Hunger, die Hebamme brachte ihn zu einer jungen Bäuerin, die vor kurzem entbunden hatte, und bat sie, dem Kind die Brust zu geben, damit es überlebte. Die junge Frau, Mutter einer drei Monate alten Tochter, reagierte empört: Was hatte sie mit dem Balg des Müllers zu schaffen? Doch da die Hebamme nicht aufhörte, an ihre christliche Nächstenliebe zu appellieren, erklärte sich die junge Frau schlussendlich bereit, den Buben bei sich zu behalten. Das Versprechen des Müllers, das Getreide der zwei Felder unentgeltlich zu mahlen und eine halbe Sau draufzugeben, gab dabei den Ausschlag.
Der Arzt verschrieb der Hofmüllerin einen fiebersenkenden Kräutertee und eine Salbe, eine Woche nach der Entbindung lag sie tot im Bett. Der verzweifelte Witwer musste trotzdem das hohe Honorar bezahlen, nicht ein Kreuzer wurde ihm erlassen, seine Abneigung gegenüber Ärzten — und allen studierten Männern — wurde daraufhin noch größer. Einmal spuckte er nach dem sonntäglichen Kirchgang dem Arzt und seiner Frau vor die Füße, der Pfarrer rügte ihn und drängte ihn zu einer Entschuldigung, die er verweigerte.
Da er so schnell keine Magd fand — er hatte den Ruf, ein Geizkragen zu sein —, sah er sich gezwungen, Verwandte zu bitten, sich der beiden jüngeren Mädchen anzunehmen. Die ältere Tochter wollte er bei sich im Haus behalten, sie sollte sich, so gut es eben ging, um den Haushalt kümmern. Die Gastwirtin der Linde erklärte sich bereit, die Fünfjährige bei sich aufzunehmen, jedoch nicht die Dreijährige, das wäre bei der vielen Arbeit einfach nicht möglich, beteuerte sie. Sie gab ihm den Rat, Rosa einen Brief zu schreiben, ihr seine Misere zu schildern und sie zu fragen, ob sie bereit wäre, eine Zeitlang auszuhelfen, bis die Kinder etwas größer waren und eine tüchtige Magd oder eine neue Frau gefunden war. Er schaute sie ungläubig an, auf den Gedanken, seiner Schwester zu schreiben, wäre er nie im Leben gekommen, sie war nur noch ein Schatten in seiner Erinnerung. Sie war vor zwei Jahrzehnten fortgegangen, anfangs hatte sie noch viele Briefe geschrieben, bis sie auch damit aufgehört hatte, nur einen schrieb sie noch zwischen Heiligabend und Neujahr.
»Den Teufel werd ich tun«, knurrte Anton. »Sie ist nach dem Tod der Eltern nicht gekommen. Warum sollte sie jetzt aufkreuzen, wo sie meine Frau nicht einmal gekannt hat.«
Beim Begräbnis musste Anton wohl oder übel seinen Schwager, mit dem es vor vielen Jahren Streit wegen der Aussteuer gegeben hatte, bitten, das jüngste Mädchen aufzunehmen. Es brach ihm das Herz, als er sie an der Hand der Schwägerin weggehen sah, mehrmals drehte sie sich weinend nach ihm um. Zwei Wochen nach dem Tod der Frau fand er sich mit einer erstarrten Sechsjährigen in einem verdreckten Haus wieder und haderte mit Gott.
»Mein ganzes Leben lang hast du mich nicht beachtet, und als es mir endlich gut ging, musstest du mir mein Glück zerstören! Warum? Hast du geglaubt, ich werde übermütig?«, schimpfte er vor sich hin.
Als Emma sich in die Hand schnitt, die Wunde sich entzündete und der Doktor das eitrige Fleisch wegschneiden musste, während er das brüllende, um sich schlagende Mädchen festhielt — und der Doktor beim Abschied obendrein ankündigte, falls der Wundbrand nicht zurückgehe, müsse er amputieren —, entschloss er sich, den Brief zu schreiben. Wenn er auch seine Schwester nicht zur Heimkehr bewegen konnte, so sollte sie doch wissen, wie es um ihn und die Kinder stand. Und er würde sich später nicht vorwerfen können, er hätte nicht alles versucht. Nachdem das wimmernde Kind erschöpft auf der Ofenbank eingeschlafen war, setzte er sich an den Küchentisch und begann Rosa einen Brief zu schreiben, in dem er ihr sein Leid klagte.
Es war das zweite Mal, dass er ihr schrieb, seitdem sie vor zwanzig Jahren das Elternhaus verlassen hatte. Im ersten Brief hatte er ihr erzählt, dass die Eltern gestorben waren, beide innerhalb eines Winters, es war bereits eine Ewigkeit her. Damals hatte er noch gehofft, er könne sie mit seiner Nachricht zur Heimkehr bewegen. Sie hatte ihm umgehend mit den Zeilen geantwortet, er möge doch das Grab der Eltern mit Blumen schön richten und eine Messe für sie lesen lassen, dem Schreiben war ein Gulden beigelegt, mit den Worten Such dir eine liebe Frau! Deine stets an dich denkende Schwester hatte er geendet. Als wäre das so einfach!, dachte er wütend und weiter: Wenn du stets an mich denkst, komm doch her und unterstütz mich, bis ich eine liebe Frau gefunden hab! Er zerknüllte den Brief und schmiss ihn auf den Boden. Später strich er ihn wieder glatt und legte ihn zu den anderen in die Schublade, er hob alle Briefe Rosas auf. Sie berichtete von ihrem Alltag, von den Eigenheiten ihrer Herrschaft, von Ausflügen in Lokale, die man als Heurige bezeichnete, von einem Tanzbären in einem kleinen Zirkus, von einem Theaterstück, bei dem sie und eine Freundin Stehplätze ergattert hatten. Manchmal verärgerten ihn diese Zeilen, besonders die, welche sie über den freien Sonntag schrieb — er war ihr nach einigen Dienstjahren genehmigt worden —, sie klangen stets, als wäre das Leben ein einziges Honiglecken. Sie war seine Schwester, obendrein unverheiratet, es war ihre von Gott gegebene Pflicht, ihm beizustehen! Zum Abschluss fragte sie ihn jedes Mal nach seinem Befinden und forderte ihn auf, sie in Wien zu besuchen: Wenn ich rechtzeitig weiß, wann Du kommst, kann ich mir ein paar Tage freinehmen und Dir die Stadt zeigen. Ich bin mir sicher, sie wird Dir gefallen.
Dreimal begann er seinen Brief von neuem. Wenn er an seine Kinder dachte, kamen ihm die Tränen, die auf das Papier tropften und einzelne Buchstaben oder ganze Wörter verwischten. Ihm fiel ein, dass Rosa nicht einmal wusste, dass er Kinder hatte, dass er geheiratet hatte, er hatte ihr ja nie geantwortet. Er begann also mit den Sätzen: Am letzten Dienstag wurde meine geliebte Alberta begraben. Ich habe sie vor sieben Jahren vor den Traualtar geführt. Die letzten Jahre waren die glücklichsten meines Lebens. Er berichtete ihr von der kleinen Katharine, die ihr, Rosa, sehr ähnlich sah, dass er hoffte, dass der Sohn, der bei einer Bäuerin in Pflege war, überlebte und dass die Verwandten seiner verstorbenen Frau die jüngste der Töchter, Josephine, nicht allzu grob behandelten, dass sich Emma, die Älteste, ein sehr vernünftiges, tüchtiges Mädchen, die Hand schwer verletzt hatte und nicht sicher war, ob sie nicht amputiert werden musste. Diese eine Übertreibung erlaubte er sich, ob Daumen oder Hand kommt auf dasselbe hinaus, dachte er, ohne Daumen ist eine Hand praktisch nutzlos. Zum Schluss überlegte er, ob er tatsächlich die Bitte hinzufügen sollte, sie möge doch nach Hause kommen und seinen Kindern vorübergehend eine Mutter sein, oder ob es ausreichend war, von seinem Leid zu erzählen. Da es ihm zuwider war zu betteln, unterließ er es. Er schloss mit dem Satz: Wenn ich an meine mutterlosen Kinder denke, sind meine Trauer und meine Verzweiflung so groß, dass ich sie nicht beschreiben kann.
Ich weiß, dass sie nicht zurückkommen wird, dachte er, als er das Kuvert zuklebte, vermutlich ist sie eine richtige Stadtdame geworden, wir sind uns fremd und haben uns nichts zu sagen.