Albert Theodor Brugger war auf Brautsuche, und die ganze Sache war für ihn eine sehr delikate, denn er hatte hohe Ansprüche an seine zukünftige Frau.
Sie sollte auf alle Fälle jünger als er sein, er wollte mit fünfzig keine Frau an seiner Seite haben, die aussah, als wäre sie seine Mutter, und es war allgemein bekannt, dass Frauen schneller alterten als Männer. Die meisten Männer in seiner Situation hätten — was ein etwas höheres Alter der Braut betraf — eher die Sorge angeführt, ob sie in der Lage sein würde, gesunden Erben das Leben zu schenken. Albert beschäftigte diese Frage weniger. Natürlich wünschte er sich einen gesunden Sohn, oder auch zwei, doch wenn er zu entscheiden hätte zwischen acht Kindern von einer verhärmten, abgezehrten Mutter und nur einer Tochter von einer fröhlichen, hübschen Frau, die ihm liebevoll zugetan war, würde er sich ohne zu zögern für Zweiteres entscheiden. Das war egoistisch, aber die Wahrheit, er konnte sich diesbezüglich keiner Selbsttäuschung hingeben. Es ging ihm rein um sein Wohlbefinden, um sein persönliches Glück. Zwei seiner Schwestern hatten genug Kinder zur Welt gebracht — er hatte immer noch Schwierigkeiten, sich die Namen der Nichten und Neffen zu merken, geschweige denn wusste er ihr Alter —, im schlimmsten Fall ginge der Besitz an einen Neffen über. Dass der Familienname des Hausbesitzers, der seit vielen Generationen derselbe gewesen war, dann ein anderer sein würde, war ihm gleichgültig. Diesen Teil der Überlegungen, seine zukünftige Braut betreffend, durfte Albert nicht mit seiner Tante Rosa teilen, er hätte für sie eine Ungeheuerlichkeit dargestellt. Sie hatte seit ihrem neununddreißigsten Lebensjahr nichts anderes getan, als ihrem verwitweten Bruder zu helfen, den Betrieb nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu vergrößern und die Kinder großzuziehen. Dabei hatte ihr größtes Augenmerk ihm gegolten, dem einzigen Sohn nach drei Mädchen, er sollte eines Tages Haus und Betrieb übernehmen, damit die männliche Linie nicht ausstarb.
Doch zu jung durfte die zukünftige Ehefrau auch nicht sein. Albert widerstrebte die Vorstellung, sich mit einem unreifen Mädchen abgeben zu müssen, das bei jeder Gelegenheit rot anlief und dabei womöglich noch kicherte. Er wünschte sich eine starke und selbstbewusste Frau, die sich ihm gleichzeitig unterordnete, ihn vergötterte, die liebevoll und sanft war, und auf keinen Fall zänkisch und rechthaberisch. Die Liste der Eigenschaften, die seine zukünftige Ehefrau haben sollte, war damit aber noch nicht zu Ende: Sie sollte hübsch und schlank sein, und das auch länger bleiben — nicht bereits mit vierzig aussehen wie ein verrunzeltes Weib oder ein Germknödel —, obendrein sollte sie es verstehen, sich adrett herzurichten. Sie sollte in der Lage sein, flüssig zu lesen, und eine rasche Auffassungsgabe haben. Dummheit konnte er nicht ausstehen, ebenso ein zu frömmlerisches Getue. Sie sollte ein fröhliches Wesen haben, denn Fröhlichkeit schien ihm unverzichtbar in einem Leben, das ohnehin hart und arbeitsam sein würde. Sie war das beste Gegengift, wenn die Kälte — wie eine Spinne — ihr Netz in alle Winkel des Herzens wob.
Obendrein, und auch das war von großer Wichtigkeit für ihn, sollte sie Gefallen finden an den körperlichen Freuden. Albert wollte sein Bett nicht mit einer Frau teilen, die er jedes Mal beinahe zwingen musste, ihn an sich heranzulassen; er hatte von manchen Kameraden gehört, dass Prüderie ein gar nicht so seltenes Phänomen unter Ehefrauen war. Viele Romane beschrieben klopfende Herzen beim Anblick eines seidenweichen Unterrocksaumes, verliebte Betrachtungen des zarten Flaums an der Wange der Angebeteten, verstohlenes Riechen an Kämmen und Busentüchern, zarte Küsschen den nackten Unterarm entlang bis zur Ellbogenbeuge. Über diese Romantisiererei einer Liebe ließ sich gut lesen, doch im wirklichen Leben hatte er nicht vor, sich damit zu begnügen.
Eines wusste er mit Sicherheit: Er hatte nichts dagegen, wenn seine Angetraute aus einer armen Familie stammte und ohne Anhang war, sodass sie nicht eine ganze Menge Verwandter und deren Einfluss in sein Haus mitbrachte. Es konnte nur ein großer Vorteil für das Eheleben sein, wenn eine Frau alles ihrem Gatten zu verdanken hatte und ausschließlich unter dessen Einfluss stand.
