Eder sollte sich nicht so schnell beruhigen, wie Albert geglaubt hatte.

Es begann damit, dass eines Morgens zwei Hunde, Polli und Annas Tinka, mit einem festgezurrten Strick um den Hals vor der Hofmühle aufgefunden wurden, sie waren offensichtlich erwürgt worden.

Polli war Tage zuvor in der Hofmühle aufgetaucht und schwanzwedelnd an Emil hochgesprungen, sie hatte sein Gesicht abgeleckt und sich vor Freude über das Wiedersehen kaum beruhigen können. Alle Versuche, sie zu verscheuchen, missglückten, Emil lief durch den Wald bis in die Nähe des Ederhofes, trieb sie zurück, doch wenige Stunden später tauchte sie wieder in der Hofmühle auf, sie winselte und lief geduckt auf und ab, von Tinka umkreist und angekläfft. Die Gendarmen kamen und redeten mit Albert, Eder hatte eine Anzeige wegen des gestohlenen Hundes eingebracht. Albert klärte den Sachverhalt auf, die Gendarmen waren dennoch machtlos, sie kündigten die gerichtliche Vorladung an und nahmen den Hund mit, dabei biss er einen von ihnen, Emil musste Polli mit einem Tuch das Maul zubinden. Zwei Tage darauf lagen am Morgen beide Hunde tot vor der Hofmühle, Anna war außer sich vor Wut und Trauer. Albert sprach mit dem Kommandanten des Gendarmeriepostens, mit dem Bezirksrichter, alle beteuerten, in dem Fall nichts tun zu können, man könne Eder nicht zur Verantwortung ziehen, da nicht erwiesen sei, ob tatsächlich er die Hunde getötet hatte. In seiner Aussage hatte er behauptet, sein Hund wäre ihm wieder weggelaufen oder — wie er andeutete — gestohlen worden. Man riet zu großer Achtsamkeit. Daraufhin verließ keiner mehr alleine das Haus, die Zwillinge wurden von Hedwig, Anna oder Josephine zur Schule begleitet und auch wieder abgeholt.

Albert waren Konflikte und Streitereien ein Gräuel, er hielt sie für sinnlose Zeitverschwendung, die zudem viel Kraft kostete. Er fuhr zum Hof, um das Gespräch mit Eder zu suchen, die Söhne vertrieben ihn mit verächtlichen Worten, unverrichteter Dinge musste er umkehren. Beim sonntäglichen Frühschoppen in der Linde versuchte er es wieder, die Gaststube war zum Bersten voll, Eder tarockierte mit drei Bauern, am Nebentisch saß sein jüngerer Sohn Ignaz. Er setzte sich Eder gegenüber und sagte, wobei er mit dem Kopf auf die Tür zum großen Saal deutete: »Ich muss mit dir reden, lass uns hinübergehen.«

»Ich geh mit dir nirgendwohin«, sagte der Bauer, er kaute auf einem Zahnstocher herum und spielte den Gleichgültigen.

»Gut«, sagte Albert. »Dann hörst mich eben da an, wenn dir das lieber ist.«

Vielleicht ist es auch besser, wenn alles vor Zeugen gesagt wird, dachte er. Er erklärte, dass er keinen Krieg wolle, nur weil er einen jungen Mann angestellt habe, der auf der Suche nach Arbeit gewesen war. Die Leute in der Gaststube — es waren vorwiegend Männer, nur an einem Tisch saßen ein paar junge Frauen unter den jungen Männern — horchten auf. Emil Wagner könne tun, was ihm beliebe, und er habe sich für die Arbeit in der Hofmühle entschieden, fuhr Albert fort.

»Nichts für ungut«, sagte er und streckte ihm die Hand hin, Eder schaute in seine Karten und ignorierte die hingestreckte Hand.

»Du hast ihn gegen mich aufgehetzt«, sagte er. »Von selbst wär dem Burschen nie eingefallen, vom Hof wegzugehen. Wie hast du es angestellt? Hm? Hast ihm auf der Weide aufgelauert? Wolltest mir eins auswischen?«

Albert ließ die Hand sinken.

