Katharine war die Erste, die aus dem Elternhaus auszog, mit einundzwanzig heiratete sie im Nachbarort den Sohn eines Schmieds, der in wenigen Jahren den wohlhabenden Betrieb des Vaters übernehmen sollte, Alfred war ein gutmütiger Mann und seine Eltern fürsorgliche Leute. Die Freude bei Anton und Rosa war groß, wohingegen bei Emmas Hochzeit, ein Jahr darauf, die Sorgen überwogen. Sie gab einem Bauern das Jawort, der um etliches älter als sie und Witwer war, er hatte bereits zwei kleine Kinder, bei der Geburt des zweiten war die Frau gestorben. Auf dem Hof lebten außer der Mutter noch zwei jüngere Geschwister, eines davon schwachsinnig, der Vater war bereits vor Jahren verstorben.
Rosa, die von Anfang an den Verdacht nicht loswurde, dass ihre aufopferungsbereite Nichte mehr aus Mitleid denn aus Liebe handelte, hatte Emma einige Male ins Gewissen geredet.
»Man heiratet nicht aus Mitgefühl, Emma«, sagte sie zu ihr, als der hartnäckige Werber das fünfte Mal hintereinander an einem Sonntag mit seinem Fuhrwerk vor der Hofmühle anhielt — er wohnte zwei Stunden Fußweg entfernt — , um sie zu einem Spaziergang abzuholen. »Wenn du keine Liebe für den Mann empfindest, musst du dem Ganzen ein Ende bereiten und besser heute als morgen. Du darfst in ihm keine falschen Hoffnungen wecken.«
»Ich weiß nicht, was ich für ihn empfinde, aber er ist so rührend um mich bemüht, dass ich mich geschmeichelt fühle«, erwiderte Emma.
»Es ist natürlich, dass er sich um dich bemüht. Er möchte schnell wieder heiraten, er braucht eine Mutter für die Kleinen, und obendrein hat ein Mann seine Bedürfnisse. Du bist jung und hübsch, wie könnte er sich da nicht um dich bemühen? Es ist für ihn von Vorteil, wenn du seine Frau wirst, nicht umgekehrt. Ob er der Richtige für dich ist, das kannst nur du entscheiden. Als Ehefrau hast du dich deinem Mann das ganze Leben lang unterzuordnen, dein Vater gibt dir immerhin die Freiheit, selbst zu entscheiden, wem du dich unterordnest. Triff die richtige Entscheidung.«
Emma entschied sich für Veit, und die Trauung fand im Heimatort des Bräutigams statt. Als Rosa und Anton am Tag darauf abreisten, stand die frischgebackene Ehefrau vor dem Haus und winkte ihnen nach, das jüngste Kind ihres Mannes am Arm, das andere an ihrem Rockzipfel hängend und plärrend, die alte verbitterte Mutter, die während des Hochzeitsfestes kein einziges freundliches Wort gesagt hatte, in der Haustür keifend, der schwachsinnige Junge um sie herumhüpfend. Es war Anton, der während des Heimwegs einen schweren Seufzer nach dem anderen machte.
Noch größere Sorgen machten sich Rosa und Anton um die Jüngste. Josephine hatte ihren Willen durchgesetzt und heiratete einen besitzlosen Mann, der nicht einmal eine Bleibe hatte, sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt, als er für einige Wochen in der Hofmühle arbeitete. Der lebenslustige Vinzenz stammte von einer kleinen Mühle in der Nähe von Linz, die sein ältester Bruder geerbt hatte. Nachdem er jahrelang unentgeltlich bei ihm mitgearbeitet hatte, wusste er sich keine andere Möglichkeit, als auf Wanderschaft zu gehen. Der Zufall führte ihn in die Hofmühle und schließlich in Josephines Arme. Anton setzte sich dafür ein, dass Vinzenz, den er von den drei Schwiegersöhnen am liebsten hatte, als Pächter in einer Mühle in einem Nachbarort akzeptiert wurde.