Himmelherrgott, warum musste er stets grübeln und abwägen, warum konnte er sich nicht einfach heftig verlieben? Es gab einige junge Frauen im Dorf und in den Nachbardörfern, die nicht abgeneigt waren, ihn zu heiraten, er war keine schlechte Partie.
»Gut Ding braucht eben Weile!«, hatte sein Freund Adam Hanáček zu seinem Dilemma gesagt. Aber an diese Devise wollte Albert sich nicht halten, ihm graute bei der Vorstellung, längere Zeit alleine in seinem Elternhaus leben zu müssen.
Er saß in der Stube über die Autobiografie des Naturwissenschaftlers Emil Adolf Roßmäßler gebeugt — er hatte sie in Wien einen Tag vor seiner Heimreise zusammen mit vier anderen Büchern gekauft —, konnte sich jedoch nicht auf das Lesen konzentrieren. Seit Wochen kreisten seine Gedanken nur um die eine Frage: »Welche ist die Richtige?« Und sie begann ihn allmählich zu zermürben. Am liebsten hätte er die Heiraterei bereits hinter sich gebracht. Er stellte sich vor, dass es nicht seine alte Tante war, die mit einer Stickarbeit auf der Ofenbank saß, sondern seine schöne Frau, die ihn bat, er möge ihr doch etwas aus dem Buch vorlesen. Doch bis es so weit war, würde vermutlich noch viel Wasser den Bach vor der Hofmühle hinunterfließen.
Offenbar hatte er zu laut geseufzt, denn seine Tante sah von ihrer Arbeit auf und zu ihm herüber. Sie wusste, welche Gedanken ihn plagten.
»Ach Albert«, sagte sie. »Verlass dich auf mein Urteil.«
Er lachte auf: »Ich muss mit ihr leben.«
Von Anfang an hatte Rosa die Tochter eines Gastwirts im Nachbarort — Amalia — als die beste Partie weit und breit angepriesen. Rosa schätzte die Familie sehr, die Eltern genossen hohes Ansehen, und sie engagierten sich wohltätig, für Schulkinder aus armen Familien gaben sie Mittagessen aus. Die junge Frau war temperamentvoll, tüchtig und konnte gut kochen, und Rosa gefiel besonders die Vorstellung von der Mitgift. Sie wusste, dass das Vermögen, das die Frau mitbrachte, von großer Bedeutung in einer Ehe war, da es die Frau dem Mann nicht von vorneherein unterlegen machte, und sie wünschte sich für ihren Neffen eine ebenbürtige Gattin. Albert kannte Amalia flüchtig von früher, sie war eine Cousine des Schmiedes, mit dem seine Schwester Katharine verheiratet war, sie waren ab und zu in dem Gasthof beieinandergesessen, Amalia war damals noch ein Kind gewesen.
»Ich soll also morgen dem Fräulein Brandstetter einen Heiratsantrag machen?«, fragte er.
»Das wäre nun doch etwas voreilig. Einem Heiratsantrag gehen gemeinsame Gespräche, Spaziergänge und dergleichen voraus.«
»Das wusste ich gar nicht. Tante, wenn ich dich nicht hätte!«
Sie schaute ihn erstaunt an, er zwinkerte ihr zu, und sie musste lachen. Er nahm sie also wieder einmal auf den Arm.
Albert war von der Idee, die Tochter des Gastwirtes zu heiraten, nicht angetan. Laut seiner Tante — und auch Katharine hatte darauf hingewiesen — konnte sie wie ihre Mutter ausgezeichnet kochen und war gesellig, aber Albert gefiel die junge Frau nicht. Ihre Gestalt war ihm zu hager, ihr Haar zu dünn, ebenso ihre Lippen, die bei jedem schallenden Gelächter — das durchaus mitreißend war, das konnte er nicht leugnen — nicht nur die Zähne entblößten, sondern auch das Zahnfleisch. Bei einem gemeinsamen Tanz hatte er festgestellt, dass sie, obwohl sicherlich frisch gebadet, immer noch leicht nach altem Bratfett roch, so als hätte sich der Geruch des Gasthofes bereits auf ihrer Haut festgesetzt. Dass es an diesen Äußerlichkeiten lag, wollte er jedoch seiner Tante nicht beichten, er hätte nur einen scheelen Blick geerntet und zu hören bekommen: »Schönheit wird vergehen, Charakter bleibt bestehen!«
Schon bei der ersten Begegnung mit den Leuten in seiner Heimat hatte er Gefallen an einer anderen jungen Frau gefunden. Die Marktgemeinde hatte anlässlich seiner Heimkehr aus dem Dienst in der k. u. k. Kriegsmarine ihm zu Ehren ein Begrüßungsfest veranstaltet, das am Sonntag nach dem Gottesdienst auf dem Marktplatz stattgefunden hatte. Reden wurden geschwungen, zuerst vom Pfarrer, dann vom Bürgermeister, in denen er als »Vaterlandsverteidiger«, als »Weltumsegler« und schließlich als »Weltbürger« dargestellt wurde.