»Eigentlich hätt ich dir damals eins auswischen sollen. Immer tust so fein, so nobel. Der Herr Weltumsegler ist ja was Besseres als unsereins da im Dorf. Ein Handelsgeschäft«, er betonte das Wort abfällig, »hat er eröffnen müssen, weil ihm die Mühle zu gering war. Ein neues Armenhaus hat er bauen müssen, um uns seine selbstherrliche Güte vorzuführen. Aber mit einem unschuldigen Mädel anbandeln, ihm etwas versprechen und es dann fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, ist nicht die feine Art, das sag ich dir. Ich glaub, ich muss dich nicht dran erinnern, wie viel Leid du vor zehn Jahren über meine Familie gebracht hast, oder?«

In der Gaststube gab es zustimmendes Gemurmel. Was ihm der Eder entgegenschleuderte — es klang, als hätte er sich die Worte seit längerem zurechtgelegt —, war derart absurd, dass Albert im ersten Moment die Luft wegblieb. Hatte der Mann das womöglich damals herumerzählt? Dass er seiner Tochter die Ehe versprochen hatte, dass er indirekt die Schuld an ihrem Klostereintritt trug und somit am Tod seiner Frau?

»Und jetzt holst dir ausgerechnet als Müllersburschen meinen Buben, den ich am Hof dringend brauch, obwohl du an seiner Stell zehn, zwanzig andere haben kannst? Jetzt endlich, wo er groß genug ist, dass er zu was taugt. Das ist mehr als eine Frotzelei, das ist infam!«

Wiederum gab es Gemurmel, es war das erste Mal, dass Eder vor Leuten zugab, dass Emil Wagner sein Sohn war.

»Ich hab weder mit deiner Tochter angebandelt, noch hab ich ihr etwas versprochen«, sagte Albert bestimmt. »Wir haben auf einem Fest miteinander getanzt, wie ich mit anderen getanzt habe, und ein einziges Mal habe ich sie zu einem Spaziergang abgeholt. Dass ihre Familie daraus gleich so etwas wie eine Verlobungsfeier macht, ist nicht mein Problem.«

»Das sagst du«, sagte Eder ruhig. »Ich weiß, dass es anders war.«

Was für ein eiskalter, hartgesottener, abgefeimter Lügner er ist, dachte Albert. Er wusste, es wäre ratsam, auf der Stelle die Gaststube zu verlassen, um den Streit nicht überkochen zu lassen — er war ja gekommen, um Frieden zu schließen —, doch er schaffte es nicht, ihm ging die Galle über. Warum zum Teufel sollte man stets die Bösartigen, Niederträchtigen davonkommen lassen mit ihrer vermaledeiten Dreistigkeit und Schamlosigkeit? Er würde sicherlich keinen inneren Frieden haben, wenn er jetzt den Schwanz einzog und ging.

Da er Hedwig nicht ins Spiel bringen wollte, sagte er: »Was deinen Buben betrifft, war es nicht notwendig, ihn aufzuhetzen. Er hat sein Weggehen an genau diesem Tag seit Jahren geplant.«

»Ist er zu feig, um für sich selber zu reden?«, fragte Eder in höhnischem Ton und ließ seinen Blick in der Gaststube schweifen.

»Du hast ihn, seitdem er ein kleines Kind war, in einem Verschlag im Stall hausen lassen, er hat tagaus, tagein geschuftet für ein Stück Brot, und nicht nur das, er wurde geprügelt, getreten, gequält. Mit sechzehn war er stärker als du und hat sich das nicht mehr gefallen lassen, dann haben deine Söhne das für dich erledigt, aber nie alleine, immer waren sie zu zweit. Er hat gar keine ehrliche Chance gehabt, sich zu wehren. Wer ist da feig?«

»Bist jetzt sein Anwalt?«, zischte Eder. »Pass auf, was du sagst, sonst brauchst selber bald einen, weil ich dich nämlich wegen böswilliger Verleumdung anzeig.«

»Und was war das eigentlich mit seiner Mutter?«, sagte Albert laut. »Ein sechzehnjähriges Mädchen! Ein Kind noch!«

»Was geht dich das an? Sie war eine Waise, ich hab ihr ein Heim geboten.«

»Ach geh, Eder«, schnaubte ein Mann an einem anderen Tisch, er war ebenso Bauer, einige Jahre jünger als Eder. »Und von deinem lieben Streicheln in der Nacht ist sie dann schwanger geworden.«

Die Stimmung in der Gaststube änderte sich zugunsten Alberts, ein paar lachten, Stimmen wurden laut, Eder solle keine Märchen erzählen und nicht das Unschuldslamm spielen, jeder wüsste, was da gelaufen war. Ja, und den Mund habt ihr gehalten, ihr Feiglinge, dachte Albert bitter. Eder wurde rot vor Zorn und stand auf.

