Einige Monate nach der Hochzeit, bei einer seiner Geschäftsreisen nach Wien, erfuhr Albert von Adam Hanáček von einem abscheulichen Gerücht, welches Anna betraf.

»Ich bin mir sicher, du wirst es früher oder später von jemandem hören, weshalb ich mich entschlossen habe, es dir zu sagen. Glaub mir, ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber ich weiß, es ist besser, wenn du es von mir erfährst«, begann er zögerlich, Albert schaute seinen Freund irritiert an. »Ich bin mir sicher, es ist nur ein Gerücht. Versprich mir, dass du nichts Unüberlegtes tun wirst.«

Er habe gehört, dass Anna ein Jahr, bevor sie ihn geheiratet hatte, mit einer Frau erwischt worden war, sagte Hanáček, der seine Worte sorgfältig wählte, die beiden hätten sich angeblich, so wie Gott sie geschaffen hatte, geliebt. Er erzählte das, was er wusste, von der Kinsky und ihrem Ruf, von der Karikatur, dass man vorwiegend der Meinung gewesen war, die Neunzehnjährige sei unter dem Einfluss der älteren Frau — und Alkohol — gestanden. Adam berichtete weiter, dass Svoboda alles vertuschen hatte wollen, aus diesem Grund hatte er — so wird vermutet — seine Tochter monatelang eingesperrt, denn sie war von einem Tag auf den anderen verschwunden gewesen, so manchen hatte seine Feigheit, nicht vor Gericht zu gehen, geärgert.

Die Worte trafen Albert mit einer Wucht, auf die er nicht vorbereitet war. Sie saßen in der Lagerhalle von Brugger & Partner auf dem Hafengelände, Albert drosch mit seiner Handfläche wütend auf gestapelte Kisten, Adam legte beschwichtigend seine Hand auf die Schulter des Freundes.

»Wann hast du davon erfahren? Vor unserer Trauung?«, fragte er ihn voller Zorn, er wusste, dass Adam Anna geradezu verehrte.

»Sag mir, wie du das gemacht hast, dass sich diese bezaubernde junge Frau in dich verliebt hat?«, hatte er ihn gefragt.

»Ich weiß es seit ein paar Wochen. Ich habe lange nicht gewusst, was ich machen soll.«

Adam lud ihn zu sich nach Hause ein, doch Albert hatte das Bedürfnis, allein zu sein, ungern ließ er ihn ziehen.

»Tu nichts Unüberlegtes«, sagte er eindringlich beim Verabschieden. »Nichts, was du später bereuen würdest.«

Die halbe Nacht saß Albert in einem Gasthaus und betrank sich, noch nie in seinem Leben war er derart wütend, verletzt, enttäuscht und verzweifelt gewesen. Er wusste, dass etwas Wahres an dem Gerücht war, wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, Annas aufgesetzte Fröhlichkeit ihm gegenüber auf ihren Spaziergängen — stets auf abgelegenen Pfaden! —, ihr verzweifelter Gesichtsausdruck in unbeobachteten Momenten, die übertriebene Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Svobodas. Ihre Eltern hatten ihn aus berechnenden Gründen immer wieder eingeladen, sie hatte ihn nicht aus Liebe geheiratet, er fühlte sich betrogen und verraten. Unzählige Gedanken hatte er sich bezüglich der Wahl einer Ehefrau gemacht — heikel hatte ihn seine Tante genannt —, hohe Ansprüche hatte er gestellt, und im Grunde war er auf die erstbeste Frau, die ihm schöne Augen gemacht hatte, hereingefallen, weil sie jung und schön war — und obendrein eine Städterin. Das war der Ausschlag gewesen, er brauchte sich nichts vorzumachen, das Herz einer Städterin zu erobern war besser, als eine vom Dorf abzubekommen, die nicht viele Möglichkeiten hatte, das war seine Ansicht gewesen. Wie geschmeichelt er sich gefühlt hatte, dass eine so junge Städterin sich für ihn, einen einfachen Mann aus der Provinz, bereits über dreißig, interessierte!

Am nächsten Tag nahm er einige Verabredungen wahr, da in seinem Kopf ein heftiges Durcheinander herrschte, war er dabei unkonzentriert und fahrig. Die ganze Zeit stellte er sich die Frage: Was zum Teufel sollte er tun? Am liebsten wäre er zu Wilhelm Svoboda gefahren, hätte ihn am Kragen gepackt, zur Rede gestellt, aber die Scham hielt ihn davon ab, er hätte damit seine eigene Naivität eingestanden. Außerdem würde er in seiner Verfassung mit Sicherheit schreien, wüten, toben, und schreiende Menschen waren ihm zuwider.

