Im April 1883 gebar Anna Zwillingssöhne.
Nach dem Mittagsschlaf war ihr Bettlaken nass, und kurze Zeit später setzten die Wehen mit einer Vehemenz ein, die Josephine und Rosa überraschte. Vinzenz holte Albert, der an der Donau war, um eine Fracht entgegenzunehmen. Die Geburt verlief schnell und heftig, Albert saß bei seiner Frau, hielt ihre Hand und wischte ihr den Schweiß von der Stirn, bis die alte Hebamme ihn aus der Kammer warf, die Anwesenheit eines Mannes bei einer Wöchnerin war ihr zuwider. Sieben Stunden, nachdem Anna das Gefühl gehabt hatte, sich eingenässt zu haben, kam der erste Sohn zur Welt, elf Minuten darauf folgte der zweite, er war winzig und schwach. Während sein Bruder aus Leibeskräften schrie, schaute er mit schläfrigen Augen still vor sich hin, die Hebamme bestand darauf, ihn nottaufen zu lassen, und schickte Vinzenz nach dem Pfarrer.
Man ließ die Eheleute allein, Albert saß neben seiner Frau, die beiden Kinder lagen nebeneinander im Stubenwagen und schliefen. Er schlug den Namen Carl vor — einer der Kapitäne, unter denen er gedient hatte, hatte so geheißen, er hatte ihn sehr bewundert — und bat seine Frau, einen zweiten auszusuchen. Als ihr Mann den Namen Carl nannte, dachte Anna unwillkürlich an die Geschwister Charles und Eugenie Morel — seit ihrer Verehelichung kamen ihr die beiden immer häufiger in den Sinn — und entschied sich für Eugen. Sie waren sich einig, auf einen zweiten Vornamen zu verzichten, der Pfarrer kam noch mitten in der Nacht und nahm bei beiden die Nottaufe vor, Anna kam es wie ein Todesurteil vor. Josephine befestigte ein blaues Band um Carls Handgelenk, um die zwei auseinanderzuhalten, sie hatten nicht nur den gleichen dunklen Haarschopf, der eine sah aus wie der andere.
Alle, insbesondere die Hebamme, rieten den frischgebackenen Eltern, eine Amme hinzuzuziehen, doch Anna ertrug den Gedanken nicht, eine weitere Person samt dazugehörigem Säugling um sich zu haben. Sie hatte ohnehin oft das Gefühl in dem kleinen Haus inmitten der Leute, die ihr immer noch fremd waren, ersticken zu müssen, und Albert widerstrebte der Gedanke, seinen Sohn monatelang zu fremden Leuten zu geben. Die Hebamme schüttelte verständnislos den Kopf und empfahl, sich auf das stärkere Kind, Carl, zu konzentrieren und darauf zu achten, dass er stets als Erster trank und genügend Milch bekam.
»Der andere wird es nicht schaffen«, sagte sie.
Kaum dämmerte es, versuchte Anna trotzig, die Buben abwechselnd an die Brust zu legen, den religiösen Fatalismus, der auf dem Land herrschte, verabscheute sie, doch Eugen war tatsächlich zu schwach, um länger als wenige Sekunden zu saugen. Albert machte sich auf den Weg nach Linz, um eine junge Hebamme zu suchen, von der es hieß, sie verkaufe Glasflaschen mit einem darüber gestülpten Kautschukschlauch. Zwei Tage später kehrte er mit einer solchen Flasche nach Hause zurück — es hatte ihn einige Mühe gekostet, die Frau aufzutreiben —, von einer Bäuerin erstand er eine Ziege. Er selbst war es, der nicht aufgab, alle zwei Stunden nahm er den Kleinen in den Arm und versuchte wieder und wieder, ihm einige Tropfen einzuflößen, bis Eugen die verdünnte Milch nicht mehr verweigerte. Er stellte eine seiner Nichten, eine Tochter Katharines, ein, um Anna unter die Arme zu greifen, und trug ihr auf, was ihm die junge Frau in Linz eingeschärft hatte, nämlich Glas und Schlauch nach jedem Gebrauch in kochendem Wasser zu sterilisieren. Beide Kinder überlebten und gediehen prächtig, zwei Monate nach ihrer Geburt übersiedelten Anna und Albert in den fertiggestellten Anbau.
Als im September die Familie aus Wien zu Besuch kam — Albert hörte nicht auf, seine Schwiegerfamilie dazu zu drängen —, spürte Anna, dass ihre Eltern, aber vor allem Schwester und Schwager irritiert waren über die Verhältnisse, die sie vorfanden. Der Hausanbau mitsamt der Veranda und dem gepflasterten Vorplatz war prachtvoll geworden, die zwei Buben waren gesund, entweder schliefen sie oder krähten vergnügt vor sich hin, Alberts Unternehmen florierte, dieser war liebevoll um seine kleine Familie bemüht. Die Tatsache, dass es der jungen Ehefrau und Mutter gut ging, überraschte die Eltern und schien Augusta und Ferdinand regelrecht vor den Kopf zu stoßen. Anna spürte den prüfenden Blick ihrer Schwester auf sich, ihrer schlanken Figur, ihren selbst genähten aufwendigen Kleidern, den neidvollen Blick des Schwagers, wenn sie ihre Söhne auf dem Arm hielt. Augusta hatte Töchtern das Leben geschenkt — die zweite war tot zur Welt gekommen —, nach den Schwangerschaften war sie in die Breite gegangen. Wie seltsam die Menschen sind, dachte Anna, ein schönes Haus und die Geburt eines Sohnes reichen aus, um sie neidisch zu machen, ob ich tatsächlich glücklich bin, fragt keiner. Trotzdem musste sie sich eingestehen, dass der Neid der Schwester und deren Mann ihr größte Genugtuung bereitete, regelrecht vergnügt fühlte sie sich. Sie fand Gefallen daran und verwandte ihren ganzen Ehrgeiz darauf, das Spiel auszureizen, sie zog täglich ein anderes Kleid an, gab sich besonders zärtlich mit ihrem Mann und den Buben, scherzte mit Josephine, Vinzenz, Katharines Tochter und zeigte sich kraftvoll und lebhaft, indem sie wie eine Besessene nähte, kochte, im Garten werkte und dabei ein Lied nach dem anderen trällerte. Ihre Familie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Anna musste feststellen, dass das eigene Verhalten auf ihr Innerstes Wunder wirkte, denn mit einem Mal fühlte sie sich besser. Was für ein Antrieb Hass sein kann, dachte sie.
Leider hielt ihr Ehrgeiz nicht lange an, und sie versank wieder in Lethargie und Schwermut, nachdem die Familie abgefahren war.
Sie hatte im ersten Ehejahr sehr gelitten, alles war ihr in dem kleinen Dorf furchtbar eng und schmutzig vorgekommen, alles in dem dreißig Jahre alten Haus abstoßend, sie bekam einen Ausschlag und hatte das Gefühl, sich permanent vor lauter Ekel erbrechen zu müssen. Mit Schwägerin, Schwager und der alten Tante, gekleidet in muffige Sack-und-Asche-Kleidung, konnte sie nichts anfangen. Mit jedem Tag wurde das Gefühl, keine Luft zu bekommen, stärker und der Zorn auf ihre Familie größer, die sie mit dieser Heirat so sehr unter Druck gesetzt hatte. Das Einzige, das sie genießen konnte, war der moosbewachsene Wald nicht weit von der Hofmühle entfernt, die sonnige Wiese hinter dem Haus — der letzte Sommer, eingesperrt in ihrem kleinen Zimmer, steckte ihr noch in den Knochen —, die Ausflüge nach Linz, den Hundewelpen, den Albert ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. Zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag schenkte er ihr eine Singer-Nähmaschine, Anna war überwältigt, sie wusste, wie schwierig die Maschinen aufzutreiben und wie kostspielig sie waren.
Was ihren Mann anbelangte, befand sie sich in einem Zwiespalt der Gefühle: Während sie sehnsüchtig auf einen Brief der Kinsky hoffte, merkte sie gleichzeitig, dass sie den ganzen Tag auf seine Heimkehr wartete. Sie mochte seine liebenswürdige Gabe, aus jedem das Beste und Klügste, das in ihm lag, hervorzuholen, und konnte sich nicht dagegen wehren, dass das Neidlose, Klatschlose, geistig Anregende an ihm sie immer wieder von neuem beeindruckte.