Albert erhob sich ebenfalls. »Und was das Leid betrifft, das ich angeblich über deine Familie gebracht habe: Das hast dir schön zusammengereimt, Eder. Hättest sonst nicht schlafen können? Deine Tochter ist ins Kloster gegangen, weil es ihr großer Wunsch war, niemand hat sie sitzenlassen und schon gar nicht ich, wir waren nie ein Paar. Und deine Frau hat eine Freude gehabt mit dem Kloster, sie hat sich nicht aus Gram darüber aufgehängt! Sondern weil du sie elendig schikaniert und halbtot geprügelt hast! Vom Doktor wissen wir, dass sie am ganzen Körper Blutergüsse gehabt hat. Die wird sie sich kaum selber zugefügt haben.«

Hinter ihm, am Nebentisch, erhob sich Ignaz Eder ruckartig und versetzte Albert einen Schlag in die Seite, er krümmte sich.

»Jaja, von hinten austeilen, das passt zu euch!«, rief jemand.

Zwei Männer stürzten sich auf den Schläger, Albert packte Eder, der ihm sein Bier ins Gesicht geschüttet hatte, am Kragen, und die Rauferei war im vollen Gange.

Eines Nachts im November brannten die Mühle und das Kaufhaus.

Anna, die im Nähzimmer noch wach war, sah durch das Fenster den Schein der Flammen im Nebengebäude und weckte die Männer. Während der Löscharbeiten — es war kein allzu großer Schaden passiert, nur die schwere Holztür war niedergebrannt — entdeckten sie das Feuer auf der Anhöhe. Aufgrund des Wassertanks mit Schlauch und Pumpe, den Albert vorsorglich hatte aufstellen lassen, gelang es ihnen, das Feuer nach zwei Stunden unter Kontrolle zu bringen, doch war der Schaden am Kaufhaus wesentlich größer als in der Mühle, zudem war der Wachmann — er war von hinten niedergeschlagen worden — schwer verletzt. Der Schrecken, den alle davontrugen, war groß. Abwechselnd hielten die drei Männer in der Nacht Wache, das Kaufhaus wurde nun rund um die Uhr von zwei Leuten bewacht, Albert schaffte für die Hofmühle und das Kaufhaus Wachhunde an.

Die Brandstiftung war wochenlang das Gesprächsthema im Dorf und erhitzte die Gemüter. Jeder ahnte, dass nur Eders jüngster Sohn Ignaz als Täter in Frage kam, der Rabiatere der zwei war am längsten unter der Fuchtel seines Vaters gestanden, ohne die besänftigende Fürsorge der Mutter und der Schwester. Jedoch konnte ihm die Tat niemand beweisen, Eder gab seinem Sohn ein Alibi, die Leute begannen die Familie zu schneiden.

Im Winter, nach Neujahr, kamen für einige Tage vier Männer auf den Ederhof, daraufhin veränderte sich die Situation schlagartig. Der Ältere der beiden, Friedrich, bekam den Hof überschrieben, was im Dorf für Verwunderung sorgte. Er war mit einem steifen Bein zur Welt gekommen, hatte dadurch einen hinkenden Gang, der Vater hatte ihn nie als Hoferben in Betracht gezogen, ihn jedoch auch kein Handwerk erlernen lassen. Er war aufgewachsen mit dem Wissen, zeitlebens als Knecht für seinen jüngeren Bruder arbeiten zu müssen, obwohl er der wesentlich geeignetere Bauer wäre, er war der Besonnenere der beiden und konnte mit dem Vieh besser umgehen als Ignaz. Friedrich verabscheute die Gewalttätigkeit seines Vaters — hatte jedoch nie den Mut gehabt, sich gegen ihn aufzulehnen —, und noch mehr hasste er die verrohten Zustände, die seit dem Tod seiner Mutter und dem Weggang seiner Schwester auf dem Hof eingekehrt waren.

Am Tag der Hofübernahme heiratete er eine junge Frau, die auf dem Hof als Magd arbeitete und die er von Anfang an gerngehabt hatte. Die Hochzeit war unvorbereitet, es fand lediglich eine Trauung im Kreis der Familie statt, durch den Mesner machte es schnell die Runde im Dorf. Veronika war eine Kleinhäuslertochter aus einem der Nachbardörfer und arbeitete seit zwei Jahren auf dem Ederhof, sie war sicherlich keine standesgemäße Partie für den jungen Ederbauern, auch wenn dieser ein steifes Bein hatte. Der Jüngste verließ von einem Tag auf den anderen das Dorf, ging nach Linz und begann in der Schiffswerft zu arbeiten. Das Dorf kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und als wäre das alles nicht genug, hatte Johann Eder wenige Tage nach der Überschreibung des Hofes, der Hochzeit des einen Sohnes und des Weggangs des anderen Sohnes einen Schlaganfall, er erholte sich zwar, blieb jedoch halbseitig gelähmt und konnte sich nur noch mit Mühe verständigen und bewegen.