Wie sollte er sich in Zukunft Anna gegenüber verhalten? Er konnte sich ein weiteres Zusammenleben mit ihr nicht vorstellen, er wagte sich nicht vorzustellen, was für eine hässliche Scheidung es wäre, der Auslöser dafür würde in seinem Dorf und darüber hinaus kursieren, ebenso bei Annas Verwandten, Bekannten und schließlich in ganz Wien. Sein Kind spräche man sicherlich ihm zu, Josephine würde als Ersatzmutter ihr Bestes geben, und Anna wäre für den Rest ihres Lebens eine gesellschaftlich geächtete Frau. Bei dem Gedanken an sein ungeborenes Kind musste er die Tränen zurückhalten.

Albert blieb länger in Wien als beabsichtigt, es war ihm nicht möglich, Anna so schnell zu begegnen. Im Elefantenhaus des Schönbrunner Tiergartens sah er Sisi zu, wie sie mit langsamen und immer gleichen Bewegungen ihres Rüssels Heu in sich hineinstopfte, und dachte an den ersten Abend im Hause Svoboda, an dem er sich ins Zeug gelegt hatte, um Anna zu beeindrucken. Berauscht vom Wein und mit Liebenswürdigkeiten aller Anwesenden überschüttet, hatte ihn das Gefühl überkommen, alles erreichen zu können, was er sich vornahm, einschließlich die Liebe dieser schönen Frau zu gewinnen. Um Sisis linkes Vorderbein war eine breite eiserne Fessel geschmiedet, die Haut war blutig und aufgeschürft, sie schien Schmerzen zu haben. Wie mochte es Anna an jenem Abend gegangen sein? Sie war blass gewesen, das wusste er noch, aber abgesehen von ihrer Blässe war ihm nichts Absonderliches aufgefallen, auch nicht bei den kommenden Treffen, seine Verliebtheit hatte ihn offensichtlich blind gemacht.

Allmählich wurde er ruhiger, seine Wut verrauchte, er kam zu dem Entschluss, dass eine Scheidung für ihn nicht in Frage kam. Schon bei dem Gedanken an die schwerwiegenden Konsequenzen für alle Beteiligten, besonders aber für sein Kind, wurde ihm übel. Sie ist deine Frau, sagte er zu sich, wir sind vor Gott getraut, du bist für sie verantwortlich, ganz gleich, was geschehen ist, bevor du sie kennengelernt hast.

Hanáček beglückwünschte ihn zu seiner Entscheidung.

»Ich werde sie zur Rede stellen, ich will eine Erklärung von ihr«, sagte er.

Auf der Schifffahrt zurück in sein Heimatdorf verwarf er auch das, er beschloss, sich wie früher zu verhalten, als hätte er von der ganzen Angelegenheit nichts erfahren. Eine Person, die zur Rede gestellt wird, muss sich rechtfertigen und befindet sich dadurch von vornherein in einer unterlegenen Position, dachte er, ich werde ein guter Ehemann sein, mehr kann ich nicht tun. Ob sie mich lieben lernt, werde ich spüren, handeln kann ich immer noch, ich brauche nichts zu überstürzen, und vielleicht wird sie irgendwann, wenn sie dazu bereit ist, mir aus freien Stücken alles erzählen. Seine Frau sollte ihm auf Augenhöhe begegnen, er wollte Ebenbürtigkeit.

Nach seiner Heimkehr, sie saßen beim Abendessen, teilte ihm Anna mit, dass der Arzt beim Abhorchen ihres Bauches zwei Herzschläge vernommen hatte. Als sie in den Wehen lag — sie hatte panische Angst vor der Geburt —, bat sie verzweifelt um Verzeihung für das, was sie ihm angetan habe, bevor er von der Hebamme aus dem Zimmer geworfen wurde. Ein paar Tage später, er saß neben ihrem Bett, hatte Eugen auf dem einen Arm und in der anderen die Glasflasche mit der Ziegenmilch, erzählte sie ihm mit wenigen Worten, was geschehen war, und er bohrte nicht nach Einzelheiten.