Obwohl er kein Interesse daran hatte, erlernte Albert nach der achtjährigen Schulzeit bei seinem Vater das Müllerhandwerk, er hatte keine Wahl. Er hätte gerne das Gymnasium in Linz besucht, studiert, er interessierte sich für Ingenieurwissenschaften, auch für Medizin, doch sein Vater erlaubte es ihm nicht, der einzige Sohn hatte den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Rosa hielt ihren Neffen an, viel zu lesen, was nicht nötig war, Albert las aus freien Stücken. Manchmal kam es deshalb zu Streitigkeiten zwischen den Geschwistern, Anton erinnerte sich daran, wie das viele Lesen bei seiner Schwester zu Unzufriedenheit geführt hatte.
Albert empfand weder Vorfreude noch Ehrgeiz bei dem Gedanken, die Hofmühle zu übernehmen, schon mit zwanzig verspürte er ein Gefühl des Überdrusses, als wäre er ein alter Mann und hätte diese Tätigkeit jahrzehntelang ausgeführt. Wenn er beim sonntäglichen Kirchgang ältere Männer, niedergedrückt von Arbeit und Verpflichtung, betrachtete, beschlich ihn Angst vor dem Leben, angesichts der Frauen, die noch älter und verbrauchter wirkten als ihre Männer, überkam ihn Verzweiflung. Von Rosas Erzählungen aus ihrem Leben in Wien wusste er, dass es Leute gab, denen Tür und Tor zur Welt offenstanden, weil sie die Mittel dazu besaßen. Er wäre liebend gerne einige Jahre gereist, bevor er der neue Hofmüller wurde.
Albert hatte Glück, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1868 kam seinen Wünschen entgegen, alle Männer, gleich welchen Beruf sie ausübten, hatten einen dreijährigen Militärdienst zu leisten. Mit zweiundzwanzig erhielt Albert seine Einberufung. Er entschied sich für die k. u. k. Kriegsmarine und verkündete im Vorhinein, er habe vor, länger als drei Jahre zu dienen, er wolle etwas von der Welt sehen. Anton, der zwar ein treuer Anhänger des Kaisers war und es nicht wagte, die Wehrpflicht laut zu kritisieren, wünschte sich, dass sein einziger Sohn in der Hofmühle blieb, sich eine tüchtige Frau suchte und Kinder in die Welt setzte. Er zählte dreiundsechzig Jahre und sah sich außerstande, die Mühle alleine zu betreiben. Wenn er jünger gewesen wäre — er spürte täglich schmerzhaft seine Knochen — oder mehr als einen Sohn gehabt hätte, wäre die Sache nicht so tragisch gewesen.
»Du kommst nach drei Jahren heim und heiratest!«, sagte Anton zu seinem Sohn.
Albert lachte auf und schüttelte den Kopf, mit dem Heiraten hatte er es nicht eilig.
»Ich werde es dir gleichtun und spät vor den Traualtar treten«, neckte er seinen Vater.
Vier Kinder habe ich, dachte Anton wehmütig, und nun soll ich alleine mit meiner Schwester im großen Haus das Alter verbringen, ohne eines der Kinder an meiner Seite, ohne Enkelkinder aufwachsen zu sehen. Man begab sich auf die Suche nach einem Gesellen, der in den Jahren von Alberts Abwesenheit dessen Platz einnehmen sollte. Es war ein schwieriges Unterfangen, denn Anton war mit keinem zufrieden, bis sich plötzlich eine andere Lösung ergab: Josephine und Vinzenz äußerten den Wunsch, die Hofmühle führen zu dürfen. Was Anton nicht wusste, war, dass Rosa ihnen den Vorschlag unterbreitet hatte, sie hatte gewusst, dass Josephine in den letzten Jahren in der abgelegenen kleinen Mühle nicht glücklich gewesen war. Der alte kinderlose Besitzer, der im Pachtvertrag Wohn- und Pflegerecht auf Lebenszeit festgeschrieben hatte, war ein Tyrann, der ihr das Leben täglich zur Qual machte.
Die Eheleute zogen in der Hofmühle ein, Anton war froh über diese Fügung, Josephine war immer sein Liebling gewesen. Für Albert wurde ein Abschiedsfest gefeiert, gemeinsam brachte man ihn nach Obermühl, wo er das Schiff nach Wien bestieg.
Er blieb zwölf Jahre lang fort. Nur zweimal kam er für wenige Tage auf Heimaturlaub nach Hause. Seinen Vater sah er nicht mehr, dieser starb im dritten Winter, nachdem sein Sohn fortgegangen war, an einer schweren Grippe.