An einem Sonntag gingen Friedrich und Veronika nach dem Gottesdienst auf Emil zu, Friedrich streckte ihm die Hand entgegen und brachte eine Entschuldigung vor, wofür, sagte er nicht. Emil zögerte zunächst, denn auch Friedrich hatte sich — wenn auch aus Feigheit — an unzähligen Grobheiten ihm gegenüber beteiligt, aber dann ergriff er doch die Hand. Friedrich bat Emil um ein Gespräch unter vier Augen. Er zeigte ihm Papiere, Eder hatte — vor dem Schlaganfall — die Vaterschaft anerkannt, er wünsche sich nichts mehr als Versöhnung und vor allem keine üble Nachrede mehr. Emil betrachtete die Unterschrift, es war tatsächlich die von Eder.

»Es war nicht in Ordnung, dass du von einem Tag auf den anderen verschwindest und uns hängenlässt! Du hättest sagen können, dass du deinen Lohn ausbezahlt haben willst. Und eine eigene Kammer im Haus«, sagte Friedrich.

»Du weißt genau, was mir dann geblüht hätt«, erwiderte Emil scharf, und Friedrich wurde rot.

»Er wollt, dass du seinen Namen trägst und auch dass du das Geld für deine Arbeit der letzten Jahre bekommst«, sagte Friedrich und nannte ihm die Summe. »Er wollt es nur bis zu deiner Volljährigkeit verwahren, und volljährig bist du erst in drei Jahren.«

Emil lachte bitter auf: »Im Lügen warst du immer schlecht.«

»Ich behalt lieber meinen Namen«, sagte er weiter. »Und wenn das eine an das andere gekoppelt ist, mag ich auch das Geld nicht haben.«

»Du willst das Geld nicht?« Friedrich schien erleichtert zu sein.

»Ich wünsch dir und Veronika alles Gute«, sagte Emil und ließ ihn stehen.

Seit dem Tag herrschte Frieden, wenn auch ein eisiger, niemand wollte mit dem anderen zu tun haben, aber niemand tat dem anderen etwas zuleide. Als man den alten Eder nach Monaten wieder im Gottesdienst sah, erkannte man den Sechzigjährigen kaum wieder, das Gesicht eine verzerrte Fratze, das linke Bein nachziehend, die Schulter hängend, schlurfte er langsam in die Kirche. Diejenigen, die ihn nie hatten leiden können, dachten an eine gerechte Strafe Gottes, die Männer, die vom gleichen Schlag waren wie er, fragten sich, ob alles mit rechten Dingen zugegangen war.

In den Wochen darauf kursierte die Geschichte im Dorf, dass Eders ältester Sohn Johannes unter den vier Männern, die Eder nach Neujahr einen Besuch abgestattet hatten, gewesen war. Seit fast zwei Jahrzehnten lebte er in Linz, er besaß ein Uhrmacher- und Juweliergeschäft und betätigte sich auch politisch.

»Das hättst erleben sollen, wie der seinem Alten die Leviten gelesen hat«, erzählte ein Knecht nach dem Kirchgang einem Knecht von einem anderen Hof. »Er hat drei Männer mitgehabt, zwei davon sollen Polizeibeamte gewesen sein, ausgeschaut haben sie wie Schläger. Die haben das Haus auf den Kopf gestellt und Möbel zertrümmert. Wenn ich es verlang, schnüffeln die weiter, hat er gesagt.«

»Aber wenn ich’s dir doch sag. Ich bin in der Stube gestanden und hab’s mit eigenen Ohren gehört. Der hat mit dem Schreien nicht mehr aufgehört und seinem Vater gedroht. Wenn er den Hof nicht sofort an den Friedrich überschreibt, bringt er ihn und den Ignaz vor Gericht und ins Gefängnis. Wegen verschiedener Delikte. Das war das Wort: Delikte«, erzählte eine Magd nach dem Kirchgang einer anderen. Die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer.