Als Albert nach zwölf Dienstjahren in der k. u. k. Kriegsmarine an einem regnerischen Tag Ende August 1881 heimkehrte, war seine Entscheidung, das Müllerhandwerk nicht mehr auszuüben, bereits gefallen. Gemeinsam mit zwei Freunden aus dem Matrosencorps — sie quittierten den Dienst zur selben Zeit— gründete er die Handelsfirma Brugger & Partner, welche verschiedene Güter von Wien ins Mühlviertel — und umgekehrt — bringen sollte, um sie vor Ort zu verkaufen.

Bei seinen Urlauben zu Hause war ihm bewusst geworden, dass es im Mühlviertel Bedarf an fast allem gab, an Medikamenten, Lebensmitteln, die nicht vor Ort angebaut, geerntet, hergestellt, geschlachtet wurden, an Werkzeugen jeder Art, feinen Stoffen — mit Ausnahme von Leinen, das gab es zur Genüge —, an hochwertigen Möbelstücken. Er erkannte, dass die Mehrheit der Leute andere Vorstellungen vom Leben, andere Bedürfnisse hatte als noch die Generation zuvor, und es ging ihnen wirtschaftlich bedeutend besser als den Eltern, sie wollten mehr als nur Kargheit im Alltag, jedoch fehlte es vielfach an Möglichkeiten der Beschaffung. Den meisten war es selten möglich, in Linz oder Wien einen Markt, ein Kaufhaus, einen Händler aufzusuchen, und mitunter dauerte es Monate, bis bestellte Waren im Dorf ankamen. Albert wollte das mit einem Handelsgeschäft ändern und weihte zwei Kameraden in seine Pläne ein. Adam Hanáček stammte aus Mähren und kam wie Albert von einer Mühle, was der Grund dafür gewesen war, warum der Quartiermeister sie bei der ersten Ausfahrt in den Hängebetten nebeneinander untergebracht hatte, von da an waren sie Freunde. Hanáček war von Alberts Idee begeistert.

»Der Transport auf der Donau ist der günstigste«, sagte Albert. »Wir fangen klein an, fürs Erste kaufen wir einen alten Frachter, und dazu benötigen wir einen Kapitän.«

Oskar Hofmann, ein junger Wiener, wurde gefragt, ob er der Dritte in ihrem Bunde sein wolle, denn Hofmann beabsichtigte wie sein Vater — dieser war Kapitän eines kleinen Passagierdampfers, welcher regelmäßig zwischen Budapest und Passau verkehrte —, für die Donaudampfschifffahrt zu arbeiten. Hanáček sollte in Wien für den Einkauf zuständig sein, Hofmann für Verladung und Transport auf der Donau und er, Albert, für Verkauf und Lieferung im Mühlviertel, nach und nach würde man je nach Bedarf Leute einstellen. Hofmann erbat sich ein paar Tage Bedenkzeit und sagte dann zu, am Abend begossen sie ihr Triumvirat mit Wein.

Albert unterrichtete seine Familie am Tag der Heimkehr über seine Pläne und stellte sie vor vollendete Tatsachen. Vinzenz’ und Josephines Bedenken konnte er schneller zerstreuen als die seiner Tante Rosa, er schlug ihnen vor, gegen Gewinnbeteiligung die Mühle weiterzubetreiben, er selbst wolle sich nur noch um sein neues Handelsgeschäft kümmern. Rosa stand seinen Plänen skeptisch gegenüber und redete ihm lange ins Gewissen.

»Seit Jahrhunderten betreibt die Familie die Hofmühle«, sagte sie. »Dein Vater hat geschuftet, um sie der Herrschaft abkaufen zu können und sie obendrein rentabler zu machen. Auch dein Schwager und deine Schwester haben hart gearbeitet, um den Besitz für dich zu vergrößern. Und du willst das leichtfertig aufs Spiel setzen? Du hast die Hofmühle geerbt, weil du der Sohn bist, nur deshalb, eigentlich stünde sie Josephine zu, sie fühlt sich ihr nämlich verbunden. Für dich ist sie nur ein Spielball, um deine hochfliegenden Träume zu verwirklichen. Sei zufrieden mit dem, was du hast! Unzufriedenheit ist der Beginn jeden Unglücks.« Mit den Worten »Mehl wird immer gebraucht!« schloss sie.

Albert konnte sich nicht erinnern, seine Tante jemals ängstlich oder nicht aufgeschlossen für Neues erlebt zu haben. In den Jahren seiner Abwesenheit war sie alt geworden, sie war bereits über siebzig. Er beruhigte die alte Frau, so gut er konnte, und versuchte ihr zu erklären, dass es aufgrund der Revolution der Dampfkraft — sei es auf dem Wasser oder auf dem Land — bessere Transportmöglichkeiten gab und ein anderes Zeitalter angebrochen war, das er mit unternehmerischem Geist nutzen wollte.

»Ich verspreche dir, dass die Sache ein Erfolg wird«, sagte er.