»Wir dürfen uns glücklich schätzen, diesen Weltbürger einen Sohn unserer kleinen Gemeinde zu nennen!«, schloss der Bürgermeister. Er kam Albert mit hochrotem, strahlendem Gesicht und ausgestreckten Armen entgegen, die Leute applaudierten, und die beiden Männer umarmten sich. Albert unterließ es, dem Redner zu erläutern, dass ein Weltbürger — oder sogenannter Kosmopolit — nicht unbedingt ein vielgereister Mann war, sondern die philosophische Auffassung vertrat, der Mensch wäre auf der ganzen Welt zu Hause, Staatsgebilde hätten keine Notwendigkeit. Was das betraf, war er nämlich absolut kein Weltbürger: Er war stolz, Bürger des Habsburgerreiches zu sein.
Albert, der die Reden als übertrieben und ein bisschen lächerlich empfunden hatte, war dann vom Fest gerührt. Die Leute hatten sich für ihn herausgeputzt und drückten ihre Freude über seine Heimkehr aus.
»Schön, dass du wieder da bist!«, sagten sie, schüttelten seine Hand, einige Ältere klopften ihm auf die Schulter. Die Gastwirte im Ort hatten Bänke und Tische auf dem Marktplatz aufgestellt, servierten Schweinsbraten mit Semmelknödeln und jede Menge Maßkrüge Bier. Die Musikkapelle spielte, die jungen Leute drängten auf die Tanzfläche oder standen in Grüppchen beisammen, um sich zu unterhalten, die Alten beobachteten das Treiben und streckten ihr Gesicht der milden Spätsommersonne entgegen. Albert tanzte mit seiner Tante, seinen Schwestern und einigen Frauen, die den Mut aufbrachten, ihn zum Tanz zu holen, die erste davon war Amalia. Während er sie herumwirbelte, fragte er sich, ob seine zukünftige Frau unter ihnen war, keine weckte sein Interesse. Als er eine Pause einlegte, fiel ihm eine junge Frau auf, die etwas abseits saß. Seine Tante verfolgte seinen Blick und sagte: »Nicht sie, Albert. Sie ist die Tochter vom Eder. Die einzige.«
Albert erinnerte sich allzu gut an Johann Eder, der nach dem Unfalltod des Nachbarn der Hofmühle unbedingt dessen Hof samt Feld hatte kaufen wollen, was Alberts Vater Anton gerade noch verhindert hatte. Wenige Wochen darauf hatte Eder aus reiner Gehässigkeit eine Ladung Steine, welche seine Kinder aus seinen Wiesen und Äckern auf das Fuhrwerk geklaubt hatten, mitten auf Antons neu erworbenes Feld gekippt. Albert und seine Schwestern waren tagelang damit beschäftigt gewesen, die Steine wieder zu entfernen. Eder war ein grober Mann, der seine Familie und seine Dienstboten tyrannisierte und Spaß daran fand, niemand war ihm gewachsen, viele im Ort hatten regelrecht Angst vor ihm. Wenn Rosa versuchte, nach dem Gottesdienst mit der Frau zu reden, die verschreckt, stumm und mit gebeugtem Kopf hinter ihrem Mann herging, wusste der Bauer das zu verhindern, sie durfte mit niemandem sprechen, er isolierte sie völlig. Rosa regte stets furchtbar auf, was da vor aller Augen vor sich ging, und sie bat den Pfarrer, einzuschreiten, doch der Bauer jagte diesen kurzerhand vom Hof. Mit der Zeit resignierten alle im Ort, die etwas zu sagen hatten, selbst der Bürgermeister.
»Er hat vor Jahren einer Magd ein Kind gemacht. Sie war ein junges hübsches Ding, er hat die Finger nicht von ihr lassen können«, sagte Rosa. »Sie wollte ihm davonlaufen, er hat sie eingesperrt. Ihren Sohn, er dürfte jetzt ungefähr zehn sein, hält er wie Vieh.«
»Wie heißt sie?«, fragte Albert, er konnte nicht aufhören, zur jungen Frau hinüberzuschauen.
Seine Tante zuckte mit den Schultern: »Ich glaube, Franziska.«
»Wie alt ist sie?«
»Etwas über zwanzig.«
»Sie ist eine Schönheit«, sagte er.
»Das ist sie. Aber um Himmels willen, lass die Finger von ihr«, sagte Rosa.
»Was kann die Tochter für den Vater?«
»Nichts, Albert. Aber möchtest du den Eder zum Schwiegervater haben?«
Er stand auf. Seine Tante seufzte kopfschüttelnd, er beugte sich zu ihr und flüsterte: »Es ist nur ein Tanz, Tante.«
Er tanzte lange mit Franziska, und das sorgte für Getuschel. Sie roch nach Lavendel, hatte feine, helle Sommersprossen und lag leicht in seinem Arm. Wenn sie miteinander sprachen, sah sie ihm lächelnd ins Gesicht, manchmal schlug sie ihre Augen nieder. Bevor er sie an ihren Platz zurückbrachte, fragte er sie, ob sie bereit wäre, mit ihm am darauffolgenden Sonntagnachmittag einen Spaziergang zu machen, und sie willigte schüchtern ein.