Einige Monate, bevor Anton seinen Krieg mit Gott führte, hatte in Wien eine Revolution begonnen, von der man im Mühlviertel nicht viel mitbekam. Beim sonntäglichen Frühschoppen hörte Anton den Männern zu, sie redeten vorwiegend über die Forderung der Bauern: die entschädigungslose Streichung ihrer Feudallasten. Erhitzt diskutierten sie über den Antrag auf Abschaffung des bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnisses, den ein junger schlesischer Medizinstudent namens Hans Kudlich im Reichstag — der ersten Volksvertretung in der Geschichte der österreichischen Monarchie — eingebracht hatte. Anton las in der Zeitung einen Auszug aus seiner flammenden Rede, die der Mann unter tosendem Applaus gehalten hatte: Es ist eine Ironie, wenn man hört, dass ein souveränes österreichisches Volk sich selbst eine auf demokratischen Grundlagen zu erbauende Verfassung geben will, doch in allen Provinzen herrscht ein Zustand, der im Wesentlichen von der alten Leibeigenschaft nicht sehr verschieden ist, so ist es im Widerspruche, wenn wir Untertanen neben Staatsbürgern sitzen haben!
Aus der Zeitung wusste er, dass der verhasste Staatskanzler Klemens Fürst Metternich zurückgetreten und nach London geflohen war und Kaiser Ferdinand I. einige Zugeständnisse gemacht hatte, die den Revolutionären nicht weit genug gingen. Was die einzelnen Forderungen betraf, kannte Anton sich bald nicht mehr aus, sie waren verwirrend für ihn und wurden es immer mehr, je öfter er die Zeitung aufschlug. Die Arbeiter forderten eine Verbesserung ihrer Situation, die Frauen weniger Unterdrückung und mehr Rechte. Das Bürgertum kämpfte für die Abschaffung der Zensur, für Versammlungs- und Meinungsfreiheit, für Lehr- und Lernfreiheit, vor allem aber für eine gewählte Volksvertretung im Parlament. Das kann nicht gutgehen, dachte er. Ende Oktober war es in aller Munde: Wien war von den kaiserlichen Truppen wieder eingenommen worden, Tausende waren gefallen.
Neun Wochen nachdem Anton seinen Brief abgeschickt hatte, stand Rosa mit einem Koffer und zwei Truhen vor dem Haus, ein Bauer aus dem Ort hatte sie auf seinem Fuhrwerk von der Donau-Schiffsanlegestelle in Obermühl nach Putzleinsdorf mitgenommen. Sie streckte ihm freundlich lächelnd die Hand entgegen, und er brauchte eine Weile, bis er seine Fassung wiedererlangte. Dass am 2. Dezember Kaiser Ferdinand I. abgedankt und sein Neffe Franz Joseph den Thron bestiegen hatte, las ihm bereits seine Schwester aus der Zeitung vor, und auch, dass der junge Kaiser noch vor der Beschlussfassung der neuen Verfassung den Reichstag aufgelöst hatte, der ihm ein Dorn im Auge gewesen war.
Er fragte sie, was sie von dem Ganzen halte, und sie sagte: »Wir können hoffen, dass der junge Kaiser es besser macht als der alte.«
Sie abonnierte eine Zeitung, und interessiert verfolgten beide die politischen Vorgänge. Das Einzige, das Kaiser Franz Joseph in den folgenden zwei Jahren konsequent vorantrieb, war die Umsetzung des Gesetzes, das auf Antrag des jungen Bauernsohnes Hans Kudlich vom Reichstag beschlossen worden war. Die Grundherrschaft wurde aufgehoben, allerdings nur gegen entsprechende Ablösezahlungen: Ein Drittel des Kapitalwerts hatten die Bauern ihrem ehemaligen Grundherrn zu erstatten, um als Besitzer eingetragen zu werden, ein Drittel löste der Staat den Grundherren ab, auf ein Drittel mussten sie verzichten. Die Bauern waren von Untertänigkeit, Robot und Zehent befreit, sie waren keine Untertanen mehr, sie waren Staatsbürger.
Im Herbst 1849, ein Jahr nach der Rückkehr seiner Schwester, wurde Anton der rechtmäßige Besitzer der Hofmühle mit all ihren Gebäuden und umliegenden Wiesen. Sein Grundherr, Graf von Salburg-Falkenstein, gewährte ihm — wie allen anderen ehemaligen Untertanen auch — eine Ratenzahlung auf einen längeren Zeitraum, Rosa riet ihm zu drei Jahren, nach langem umsichtigen Rechnen entschied er sich für fünf.