Bei einem Notar in Wien wurde die Firma offiziell gegründet, bei der Österreichischen Sparcasse ein Hypothekarkredit aufgenommen, um Mittel für den Start zu haben. Da Hanáček und Hofmann nichts besaßen, wurde Alberts Besitz als Pfand eingetragen — was er seiner Familie verschwieg —, die Firma gehörte zur Hälfte ihm, während Hanáček und Hofmann je ein Viertel besaßen. In der Linzer Schiffswerft wurde ein altes eisernes Frachtboot gekauft, mit fünfundzwanzig Metern Länge hatte es einen Tiefgang von zwei Metern, Albert bestand darauf, es auf den Namen Rosa zu taufen.

Im Dezember 1881, zwei Wochen vor Heiligabend, fuhr die Rosa zum ersten Mal von Wien nach Obermühl, sie hatte neben Kaffee, Tee, Zucker, Gries, Reis, Wein unzählige andere Produkte an Bord, Zeitschriften, Modejournale, Bücher, Leder, Stoffe, Wolle, fertige Tisch- und Bettwäsche, fertige Handschuhe, Damenschuhe, Krawatten, Blecheimer, Wischmops, Teppiche, Gartenscheren, Puppen, Geschirr, Kleinmöbel, Albert setzte auf Vielfalt. Tagelang hatte er in sämtlichen Gemeinden Flugblätter verteilen lassen, um die Eröffnung des Kaufhauses Brugger & Partner publik zu machen. Für ihn war es der Probelauf, er hatte vorübergehend, bis das Kaufhaus fertiggestellt war, ein großes Zelt aufstellen lassen, das er einem Zirkusdirektor abgeschwatzt hatte — allein das sorgte für Gesprächsstoff im gesamten Bezirk —, vieles lief provisorisch und teilweise sogar dilettantisch ab, und doch wurde dieser erste Verkaufstag für ihn ein überwältigendes Erlebnis, an das er in den folgenden Jahren immer wieder denken sollte.

Der Tag wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Als Verkäufer fungierten er selbst, seine Schwestern Josephine und Katharine, seine Neffen und Nichten, Hanáček hatte es sich nicht nehmen lassen, aus Wien zu kommen, auch Hofmann half aus. Die Leute kamen in Scharen aus dem Dorf, aus den Nachbardörfern, von weit her, manche sogar zu Fuß, weil sie neugierig waren auf das, was der heimgekehrte k. u. k. Marinemarsgast mit seinen Wiener Freunden auf die Beine gestellt hatte, und sie rissen ihnen die Sachen förmlich aus der Hand, am Ende des Tages war das Zelt leergefegt.

Die drei Geschäftspartner wollten die Ware direkt an die Menschen verkaufen — nicht an weitere Händler —, und dieser erste Verkaufstag zeigte ihnen, dass die Rechnung aufgegangen war. Ebenso kaufte Hanáček die Ware — falls möglich — beim Hersteller, Zwischenhändler sollten, so gut es ging, vermieden werden, um den Preis so niedrig wie möglich halten zu können. Gastwirten, Besitzern von Gemischtwarenläden, die bei ihm größere Mengen einzukaufen und zu bestellen begannen, gewährte Albert einen Rabatt, ebenso konnte jeder eine Bestellung aufgeben, die bei der nächsten Lieferung berücksichtigt wurde. Geöffnet war samstags, und allmählich bürgerte sich ein, dass an einem Stand Getränke und eine Suppe ausgegeben wurden, das Ganze wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Die Leute rannten ihnen jeden Samstag die Bude ein, um zu stöbern, zu kaufen, mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Die drei Unternehmer waren nach wenigen Monaten in der Lage, einen zweiten Frachter zu kaufen, er erhielt den Namen Anna, da Albert im selben Monat heiratete. Das Zelt wurde abgebaut, das Kaufhaus war fertiggestellt, es stand auf dem Grundstück, welches vor vielen Jahren Alberts Vater der jungen Witwe abgekauft hatte, die ihren Ehemann bei Waldarbeiten verloren und mit deren Schwester Albert seine ersten Erfahrungen mit der Liebe gemacht hatte. Vom Kaufhaus, über dessen Haupteingang das riesige Schild Brugger & Partner hing, blickte man hinunter auf die Hofmühle in der Talsenke. Ständig wurde das Angebot verbessert, und Albert begann Lieferdienste im gesamten Oberen Mühlviertel anzubieten, um Gastwirte und Krämer, die keine Möglichkeit hatten, das Bestellte selbst abzuholen, beliefern zu können. Er stellte Männer ein, die mit Fuhrwerken — im Winter mit Pferdeschlitten — unterwegs waren, um die Waren zu transportieren. Damit verärgerte er die größeren Bauern im Dorf, denen die Knechte davonliefen, da Brugger einen höheren Lohn bezahlte.

Kurz nach der Geburt der Söhne kamen Emma und ihr Mann Veit zu Besuch in die Hofmühle, sie beglückwünschten die Eltern und brachten Geschenke. Sie nahmen Albert zur Seite und überreichten verlegen eine Schatulle. Ein schmaler kleiner Schlauch aus durchscheinendem Material lag darin, Albert wusste sofort, wozu er diente, er hatte ein derartiges Ding zum ersten Mal in einem Bordell in Triest gesehen, später auch in anderen, er war völlig überrascht und brauchte eine Weile, bis er sich gefasst hatte.

»Das könnte euch beiden vielleicht von Nutzen sein«, sagte Veit und räusperte sich.

»Woher habt ihr das?«, fragte Albert.

Veit erklärte ihm, dass er den »Ludwig« — so bezeichnete er den kleinen Schlauch — selbst aus einem Schafsdarm hergestellt hatte, und setzte ihm genauestens den Vorgang auseinander. Der Darm wurde in eine Seifenlauge gelegt, die alle zwölf Stunden gewechselt werden musste, anschließend schabte man die Schleimhäute ab, legte die robuste Haut wieder in eine Lauge, setzte sie den Schwaden von brennendem Schwefel aus und reinigte sie mit Wasser und Seife. Nachdem Veit ihn auf ungefähr zwanzig Zentimeter gekürzt hatte, nähte Emma ein Band an die Kante. Vor dem Verwenden weichte man den Schlauch in Wasser ein, um ihn geschmeidig zu machen, nach jedem Verwenden stülpte man ihn um, wusch ihn gründlich mit Wasser und Seife aus, ließ ihn trocknen, nach einer Benützung von ungefähr acht-bis zwölfmal war er unbrauchbar.

Während er erklärte, war Veit rot geworden, Albert musste schmunzeln. Das ist also ihr Geheimnis, dachte er, darum haben sie nur drei Kinder in die Welt gesetzt — mit Veits zwei Kindern aus erster Ehe hatten sie fünf —, wohingegen die meisten Familien mindestens dreimal so viele hatten, ohne diejenigen dazuzuzählen, die früh verstorben sind. Als hätte Emma seine Gedanken erraten, erzählte sie, dass sie Katharine dasselbe Geschenk gemacht hatte vor vielen Jahren, auch mit dem Angebot des Nachschubs, es jedoch offensichtlich nicht zur Anwendung kam, aus welchen Gründen auch immer, sie nahm an, dass ihr Mann sich weigerte, es zu benutzen. Veit und sie hatten die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute, vorwiegend Männer, ihrem »Ludwig« gegenüber äußerst skeptisch eingestellt waren, wenn sie ihn bei Gelegenheit kinderreichen Eltern im Dorf angeboten hatten. So manch einer schaute sie entrüstet an und ließ sie stehen. Der Pfarrer bekam Wind davon und bezichtigte Veit daraufhin der Gottlosigkeit: »Was du tust, ist eine Sünde! Allein Gott entscheidet über Leben und Tod, ob das der geborenen Kinder oder der gebärenden Frauen.« Sie hatten es schon vor langer Zeit aufgegeben, jemandem damit helfen zu wollen.

Albert hob den Schlauch vorsichtig heraus und betrachtete ihn eingehend.

»Weißt du, dass das eine geniale Geschäftsidee ist?«, fragte er seinen Schwager.

»Sie stammt nicht von mir«, sagte Veit. »Einer meiner Cousins lebt in Prag, er ist Apotheker. Er hat den Schlauch irgendwo gesehen und sich nach der Herstellung erkundigt, mir hat er in einem Brief davon erzählt. Ich habe gedacht, ich probiere es einfach aus. Das ist schon Jahre her.«

»Warum Ludwig?«

Veit lachte. »Der erste Hammel, den ich zu diesem Zweck geschlachtet habe, hat Ludwig geheißen.«

In den folgenden Wochen nahm Albert zwei Schafbauern unter Vertrag, abwechselnd lieferten sie frisch geschlachtete Tiere, zwei von Katharines Söhnen wurden mit der Herstellung betraut und von Veit ausgiebig eingeschult. Das Kaufhaus Brugger & Partner erweiterte das Angebot um Schaffleisch und Felle, außerdem gab es ein Produkt zu kaufen, welches offiziell nicht in der Warenliste aufschien, sich dennoch schnell herumsprach, die Schatullen mit der Aufschrift Ludwig erhielten nur diejenigen, die danach fragten. Sie wurden in einem abgesperrten Schrank in Alberts Bureau aufbewahrt. Er fand den Gedanken amüsant, dass er auf demselben Fleck Erde, auf dem er seine ersten Erfahrungen mit der Liebe gemacht hatte, nun Derartiges verkaufte. Da das Produkt nicht billig war, gewährte er — falls gewünscht — Ratenzahlung.

Viele Schläuche lieferte er nach Wien, wo Hanáček sie an Bordelle verkaufte. Der Handel mit »Ludwig« lief so gut, dass er sich auf die Suche nach weiteren Schafbauern machen musste. Er war ein gemachter Mann.